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Übersetzt von Chajm Guski
Von unserem Meister, Rabbi Israel Meir, Sohn von Rabbi Arjeh Se’ev HaKohen, seligen Andenkens, aus der Stadt Radin, Verfasser der Werke »Chafetz Chajim« und »Mischna Berura«
Über die Schwere der Sünde des grundlosen Hasses
Die halachischen Autoritäten schreiben über das Verbot »Du sollst deinen Bruder nicht in deinem Herzen hassen« (Wajikra 19,17). Im Sefer Mitzvot HaSchem, negatives Gebot Nr. 142, heißt es:
Es ist ein Verbot der Torah, einen rechtschaffenen Juden zu hassen, wie es heißt: »Du sollst deinen Bruder nicht in deinem Herzen hassen.«
Die Torah warnt hier speziell vor einem Hass, der im Herzen getragen wird.
Wer seinen Mitmenschen schlägt oder beschimpft, verstößt nicht gegen dieses spezielle Verbot – obwohl das natürlich ebenfalls verboten ist.
Wenn jemand einem anderen Unrecht tut, soll man den Groll nicht im Herzen behalten und schweigen, sondern es ist eine Mitzwa, ihn (in sanfter Sprache) darauf anzusprechen:
»Warum hast du mir dies oder jenes angetan?« – und so den Groll aus dem Herzen entfernen.
Dieses Gebot gilt überall und zu jeder Zeit.
Im Begriff »dein Bruder« ist jeder Jude eingeschlossen. Wie es in Avot de-Rabbi Natan (Kap. 16) heißt:
»Sage nicht: Diesen Juden liebe ich, jenen hasse ich; ich liebe die Gelehrten, aber hasse die einfachen Leute.«
Vielmehr: Liebe alle, und hasse nur die »Minim« (Häretiker).
König David sagte: »Die dich, HaSchem, hassen, hasse ich auch« (Psalm 139,21).
Ein »Min« ist jemand, der die Torah HaSchems oder Seine Vorsehung leugnet.
Wenn wir uns die Folgen dieser Sünde genau anschauen, erkennen wir, dass der Mensch durch grundlosen Hass eine unreine spirituelle Kraft auf sich zieht.
Denn es ist bekannt: Jeder Körperteil, mit dem man eine Mitzwa erfüllt, wird von einem Hauch von Heiligkeit durchdrungen.
Durch das Einhalten aller Mizwot wird der ganze Körper geheiligt, wie es heißt (Bamidbar 15,40):
»Damit ihr euch erinnert und alle meine Gebote tut und heilig seid für euren G-tt.«
Umgekehrt: Wer eine Sünde begeht, zieht Unreinheit auf das entsprechende Körperteil.
Unsere Weisen sagten (Ketubot 5a):
»Ein Mensch soll seine Ohren nicht unnötigen Worten aussetzen, denn sie sind die ersten Glieder, die verbrennen werden.«
Das bedeutet: Wer verbotene Dinge hört, zieht Unreinheit auf seine Ohren – und so ist es mit jedem Körperteil, der für eine Sünde benutzt wird.
Dies gilt für alle Körperteile, auch wenn die Seele nicht direkt von ihnen abhängt – obwohl ihr Verlust für den Menschen schwerwiegend ist.
Doch wie viel größer ist der Schaden, wenn ein Körperteil, an dem das Leben selbst hängt, verunreinigt wird – wie das Herz.
Denn das ganze Leben des Menschen hängt am Herzen.
Fehlt es – G-tt bewahre – ist der Mensch wie tot.
Wenn also durch die Sünde des grundlosen Hasses – die im Herzen wurzelt – Unreinheit auf das Herz gezogen wird, dann betrifft das den zentralen Lebensnerv des Menschen.
Und dadurch wird sein ganzer Körper mit Unreinheit durchzogen.
Doch nicht nur auf spiritueller Ebene wird der Mensch durch diese Sünde bestraft – auch in dieser Welt drohen ihm schwere Konsequenzen.
Wie im Talmud (Schabbat 32b) steht:
Wegen grundlosen Hasses kommt es zu Streit in der Familie,
die Frau erleidet Fehlgeburten,
und Söhne und Töchter sterben jung.
Man sieht also, wie viele Übel sich der Mensch selbst durch diese bittere Sünde zufügt.
Wenn jemand sehen würde, wie ein anderer seinen kleinen Sohn schlägt, würde er sich mit ihm streiten, ihn bekämpfen und ihn aus tiefstem Herzen hassen.
