Text von Rabbiner Dr. Siegbert Neufeld, 1970, Als Anhang zu Udim Band 1
Von der Leitung der Rabbinerkonferenz bin ich gebeten worden, über die Gründung der Konferenz zu berichten, die vor nun schon achtzehn Jahren erfolgt ist. Gern folge ich dieser Anregung, denn es werden dadurch Vorgänge bekannt, die für die Entwicklung des Judentums im Nachkriegsdeutschland von Wichtigkeit sind und einem breiten Kreise nicht vorenthalten werden sollen. Von der ersten Stunde an waren einige befähigte Privatleute in einigen Gemeinden, die sich bemühten, aus dem Chaos der Untergetauchten, Übriggebliebenen, aus den Lägern strömenden überlebenden allmählich geordnete Gemeinschaften zu gründen. Nur selten tauchte da und dort ein Rabbiner auf.
In Frankfurt hielt sich etwa ein Jahr nach der Befreiung aus Theresienstadt Dr. Leopold Neuhaus auf, bevor er als Rabbiner nach den USA wanderte. Kürzere Zeit waren einige Rabbiner in Berlin: Dr. Michael Munk, Dr. Moritz Freier, Peter Levinson (jetzt badischer Landesrabbiner).
Dr. Paul Holzer, später Landesrabbiner von Norddeutschland (in Dortmund), war kurze Zeit in seiner früheren Gemeinde Hamburg. In Israel sträubte man sich damals, Rabbiner nach Deutschland zu senden. Die Stimmung des Volkes war zu sehr gegen Deutschland eingestellt und verlangte von den überlebenden, die zufällig dorthin verschlagen wurden, das Land so schnell wie möglich zu verlassen.
Wer dies nicht tat, galt als abgeschrieben. Ich kam als erster Rabbiner aus Israel im Januar 1951 nach Deutschland. Durch Zufall hatten Bekannte auf mich hingewiesen, und so wurde ich nach kurzen Verhandlungen April 1950 zum Landesrabbiner von Württemberg geT wählt. Aber leider versperrte mir die Regierung Israels den Weg. Das Innenministerium, eine Domäne der religiösen Partei, vermerkte in völliger Verkennung der Situation in meinem Paß: »Für alle Länder außer Deutschland.« Erst der Intervention des damaligen Justizministers Pinchas Rosen verdanke ich die Streichung dieses Verbots und die Möglichkeit, mich in Deutschland religiös zu betätigen.
Was ich in Württemberg vorfand, war kein Chaos, sondern eine gut geordnete und verwaltete Gemeinde mit fast allen nötigen Einrichtungen, einschließlich Mikweh. Der Bau einer repräsentativen Synagoge war von der Regierung beschlossen und begann gerade in der Woche meiner Ankunft. Vor mir waren schon mehrere Rabbiner dort gewesen. Zunächst hatten mehrere amerikanische Militärrabbiner sich um die Betreuung der aus Lägern gekommenen Juden gekümmert. Dann blieb etwa eineinhalb Jahre der aus einem Lager gekommene Sohn des Seminardozenten Professor Michael Guttmann (Breslau und Budapest), Dr. Heinrich Guttmann, der schon vorher einige Jahre in Bingen und Landsberg gewesen war und seinem Vater nach Budapest folgte. Infolge meiner so verspäteten Ankunft waren die Gemeinden länger als ein Jahr ohne Rabbiner. Als ich kam, fand ich nur Dr. Wilhelm Weinberg in Frankfurt vor, der aber schon im Begriff war, nach Amerika auszuwandern. Etwa ein Jahr war Frankfurt ohne Rabbiner, bis Dr. Harry Levy aus Israel kam Ihm und den später Kommenden hat die Regierung Israels keine Schwierigkeiten mehr bereitet. Zur Einweihung der Synagoge in Karlsruhe im Juli 1951 kam Dr. Robert Geis. Er war damals schon zum badischen Landesrabbiner gewählt worden, trat aber sein Amt erst 1952 an. Etwas früher kam Dr. Paul Holzer nach Dortmund.
In der langen Zeit, in der ich fast allein in Deutschland war, wurde ich häufig, zum Teil auch telegrafisch oder telefonisch, aus den verschiedensten Gemeinden Deutschlands um religiöse Auskünfte gebeten. Ich spürte manchmal das Verlangen, mich mit einem Kollegen auszusprechen, aber es war keiner da.
