Gebete für Israeliten

Gebete für die drei Wallfahrtsfeste

Abendgebet an den drei Wallfahrtsfesten

Allgütiger und allheiliger Gott!
Ich danke dir, daß du mich diesen Abend hast erleben lassen, daß ich wiederum ein heiliges Fest feiern kann, welches mich erinnert, wie du in deiner Weisheit den Kreislauf der Zeiten geordnet und wie du, o Allmächtiger! alles zu seiner Zeit geschaffen hast,—ein Fest, das mir deine mächtigen Wunder der Tage der Vergangenheit ins Gedächtnis ruft, deine Wohltaten gegen unsere Väter, wie du ihnen Hilfe sandtest, sie leitetest und führtest, Wohltaten, die sowohl das Heil Israels als auch das der Menschheit überhaupt gefördert haben. Ich danke dir, daß du mich dieses heilige Fest hast erleben lassen, das meine Gotteserkenntnis bewähren, meinen Glaubensbund erneuern und mich in demselben befestigen soll, und das mich an deine ewigen Verheißungen erinnert, die du an jede Festzeit geknüpft hast. Ja, ich danke dir, daß du, das unvollkommene Wesen des Menschen berücksichtigend, dieses dein Fest eingesetzt hast, damit die heilige Glaubensflamme in uns allen lebendig erhalten werde. O, möchte doch alles sowohl in mir als um mich her das heilige Festgewand anlegen, möchte ich in dieser Nacht mich von deinem väterlichen Schutze umschattet fühlen, möchte ich sowohl, als alle, die mir angehören, von dem seligen Gefühl ergriffen werden, mit welchen das Fest jeden erfüllen sollte. Bewahre mich und meine Lieben vor allem, was den Frieden der Nacht und des Festes stören könnte, und laß mich morgen in der versammelten Gemeinde festliche Freude und festliche Erbauung mit all denen genießen, die dich suchen, deine Güte empfinden und dich anbeten, dich, der du »in Gnade und Barmherzigkeit festliche Erinnerungstage für deine Wunder eingesetzt hastPs. 111, 4.«, O sprich zu mir: »Du bist mein Diener, von dem ich gepriesen werdeJes. 49, 3..« Gepriesen sei dein Name in Ewigkeit.

