Der Text der Mischna(h) Awot (Kapitel 3) in deutscher Übersetzung
1
Akabja, Mahalaleels Sohn, sagte:
Merk auf drei Dinge
und du fällst nicht in Sünde!
Beherzige, woher du kommst,
wohin du gehst
und wem du Rechenschaft geben mußt!
Woher kamst du?
Von einer übelriechenden Flüssigkeit.
Wohin gehst du?
An den Ort des Staubes und Gewürmes.
Wem mußt du Rechenschaft ablegen?
Dem König, dem König der Könige. Gelobt sei er!
Kommentar
von Rabbiner Dr. Marcus Lehmann
In der ersten Mischna des zweiten Buches unsrer Masechta haben wir einen ähnlichen Ausspruch: Rabbi pflegte zu sagen: »Betrachte drei Dinge und du kommst nicht in die Hände der Sünde: erkenne, was über dir ist: ein sehendes Auge und hörendes Ohr,und alle deine Werke werden in einem Buche verzeichnet.« Wenn wir die drei Dinge Rabbis mitdenen Akabias vergleichen, so wird sich ergeben, dass die drei Dinge Rabbis nur eine nähere Ausführung des von Akabia angegebenen, dritten Dinges sind, nämlich der einstigen Rechenschaftsablage vor dem Richter des Weltalls. Akabia hingegen macht uns auch auf Dinge aufmerksam, die geeignet sind, uns in kräftigster Weise von jenen hässlichen Eigenschaften zurückzuhalten, die meistens der Ursprung aller Sünden sind: vom Stolz, von der Genusssucht, von der Habsucht.
— Törichter Mensch, der du dich stolz über deine Mitmenschen erhebst, der du in deiner Eitelkeit dein geringes Denken, Wollen und Können auf einen eingebildeten Thron erhebst, erinnere dich an deine geringe und unbedeutende Herkunft. Aus einer Tippah bist du gebildet, die gar leicht in Fäulnis übergehen und zum Ekel hätte werden können (vgl. Bartinora). Worauf also willst du stolz sein? Gleichen Ursprung haben der mächtigste König und der geringste Bettler, der Fürst der Wissenschaft und der unwissende Tagelöhner, der Reiche, der über Millionen gebietet, und der Ärmste, dem ein Stückchen Brot fehlt, um seinen Hunger zu stillen. Wenn du dich deines Ursprungs erinnerst, o Mensch, so wird der Stolz dir vergehen und die Eitelkeit dir entschwinden.
2
Rabbi Chanina, der Priestervorsteher, sagte:
Bet für das Wohl der Obrigkeit!
Gäb’s keine Furcht vor ihr,
so verschlänge einer den andern.
Rabbi Chanina, Teradions Sohn, sagte:
Sitzen zwei beisammen
und reden sie nicht über das Gesetz,
dann ist es wahrlich ein Zusammensitzen von Spöttern.
Es heißt in der Schrift (Ps 1, 1, 2):
»In der Versammlung der Spötter sitzt er nicht.«
Aber sitzen zwei beisammen
und befassen sich mit dem Gesetz,
dann ist die Gottesgnadengegenwart bei ihnen.
Es heißt in der Schrift (Mal 3, 16):
»Dann sagen die Gottesfürchtigen zueinander:
Gott hört und vernimmt es.«
Ich finde hier nur Zweierlei.
Sitzt einer da und forscht im Gesetz,
rechnet ihm dies der Heilige an.
Es heißt ja (Klagel. 3, 28):
»Er sitzt einsam da und schweigt;
denn Er legt’s ihm auf.«
Kommentar
von Rabbiner Dr. Marcus Lehmann
Rabbi Chanina
Auch der hier genannte Weise lebte zu der Zeit, als der heilige Tempel noch stand. Er hatte eine hohe Stelle inne und kam im Range gleich nach dem Hohenpriester. Für den Fall, dass dem Hohepriester am Versöhnungstag ein Unfall zustieß, war der Vorsteher der Priester, bestimmt, ihn zu ersetzen (Joma 39 a). Er war ein Genosse des Rabban Jochanan ben Sakkai und überlebte, wie dieser, die Zerstörung des heiligen Tempels. Er starb den Märtyrertod am 25. Tage des Monats Siwan, an demselben Tage, an welchem Rabbon Schimeon ben Gamliel der Ältere und Rabbi Jischmael, der Hohepriester, zum Tode geführt wurden (Orach Chajim 580). Doch scheint die Hinrichtung Rabbi Chaninas wohl an demselben Tag und Monat, doch nicht in demselben Jahre wie die der beiden andern Weisen stattgefunden zu haben, da sich aus mehreren Talmudstellen ergibt, dass wie bereits erwähnt, Rabbi Chanina die Zerstörung des heiligen Tempels überlebt hat. (Vgl. Joma 21b, wo er bezeugt: Ich habe die Flamme auf dem Altare im heiligen Tempel gesehen. Mit Recht folgert man daraus, dass damals der heilige Tempel schon zerstört war. Vgl. auch Pessachim 14a, Joma 8a.)
