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Mischna Awot » Prolog

Der Text der Mischna Awot » Prolog

Prolog

כָּל יִשְׂרָאֵל יֵשׁ לָהֶם חֵֽלֶק לָעוֹלָם הַבָּא,
שֶׁנֶּאֱמַר:
וְעַמֵּךְ כֻּלָּם צַדִּיקִים, לְעוֹלָם יִֽירְשׁוּ אָֽרֶץ,
נֵֽצֶר מַטָּעַי מַעֲשֵׂה יָדַי לְהִתְפָּאֵר

Ganz Israel1Ganz Israel כָּל יִשְׂרָאֵל Samson Raphael Hirsch: Der Ausdruck עוֹלָם הַבָּא begreift eine zweifache Zukunft, eine jenseitige und diesseitige.
Eine jenseitige: die zukünftige Seligkeit, in welche die Seele des Menschen sofort nach dessen Tode mit ihrem Scheiden aus der diesseitigen Welt austritt;
und eine diesseitige: die als ein Reich der Glückseligkeit, der Vollkommenheit und des Friedens auf Erden als Ziel aller irdischen Menschenentwicklung von Gott herbeigeführt wird.
כָּל יִשְׂרָאֵל Jeder, der des Namens יִשְׂרָאֵל würdig ist und der hohen geistig sittlichen Bestimmung und Aufgabe sich nicht ganz entfremdet, hat seinen Anteil an beidem, an der zukünftigen und an der diesseitigen Zukunft. Wie verschieden auch in mannigfachster Abstufung der Grad der dieser Bestimmung und Ausgabe bewahrten Treue und dem entsprechend auch das Maß jenes Anteils sich gestalten möge, ganz verloren geht ihm dieser Anteil nicht, solange er ישראל bleibt. Jedes Gute, das wir in treuem Gottesgehorsam hier vollbringen, wird eine seelische Errungenschaft, die uns ins Jenseits zu dem Angesicht unseres Vaters im Himmel geleitet, und ist zugleich ein Saatkorn in den Zukunftsacker der Menschheit gestreut, mit welchem wir die Summe des Guten und Gottgefälligen mehren, das einst als die Heileszukunft für die Menschheit aus Erden aufblühen soll, und in welchem wir eine schon irdische Unsterblichkeit gewinnen.
R. Lehmann Wir wollen zwei Missverständnissen entgegentreten, die diesem Ausspruche unsrer Weisen begegnen könnten. Das erste ist, wenn man meinen möchte, dass »ganz Israel« ausnahmslos, Anteil habe an der zukünftigen Welt. Dieser irrigen Meinung tritt schon der Schlusssatz der in Rede stehenden Mischnah entgegen, in der diejenigen Israeliten bezeichnet werden, die keinen Anteil haben am künftigen Leben, wie der, welcher behauptet, dass die Torah die einstige Auferstehung der Toten nicht lehre, oder der, der den göttlichen Ursprung der Torah leugnet; die Worte »ganz Israel« wollen nur besagen, dass jeder Israelit, der ringt und strebt, seinem Israel-Beruf gemäß zu leben, der künftigen Seligkeit wird teilhaftig werden. Auch das von der Mischna als Beweis angeführte Prophetenwort bestätigt das, es bezieht sich auf die messianische Zeit; dann werden die Israeliten, die treu