Doch wenn er selbst durch sein Verhalten die Ursache für den Tod seiner Kinder ist, kümmert ihn das überhaupt nicht.
Er denkt nicht darüber nach, wie weit seine Sünde reicht.
Wehe ihm und wehe seiner Seele!
Wo ist sein Verstand, wo ist seine Einsicht, dass er selbst all dies verursacht?
Darum muss der Mensch sich sehr, sehr vor dieser Sünde hüten und mit ganzer Kraft und ganzer Seele davon Abstand nehmen – dann wird es ihm gut gehen, in dieser Welt und in der kommenden.
Wie weit die Sünde des grundlosen Hasses reicht und wie streng die Torah sie beurteilt
Im Talmud (Joma 9b) heißt es:
Warum wurde der Erste Tempel zerstört? Wegen drei schwerer Sünden, die in jener Zeit verbreitet waren: Götzendienst, sexuelle Unmoral und Blutvergießen. Aber der Zweite Tempel, in dem man Torah lernte, Gebote erfüllte und Wohltätigkeit übte – warum wurde er zerstört? Wegen grundlosen Hasses, der unter den Menschen herrschte. Daraus lernen wir, dass grundloser Hass so schwer wiegt wie die drei schwersten Sünden zusammen: Götzendienst, Unzucht und Mord.
Wir beten in unseren Gebeten und Bitten – besonders in den zusätzlichen Gebeten – um den Wiederaufbau des Tempels, und wir sehnen uns täglich danach. Doch wir denken nicht darüber nach, was die eigentliche Ursache für die Verzögerung des Wiederaufbaus ist.
Wenn schon damals der grundlose Hass – trotz Torah und Wohltätigkeit – den Tempel zerstören konnte, wie viel mehr kann er heute verhindern, dass er wieder aufgebaut wird, wenn wir uns nicht mit aller Kraft bemühen, diese Sünde zu überwinden und den Hass aus unseren Herzen zu entfernen.
Denn leider hat sich diese Sünde in unseren Tagen überall verbreitet – in großen wie in kleinen Städten. Wenn wir nicht ernsthaft versuchen, das zu korrigieren, was wir verdorben haben, werden wir – G-tt bewahre – weiterhin im Exil leiden und auch für die Entweihung des G-ttesnamens verantwortlich gemacht werden, die durch unser Verhalten im bitteren Exil entsteht.
Warum ist diese Sünde schwerer als andere?
- Bei den meisten Sünden ist es nicht üblich, dass ein Mensch sie ständig begeht – es sei denn, er ist völlig zügellos. Aber bei grundlosem Hass kann ein Mensch jede Sekunde sündigen, solange der Hass in seinem Herzen aktiv ist. Manchmal trägt er diesen Hass einen Monat, ein Jahr oder länger – und so vervielfachen sich die Übertretungen ins Unermessliche.
So wie eine Krankheit, die sich im Körper festsetzt, immer schwerer zu heilen ist, so ist es auch mit dieser geistigen Krankheit: Wenn sich der Hass im Herzen verwurzelt, gibt es – G-tt bewahre – kaum noch Heilung. Deshalb muss der Mensch sehr darauf achten, dass sich dieser Hass nicht im Herzen festsetzt.
- Diese Sünde ist auch deshalb schwerwiegender, weil sie viele weitere Sünden nach sich zieht:
Streit und Spaltung üble Nachrede (Laschon Hara) Verleumdung (Rechilut) verletzende Worte öffentliche Demütigung Verbreitung falscher Gerüchte und manchmal sogar tatsächlichen Mord.
Wie es im Midrasch Sifri heißt: Wer das Gebot »Du sollst nicht hassen« übertritt, wird am Ende auch »Du sollst nicht morden« übertreten. Denn es steht geschrieben (Dewarim 19,11): »Wenn ein Mann seinen Nächsten hasst, ihm auflauert und ihn erschlägt…«
Auch der Mord an Chewel geschah durch grundlosen Hass von Kajin.
Kurz gesagt: Alle Leiden und Katastrophen in der Welt – ihr Ursprung liegt im grundlosen Hass.