Es ist eine große Lehre, die Rabbi Chanina uns hier gibt. Sie belehrt uns nicht allein in Bezug auf unser Verhalten dem Staate Gegenuber, in dessen Mitte wir leben; der Ausspruch des Weisen wirft auch ein helles Licht auf den Begriff des Staates überhaupt. Einer der größten Denker der neuern Zeit, der berühmte Philosoph Hegel, hat die Frage aufgeworfen, was wohl früher sei, das einzelne Individuum, das gemeinsam mit Millionen anderer den Staat bildet, oder der Staat selbst. So seltsam diese Frage erscheint, so hat sie doch ihre vollkommene Berechtigung, und von ihrer Beantwortung hang3n der Begriff und die Bestimmung des Wesens des Staates ab. Wenn die einzelnen Individuen das Ursprüngliche sind, so besteht der Staat nur in der Vereinigung vieler Individuen zu einem nur lose zusammenhangenden Ganzen. Dem ist jedoch nicht so. Der Staat muss als ein organisches Wesen betrachtet werden, und in jedem Organismus ist nicht der Teil früher da, sondern das Ganze, wenn auch nicht tatsachlich, so doch jedenfalls der Idee nach. Wir wollen das an einem Beispiel deutlich machen. Beim Menschen z. B. ist nicht der kleine Finger früher da als der Mensch, wohl aber ist der Begriff des Menschen früher da als die einzelnen Teile des ins Dasein tretenden Menschen. — Aus dieser Auseinandersetzung ergibt sich, dass der Staat eine göttliche Einrichtung ist, dass das Wesen des Staates von Gott in die menschliche Natur gelegt ist, dass die Menschen in geordneten Staaten zusammen leben und die staatlichen Organe bestimmen, die die gesellschaftliche Ordnung handhaben. Als der jüdische Staat zerstört und die Juden in die babylonische Gefangenschaft geführt wurden, da richtete der in Jerusalem zurückgebliebene Prophet Jirmia ein Sendschreiben an die Verbannten, also lautend: »So hat gesprochen der Ewige Zebaoth, der Gott Israels zu all den Verbannten, die ich von Jerusalem nach Babel habe hinwegführen lassen: Bauet Hauser und bewohnet sie; pflanzet Garten und genießet ihre Frucht. Nehmet Frauen und zeuget Söhne und Töchter, und nehmet euren Söhnen Frauen, und euren Töchter gebet Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären und damit ihr euch dort vermehret und nicht vermindert. Und fördert das Wohl des Staates, wohin ich euch verwiesen habe, und betet für ihn zum Ewigen, denn in seinem Wohle wird auch euch wohl sein« (Jirm. 29, 4— 7). Der Prophet verlangt nicht nur von den in Babel ansässigen Israeliten, dass sie das Wohl ihres neuen Heimatlandes fördern, sondern dass sie auch für es zu Gott beten sollen, und dementsprechend lehrt Rabbi Chanina: »Bete beständig für das Wohl der Regierung .« Den Schlusssatz im Prophetenworte aber drückt der Weise drastisch aus: »Denn wäre nicht die Furcht vor der Regierung, so würde einer den andern lebendig verschlingen.