Nach jüdischer Auffassung endet die Kindheit eines Jungen mit Vollendung des 13. Lebensjahres, während dies für ein Mädchen, entsprechend seiner früheren Reifung, bereits mit 12 Jahren gilt. Bis dahin waren die Eltern verantwortlich für das Tun der Kinder; an diesem Tag aber erreichen diese in religiösen Dingen die Volljährigkeit, sind von nun an für ihr Tun und Unterlassen selbst verantwortlich, – sie sind mit diesem Tag Bath Mitzwah bzw. Bar Mitzwah, das heißt Tochter bzw. Sohn des göttlichen Gebotes. Dieser religionsgesetzliche Schritt geschieht im Judentum automatisch mit Erreichen des betreffenden Alters, – diesbezügliche Auffassungen sind schon früh schriftlich dokumentiert. So hebt in den Sprüchen der Väter Yehudah Ben-Theyma hervor, dass einem Dreizehnjährigen die Erfüllung der Gebote zukommt.
Erst wesentlich später entwickelte sich hierzu ein religiöses Zeremoniell: Im 14. Jahrhundert für Jungen, seit 1922 eingeführt von der Gesellschaft für die Förderung des Judentums (Reconstructionist Movement), auch für Mädchen.
Was bedeutet die Religionsmündigkeit für den Betreffenden?
Für einen Jungen bedeutet sie, daß er von nun an einerseits vollwertiges Gemeindemitglied ist und zum Minyan, der für die Durchführung eines gemeinschaftlichen G’ttesdienstes erforderlichen Mindestzahl von 10 Männern, hinzugezählt wird. Andererseits wird von ihm nunmehr auch die Einhaltung der 613 Mitzwoth erwartet, also der 248 Gebote und 365 Verbote, die uns die Torah lehrt. Er ist von nun an so unter anderem auch verpflichtet beim Morgengebet die Tefillin (die Gebetsriemen) anzulegen und sich beim gemeinschaftlichen Gebet mit der Tallith (dem Gebetsschal mit den Tzitzith, den Schaufäden) zu umhüllen. Bei der nächsten Torahvorlesung nach seinem 13. Geburtstag, – das ist meist in einem Schabbath-Vormittagsg’ttesdienst, kann aber auch im Morgeng’ttesdienst an einem Montag, Donnerstag oder an einem anderen Feiertag sein -, wird der Junge mit dem Namen, den er in der Gemeinde Israels hat, erstmals zur Torah aufgerufen und spricht erstmals die Segenssprüche über die Torah. Wenn er es vermag, liest er singend selbst den betreffenden Torahabschnitt vor. In der Regel aber hat er sich, oft schon monatelang vorher, auf die Lesung der Haftarah, dem zum Torahwochenabscbnitt gehörenden Text aus den Prophetenbüchern, vorbereitet, weshalb er dann auch die Aliyyah des Maftir bekommt, also die Aufrufung zur Torah für denjenigen, der hernach die Haftarah liest. Und es ist jedesmal ein besonderes Erlebnis, wenn der Junge mit klarer Stimme den oft schwierigen Prophetentext vorsingt. Als besondere Leistung gilt es wenn der Junge nach dem Morgeng’ttesdienst noch eine Erörterung (Draschah) des Wochenabschnittes oder gar eine Diskussion über ein Talmudthema vorträgt, meist verbunden mit Worten des Dankes an seine Eltern und Lehrer. Es hat sich eingebürgert, daß hernach auch der Rabbiner eine Ansprache an den Bar Mitzwah richtet und ihn auf die besondere Bedeutung dieses Tages für ihn hinweist, verbunden mit Wünschen des Segens.
So wie Mann und Frau als Partner einander gleichwertig sind, jedoch unterschiedlich in ihren Aufgaben gegenüber der Gesellschaft und der Familie, so gilt die Torah auch gleichermaßen für Mann und Frau, ihre Erfüllung geschieht aber durch die Frau in einer anderen Weise als durch den Mann. Dem öffentlichen Leben und der Synagoge als dem Ort des G’ttesdienstes in der Gemeinde, wo in der traditionellen jüdischen Gesellschaft der Mann die Familie vertritt, steht das Wohnhaus gegenüber, das Heiligtum der Familie, das von der Frau geführt wird und das ihr anvertraut ist. Der regelbaren Welt des äußeren Erwerbslebens steht das Improvisation erfordernde Innenleben der Familie mit den Ereignissen von Werden, Leben und Vergehen gegenüber, das nicht die Bindung an vorgegebene Zeiten erlaubt. So hat die Meisterung dieser Situationen für die Frau Vorrang gegenüber der Einhaltung zeitgebundener Gebote, denen sie daher nicht pflichtunterworfen ist wie der Mann.Die Frau dient dem Leben, der Familie, der Gesellschaft geschlechtsgebunden, dazu gehören der Rhythmus von Empfangnisbereitschaft und Menstruation, das Gebären und Stillen. Die Betreuung und Erziehung der kleinen Kinder, die Zubereitung der Nahrung und das Wohnlichmachen des Hauses liegen auch in unserer heutigen Gesellschaft, in der die Arbeitsteilung sich ändert, vorrangig in den Händen der Frau. Nach jüdischer Auffassung wurde nach der Zerstörung des Tempels das Heiligtum in die Familie verlagert.Die Bewahrung der kultischen Reinheit dieses Heiligtums ist Aufgabe der Frau. Und so gestaltet sich die Vorbereitung des Mädchens auf ihre Religionsmündigkeit anders als beim Jungen. Sie lernt die Reinheitsgebote f;ir ihren Körper kennen und einzuhalten. Sie lernt die Reinheitsgebote für die Nahrungszubereitung (Kaschruth) und Lebensführung, lernt das Haus vorzubereiten für die heiligen Feste und eröffnet diese im Heiligtum der Familie indem sie die Feiertagskerzen entzündet und benscht (segnet), – dies erstmals zu Beginn des Schabbaths nach ihrem 12. Geburtstag. In vielen Gemeinden hat es sich in den letzter Jahrzehnten eingebürgert, daß die Bath Mitzwah im Schabbathg’ttesdienst darüber hinaus das Schma Yisrael vorträgt oder eine Draschah hält, in Gemeinden der konservativen Richtung auch, daß sie zur Thorahlesung und zur Haftarah aufgerufen wird, worauf jeweils der Rabbiner auch an sie eine Ansprache mit Wünschen des Segens richtete.
Vom religiösen Teil der Religionsmündigkeitsfeier oft zeitlich abgesetzt findet dann der gesellschaftliche Teil statt, meist am Samstagabend, nach Schabbathausgang, wenn die Lichter wieder angemacht werden können und nun auch Musik gemacht und getanzt werden kann. Nach einem Festessen, während dem die Eltern oder Verwandte bzw. Freunde oft noch die Gelegenheit zu Ansprachen wahrnehmen, betet der Bar Mitzwah erstmals das Tischgebet vor, und es ist ein Brauch geworden, das Tischgebet in besonderer Weise drucken zu lassen, mit Namen und Festtagsdatum des bzw. der Religionsmündigen versehen, und den Gästen zum Andenken zu überreichen. Die Gäste ihrerseits pflegen sich mit festtagstypischen (Tallithoth, Gebetbücher, Bibeln, u.a.) oder anderen Geschenken zu revanchieren. Mit Sketchen, Musik und Tanz findet das Fest dann oft seinen heiteren Abschluß.