Wie streng die Torah mit dieser Sünde umgeht Betrachten wir das Verbot »Du sollst nicht nachtragen« (Wajikra 19,18):
Unsere Weisen erklärten: Was ist »Nachtragen«? Wenn jemand seinen Freund um ein Werkzeug bittet, und dieser lehnt ab. Am nächsten Tag bittet der andere um ein Werkzeug, und man sagt: »Hier, nimm es – ich bin nicht wie du, der mir gestern nichts gegeben hat.« Das ist bereits ein Verstoß gegen das Verbot »Du sollst nicht nachtragen«, denn es zeigt, dass der Groll im Herzen geblieben ist.
Im Talmud (Sanhedrin 27b) heißt es: Wer drei Tage lang aus Feindschaft nicht mit seinem Mitmenschen spricht, gilt als Hasser und ist ungeeignet, über ihn zu richten – laut allen Meinungen.
Das ist sehr häufig unter Menschen: Ein kleiner Streit führt dazu, dass man nicht mehr miteinander spricht, auch wenn es nicht wie offener Hass aussieht. Man sagt dann: »Sie stehen nicht auf gleicher Ebene« [Oder modern übersetzt: »Wir sind halt nicht mehr auf einer Wellenlänge.«]. Aber laut Talmud gilt das bereits als Hass im Herzen – und ist ein Verstoß gegen das Verbot »Du sollst deinen Bruder nicht hassen«.
Deshalb muss der Mensch sehr achtsam sein, denn schon wegen einer Kleinigkeit kann er in diese schwere Sünde fallen – eine Sünde, die furchtbar schwer wiegt.
Die Schlussfolgerung aus dem Gesagten ist: Wir müssen uns sehr, sehr bemühen, diese bittere Sünde zu korrigieren, denn sie ist der Hauptgrund für die Länge unseres Exils.
Möge der gute G-tt uns ins Herz legen, den Hass aus unseren Herzen zu entfernen, keinen Neid auf andere zu empfinden und nicht zu wünschen, dass andere uns beneiden.
Dann werden wir das Kommen des gerechten Messias und den Wiederaufbau unseres herrlichen Tempels bald erleben – Amen.
Die Ursachen des grundlosen Hasses
Nun wollen wir die Ursachen erklären, die zum grundlosen Hass führen. Der meiste Hass, der unter uns verbreitet ist, entsteht aus mehreren Gründen, die wir hier einen nach dem anderen erläutern.
Die erste und wichtigste Ursache ist der Neid Der Mensch beneidet seinen Mitmenschen aus verschiedenen Gründen:
a) Manchmal beneidet jemand seinen Mitmenschen, weil G-tt ihn mit Reichtum und Besitz gesegnet hat, und alles, was er tut, gelingt ihm. Dieser Neid führt dann zum Hass.
b) Es kommt vor, dass ein Handwerker oder Fachmann, der seine Arbeit gut beherrscht, öffentlich gelobt wird. Andere in seinem Berufszweig beneiden ihn und hassen ihn, weil sie glauben, er nehme ihnen die Kundschaft weg.
c) Manchmal wird jemand mehr geehrt als man selbst, und es fällt einem schwer zu ertragen, wie andere ihm Respekt erweisen. Obwohl man selbst nach Ehre strebt, entzieht sie sich einem, und stattdessen wird man gedemütigt. Das führt zu tiefem Hass.
d) Es kommt auch vor, dass jemand gute Eigenschaften und Tugenden besitzt und dafür öffentlich gelobt wird. Obwohl man selbst weiß, dass einem diese Eigenschaften fehlen, missgönnt man dem anderen seine Anerkennung – aus reinem Neid.
Doch all diese Gründe beruhen auf Irrtümern – und rechtfertigen keinen Hass.
Zur ersten Ursache – Neid wegen Reichtum:
G-tt gibt Reichtum auf zwei Arten:
Zum Guten: Wenn G-tt weiß, dass jemand gutherzig und barmherzig ist, gibt Er ihm Reichtum, damit er den Armen hilft. In diesem Fall ist der Reiche nur ein Verwalter des Geldes – es gehört eigentlich den Bedürftigen.
Zum Schlechten: Wenn jemand viele Sünden hat, aber auch einige gute Taten, kann es sein, dass G-tt ihm im Diesseits den Lohn für seine Mizwot gibt, damit er im Jenseits leer ausgeht. Am Ende wird sein Reichtum auf schlechte Weise verloren gehen.