« Gerade der Fromme, Gute und Edle bedarf des Schutzes der Regierung mehr als jeder andere. Er will nur, was gut und recht ist; er vermeidet es peinlich, irgendjemandem unrecht zu tun oder die Rechte seines Nebenmenschen zu verkleinern oder von dessen Eigentum sich etwas anzueignen. Rettungslos wäre er den Ranken, den Gewalttätigkeiten, der Niedertracht seiner bösen Mitmenschen verfallen, wenn der Staat ihn nicht vor Vergewaltigung schützte. Daher sagt der Weise nicht התפלל« Bete«, »beständig Bete »הֱוי מִ תְׂ פַ לֵ ל sondern für das Wohl der Regierung. Nun gibt es aber Regierungen, die dem Ideale des Staates nur sehr wenig entsprechen, Regierungen, die die Willkür an die Stelle des Gesetzes treten lassen, die einzelne Klassen der Staatsbürger auf Kosten der andern bevorzugen, Regierungen, deren ausführende Organe der Korruption und der Bestechung zuganglich sind. Soll der Jude auch solcher Regierung gegenüber ein getreuer Bürger, ein ergebener Untertan sein? Gerade eine solche Regierung war es, unter der Rabbi Chanina lebte. Er und seine Zeitgenossen seufzten unter der Gewaltherrschaft des römischen Reiches, dessen Imperatoren Tyrannen, dessen Prokonsuln, die in den eroberten Provinzen herrschten, mit allen Mitteln sich zu bereichern bestrebt waren; und dennoch lehrt der Weise: Bete beständig für das Wohl der Regierung, denn eine schlechte, parteiische, willkürliche Regierung ist noch tausendmal besser als die Anarchie, als der Zustand, in welchem die Gewalt nicht gehandhabt wird; denn da würde ein Krieg aller gegen alle ausbrechen, da würden die Bösen und Schlechten, die Arbeitsscheuen und Genusssüchtigen die Oberhand bekommen, da würde gleichsam »einer den andern lebendig verschlingen.« Zum schlimmsten Raubtier wird der Mensch, wenn die in ihm schlummernde Bestie entfesselt wird. »Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Spott.« Der Löwe und der Tiger töten erst ihre Beute und verzehren sie dann; der zur Bestie gewordene Mensch möchte aber seinen Mitmenschen lebendig verschlingen. Löwe und Tiger fallen nicht Ihresgleichen an, um sie zu morden und zu verzehren; aber die der Zucht entratenen Menschen möchten einer den andern lebendig verschlingen. — Die Geschichte berichtet uns zahlreiche Tatsachen, die die Worte unsres Rabbi bestätigen: die Bauernkriege, die große französische Revolution, die Tage der Pariser Kommune haben furchtbare, entsetzliche Erscheinungen hervorgebracht. Aus den oben angeführten Worten des Propheten Jirmijahu und aus der Lehre des Rabbi Chanina ist die religiöse Pflicht gefolgert worden, in der Synagoge beim öffentlichen Gottesdienste für das Wohl der zu Recht bestehenden Regierung zu beten, und das geschieht in der Tat in allen Synagogen der Diaspora. In ihm wird für das Wohl des Landesfürsten und seiner Regierung oder in Frankreich, in der Schweiz usw. für das Wohl der bestehenden Regierung gebetet. Das geschah auch zu den Zeiten, als unsre Väter gedrückt, geknechtet und misshandelt wurden; um wie viel mehr geschieht es jetzt in heißer Andacht für das Wohl der edlen Herrscher, der herrlichen Rechtsstaaten, da jeder Staatsbürger, ohne Unterschied der Religion und des Standes, unter dem Schutze guter und weiser Gesetze ruhig und sicher zu leben vermag! Wir suchen nicht allein das Wohl des Staates, dem wir angehören, mit allen unsern Kräften zu fördern, wir beten auch beständig zum Allgütigen für das Heil und das Glück des Vaterlandes und für das Wohl derjenigen, die der allweise Gott zu Lenkern des Staates eingesetzt hat.
