Allgemein, Creative Commons, Mischne Torah

Sittenlehre — הלכות דעות

[Diese Übersetzung von Leon Mandelstamm habe ich nach der unzensierten jeminitischen Ausgabe (מפעל משנה תורה) durchgesehen, einige Änderungen hinzugefügt und die Textstellen übersetzt, die Mandelstamm überging. — Igor Itkin]

AUFZÄHLUNG DER GEBOTE

Sie enthält elf Gesetze, nämlich fünf Gebote und sechs Verbote, als:
1) Gottes Wegen nachzustreben.
2) An Seine Bekenner sich zu halten.
3) Von der Nächstenliebe.
4) Von der Liebe gegen Proselyten.
5) Vermeidung des Bruderhasses.
6) Von der Zurechtweisung.
7) Niemanden zu beschämen.
8) Keinen Schwachen zu unterdrücken.
9) Nicht zu verleumden.
10) Keine Rache auszuüben.
11) Keine Feindschaft nachzutragen.
Welche sämtlich in den folgenden Kapiteln erläutert sind.

ERSTES KAPITEL — Der Mittelweg und der Gottesweg

1) Die Menschen haben verschiedene, zum Teil einander ganz entgegengesetzte Neigungen. Mancher ist auffahrend und hört nie auf zu zürnen, ein anderer dagegen ist gelassen, ohne Empfindsamkeit und zürnt er so währt es nicht lange, was aber auch nur selten, nach einer Reihe von Jahren geschieht. Dieser wiederum ist im hohen Grade hochmütig, dagegen Jener in eben demselben Maße demütig; der Eine ist wollüstig und ermüdet nicht, dem Gelüste nachzugehen, während der Andere reines Herzens ist, und ihn nicht einmal gelüstet nach dem wenigen, dem Körper unentbehrlichen Genüsse.

Mancher ist voller Habsucht, welcher er nie zu genügen vermag, selbst mit allen Schätzen der Welt nicht, denn es heißt »wer Schätze liebt, bekommt Schätze nicht zur Genüge.« (Kohelet 5:9). Mancher dagegen hat ein zufriedenes Herz, lässt sich mit Wenigem genügen, und strebt nicht einmal nach der Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse.

Der Eine wieder peinigt sich durch Hunger, scharrt Alles zusammen, und nur mit Überwindung entschließt er sich, eine Pruta (kleine Münze) vom Ersparten zu vertun; dagegen verschwendet ein Anderer willkürlich und absichtlich sein Vermögen. Und so ist es auch mit den anderen Neigungen: Frohsinn und Trübsinn, Geiz und Freigebigkeit, Grausamkeit und Barmherzigkeit, Verzagtheit und Mut usw.

2) Zwischen je zwei, sich entgegengesetzten Neigungen gibt es Mittelwege, die wiederum verschieden sind. Die Neigungen sind dem Menschen entweder angeboren und als Anlagen in ihm vorhanden, wodurch er für die eine empfänglicher als für die andere wird, oder es sind solche, die ihm nicht angeboren sind, sondern durch das Beispiel Anderer in ihm rege werden, entweder durch eigene Einbildung hervorgerufen, oder durch die Ansicht Anderer, dass eine Neigung wohl heilbringend sei, und es sich zieme, dieselbe sich anzueignen, weshalb er dieselbe so lange nährt, bis er sie seinem Hetzen eingeprägt hat.

3) Die Extreme der sich einander entgegengesetzten Neigungen sind kein gutes Vorbild zur Nacheiferung; deshalb will man weder bei ihnen verharren, noch sie sich aneignen, strebt aber Jemandes Natur nach einer derselben: ist er dafür empfänglich, oder hat sich dieselbe durch Gewohnheit zu eigen gemacht, — so soll er zum Guten umkehren und den Weg der Guten wandeln, welcher auch der gerade ist.

4) Der gerade Weg ist nämlich die Mitte jeder menschlichen Neigung, diejenige, welche gleich weit von beiden Extremen entfernt, dem einen nicht näher als dem andern ist. Die alten Weisen geboten deshalb dem Menschen, seine Neigungen immerfort zu erwägen und zu ermessen und sie auf den Mittelweg hinzuleiten, damit seine Lebensweise ihn unverletzt erhalte.

Und wie das? Hüte Dich ebenso vor Aufwallung und Zorn als vor der Empfindungslosigkeit eines Toten, halte dich in der Mitte und zürne nur aus triftigen Gründen, die den Zorn rechtfertigen, damit ein solches Ereignis sich nicht wiederhole.

Ebenso strebe nur nach den notwendigen Genüssen des Körpers, die ihm unentbehrlich sind, denn es heißt: »Der Gerechte isst bloß zu seiner Erhaltung« (Mischlei 13:25). Ferner strebe in deinem Geschäfte nicht nach größerem Gewinn, als dir nötig ist zum zeitlichen Lebensbedarfe, denn es heißt: »Wenig Gut genügt dem Gerechtem« (Ps. 37:16). Deine Hand sei weder karg noch verschwenderisch, sondern gebe Almosen nach Vermögen und leihe, wie sich’s gebührt, dem Dürftigen. Sei nicht von ausgelassener Heiterkeit, auch nicht allzu traurig und trübe, sondern immer ruhig, heiter und freundlich und so in Allem.

Das ist der Weg der Weisen, und derjenige, welcher in seinen Neigungen die rechte Mitte hält, wird weise genannt.

5) Wer aber streng auf sich achtet, und sich vom Mittelwege ab der einen oder der anderen guten Seite zuneigt, heißt fromm.