Morgengebet für den ersten und zweiten Tag des Peßachfestes

Mit Dank erhebe ich mein Herz zu dir, o Ewiger, daß du in der kalten, dunkeln Nacht des Winters mir Schutz gewesen bist, daß die Winterzeit nun dahingegangen, und milde Lüfte mich wieder anwehen. Alles, was im Schlummer gelegen, ist wiederum erwacht, die gefesselt gewesene Natur ist wieder befreit. O, mein Gott, rührt sich wohl auch in mir dieses neue Leben? Bin auch ich frei geworden und wandre nicht mehr in der schmählichen Knechtschaft der Welt? Hat nicht die himmlische Saat in meiner Brust auch im Schlafe gelegen vor der Kälte der Welt, wie die Saat des Ackers vor dem Winterfrost? Habe ich wohl in den vielen langen Nächten nach dem himmlischen Lichte in deinem heiligen Gesetze gesucht, in stiller Zurückgezogenheit über dein Wort geforscht und die dunkle Tiefe meines eigenen Herzens bei dem klaren Lichte deiner Lehre untersucht? Oder habe ich vielmehr durch allerlei irdische Lust und Freude nur noch mehr jedes höhere Gefühl in mir in Schlaf versenkt und durch die Menge weltlicher Zerstreuungen den klaren Funken von deinem Geiste, der in mir noch geglommen, völlig ausgelöscht? Habe ich nicht manchmal Kälte und Unwetter nur als Vorwand vorgeschützt, um dein Haus nicht zu besuchen? O! dieses Fest ist es, das mir solche mahnende Erinnerungen gibt. An diesem Tage war es ja, daß du unsere Väter aus dem Joche Ägyptens erlöstest, daß ihr Geist von dem Sklavensinne befreit ward, und sie anfingen, als freies Volk zu leben und sich als solches zu fühlen, daß sie sich dazu erhoben, deine Diener zu sein. Im Glauben an dich traten sie ihre große Wanderung durch die Erdenwüste an, damit sie, dem Lichte gleich, in der Finsternis der Welt leuchten sollten, um sowohl in den Freuden als auch in den Leiden des irdischen Lebens, deinen Namen zu verehren und anzubeten, und das Lamm zu sein, welches seine Unschuld und Reinheit bewahrt und gerne das Opfer der Welt sein will, aber auch selbst der Priester ist, der es darbringt, um das Werk zu vollbringen, das du Israel aufgetragen: dein Reich auszubreiten, und es zu befestigen. O, ich fühle, wie weit entfernt ich noch davon bin, ein würdiges Glied in Israels Gemeinde, wie weit entfernt davon, dein freigeborner Sohn zu sein, der das Joch der Welt abgeworfen, und dein Diener, der sich von jedem Joche des Vorurteils frei gemacht und weder von dem hohlen Wesen des Unglaubens, noch von den Irrtümern des Aberglaubens gefesselt ist. Ach, der Sauerteig der Sünde füllt noch meine Brust, und Eitelkeit, Wollust und Habsucht betören mich. O, möchte ich doch, indem ich den Sauerteig aus meinem Hause forträume, auch meinen Sinn läutern! Ja, ich will an diesem Feste meinen Lebenstag aufs neue beginnen und mich selbst wieder zum Glauben erwecken. Ich will die Erinnerungen aus den Tagen meiner Kindheit auffrischen, da fromme Eltern an diesem Feste die gute Saat in meine Seele ausstreuten; ich will mir Israels wunderbare Leitung wieder vor die Seele rufen, von der Zeit an, da es durch deine kräftige Hand, o Gott! aus Ägypten geführt worden, bis auf diesen Tag, um immer mehr zu erkennen, daß es unter deiner väterlichen Obhut steht, daß es aber noch nicht seinen hohen Beruf erfüllt und daß jedes Mitglied der Gemeinde Israels dir und seinem hohen Berufe sein Leben und seine Kraft weihen soll. Aber was ich auch will,—nichts vermag ich doch ohne deinen gnädigen Beistand. Dein Geist sei mit mir und den Meinigen in dieser festlichen Zeit, daß wir sie feiern zu deinem Wohlgefallen, zur Verherrlichung deines Namens.