beharrt in der Furcht vor Gott und in der Liebe zu Gott, alle vollkommen Fromme sein und der ewigen Seligkeit teilhaftig werden. Das ununterbrochene Heil des ewigen Lebens fällt dem Israeliten nicht wie eine reife Frucht in den Schoß, er muss danach ringen und es zu erstreben sich bemühen. Das andere Missverständnis ist das, wie wenn die Worte »ganz Israel« alle andern Menschen vom künftigen Leben, von der Unsterblichkeit und deren Wonne ausschließen wollten. Eine solche Ausschließlichkeit liegt dem Glauben Israels durchaus fern. Und so lehren auch unsere Weisen (Tosefa zu Sanhedrin 13; vergleiche auch Sanhedrin 105a): »Es heißt in der heiligen Schrift (Psalm 9, 18): »Es werden hinabsinken in die Gruft alle Frevler, alle Väter, die Gott vergessen. — Rabbi Josua lehrte: Es heißt nicht: es werden hinabsinken in die Gruft (ohne Wiedererstehung) alle Völker, sondern alle Völker, die Gott vergessen, daraus folgern wir, dass es auch unter den Nichtjuden Fromme gibt, die Anteil haben am ewigen Leben.« Diese Lehre des Rabbi Josua wird von Maimonides (Eduth 11, § 10, und Teschuwah 3, § 5) als Halachah, als maßgebende religiöse Vorschrift aufgestellt, indem er lehrt: »Die Frommen aller Nationen haben Anteil an der zukünftigen Welt.« Ja, Maimonides schließt gerade aus der in Rede stehenden Mischna den oben mitgeteilten Grundsatz. Die Mischnah zählt nämlich in ihrem weiteren Verlauf Bileam unter denen auf, die keinen Anteil am künftigen Leben haben, wozu Maimonides in seinem Mischnah-Kommentare bemerkt: »Die Mischnah muss deshalb Bileam, der ein Nichtjude war, erwähnen, weil auch die frommen Nichtjuden Anteil haben an der zukünftigen Welt; Bileam aber gehörte zu den Bösen und ging deshalb der ewigen Seligkeit verlustig.« Unter den Frommen der Nationen sind diejenigen zu verstehen, die die sieben noachidischen Gebote beobachten, die sich fernhalten von Mord, Götzendienst, Unkeuschheit, Raub, Gotteslästerung, die vielmehr Recht, Gerechtigkeit und Tugend lieben und sich nicht nur den Mitmenschen, sondern auch den Tieren gegenüber der Rohheit und Grausamkeit enthalten. Die Worte »ganz Israel« wollen also keineswegs die Nichtjuden von der ewigen Seligkeit ausschließen, wollen vielmehr uns andeuten, dass jeder, der das Glück hat, im Judentum geboren zu sein, den geebneten Weg vorfindet, der da hinaufführt in das Haus unsres himmlischen Vaters.
hat Anteil an der kommenden Welt, wie geschrieben steht:
»Dein Volk sind alle Gerechte und werden für die Ewigkeit das Land erben. Sie sind der Spross meiner Pflanzungen, das Werk meiner Hände derer ich mich rühmen werde.«