Ich weiß darum von zweien
R. Lehmann
Die Bewahrheitung dieses Ausspruches hat Rabbi Chananja ben Theradion mit der Hingabe seines Lebens bestätigt. Zur Zeit der Hadrianischen Verfolgung, nach der Zerstörung von Bethar, wurde das Studium in der Gotteslehre verboten und die Übertretung mit der Todesstrafe bedroht. Trotzdem ließ der Weise sich nicht zurückhalten, versammelte seine Schüler um sich und belehrte sie in der Lehre unsres Gottes. Wohl warnte ihn Rabbi Jose ben Kisma, er aber beachtete diese Warnung nicht, und die Römer verfuhren mit der entsetzlichsten Grausamkeit gegen ihn. Nicht allein er, sondern auch die Seinen sollten seinen Ungehorsam büßen. Seine jüngere, noch ledige Tochter sollte der Schande preisgegeben, seine Gemahlin umgebracht und er selbst unter schrecklichen Qualen hingerichtet werden. In eine Sefer Torah eingewickelt, wurde er auf den Scheiterhaufen geschleppt, damit er zugleich mit der Torah ein Raub der Flamme werde. Um seine Todesqual zu verlängern, hatte man nasse Wolle auf sein Herz gelegt. Von Mitleid erfasst, riet ihm der Henker, die nasse Wolle zu entfernen. Rabbi Chananja aber weigerte sich, seinen Tod selbst zu beschleunigen. Da verkürzte ihm der Henker die Todespein und stürzte sich dann, um der ihm drohenden Strafe zu entgehen, selbst in die Flammen. — Der Gemahl der älteren Tochter des Märtyrers, der berühmte Rabbi Meir, rettete mit Lebensgefahr seine Schwägerin aus dem Hause der Schande. Als er das junge Mädchen befreit hatte, verfolgten ihn die Römer mit ihren schrecklichen Fanghunden, die ihn auch einholten; aber es geschah ein Wunder, und die Hunde taten ihm nichts. Daher betet noch heute der Jude, der von Hunden angefallen wird: »Allmächtiger, der du einst Meir von den Hunden errettet hast, erhöre auch mich!« (Vgl. Awodah zarah 18a.)
3
Rabbi Schimon sprach:
Wenn drei, die an Einem Tische sitzen,
nicht von dem Inhalt des Gesetzes reden,
dann ist es, als ob sie von Totenopfern äßen.
Es heißt ja (Jes 28, 8):
»Alle Tische sind ja voll von Gespei und Unflat ohne Gott.«
Aber, wenn drei, die an Einem Tische essen,
über den Gesetzesinhalt reden,
dann ist es, als ob sie vom Tische Gottes äßen.
Es heißt (Ez 41, 22):
»Er sprach zu mir:
Das ist der Tisch, der vor dem Herrn steht.«
Kommentar
drei
Samson Raphael Hirsch
Sanhedrin 3a: Es wird eine eine so verbreitete Gesetzeskunde in unserem
Volke vorausgesetzt, dass je drei für befähigt erkannt werden, als ein Richterkollegium in Sachen des Mein und Dein zu fungieren, weil unter ihnen gewiss einer ist, der gelernt hat, was Rechtens ist. Wenn daher drei an einem Tisch essen, ist voraussichtlich mindestens einer von ihnen nicht ganz ohne Kenntnis der göttlichen Lehr und wenn gleichwohl kein geistiges, der Torah entstammendes Wort ihr Mahl gewürzt, so war ihr Mahl kein menschenwürdiges, dem sittlich Geistigen angehöriges, so erscheint ihr Essen als genießende Sinnlichkeit, in welcher das Reinmenschliche nicht lebendig geworden ist.
Totenopfer
Samson Raphael Hirsch
Das sind Opfermähler, welche den heidnischen Götzen vergötterter
Unfreiheit geweiht waren, als welche in der zitierten Stelle (Psalm 106,28) namentlich dem Peor, dem Gotte der entarteten Schamlosigkeit, geweihten Opfermähler bezeichnet waren.
4
Rabbi Chanina, Chachinais Sohn, sprach:
Wer bei Nacht aufsteht,
wer allein reist
und wer sein Herz zum Eitlen wendet,
ist schuld an seinem Untergang.
5
Rabbi Nechunja, des Hakkana Sohn, sprach:
Jedem, der das Joch der Torah trägt
nehmen sie das Joch des Königtums
und das Joch der weltlichen Sorgen.
Wer sich vom Joch des Gesetzes losmacht,
muß das Joch des Königtums
und der weltlichen Sorgen tragen.
