Schabbat Kapitel 13

Der Talmud, Traktat (Massechet) Schabbat in deutscher Übersetzung von Lazarus Goldschmidt:

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Blätter / Dapim

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iR. ELIE͑ZER SAGT, WER BEGINNEND DREI FÄDEN WEBT, ODER ZU EINEM GEWEBE EINEN FADEN EINSCHLÄGT, SEI SCHULDIG; DIE WEISEN SAGEN, SOWOHL BEIM BEGINNEN ALS AUCH BEI DER FORTSETZUNG GELTE DIE NORM VON ZWEI FÄDEN. iiWER ZWEI LITZEN MACHT AM KETTENBAUME ODER AM RIETBLATTE, AN EINEM FEINEN SIEBE ODER AN EINEM GROBEN SIEBE, IST SCHULDIG; EBENSO, WER ZWEI STICHE NÄHT, ODER, UM ZWEI STICHE ZU NÄHEN, REISST.

GEMARA. Als R. Jiçḥaq kam, lehrte er: zwei.

Wir haben ja aber gelernt: drei!?

Das ist kein Einwand; das eine gilt von starken Fäden, das andere von dünnen. Manche erklären es nach der einen Seite, und manche erklären es nach der anderen Seite. Manche erklären es nach der einen Seite: bei starken Fäden fallen drei nicht auseinander, wohl aber zwei; bei dünnen Fäden aber fallen auch zwei nicht auseinander. Manche erklären es nach der anderen Seite: bei dünnen sind drei kenntlich, nicht aber zwei; bei starken aber sind auch zwei kenntlich. Es wird gelehrt: (R. Elie͑zer sagt:) Wer beginnend drei Fäden webt, oder zu einem Gewebe einen Faden einschlägt, ist schuldig; die Weisen sagen, sowohl beim Beginnen als auch bei der Fortsetzung gelte die Norm von zwei Fäden. An der Kante zwei Fäden in der Breite dreier Litzen, denn das gleicht dem Weben eines kleinen Gürtels: zwei Fäden in der Breite dreier Litzen. Die anonyme Lehre, wer beginnend drei Fäden webt oder zu einem Gewebe einen Faden einschlägt, sei schuldig, ist nach R. Elie͑zer. Ein anderes lehrt: Wer zwei Fäden an der Borte oder am Saume webt, ist schuldig; R. Elie͑zer sagt, auch wegen eines. An der Kante ist man wegen zweier Fäden in der Breite dreier Litzen schuldig, denn das gleicht dem Weben eines kleinen Gürtels: zwei Fäden in der Breite dreier Litzen. Die anonyme Lehre, wer zwei Fäden an der Borte oder am Saume webt, sei schuldig, ist nach den Rabbanan.

WER ZWEI LITZEN MACHT &C. Was heißt am Kettenbaume? Abajje erwiderte: [Den Faden] zweimal um den Kettenbaum und einmal um die Litze.

(ODER AM RIETBLATTE. Was heißt Rietblatt? Rabh erwiderte: Meçubitha.)

WER ZWEI STICHE NÄHT. Das Nähen von zwei Stichen ist ja bereits unter den Hauptarbeiten genannt worden!?

Da er im Schlußsatze vom Reißen, um zwei Stiche zu nähen, lehren will, so lehrt er auch vom Nähen.

Auch das Reißen wurde ja bereits unter den Hauptarbeiten gelehrt!?

Vielmehr, da er weiter vom Reißen aus Wut oder wegen eines Toten lehren will, lehrt er auch vom Nähen zweier Stiche.

ODER, UM ZWEI STICHE ZU NÄHEN, REISST. Wie kann dies vorkommen?