Wenn man das bedenkt, gibt es keinen Grund, jemanden wegen seines Reichtums zu hassen:
Wenn es zum Guten ist, dann ist man selbst vielleicht nicht würdig, so zu handeln. Wenn es zum Schlechten ist, dann verliert der andere gerade seinen Anteil an der kommenden Welt – was gibt es da zu beneiden? Wie unsere Weisen sagten:
»Eine Stunde geistiger Wonne in der kommenden Welt ist mehr wert als das ganze Leben in dieser Welt.«
Zur zweiten Ursache – Neid wegen beruflichen Erfolges: Unsere Weisen sagten:
»Kein Mensch kann das nehmen, was für einen anderen bestimmt ist – nicht einmal ein Haarbreit.«
Was einem zusteht, wird man ohne Mühe und Schmerz erhalten. Was G-tt einem bestimmt hat, kann niemand einem wegnehmen. Wenn man sich das bewusst macht, verschwindet der Hass auf den erfolgreichen Kollegen.
Zur dritten Ursache – Neid wegen Ehre: Wenn jemand geehrt wird, dann ist das ein Zeichen, dass er würdig ist. Denn es steht geschrieben:
»Die mich ehren, werde ich ehren« (1. Schmuel 2,30).
Wenn jemand bei G-tt angesehen ist, wird er auch bei den Menschen geehrt. Wer versucht, ihn zu erniedrigen, wird selbst erniedrigt. Denn:
»Mit dem Maß, mit dem du misst, wirst du gemessen.«
Zur vierten Ursache – Neid wegen Tugenden:
Das ist ein besonders absurder Neid. Was kann der andere dafür, dass HaSchem ihm gute Eigenschaften geschenkt hat? Er hat sie sich verdient – durch Gnade oder durch Mühe. Es gibt keinen vernünftigen Grund, ihn dafür zu hassen.
Die Schlussfolgerung aus dem Gesagten ist: Wir haben alle genannten Ursachen durchleuchtet. Wenn der Mensch ehrlich über diese Dinge nachdenkt und an die Worte unserer Weisen glaubt, wird er erkennen, dass alle seine Vorwürfe leer und nichtig sind – und dass es keinen Grund gibt, seinen Mitmenschen zu hassen.
Wie sehr der Mensch sich bemühen muss, den Hass aus seinem Herzen zu entfernen
Ein gewöhnlicher Jude glaubt an die 13 Glaubensgrundsätze des Judentums. Er gehört gewiss zu denen, über die die Schrift sagt:
»Denn ein Teil G-ttes ist Sein Volk« (Dewarim 32,9), und er ist geliebt von G-tt, wie es heißt: »Ich habe euch geliebt, spricht der Ewige« (Maleachi 1,2), und: »Weil G-tt euch liebt« (Dewarim 7,8), und: »Ihr seid Kinder des Ewigen, eures G-ttes« (Dewarim 14,1), und viele weitere Verse bezeugen die große Liebe G-ttes zu Seinem Volk Israel.
Wie also kann ein Mensch es mit seinem Herzen vereinbaren, jemanden zu hassen, den G-tt liebt? G-tt wird gewiss einen Groll gegen ihn hegen, wenn er einen Seiner Geliebten hasst.
Ein Gleichnis: Es liegt in der Natur eines Vaters, sein Kind mit inniger Liebe zu lieben. Alles, was er tut, ist letztlich für das Wohl seiner Kinder. Wenn jemand kommt und seine Kinder hasst, wird der Vater großen Groll gegen diesen Menschen empfinden.
So ist es auch hier: Wer seinen Mitmenschen hasst, gegen den hat G-tt einen Groll. Und wer ist so töricht, sich den Groll des Allmächtigen zuzuziehen? Wenn schon der Groll eines Menschen schwer zu ertragen ist – wie viel mehr der Groll des Königs aller Könige, des Heiligen, gepriesen sei Er!
Es ist bekannt, dass jedes Körperteil des Menschen für eine bestimmte Funktion geschaffen wurde:
Der Mund zum Essen, die Zähne zum Kauen, die Ohren zum Hören, die Zunge zum Sprechen, das Herz zum Denken. Stell dir vor, jemand sieht seinen Mitmenschen den ganzen Tag unreines Fleisch essen – er würde ihn verabscheuen, denn die Torah ruft:
»Verunreinigt euch nicht mit all diesen Dingen« (Wajikra 18,24), und dieser Mensch verunreinigt sich absichtlich.
Wie viel mehr sollte man sich vor sich selbst ekeln, wenn man Hass im Herzen trägt – denn das Herz wurde geschaffen, um reine und heilige Gedanken zu denken, und stattdessen brütet es Bosheit gegen den Mitmenschen – von morgens bis abends.