Kommentar
»Wer aber das Joch der Torah von sich abwirft.« Jeder Israelit ist schon durch seine
Geburt dazu verpflichtet, das Joch der Gotteslehre zu tragen, wie unsre Voreltern am Berge Sinai für sich und alle ihre Nachkommen es beschworen haben. Wer jedoch durch die trüben Verhältnisse, in denen er lebt, nicht dazu gelangt dem Torahstudium sich hinzugeben, von dem kann man nicht sagen, dass er das Joch der Torah abwirft, denn nicht der Mutwille des eigenen Herzens hat ihn dahin gebracht, sondern der Druck der Verhältnisse. Wer aber in der glücklichen Lage ist, frei von Sorgen und Kümmernissen, seine Zeit der Erforschung der Gotteslehre widmen zu können, sich aber dennoch der Beschäftigung mit eitlen und unnützen Dingen hingibt, der wirft mutwillig das Joch der Torah ab. Zur Strafe dafür werden ihm Sorgen und Kummernisse aufgelegt — sei es von Seiten des staatlichen Druckes oder sei es durch Trübung seiner persönlichen Verhältnisse.
6
Rabbi Chalaphta aus Kephar Chananja sagte:
Bei zehn, die dasitzen und sich mit dem Gesetz beschäftigen,
ist mitten darin die Gottesgnadengegenwart.
Es heißt ja (Ps 82, 1):
»Gott steht in der Versammlung der Götter.«
Aber auch von fünf heißt es (Ps 82, 1):
»Inmitten von Göttern richtet er.«
Aber auch von drei heißt es (Am 9, 6):
»Er gründete auf Erden sein Gewölbe.«
Aber auch von zwei heißt es (Mal 3, 16):
»Dann sprechen die Gottesfürchtigen zueinander:
Gott hört und vernimmt es.«
Aber auch von Einem heißt es (Ex 20, 24):
Ȇberall, wo ich meinen Namen preisen lasse,
komme ich zu dir und segne dich.«
7
Rabbi Eleazar, Judas Sohn aus Bartota, sprach:
Gib ihm von dem Seinigen!
Denn du und das Deinige ist sein.
So sagte Er auch durch David (1 Chr 29, 14):
»Von dir kommt alles
und aus deiner Hand geben wir es dir.«
Rabbi Jakob sagte:
Wer spazierengeht und das Gesetz wiederholt,
aber das Studium unterbricht und sagt:
»Wie schön ist dieser Baum!
Wie schön dieses Feld!«
dem rechnet man es an,
als hätte er seine Seele befleckt.
8
Rabbi Dostai, des Rabbi Jannai Sohn,
sagte im Namen des Rabbi Meir:
Wer etwas von seinem Studium vergißt,
dem rechnet man es an,
als hätte er seine Seele befleckt.
Es heißt ja (Dt 4, 9):
»Nun hüte dich und bewahre recht deine Seele,
damit du nichts von dem, was deine Augen sahen, vergissest!«
Es wäre möglich, daß es auch gilt,
wenn ihm sein Studium zu schwer war.
Aber es liegt eine Lehre in der Schriftstelle (Dt 4, 9):
»Daß sie nicht aus deinem Herzen weichen, solange du lebst.«
Folglich verschuldet er sich nicht,
als bis er sich hinsetzt und sie aus seinem Sinne schwinden läßt.
9
Rabbi Chanina, Dosas Sohn, sagt:
Jeder, dessen Sündenfurcht der Wissenschaft vorangeht,
besitzt eine dauerhafte Wissenschaft,
und keiner, dessen Wissenschaft der Sündenfurcht vorangeht,
hat eine dauerhafte Wissenschaft.
10
Derselbe sagte auch:
Wessen Werke mehr sind als sein Wissen,
dessen Wissen hat Bestand.
Wessen Wissen aber seine Werke übertrifft,
dessen Wissen hat keinen Bestand.
Derselbe sagte auch:
Wer den Geist der Mitmenschen erfreut,
an dem hat auch der Geist Gottes seine Freude;
wer aber den Geist der Mitmenschen nicht erfreut,
an dem hat auch Gottes Geist keine Freude.
Rabbi Dosa, des Harkinas Sohn, sprach:
Morgenschlaf,
Mittagswein,
Kindergeschwätz
und Sitzen in den Versammlungshäusern der Unwissenden
bringen den Menschen aus der Welt.