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Wenn es beutelt1.

iiiWER IN SEINER WÜT ODER ÜBER SEINEN TOTEN DIE KLEIDER REISST, ODER WER SONST ETWAS VERDIRBT, IST FREI. BEIM VERDERBEN ZUR AUSBESSERUNG IST DER GRAD DER AUSBESSERUNG MASSGEBEND. ivFÜR DAS BLEICHEN, ZUPFEN, FÄRBEN UND SPINNEN GILT DIE LÄNGE EINES DOPPELTEN SIṬ. BEIM WEBEN VON ZWEI FÄDEN GILT DIE LÄNGE EINES SIṬ.

GEMARA. Ich will auf einen Widerspruch hinweisen: Wer in seiner Trauer, in seiner Wut oder über seinen Toten die Kleider reißt, ist schuldig; er entledigt sich der Pflicht des Einreißens, obgleich er den Šabbath entweiht hat!?

Das ist kein Widerspruch; dies über seinen2Toten, jenes über einen fremden Toten.

Es heißt ja aber: über seinen Toten!?

Tatsächlich über seinen Toten, jedoch über einen, dessentwegen ihm die Pflicht der Trauer nicht obliegt3.

Wenn es aber ein Gelehrter ist, so ist man ja verpflichtet!? Es wird nämlich gelehrt: Stirbt ein Gelehrter, so sind alle seine Verwandte.

Alle seine Verwandte, wie kommst du darauf!?

Sage vielmehr: alle wie seine Verwandte: jeder muß über ihn die Kleider einreißen, jeder muß über ihn die Schulter entblößen, und jeder muß seinetwegen das Trauermahl auf dem Stadtplatze einnehmen.

In dem Falle, wenn es kein Gelehrter war.

Wenn es aber ein rechtschaffener Mann ist, ist man ja verpflichtet!? Es wird nämlich gelehrt: Weshalb sterben die Söhne und die Töchter des Menschen im Kindesalter? Damit man über [den Tod] eines rechtschaffenen Mannes weine und trauere.

Nimmt man etwa ein Pfand von ihm!?

Vielmehr, weil er über [den Tod] eines rechtschaffenen Mannes nicht geweint und getrauert hat. Wer aber über [den Tod] eines rechtschaffenen Mannes weint und trauert, dem vergibt man all seine Sünden wegen der Ehrung, die er jenem erwiesen hat.

In dem Falle, wenn es kein rechtschaffener Mann war.

Wenn man aber bei der Agonie zugegen war, so ist man ja verpflichtet!? Es wird nämlich gelehrt: R. Šimo͑n b. Elea͑zar sagte: Wer bei der Agonie des Toten zugegen war, ist zum Einreißen verpflichtet; dies ist ebenso, als sähe man eine Torarolle verbrennen.

In dem Falle, wenn er bei der Agonie nicht zugegen war.

Erklärlich ist dies hinsiehtlieh [des Einreißens] über einen Toten, aber hinsichtlich [des Zerreißens] in seiner Wut besteht ja ein Widerspruch!?

Auch hinsichtlich des Zerreißens in seiner Wut besteht kein Widerspruch; das eine vertritt die Ansicht R. Jehudas, und das andere vertritt die Ansicht R. Šimo͑ns. Das eine vertritt die Ansicht R. Jehudas, daß man nämlich wegen einer nicht um ihrer selbst willen nötigen Arbeit schuldig ist, das andere vertritt die Ansicht R. Šimo͑ns, daß man nämlich wegen einer nicht um ihrer selbst willen nötigen Arbeit frei ist.

Allerdings sagt dies R. Jehuda von der nutzbringenden Arbeit, sagt er dies etwa auch von der zerstörenden Arbeit!? R. Abin erwiderte: Auch hier ist es eine nutzbringende Arbeit, denn man beruhigt dadurch sein Gemüt.