Zur Einweihung der Synagoge Stuttgart im Mai 1952 kam Dr. Holzer aus Dortmund und außerdem Dr. Lehrmann aus Luxemburg, heute Berliner Gemeinderabbiner, der in Stuttgart aufgewachsen war. Erst als Dr. Geis, Dr. Levy in Deutschland tätig waren, war die Zeit reiß, dass wir uns zwecks regelmäßiger Aussprachen über religiöse Fragen zusammenschlossen. Nach etlichen schriftlichen Vorbereitungen bot eine Zusammenkunft des Zentralrats der Juden in Deutschland in Düsseldorf im September 1952 die geeignete Gelegenheit, in zwangloser Aussprache über die Möglichkeit einer Zusammenschlusses zu beraten. Dieser Beratung, die in einem Hotelzimmer stattfand, folgte eine zweite Beratung im Dezember 1952 in Frankfurt, wo wieder eine Sitzung des Zentralrates stattfand. In der Wohnung des Rabbiners Dr. Levy beschlossen wir vier die Gründung. Frankfurt war aus geographisch sehen, aber auch aus geschichtlichen Gründen der gegebene Sitz der Organsiation, und Dr. Levy wurde zum Vorsitzenden gewählt. Da unter den damaligen Verhältnissen sämtliche Rabbiner größere Bezirke zu betreuen hatten und daher Landesrabbiner waren, nannten wir die Organisation Landesrabbkonferenz. Als später eine ganze Anzahl Gemeinden eigene Rabbiner hatten (Berlin, Düsseldorf, Köln, München, zeitweise Hamburg), wurde der Name bescheidener in Rabbinerkonferenz gewandelt. Aber in bewußtem Gegensatz zum früheren Rabbinerverband blieb der Name Rabbinerkonferenz, denn das Wichtigste wawirklich die regelmäßigen Konferenzen, in denen man sich über die dauernd Situation und über immer neu auftauchende religiöse Fragen ausEs bestehen gewisse Ähnlichkeiten mit dem Zentralrat, der organisatorisch zu beGesamtvertretung der Juden in Deutschland. Auch dessen Mitglieder sehen sich genötigt, in kurzen Abständen zusammenzukommen und über dringende Fragen zu beraten. Enge Zusammenarbeit beider Organisationen ist eine Selbstverständlichkeit für eine Religionsgemeinschaft. Wie der Zentralrat die wenigen überlebenden oder zurückgekehrten Juden organisatorisch zu hat, so haben die wenigen Rabbiner für die religiösen Bedürfnisse dieser wenigen zu sorgen. Daß es sich hier um schwierigere Komplexe handelt, als in den geregelten Verhältnissen der Vorkriegszeit, leuchtet ein. Übertritt zum Judentum, auch in Israel ein vielumstrittenes Problem, Schaffung neuer Schulbücher, jüdische Tagesschulen, Kaschrut, das sind nur einige Probleme, die erwähnt seien.
Ein Vergleich etwa mit dem allgemeinen Rabbinerverband, der gewissermaßen Vorgänger und Vorbild der Rabbinerkonferenz war, ist daher nicht möglich.
Bis Herbst 1953, bis zu meiner Heimkehr, fanden nach meiner Erinnerung noch drei Konferenzen statt; zwei in Frankfurt, eine in Bad Nauheim, im jüdischen Kurhotel. Über die weitere Entwicklung der Konferenz bin ich im Wesentlichen nur aus Zeitungsberichten informiert. Da ich auch später wiederholt in Deutschland war, hatte ich noch mehrmals Gelegenheit, an Sitzungen teilzunehmen. 1957 und 1960 war ich bei Rabbinerkonferenzen in Frankfurt zugegen und ebenfalls 1960 nach der Einweihung der Synagoge in Hamburg. Keiner von denen, die an der Gründungssitzung teilnahmen, ist noch als Rabbiner in Deutschland tätig. Andere Rabbiner sind gekommen und zum Teil auch wieder gegangen, die Zahl der Rabbiner ist gewachsen. Im ganzen sind heute zwölf Rabbiner Mitglieder der Organisation. Einer wurde und wird schmerzlich vermißt werden, der 1955 als Vorsitzender tätige hessische Landesrabbiner Dr. I. E. Lichtigfeld s. A. Seine überragende Persönlichkeit und sein vielseitiges Wissen haben der Konferenz mehr als ein Jahrzehnt das Gepräge gegeben. Wegen seiner besonderen Gaben hielten es die Kollegen für angebracht, gemeinsam mit einigen auswärtigen Rabbinern zu seinem siebzigsten Geburtstag 1964 eine Festschrift herauszugeben, eine Ehrung, die selbst dem großen Dr. Leo Baeck, dem letzten Vorsitzenden des Allgemeinen Rabbinerverbandes, erst zu seinem achtzigsten Geburtstag zuteil wurde.
Lichtigfeld ist frühzeitig, 1967, an einem unheilbaren Leiden gestorben. Noch heute, nach drei Jahren, ist die Lücke nicht geschlossen. Die Rabbinerkonferenz wirkt weiter, tagt abwechselnd in den verschiedensten Gemeinden und nimmt bei dieser Gelegenheit mit den einzelnen Gemeinden Kontakt. Möge ihr Wirken im Sinn und nach Ansicht der Gründer immer mehr in den neu erstandenen Gemeinden spürbar werden.
Rabbiner Dr. Neufeld