11
Rabbi Eleazar aus Modein sagte:
Wer das Heilige entheiligt,
die Festtage verachtet,
seinen Nächsten öffentlich beschämt,
den Bund unseres Vaters Abraham bricht
und das Gesetz frech behandelt,
hätte er auch gute Werke getan,
der hat keinen Teil an der künftigen Welt.
12
Rabbi Ismael sagte:
Sei dienstfertig
und nachgiebig bei erzwungenem Dienst
und empfang alle Menschen mit Freude!
13
Rabbi Akiba sagte:
Lachen und Leichtsinn führen zur Unzucht.
Derselbe sagte:
Die Überlieferung ist ein Zaun um das Gesetz;
die Gelübde sind ein Zaun um die Enthaltsamkeit;
der Zaun um die Weisheit ist Schweigsamkeit.
14
Derselbe sprach:
Liebe ward dem Menschen zuteil,
weil er nach dem Bild erschaffen ward.
Größere Liebe ward ihm dadurch zuteil,
daß er wußte, er sei nach dem Bild erschaffen.
Es heißt ja (Gen 9, 6):
»Nach dem Bilde Gottes machte er den Menschen.«
Liebe empfing Israel,
weil sie Kinder Gottes genannt wurden.
Noch größere Liebe ward ihn dadurch zuteil,
daß sie wußten, sie hießen Gottes Kinder.
Es heißt ja (Dt 14, 1):
»Kinder seid ihr dem Herrn, eurem Gott.«
Liebe empfing Israel dadurch,
daß Er ihnen ein Geschenk gab,
wodurch die Welt erschaffen ward.
Noch größere Liebe ward dadurch ihnen zuteil,
daß sie wußten,
Er habe ihnen ein Geschenk gegeben,
wodurch die Welt erschaffen ward.
Es heißt ja (Spr 4, 3):
»Ich gab euch eine gute Lehre;
verlasset nicht mein Gesetz!«
15
Alles ist vorhergesehen;
doch ist Freiheit gegeben.
Nach Güte wird die Welt gerichtet
und nicht nach der Menge der Werke.
16
Derselbe sagte:
Alles ist geliehen,
und das Netz ist über alle Lebenden ausgebreitet.
Der Kramladen steht offen,
der Krämer verlauft auf Kredit,
die Schreibtafel ist geöffnet,
und die Hand schreibt auf;
wer borgen will, kommt und borgt.
Die Schuld eintreiben, gehen beständig, täglich, umher
und fordern von den Leuten die Schuld ein,
bald mit, bald ohne ihr Wissen.
Zu allem haben sie ihren Grund.
Das Gericht ist aber ein gerechtes Gericht.
Alle sind ja zur Mahlzeit bestimmt.
17
Rabbi Eleazar, Azarjas Sohn, sagte:
Wo kein Gesetz ist,
da ist keine gute Sitte;
wo keine gute Sitte,
da ist kein Gesetz.
Wo keine Weisheit,
da ist keine Furcht;
wo keine Furcht,
da ist keine Weisheit.
Wo kein Wissen,
da ist kein Verstand;
wo kein Verstand,
da ist auch kein Wissen.
Wo kein Mehl ist,
da ist kein Gesetz;
wo kein Gesetz,
da ist kein Mehl.
Derselbe pflegte zu sagen:
Wem gleicht der,
dessen Weisheit größer ist als seine Werke?
Einem Baum mit vielen Zweigen,
aber wenig Wurzeln;
kommt ein Sturm,
so entwurzelt er ihn und wirft ihn um.
Wem aber gleicht der,
dessen Werke mehr sind als seine Weisheit?
Einem Baum mit wenig Zweigen,
aber viel Wurzeln.
Kommen selbst alle Stürme der Welt und stoßen auf ihn,
sie können ihn nicht von seinem Platze rücken, so heißt es:
Er wird einem Baum gleichen, gepflanzt am Wasser, der am Strom seine Wurzeln ausstreckt, er merkt nicht, wenn die Hitze kommt und sein Laub bleibt grün,
im Jahr der Dürre sorgt er nicht und hört nicht auf, Früchte zu bringen.
18
Rabbi Eleazar Chisma sagte:
Kinin »Taubenopfer« und Niddah »Menstruation« sind wesentliche Satzungen.
Astronomie und Geometrie sind der Nachtisch für die Weisheit.