Ist denn so etwas erlaubt, es wird ja gelehrt: R. Šimo͑n b. Elea͑zar sagte im Namen des Ḥilpha b. Agra, der es im Namen des R. Joḥanan b. Nuri gesagt hat: Wenn jemand in seiner Wut Kleider zerreißt, Gefäße zerschlägt oder Geld wegstreut, so sei es in deinen Augen, als treibe er Götzendienst; denn dies ist eben die Kunst des bösen Triebes: heute sagt er zu ihm: tue dies, morgen sagt er zu ihm: tue jenes, bis er zu ihm sagt: gehe, treibe Götzendienst, und dieser geht dann und tut dies. R. Abin sagte: Hierauf deutet folgender Schriftvers:4es soll in dir kein anderer Gott sein, und einen fremden Gott darfst du nicht anbeten; was ist das für ein fremder Gott, der im Körper des Menschen wohnt? Sage, das ist der böse Trieb!?

In dem Falle, wenn man dies tut, um seinen Hausleuten Furcht einzujagen. So riß R. Jehuda die Fransen herunter; R. Aḥa b. Ja͑qob zerschlug zerbrochene Gefäße; R. Šešeth goß seiner Magd Fischtunke auf den Kopf; R. Abba zerschlug Topfdeckel.

R. Šimo͑n b. Pazi sagte im Namen des R. Jehošua͑ b. Levi im Namen Bar Qapparas: Wenn jemand über [den Tod] eines rechtschaffenen Mannes Tränen vergießt, so zählt sie der Heilige, gepriesen sei er, und tut sie in seine Schatzkammer, denn es heißt: 5meine Klagen hast du gezählt, meine Tränen hast du in deinen Schlauch getan, sie sind ja in deinem Buche [verzeichnet].

R. Jehuda sagte im Namen Rabhs: Wer bei der Trauer über einen Gelehrten lässig ist, verdient, daß man ihn bei Lebzeiten begrabe. Es heißt nämlich:6und man begrub ihn im Bereiche seines Erbbesitzes, zu Timnath Seraḥ, auf dem Gebirge Ephrajim, nördlich vom Berge Gaa͑š. Dies lehrt, daß der Berg, sie zu erschlagen7, bebte.

R. Ḥija b. Abba sagte im Namen R. Joḥanans: Wer bei der Trauer über einen Gelehrten lässig ist, dessen Tage währen nicht lange. Maß um Maß, denn es heißt:8nach Maß richtest du sie, durch ihre Entlassung. R. Ḥija b. Abba richtete an R. Joḥanan folgenden Einwand: [Es heißt ja:] 9und das Volk diente dem Herrn, so lange Jehošua͑ lebte und die Ältesten, welche lange Tage nach Jehošua͑ lebten!? Dieser erwiderte: Babylonier, ihre Tage waren lange, ihre Jahre aber nicht.

Demnach sind auch im Verse: 10damit euere Tage und die Tage euerer Kinder lange werden, nur Tage gemeint, und nicht Jahre!?

Anders ist es bei einem Segen.

Ferner sagte R. Ḥija b. Abba im Namen R. Joḥanans: Stirbt einer von

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den Brüdern, so müssen alle Brüder besorgt sein, stirbt einer aus der Gesellschaft, so muß die ganze Gesellschaft besorgt sein. Manche sagen, wenn der größte stirbt, und manche sagen, wenn der kleinste stirbt.

ODER WER SONST ETWAS VERDIRBT, IST FREI. R. Abahu rezitierte vor R. Joḥanan: Wegen jeder verderbenden Arbeit ist man frei, ausgenommen Verletzung und Brandstiftung. Da sprach dieser zu ihm: Geh und lehre dies draußen; dies ist von der Verletzung und der Brandstiftung nicht gelehrt worden, und wenn man annehmen wollte, dies sei gelehrt worden, so handelt es sich um eine Verletzung, wenn man [das Blut] für seinen Hund braucht, und um eine Brandstiftung, wenn man die Asche braucht.

Wir haben ja aber gelernt, wer sonst verdirbt, sei frei!?

Unsere Mišna vertritt die Ansicht R. Jehudas, während die Barajtha die Ansicht R. Šimo͑ns11vertritt.

Was ist der Grund R. Šimo͑ns?