Ein anderes Gebet für den Peßachmorgen

Wie lange auch der Winter gewährt, wie viele Sehnsuchtsseufzer in den dunkeln Nächten zu deinem Himmel emporgestiegen, so habe ich doch unter deinem Schutze, Allbarmherziger, den Anbruch der milden Jahreszeit erlebt. So gedenke ich auch heute, daß durch deine Güte auf gleiche Weise vor Jahrtausenden die Morgenröte der Freiheit für das Menschengeschlecht anbrach. Du beriefest Israel, deinen Erstgeborenen, eine Gemeinde zu deiner Anbetung zu bilden, damit die Nacht des Heidentums nach und nach verschwinde, und alle Unterdrückung aufhöre. Ja, lange hatten meine Vorfahren in Druck und Elend geschmachtet und viele hatten schon jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben, ja, hatten schon aufgegeben den Glauben an die Verheißungen, die ihnen von Geschlecht zu Geschlecht überliefert waren; doch die Stunde der Errettung kam, und sie kam früher, als selbst die Gläubigsten geahnt hatten, sie kam in der tiefsten Finsternis der Nacht.—O, ich sehe wohl, noch seufzt die Welt unter dem Joche der Knechtschaft, noch bekämpfen Völker einander mit blutigen Waffen, noch herrschen die Schrecken des Krieges und noch werden wir von Eigennutz getrieben. Menschenfurcht hält noch den Geist gebunden und völlig machen wir uns zu Sklaven törichter Eitelkeit, und Gold und Ehre und Macht sind die Götzen, die die Menge anbetet, und Laster und Leidenschaften üben eine mächtige Herrschaft aus, sowohl über das ganze Menschengeschlecht, als über jeden Einzelnen. Doch du,»dessen Name von Ewigkeit zu Ewigkeit währt, und der du unser Erlöser bist«, du wirst dennoch endlich die Erlösung kommen lassen, so gewiß, als du sie verheißen hast. Du wirst die Zeit kommen lassen, in der »alle in Freundschaft mit einander wohnen, die Schwerter zu Pflugscharen schmieden werden und das Kind mit der Schlange spieletJes. 2, 4; Micha 4, 1—3, Jes. 11, 8.«, da das Gift der Sünde von ihr genommen sein wird. Diese Hoffnung soll das Fest in meiner Brust erneuern, und ich weiß, daß auch mir ein wenig Kraft verliehen worden, in deinem Dienste für das Kommen deines Reiches zu arbeiten. O, Herr! laß mich denn das Joch brechen, das noch auf mir lastet, laß mich von Hochmut und sündiger Lust gereinigt werden, und laß mich erkennen, daß nichts auf Erden mir als Eigentum angehört, sondern daß mein Besitz ein anvertrautes Gut, ein Darlehen von dir ist. Um nun von diesem Bewußtsein durchdrungen zu werden, wird ja auch in Israel jede erste Gabe des Lebens dir geheiligt, deshalb gehört dir ja die erste Erntefrucht des Jahres, und brachten eben ja am heutigen Tage unsere Väter das heilige Omer als Opfer der Erstlinge dir dar. So will ich denn gedenken, daß alles eine unverdiente Gabe aus deiner Hand ist, und wie sehr ich auch dafür gearbeitet habe, so ist doch nur der Genuß, wie von dem eines nur zur Benutzung anvertrauten Gutes mir davon gestattet, die Seele aber darf nicht daran hängen; denn es ist ja alles eitel und nichtig, die Seele aber schufst du für das Ewige, und der hat schon jetzt das ewige Leben, der nur an dir festhält. Gib, o du mein himmlischer Vater, daß ich in solcher Hoffnung an diesem Feste wachse und wecke sie bei allen meinen Brüdern, ja laß die zuversichtliche Erwartung bald das Menschengeschlecht erfüllen, daß einst der Tag erscheine,»da der Herr einzig sein wird und sein Name einzig.«
Amen!

Morgengebet an den beiden letzten Tagen des Peßachfestes

Wo ist wohl die Wohnung eines Frommen, in der man nicht heute mit Freuden Siegesgesänge anstimmt:»die Rechte des Herrn ist erhaben, die Rechte des Herrn hat das Siegeswerk vollbracht!« O, auch mein Haus soll von Siegesgesang erschallen und von Dank für deine wunderbare Hilfe, da Israel so kurz nach der Befreiungsstunde, am Rande des Verderbens stehend, nur im Aufblick zu dir, im Gebete, Mut und Rettung fand. Auch hier in meinem Hause soll ein Dankfest gefeiert werden, dafür, daß du an diesem Tage »den Glauben an dich und an Moses, deinen Diener, in den Herzen unserer Väter befestigt hast. Und hat es nicht auch in meinem eignen Leben so manche Stunde der Gefahr gegeben, in der ich oder einer der Meinigen gleichsam über einem Abgrunde schwebte, so manchen angstvollen Augenblick, in welchem ich verzagte und nicht fest in meinem Glauben war? Doch du halfst mir und du stärktest meinen schwachen Glauben! O, indem ich dir nun danke, will ich auch nicht vergessen an diesem Dankfest denen zu danken, die du als Werkzeug gewählt hast, mir zu helfen, mich zu stärken und zu trösten oder auch zu belehren. Wenn so viele, weit entfernt solches anzuerkennen, undankbar sind, so will ich in der Feststunde mir aufs neue die Pflicht der Dankbarkeit und Erkenntlichkeit ins Gedächtnis rufen, will auf meinen Vater (meine Mutter, meine Gattin, meine Kinder usw.) mit Dank für all das Gute, das mir von seiner (ihrer) Hand zuteil geworden, hinblicken und will mit Tränen der Dankbarkeit aller meiner Wohltäter gedenken, wenn sie auch schon im Grabe schlummern; ja, derer will ich gedenken, die mich als Kind in ihre zärtlichen Arme geschlossen und meine Jugend geleitet haben; meines Lehrers, der meinen Geist erleuchtet und mir den Weg des Lebens gezeigt hat, und aller, die mir jemals Rat erteilt und mit ihrem Beistande mich in meinem Berufe unterstützt haben. Gib mir, o, Ewiger, Gelegenheit und Kraft, ihnen allen meinen Dank durch die Tat beweisen zu können! Und wenn ich so viele teure Wesen vermisse, denen ich nichts von der Schuld meiner Dankbarkeit habe abtragen können, wenn vielleicht einer meiner Brüder gerade zur Festzeit den Verlust eines Freundes, eines Gönners oder Helfers beklagt, wenn der eine oder andere sich einsam und verlassen fühlt, o! so laß in seiner wie in meiner Seele das trostreiche Wort laut ertönen:»Stehe still und sieh die Hilfe des Herrn!« Denn du, o Herr, bist ewig und immer, und ewig lenkst du meinen Weg. Dir will ich stets aus ganzem Herzen danken, und deinen Namen will ich ehren in aller Ewigkeit.