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    Ganz Israel כָּל יִשְׂרָאֵל Samson Raphael Hirsch: Der Ausdruck עוֹלָם הַבָּא begreift eine zweifache Zukunft, eine jenseitige und diesseitige.
    Eine jenseitige: die zukünftige Seligkeit, in welche die Seele des Menschen sofort nach dessen Tode mit ihrem Scheiden aus der diesseitigen Welt austritt;
    und eine diesseitige: die als ein Reich der Glückseligkeit, der Vollkommenheit und des Friedens auf Erden als Ziel aller irdischen Menschenentwicklung von Gott herbeigeführt wird.
    כָּל יִשְׂרָאֵל Jeder, der des Namens יִשְׂרָאֵל würdig ist und der hohen geistig sittlichen Bestimmung und Aufgabe sich nicht ganz entfremdet, hat seinen Anteil an beidem, an der zukünftigen und an der diesseitigen Zukunft. Wie verschieden auch in mannigfachster Abstufung der Grad der dieser Bestimmung und Ausgabe bewahrten Treue und dem entsprechend auch das Maß jenes Anteils sich gestalten möge, ganz verloren geht ihm dieser Anteil nicht, solange er ישראל bleibt. Jedes Gute, das wir in treuem Gottesgehorsam hier vollbringen, wird eine seelische Errungenschaft, die uns ins Jenseits zu dem Angesicht unseres Vaters im Himmel geleitet, und ist zugleich ein Saatkorn in den Zukunftsacker der Menschheit gestreut, mit welchem wir die Summe des Guten und Gottgefälligen mehren, das einst als die Heileszukunft für die Menschheit aus Erden aufblühen soll, und in welchem wir eine schon irdische Unsterblichkeit gewinnen.
    R. Lehmann Wir wollen zwei Missverständnissen entgegentreten, die diesem Ausspruche unsrer Weisen begegnen könnten. Das erste ist, wenn man meinen möchte, dass »ganz Israel« ausnahmslos, Anteil habe an der zukünftigen Welt. Dieser irrigen Meinung tritt schon der Schlusssatz der in Rede stehenden Mischnah entgegen, in der diejenigen Israeliten bezeichnet werden, die keinen Anteil haben am künftigen Leben, wie der, welcher behauptet, dass die Torah die einstige Auferstehung der Toten nicht lehre, oder der, der den göttlichen Ursprung der Torah leugnet; die Worte »ganz Israel« wollen nur besagen, dass jeder Israelit, der ringt und strebt, seinem Israel-Beruf gemäß zu leben, der künftigen Seligkeit wird teilhaftig werden. Auch das von der Mischna als Beweis angeführte Prophetenwort bestätigt das, es bezieht sich auf die messianische Zeit; dann werden die Israeliten, die treu beharrt in der Furcht vor Gott und in der Liebe zu Gott, alle vollkommen Fromme sein und der ewigen Seligkeit teilhaftig werden. Das ununterbrochene Heil des ewigen Lebens fällt dem Israeliten nicht wie eine reife Frucht in den Schoß, er muss danach ringen und es zu erstreben sich bemühen. Das andere Missverständnis ist das, wie wenn die Worte »ganz Israel« alle andern Menschen vom künftigen Leben, von der Unsterblichkeit und deren Wonne ausschließen wollten. Eine solche Ausschließlichkeit liegt dem Glauben Israels durchaus fern. Und so lehren auch unsere Weisen (Tosefa zu Sanhedrin 13; vergleiche auch Sanhedrin 105a): »Es heißt in der heiligen Schrift (Psalm 9, 18): »Es werden hinabsinken in die Gruft alle Frevler, alle Väter, die Gott vergessen. — Rabbi Josua lehrte: Es heißt nicht: es werden hinabsinken in die Gruft (ohne Wiedererstehung) alle Völker, sondern alle Völker, die Gott vergessen, daraus folgern wir, dass es auch unter den Nichtjuden Fromme gibt, die Anteil haben am ewigen Leben.« Diese Lehre des Rabbi Josua wird von Maimonides (Eduth 11, § 10, und Teschuwah 3, § 5) als Halachah, als maßgebende religiöse Vorschrift aufgestellt, indem er lehrt: »Die Frommen aller Nationen haben Anteil an der zukünftigen Welt.« Ja, Maimonides schließt gerade aus der in Rede stehenden Mischna den oben mitgeteilten Grundsatz. Die Mischnah zählt nämlich in ihrem weiteren Verlauf Bileam unter denen auf, die keinen Anteil am künftigen Leben haben, wozu Maimonides in seinem Mischnah-Kommentare bemerkt: »Die Mischnah muss deshalb Bileam, der ein Nichtjude war, erwähnen, weil auch die frommen Nichtjuden Anteil haben an der zukünftigen Welt; Bileam aber gehörte zu den Bösen und ging deshalb der ewigen Seligkeit verlustig.« Unter den Frommen der Nationen sind diejenigen zu verstehen, die die sieben noachidischen Gebote beobachten, die sich fernhalten von Mord, Götzendienst, Unkeuschheit, Raub, Gotteslästerung, die vielmehr Recht, Gerechtigkeit und Tugend lieben und sich nicht nur den Mitmenschen, sondern auch den Tieren gegenüber der Rohheit und Grausamkeit enthalten. Die Worte »ganz Israel« wollen also keineswegs die Nichtjuden von der ewigen Seligkeit ausschließen, wollen vielmehr uns andeuten, dass jeder, der das Glück hat, im Judentum geboren zu sein, den geebneten Weg vorfindet, der da hinaufführt in das Haus unsres himmlischen Vaters.