Da ein Schriftvers dazu nötig ist, die Beschneidung [am Šabbath] zu erlauben, so ist man wegen jeder anderen Verletzung schuldig; und da ferner der Allbarmherzige bei einer Priesterstochter die Verbrennung12[am Šabbath] verboten hat, so ist man wegen jeder sonstigen Brandstiftung schuldig.

Und R. Jehuda!?

[Die Beschneidung] ist eine Verbesserung. Dies nach R. Aši, denn R. Aši sagte: Welchen Unterschied gibt es denn zwischen der Herrichtung durch die Beschneidung und der Herrichtung eines Gerätes? Welchen Unterschied gibt es zwischen dem Kochen von Blei13und dem Kochen von Spezereien?

FÜR DAS BLEICHEN &C. R. Joseph zeigte [mit dem Finger]: gebogen14, R. Ḥija b. Ami zeigte: gerade.

vR. JEHUDA SAGT, WER EINEN VOGEL IN EINEN SCHLAG ODER EIN REH IN EIN HAUS EINFÄNGT, SEI SCHULDIG; DIE WEISEN SAGEN, EINEN VOGEL IN

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EINEN SCHLAG, EIN REH IN EIN HAUS, IN EINEN HOF ODER IN EIN TIERGEHEGE. R. ŠIMO͑N B. GAMLIÉL SAGTE: NICHT ALLE TIERGEHEGE SIND GLEICH. DIE REGEL IST: WENN NOCH EIN ABERMALIGES FANGEN NÖTIG IST, IST MAN FREI, WENN EIN ABERMALIGES FANGEN NICHT NÖTIG IST, IST MAN SCHULDIG.

GEMARA. Dort haben wir gelernt: Man darf am Feste keine Fische aus dem Gehege fangen, auch darf man ihnen kein Futter reichen; wohl aber darf man Wild und Geflügel fangen und ihnen Futter reichen. Und dem widersprechend wird gelehrt: Man darf am Feste kein Wild, kein Geflügel und keine Fische aus dem Gehege fangen, auch darf man ihnen kein Futter reichen. Es besteht also ein Widerspruch bezüglich des Wildes und bezüglich des Geflügels!? Allerdings ist bezüglich des Wildes zu erklären, dies sei kein Widerspruch, denn das eine ist nach R. Jehuda und das andere nach den Rabbanan, bezüglich des Geflügels aber besteht ja ein Widerspruch!? Wolltest du sagen, auch bezüglich des Geflügels bestehe kein Widerspruch, denn das eine gelte von einem Gehege mit Bedachung15und das andere von einem Gehege ohne Bedachung, so hat ja auch ein Haus eine Bedachung, dennoch gilt dies sowohl nach R. Jehuda als auch nach den Rabbanan nur vom Einfangen eines Vogels in einen Schlag, nicht aber in ein Haus!? Rabba b. R. Hona erwiderte: [Die Mišna] handelt von Waldvögeln, die sich nicht zähmen lassen. R. Jišma͑él lehrte: Er wird deshalb Waldvogel genannt, weil er sowohl im Hause als auch im Freien wohnt16.

Da du nun darauf17gekommen bist, so ist auch der Widerspruch bezüglich des Wildes zu erklären, denn das eine gilt von einem großen Gehege, und das andere von einem kleinen Gehege.

Welches heißt ein großes Gehege, und welches heißt ein kleines Gehege? R. Aši erwiderte: Wenn man [dem Tiere] nachläuft und es mit einem Satze erhascht, ist es ein kleines Gehege, sonst aber ist es ein großes Gehege. Oder aber, wenn der Schatten der einen Wand auf die andere fällt, ist es ein kleines Gehege, sonst ist es ein großes Gehege. Oder aber, wenn es keine Winkel [zum Entwischen] hat, ist es ein kleines Gehege, sonst ist es ein großes Gehege.

R. ŠIMO͑N B. GAMLIEL SAGTE &C. R. Joseph sagte im Namen R. Jehudas im Namen Šemuéls: Die Halakha ist wie R. Šimo͑n b. Gamliél. Abajje sprach zu ihm: So ist die Halakha, streitet denn jemand dagegen? Jener entgegnete: Was kommt es darauf18an? Dieser erwiderte: Eine Lehre vortragen nur als Singsang?