Morgengebet am Wochenfest

Ewiger, hochgepriesener, einziger Gott!—O! wie könnte ich heute deinen heiligen Namen aussprechen, ohne dir zugleich dafür zu danken, daß du den Menschenkindern dich offenbart und deinen heiligen Willen ihnen kund getan hast. Du hast ja zu ewigem Angedenken daran dieses Fest der Gesetzgebung und der Offenbarung eingesetzt! Deine größte Liebe gegen die Sterblichen zeigtest du an jenem Tage, da du uns deinen väterlichen Willen kund getan, da du das Himmlische dem Geschlechte der Erde offenbartest, daß wir es erkennen und des himmlischen Reiches teilhaftig werden. Auch ich bin dazu berufen und kann zu den Glücklichen und Seligen gezählt werden; auch für mich hast du deine Worte verkündet. Ja, ihre Herrlichkeit leuchtet der ganzen Welt; obschon unbewußt lebt, und atmet sie in derselben, und würde sie ohne dein ewigstrahlendes Licht in Finsternis eingehüllt sein. So soll denn der Unglauben eben so wenig wie der Aberglauben Herrschaft über mich gewinnen. Aber ach! wenn ich mich im Lichte deines geoffenbarten Wortes prüfe, muß ich da nicht beschämt bekennen, daß es in mir oft verdunkelt worden und nicht in voller Kraft in all meinem Denken und Tun widerstrahlte? Nahm ich nicht oft den Schein für die Wahrheit und Menschenklugheit und Blendwerk oder meine eigenen törichten Meinungen für Gotteserkenntnis, und Vorurteil für Überzeugung?—War ich wohl fest in deinem Gesetze zu allen Zeiten, daß es mit Flammenschrift auf den Tafeln meines Herzens eingeschrieben stand als ein ewiges Bundeszeugnis, als ein Zeugnis meiner Treue und meines Strebens, dich und deinen Willen immer klarer zu erkennen? War ich nicht zuweilen hartnäckig und rühmte mich da der Festigkeit, oder hielt ich nicht zuweilen die Zweifel, die sich in meiner Brust erhoben und das Schwanken meines Geistes für Fortschritt?
Darum bitte ich dich, du,»dessen Wort ewig ist, dessen Wahrheit fest steht von Geschlecht zu Geschlecht«, o, leite meine Schritte auf die Bahn deines Wortes, daß ich nie davon weiche, weder zur Rechten noch zur Linken, und laß nicht die Sünde und das Verderben Macht über mich gewinnen! Laß mich erkennen, da߻der Mensch nicht vom Brote allein lebt, sondern von allem dem, was aus deinem Munde kommt5. Buch Moses 8, 3.«, und wecke in mir ein beständiges Verlangen nach diesem Lebensbrot, daß deine Zeugnisse mein ewiges Erbteil seien, meines Herzens wahre Freude, meiner Seele Seligkeit.
Amen!