Die Torah ruft:
»Du sollst deinen Bruder nicht in deinem Herzen hassen« (Wajikra 19,17).
Was ist der Unterschied zwischen jemandem, der unreines Fleisch isst, und jemandem, der sein Herz mit Hass verunreinigt?
Der kluge Mensch spricht mit seinem Trieb Ein kluger Mensch, wenn der böse Trieb ihn zum Hass verleiten will, soll ihn direkt ansprechen:
»Was willst du von mir, mein Trieb? Warum verfolgst du mich ständig und versuchst, mich zum Hass zu verführen? Mit jedem Moment, in dem du Hass in mein Herz pflanzt, ist es, als würdest du mir Schweinefleisch in den Mund legen! Und wofür soll ich meinen Mitmenschen hassen? Ich sehe doch, dass er nichts falsch gemacht hat – du willst mich nur dazu bringen, Unschuldige zu verdächtigen. Im Gegenteil – ich habe Groll auf dich, meinen Trieb, denn du willst mich dazu bringen, jemanden zu hassen, den G-tt liebt. Du bist mein wahrer Feind – du willst, dass ich in den Augen G-ttes verhasst und abscheulich werde. Du willst, dass ich ständig gegen das Verbot »Du sollst deinen Bruder nicht hassen« verstoße – eine sehr schwere Sünde. Ich kenne dich schon – du bist ein Lügner. Immer, wenn ich eine Mitzwa erfüllen will, kommst du mit Ausreden, um mich davon abzuhalten. Und wenn ich eine Sünde vermeiden will, kommst du mit »Erlaubnissen«, um mich hineinzuziehen. Wenn ich nicht oft – mit G-ttes Hilfe – gegen dich angekämpft hätte, wärst du längst mein Untergang gewesen. Ich habe dich durch viele Erfahrungen durchschaut: Du bist es, der mich zu schlechten Taten verführt. Wie es in der Torah heißt: »Nach dir ist sein Verlangen« (Bereschit 4,7) – Raschi erklärt: Der Trieb verlangt ständig, den Menschen zu Fall zu bringen. Von heute an habe ich keinen Groll mehr auf meinen Mitmenschen – Möge G-tt ihn in allem segnen!«
Wenn der Mensch sich diese Gedanken wirklich zu Herzen nimmt, wird er nicht in die Falle seines bösen Triebs geraten, und der Hass wird aus seinem Herzen verschwinden.
Denn ein gesprochenes Wort, das den Mitmenschen segnet, hat die Kraft, die bösen Gedanken zu vertreiben.
Wege zur Korrektur der Sünde des grundlosen Hasses
Zuerst muss der Mensch den Hass aus seinem Herzen entfernen. Dann wird seine Seele von der Sünde des grundlosen Hasses gereinigt, sodass er anschließend ein aufrichtiges Sündenbekenntnis über die Vergangenheit ablegen kann, und ihm wird vergeben. So wie bei der Sünde des Diebstahls: Solange der Dieb das Gestohlene nicht seinem Besitzer zurückgegeben hat, kann er seine Sünde nicht korrigieren – selbst Jom Kippur bringt ihm keine Vergebung. Genauso ist es bei der Sünde des grundlosen Hasses: Solange der Hass nicht vollständig aus dem Herzen entfernt wurde, kann man kein echtes Sündenbekenntnis ablegen, und die Sünde wird nicht vergeben – selbst nicht durch viele Bekenntnisse. Das ist wie jemand, der in der Mikwe taucht, während er noch einen unreinen Gegenstand in der Hand hält.
Der Weg zur inneren Reinigung Der Mensch soll sich daran gewöhnen, seinen Mitmenschen positiv zu beurteilen. Bei jeder Handlung, die jemand tut, soll man nach einer positiven Erklärung suchen: Vielleicht war es ein Versehen, vielleicht hat er es bereut, vielleicht gab es Umstände, die wir nicht kennen. Dadurch wird der Hass aus dem Herzen verschwinden.
Unsere Weisen sagten:
»Wer seinen Mitmenschen positiv beurteilt, wird auch vom Himmel positiv beurteilt.«
Und weiter heißt es (Pirkej Avot 2,4):
»Beurteile deinen Mitmenschen nicht, bis du an seiner Stelle warst.«
Manchmal bittet jemand seinen Freund um Hilfe – etwa um ein Darlehen – und der Freund gewährt sie nicht. Der Bittende neigt dazu, negativ zu urteilen und denkt, der andere sei hartherzig.