Die Rabbanan lehrten: Wer ein blindes oder schlafendes Reh fängt, ist schuldig; wer ein lahmes, altes oder krankes [fängt], ist frei. Abajje sprach zu R. Joseph: Womit sind diese anders als jene?

Jenen muß man auflauern19, diesen braucht man nicht aufzulauern.

Es wird ja aber gelehrt, daß man wegen eines kranken schuldig sei!? R. Šešeth er widerte: Das ist kein Widerspruch; dies, wenn es fieberkrank ist, jenes, wenn es aus Schwäche krank ist.

Die Rahbanan lehrten: Wer am Šabbath Heuschrecken, wilde Bienen, oder Mücken fängt, ist schuldig

so R. Meír. Die Weisen sagen, wegen einer Art, die man sonst fängt, sei man schuldig, wegen einer Art, die man sonst nicht fängt, sei man frei. Ein Anderes lehrt: Wer bei Tauwetter Heuschrecken fängt, ist frei, wenn bei Sonnenwetter, so ist er schuldig. R. Elea͑zar b. Mehabaj sagte: Wenn sie in Schwärmen herankommen, so ist man frei. Sie fragten: Bezieht sich R. Elea͑zar b. Mehabaj auf den Anfangssatz, oder bezieht er sich auf den Schlußsatz?

Komm und höre: Wer bei Tauwetter Heuschrecken fängt, ist frei, wenn bei Sonnenwetter, so ist er schuldig; R. Elea͑zar b. Mehabaj sagt, wenn sie in Schwärmen kommen, sei man auch bei Sonnenwetter frei.

viWENN EIN REH IN EIN HAUS GERATEN IST UND MAN DIE TÜR ABSCHLIESST, SO IST MAN SCHULDIG; SCHLIESSEN ZWEI DIE TÜR AB, SO SIND SIE FREI; WENN EINER SIE NICHT ABSCHLIESSEN KANN, UND ZWEI SIE ABSGHLIESSEN, SO SIND SIE SCHULDIG UND NACH R. ŠIMO͑N FREI.

GEMARA. R. Jirmeja b. Abba sagte im Namen Šemuéls: Wer einen Löwen am Šabbath fängt, sei nicht eher schuldig, als bis er ihn in den Zwinger sperrt.

viiWENN EINER SICH IN DIE TÜRÖFFNUNG SETZT20UND SIE NICHT AUSFÜLLT, UND EIN ZWEITER SICH HINZUSETZT UND SIE AUSFÜLLT, SO IST DER ZWEITE SCHULDIG. WENN EINER SICH IN DIE TÜRÖFFNUNG SETZT UND SIE AUSFÜLLT, UND EIN ZWEITER SICH DANEBEN SETZT, SO IST DER ERSTE SCHULDIG UND DER ZWEITE FREI, SELBST WENN DER ERSTE AUFSTEHT UND FORTGEHT. DIES IST EBENSO, ALS WENN JEMAND SEIN HAUS ZUR SICHERUNG ABSCHLIESSEN UND DADURCH EIN DARIN BEFINDLICHES REH BEWACHT WERDEN WÜRDE.

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GEMARA. R. Abba sagte im Namen des R. Ḥija b. Aši im Namen Rabhs: Ist einem ein Vogel unter den Schlagfittich geraten, so darf er sich hinsetzen und ihn so bewachen, bis es finster wird. R. Naḥman b. Jiçḥaq wandte ein: Wenn einer sich in die Türöffnung setzt und sie ausfüllt, und ein zweiter sich daneben setzt, so ist der erste schuldig und der zweite frei, selbst wenn der erste aufsteht und fortgeht. Doch wohl frei, [von vornherein] aber verboten!?

Nein, frei und [von vornherein] erlaubt.