Heute, da ich der höchsten und heiligsten Gabe gedenke, mit welcher du, mein Gott, vom Sinai aus deine Menschenkinder begnadigt hast, —wie danke ich dir da, daß ich Israels Glauben bekenne! Wie hilflos und verlassen würde ich sein, wollte ich Licht und Leitung bei den Weisen der Welt suchen, die so oft einander widersprechen, und von denen der eine niederreißt, was der andere als ein unerschütterliches Gebäude aufgerichtet. Ja, ich danke dir, mein Gott, daß ich ein Israelit bin, und ich die heiligen Stammväter und alle Propheten, die du mit deinem heiligen Geiste erfülltest, zu Leitsternen für mich auf meiner Bahn habe, und daß du auch für mich das Wort leuchten ließest, welches du selbst in deiner Gnade kund getan hast, das Wort, das felsenfest allen Stürmen der Zeit Widerstand geleistet, und das der Spott der Leichtsinnigen, die Geringschätzung der Weltlichgesinnten nicht zu erschüttern vermocht hat. Ja, wohl muß ich meines Glaubens wegen zuweilen Kummer und Beschwerden erdulden, und wo ich als ernster Israelit nach deinem Gesetze und deiner Lehre wandern will, da werde ich oft von außen und von innen von Feinden bedrängt;»denn die, welche an deinem Worte festhalten und in seinem reinen Geiste wandern, müssen oft unter Kedars Hütten wohnen, unter denen, die den himmlischen Frieden hassen.« Aber du läßt mich die Wahrheit deiner himmlischen Lehre erkennen, und nicht weltliche Freuden und nicht irdische Bande sind es, die mich an sie binden; denn du hast sie als Preis für mannigfältige Kämpfe gegeben, und gerade unter diesen soll sie ihre Gotteskraft beweisen. O, so stärke mich denn, wie du unsere Vorfahren gestärkt, daß ich dieses Kleinod wie meinen Augapfel bewahre und es auf die kommenden Geschlechter vererbe. Laß seine Herrlichkeit immer mehr mir strahlen, und laß mich darin unablässig für mich und für alle die Meinigen Leben und Licht, Trost und Frieden finden.
Amen!

Am Laubhüttenfest – Sukkot

Herrscher der Welt, der du die Liebe bist! Heute erinnere ich mich, wie wunderbar du unsere Väter durch die Wüste führtest, da du sie in Hütten wohnen ließest, und vertrauensvoll rufe ich aus:»Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln«Ps. 23, 1. O, Dank sei dir gebracht, daß du mir dieses Freudenfest verliehen hast, das mich jedes Jahr in der Zuversicht bestärken soll, niemals vor der unbekannten Zukunft mich zu ängstigen, und niemals mich von den mannigfachen Sorgen überwältigen zu lassen, die ja oft in den Menschenherzen auftauchen. Denn meine Hütte ist in deinem Namen erbaut, und wenn ich auch jetzt nichts sähe als die öde Wildnis, so weiß ich doch, daß du dein Manna herniederfallen lassen kannst, daß du mir alles, dessen ich bedarf, verleihen und daß du deinen Schatten ausbreiten kannst über meine Wohnung. Und, wenn auch Stürme tosen und sie umzustürzen drohen, so will ich doch mit frohem Mute durch die Wölbung der Laubhütte zu deinem Himmel aufschauen, der seine Strahlen in meine Wohnung hernieder sendet und ich will mein Vertrauen auf dich setzen, der gerade unter den brausenden Stürmen die Saaten reifen läßt und den Bäumen die Kraft gibt, Frucht zu tragen, und der da will, daß auch der innere Mensch unter den Stürmen der Geschicke und der Zeit reifen und Kraft gewinnen soll, edle Frucht zu tragen. Aber auch daran will ich heute denken, daß gerade dieses Fest dazu eingesetzt ist, mich an die Pflicht zu erinnern, auch eine gebührende Sorge für meinen Körper zu hegen, und ich will froh sein, daß ich mich zu einem Glauben bekenne, der nicht von mir fordert, daß ich mein Fleisch mit selbstverursachten Martern peinige oder mir jede Freude versage, die du auf meinem Wege mir erblühen läßt, noch daß ich ganz der Welt entsagen und abgeschieden von ihr leben soll; nein, vielmehr einen Glauben, der gerade will und mich durch diese Feier dazu auffordert, daß ich die Freuden der Erde mit meinen Verwandten und Freunden genießen soll und mich »freuen all des Guten, das du mir gegeben hast«, so daß jeder sinnliche Genuß dadurch geheiligt wird, daß er in dir genossen wird und so, daß ich mich selber bei allem, was meinen Leib erquickt und freut, in deinem Dienste fühle, als einer, der dein heiliges Gebot erfüllt. So gib denn du, mein Gott, daß so selbst jede irdische Lust, die du mir bereitest, mich dir näher führen und daß ich, indem mein Vertrauen auf dich gekräftigt wird, erfahren möge, daß»wer auf dich baut, mit Gnade umgeben werden und sein Haus und seine Hütte in Frieden stehen soll«. Ps. 32, 10.