Doch man muss nachfragen, ob der andere überhaupt in der Lage war, zu helfen. Es kommt oft vor, dass jemand nach außen wohlhabend wirkt, aber in Wahrheit finanziell sehr eingeschränkt ist. Er muss sich jedoch so verhalten, damit man ihn im Geschäftsleben nicht für geizig hält, damit Gläubiger ihn nicht bedrängen, damit er weiterhin auf Kredit einkaufen kann, oder weil er Kinder im heiratsfähigen Alter hat und nicht als arm gelten möchte. Man muss sich fragen: Was würde ich tun, wenn ich in seiner Lage wäre? Wäre ich besser?
Das ist die Bedeutung von:
»Bis du an seiner Stelle warst« – also: in seiner Lebenssituation.
Wer so denkt, wird immer positiv urteilen und seinem Mitmenschen Gerechtigkeit widerfahren lassen.
In diesen wenigen Worten habe ich nur einen kleinen Teil der Schwere der Sünde des grundlosen Hasses und ihrer Korrektur erklärt. Doch der kluge Mensch, der wirklich über seine Wege nachdenkt, wird noch viele weitere Gründe finden, sich zu bemühen, den Hass aus seinem Herzen zu entfernen und seinen Mitmenschen von Herzen zu lieben.
Meine Brüder und Freunde, nachdem wir wissen, dass die Hauptsünde, die zur Zerstörung des Tempels und zur Verlängerung des Exils geführt hat, die Sünde des grundlosen Hasses war, müssen wir – wenn wir den Wiederaufbau des Tempels ersehnen – genau diese Sünde korrigieren.
Wie unsere Weisen sagten:
»Wer Bündel von Sünden gemacht hat, soll Bündel von Mizwot dagegenstellen.«
Die Korrektur besteht darin, dass jeder Mensch sich bemüht, jeden einzelnen Juden zu lieben – sowohl in Bezug auf seinen Körper als auch auf seinen Besitz. Man soll den Respekt und das Eigentum des anderen genauso achten wie das eigene.
Dazu wurden wir durch das Gebot verpflichtet:
»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« (Wajikra 19,18), wie es auch Rambam erklärt.
Nicht umsonst werden wir genannt:
»Ein Teil G-ttes«, wie es heißt: »Denn ein Teil G-ttes ist Sein Volk, Jakob ist Sein Erbe« (Dewarim 32,9).
Der Lohn für Frieden Wir müssen wissen: Frieden zwischen Menschen zu stiften gehört zu den Dingen, für die der Mensch schon in dieser Welt belohnt wird, während der Hauptlohn für die kommende Welt aufbewahrt bleibt – wie es in Masechet Peah 1:1 steht.
Der Mensch soll sich selbst prüfen und erkennen, dass der böse Trieb ihn täglich davon abhält, die Güte und Barmherzigkeit G-ttes zu erkennen und Dankbarkeit zu empfinden.
Unsere Weisen sagten:
»Wer ist weise? Der, der seinen Platz kennt« – das heißt: seine wahre geistige Stufe.
Derjenige, der nicht weise ist, lässt sich vom Trieb täuschen: Er denkt, er sei bedeutend, ein Gelehrter, ein G-ttesfürchtiger Mensch, weil andere ihn so sehen.
Doch wenn er ehrlich ist, erkennt er, dass er viele Gebote täglich vernachlässigt, und viele Verbote übertritt, ohne es zu merken.
Diese Erkenntnis ist sehr heilsam: Sie nimmt ihm den Stolz, und lässt ihn zufrieden sein mit dem, was G-tt ihm gibt – sei es materiell oder in Bezug auf Ehre.
Er erkennt, dass G-tt mit ihm in Güte handelt.
So wird auch der Vers verständlich:
»Du öffnest Deine Hand und sättigst alles Lebendige mit Wohlgefallen« (Tehillim 145,16).
Viele wundern sich: Wie kann es heißen, dass G-tt alle Wünsche erfüllt, wo doch niemand alle seine Wünsche erfüllt bekommt?
Die Antwort lautet: Der Mensch kennt sich selbst nicht wirklich. Er denkt, er hätte mehr verdient, sowohl in dieser Welt als auch in der kommenden.
Doch G-tt, der ihn wirklich kennt, weiß, dass mehr nicht gut für ihn wäre – und auch nicht für seine Kinder, damit sie nicht vom Weg G-ttes abweichen.