Dies ist auch einleuchtend, denn im Schlußsatze heißt es: Dies ist ebenso, als wenn jemand sein Haus zur Sicherung abschließen und dadurch ein darin befindliches Reh bewacht werden würde. Doch wohl frei und [von vornherein] erlaubt. Schließe dies hieraus. Manche lesen: R. Naḥman b. Jiçḥaq sagte: Auch wir haben demgemäß gelernt: so ist der erste schuldig und der zweite frei, selbst wenn der erste aufsteht und fortgeht. Doch wohl frei und [von vornherein] erlaubt.

Nein, frei und [von vornherein] verboten.

Wenn es aber im Schlußsatze heißt: denn dies ist ebenso, als wenn jemand sein Haus zur Sicherung abschließen und dadurch ein darin befindliches Reh bewacht werden würde, so ist ja zu entnehmen, daß dies frei und [von vornherein] erlaubt ist!? Schließe hieraus.

Šemuél sagte: Wegen aller straffreien Arbeiten des Šabbaths ist man zwar frei, jedoch sind sie [von vornherein] verboten, ausgenommen folgende drei, die straffrei und [von vornherein] erlaubt sind. Erstens dies.

Woher, daß dies straffrei und [von vornherein] erlaubt ist?

Weil er im Schlußsatze lehrt: dies ist ebenso, als wenn jemand sein Haus zur Sicherung abschließen und dadurch ein darin befindliches Reh bewacht werden würde.

Dann folgendes: Wenn jemand am Šabbath eine Pustel öffnet, so ist er, wenn um eine [stehenbleibende] Öffnung zu machen, schuldig, und wenn um Eiter ausfließen zu lassen, frei.

Woher, daß straffrei und [von vornherein] erlaubt?

Wir haben gelernt: eine Nähnadel, um einen Splitter herauszunehmen.

Dann folgendes: Wenn jemand am Šabbath eine Schlange fängt, so ist er, wenn damit sie ihn nicht beiße, frei, und wenn zu Heilzwecken, schuldig.

Woher, daß straffrei und [von vornherein] erlaubt?

Wir haben gelernt: Man darf einen Teller über ein Licht stülpen, damit es nicht den Balken erfasse, über den Kot eines Kindes, und über einen Skorpion, damit er nicht beiße.


  1. Wenn das Gewand Falten wirft; sie müssen aufgetrennt u. richtig genäht werden.↩︎

  2. Über den man das Gewand einzureißen verpflichtet ist: dies gilt daher als »verbessernde« Arbeit.↩︎

  3. Entferntere Verwandte.↩︎

  4. Tehillim 81,10.↩︎

  5. Ib. 56,9.↩︎

  6. Jehoschua 24,30.↩︎

  7. Weil sie Jehošua͑ nicht gebührend betrauert haben. געש beben, stürmen.↩︎

  8. Jeschajahu 27,8.↩︎

  9. Schoftim 2,7.↩︎

  10. Dewarim 11,21.↩︎

  11. Ob. Blatt 105b.↩︎

  12. Wegen Ehebruches; cf. Wajikra 21,9.↩︎

  13. Wörtl. Docht, Strahl. Die Hinrichtung durch Verbrennen geschah durch Hineingießen von kochendem Blei in den Mund des Delinquenten.↩︎

  14. So besser nach R. Ḥananél (die kursierenden Ausgaben haben: doppelt, bezw. einfach). Der Siṭ hat die Entfernung vom Zeigefinger bis zum Mittelfinger, die bei gebogenen Fingern kleiner ist.↩︎

  15. In dem das Tier als bereits gefangen gilt.↩︎

  16. דרור aus דור wohnen.↩︎

  17. Daß beide Lehren die Ansicht der Rabbanan vertreten.↩︎

  18. Daß niemand dagegen streitet; die Halakha ist dann erst recht nach ihm zu entscheiden.↩︎

  19. So nach R. Ḥananél: nach Raschi: jene entwischen &c.↩︎

  20. Um ein im Hause befindliches Tier zu fangen.↩︎