Amen!

Am Laubhüttenfest als Erntefest


Einsammlungsfest 2. Mos. 23, 16, 34. 22.—5. Mos. 16, 13.

Ewiger, der du sowohl in der Höhe als in der Tiefe die verborgenen Quellen öffnest und aus unerschöpflicher Fülle Segen niederströmen läßt über alle Geschöpfe, dir bringen jetzt alle ihren Dank, weil ihre Vorratskammern wiederum gefüllt sind,—wie könnte ich da allein schweigen? Sollte ich dir meinen Dank nicht bringen, der du deine milde Hand aufgetan und allem, was lebt, seine Nahrung gegeben hast? Nein, und wenn auch alle Welt schwiege, ich müßte doch in dieser Stunde die Stimme meiner Dankbarkeit erheben, denn du hast ja selber dieses Fest in deiner Güte dazu geweiht, daß es in der Brust des Israeliten die Stimme des Dankes wecken soll, auf daß, wie unsere Väter in der Wüste jeden Tag der Woche, so auch wir jetzt zu diesen festlichen Stunden erkennen, daß das Brot vom Himmel kommt, und daß wir nicht sein sollen wie diejenigen, welche über die Gabe den allgütigen Geber vergessen. Und kann ich auch nicht wie der Landmann zur Erntezeit, in meine Scheuern gehen, um den reichen Segen zu sehen, so hast du doch mir und den Meinen eine nicht minder reiche Ernte verliehen. Die Tat, welche ich vollführe, der Beruf, den ich erfülle, das ist ja der Acker, den ich pflüge und besäe, und wie reich hast du mich ernten lassen! Und hätte ich auch nur wenig geerntet, flossen auch die Quellen der Nahrung nur spärlich, so ist doch selbst dieses Geringe eine unverdiente Gabe aus deiner Hand. Aufs neue wird mir die Gewißheit, daß du deinen Bund hältst,»daß Saat und Ernte niemals aufhören und der Fleißige gesegnet werden soll.« Wieder habe ich tausende von Erquickungen empfangen, und jede einzelne von ihnen lehrte mich, daß,»wenn auch junge Löwen schmachten und hungern, so soll doch denen, die dich von ganzem Herzen suchen, nichts Gutes mangeln«.Ps. 31, 11. So will ich mich denn heute in diesem Troste freuen, und ich will meine Freude erhöhen, indem ich Freude nah und fern verbreite, und meinen Dank will ich dir dadurch beweisen, daß ich jedem meiner Brüder und jeder meiner Schwestern mit freundlichem Angesicht, mit mildem, wohltätigem Sinn entgegenkommen will, daß auch ihr Dank für alles, womit du uns gesegnet hast, zu dir aufsteige. Nun bitte ich dich, allen schöne, festliche Tage zu bereiten, ich bitte dich, Frieden und Freude über mich und mein Haus auszubreiten, daß es von deinem Lob beständig widerhallen möge. Geheiliget sei dein Name!

Amen!

Dir danke ich, o mein Gott, daß dein Name nahe ist, und daß, der du deine hohe Wohnung dir im Himmel erbaut hast, du auch deinen Bund auf Erden gegründet und deine Hütte unter den Kindern der Menschen aufgeschlagen hast, daß auch mein Leben in der Gemeinschaft der Frommen geheiligt wird. Denn heute ist es ja das Fest, welches du dereinst angeordnet hast, um dem gemeinsamen Leben der Gläubigen Nahrung zu geben, und noch jetzt ist es diesem Zweck geweiht; und wie vormals alle diejenigen an ihm vereinigt wurden, welche in zahlreichen Scharen zur heiligen Stadt hinzogen, deinen Namen zu preisen und deiner Lehre zu lauschen, auf daß sie neu belebt würden und mit des Glaubens heiligen Gaben in ihre Häuser heimkehrten, also umschlingt dasselbe Fest noch immer mit einem heiligen Band alle diejenigen, die über die weite Erde zerstreut und zersplittert sind, aber eine geistige Gemeinschaft sich bewahrt haben. Es verbindet uns alle als Brüder im Glauben, die wenig Begabten mit den an Kenntnis Reichen, und die, welche durch ihre frommen und edlen Handlungen sich einen Namen und guten Ruf erworben haben, mit denen, die nur wenig vollführt, aber doch zur Gründung des Himmelreiches auf Erden mitgewirkt haben, wenn sie nur treu geblieben sind und sich dem heiligen Bund von ganzem Herzen angeschlossen haben. Es sind ja nicht nur die Mächtigen und Großen, die hie und da nur spärlich zu finden sind, durch welche die Aufgabe, die du deinem Volke gestellt hast, erfüllt werden soll; auch nicht allein diejenigen, welche die Menschen dazu bestellt haben, deinen Weinberg zu hüten und zu pflegen, nein, es sind auch diejenigen, welche mit geringen Kräften Stein auf Stein zu dem heiligen Bau tragen, die Geringen, welche in einfältiger Frömmigkeit das Ihrige zu seinem Wachstum beitragen, und überall sich finden, wo der Lebensstrom deiner Lehre fließt, gleich der unansehnlichen Weide, die an jedem Strom wächst und die ganze Erde ziert, während die Palme nur ein Schmuck der südlichen Länder ist. O Gott, laß auch mich ein lebendiges Glied in diesem Bunde sein, mich, der ich mit ganzem Herzen mich deiner Gemeinde anschließe; und kann ich auch nichts Großes wirken, so erfülle mich doch mit der freudigen Gewißheit, daß selbst durch das Wenige, welches ich beizutragen vermag, das Ganze und Große auch gefördert werde. Stärke mich in dem Vorsatz, mit Bereitwilligkeit mein Scherflein für alles zu geben, was zum Bedarf der Gemeinde sowohl, wie deines Hauses dient, und für alles, was die Gemeinschaft mit dir fördert. Und Herr, mit Sorgfalt will ich alles vermeiden, was Zwistigkeit erregen könnte, und was dazu dienen möchte, das Band zu lösen, welches uns alle in einem Gedanken und in einem Sinne vereinen soll. Laß nun dieses Fest über mich und die Meinigen seine erquickenden Schatten breiten, daß ich von seiner Freude gesättigt werde, als von dem Vorgeschmack der Seligkeit.

Amen!

Kategorie: Gebete für Israeliten

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Rabbiner Abraham Alexander Wolffs Gebetbuch (geboren am 29. April 1801 in Darmstadt und gestorben am 3. Dezember 1891 in Kopenhagen) ist ein orthodoxes Gebetbuch mit zusätzlichen Gebeten in deutscher Sprache. 1856 erschien die dänische Ausgabe und erst später die deutsche Übersetzung. Die vorliegende Ausgabe präsentiert die Texte Wolffs mit einigen hebräischen Ergänzungen, in einer anderen Ordnung und mit einigen zusätzlichen Texten aus der gleichen Zeit.