Z.B. wer vom Hochmut ab sich zu dessen Gegensätze hinneigt, und ganz der Demut hingibt, heißt fromm (Hasid); nur dies ist das Wesen der Frömmigkeit. Behauptet man die Mitte zwischen Hochmut und Demut, so ist man bescheiden, und wird Weise genannt, und dies ist der Weg der Weisheit. Und so verhält es sich mit allen anderen Neigungen. Die vorigen Frommen leiteten ihre Neigungen vom Mittelwege zu den Extremen, hier das eine, dort das andere erstrebend. Das ist aber mehr als verlangt wird, denn wir sind nur gehalten, auf jenen Mittelwegen zu wandeln, welche die guten und geraden Wege sind, und von denen es heißt: »Du sollst in Seinen Wegen wandeln.« (Deut. 28:9).

6) Dieses Gebot heißt also: wie Er gnädig, barmherzig, heilig heißt, so sei auch du gnädig, barmherzig und heilig. Und so geben die Propheten Gott noch andere Beinamen; als: langmütig, gütig, gerecht, redlich, vollkommen, mächtig, stark, und dergleichen, um damit dem Menschen die guten and geraden Wege anzudeuten, auf welchen er wandeln soll, um Gott so viel als möglich ähnlich zu werden.

7) Doch auf welche Weise gewöhnt sich der Mensch an diese Neigungen, bis sie fest in seinem Herzen eingeprägt werden? Er muss die denselben entsprechenden Handlungen zwei und drei Mal, und so immer fort, von Neuem wiederholen, bis sie ihm weder schwer fallen noch Mühe kosten, und bis endlich jene Neigungen seiner Seele sich fest einprägen.

Und weil nun die Beinamen des Schöpfers dieselben Benennungen haben, welche auch die Mittelwege bezeichnen, so wird der Weg, auf dem wir wandeln sollen, auch Gottesweg genannt. Dieses lehrte unser Vater Abraham seinen Nachkommen, wie es heißt: »denn ihn habe ich ersehen, damit er befehle« usw. (Gen. 18:19).

Und wer auf diesen Wegen wandelt, hat Heil und Segen zum Lohn, denn es heißt: »damit der Ewige kommen lasse über Abraham, was Er ihm verhießen.« (ebenda).

ZWEITES KAPITEL — Anleitung zum guten Weg

1) Körperliche Krankheiten bewirken, dass Bitteres süß, und Süßes bitter schmeckt; ja in gewissen Krankheiten verlangt und begehrt man sogar nach sonst ungenießbaren Dingen, wie Erde und Kohlen, und verabscheut dagegen gute Speisen, wie Brot und Fleisch und alles Andere, je nach der, Art der Krankheit. So auch streben seelenkranke Menschen eifrig bösen Neigungen nach, hassen den guten Weg und sind zu träge, ihn zu wandeln, weil er ihnen je nach Verhältnis ihrer Seelen-Krankheit schwer fällt. Solchen Menschen ruft Jesaia zu: »wehe denen, die das Böse gut nennen, und das Gute böse, Finsternis machen zu Licht und Licht zu Finsternis, Bitteres zu Süßem und Süßes zu Bittrem.« (Jes. 5:20). Von ihnen heißt es ferner: »sie verlassen die geraden Wege, um zu wandeln auf denen der Finsternis.« — (Mischlei 2:13).

Doch welche Mittel gibt es gegen die Krankheiten der Seele? Die Weisen sind Seelenärzte, darum mögen die Kranken zu ihnen gehen, und sich durch ihre Vorträge über Sittenlehre zu dem rechten Wege zurückführen lassen. Diejenigen aber, die ihre bösen Neigungen kennen, und dennoch kein Heil bei. den Weisen suchen, diese bezeichnet Salomon mit den Worten: »Weisheit und Zucht verachten Toren.« (Mischlei 1:7).

2) Und wie bewirkt man die Heilung? Dem Zornigen rate man, selbst gegen Schläge und Schimpfworte unempfindlich zu sein, und diesen Weg so lange zu verfolgen, bis der Zorn mit der Wurzel aus seinem Herzen vertilgt ist.

Dem Hochmütigen — sich der Erniedrigung Preis zu geben, überall den untersten Platz einzunehmen, in verächtlichen Lumpen einherzugehen, um sich dadurch zu demütigen, und solcher Mittel mehr anzuwenden, bis der Hochmuth mit der Wurzel aus seinem Herzen verbannt ist, und er zum Mittleren, dem guten Wege zurückkehrt, auf dem er dann forthin wandle, sein Leben lang.

So behandle man alle übrigen Neigungen. Neigte man sich zu sehr nach dem einen Extrem hin, so strebe man nach dessen Gegensätze, und bleibe dabei so lange, bis man auf den guten, die Mitte der Neigungen bildenden Weg, wieder zurücktritt.

3) Es gibt Neigungen, bei denen es nicht erlaubt ist, die Mitte zu behaupten, sondern das Streben von dem einen Gegensatze zu dem andern hin notwendig wird; dahin gehört der Hochmut. Der Mensch, der nur bescheiden ist, befindet sich nicht auf dem guten Wege, denn er soll, demütig und ergebenen Geistes sein; darum heißt es bei unserem Lehrer Moses: »Sehr bescheiden« (Num. 12:3) nicht bloß bescheiden. Und das Gebot der Weisen ist auch: »Gib dich ganz, ganz der Demut hin« (Talmud, Awot) ferner sagen sie: »Der Hochmütige leugnet die Grundlage der Religion« (Talmud), denn es heißt: »Möge dein Herz sich nicht erheben, — und vergessen den Ewigen, deinen Gott.« (Deut. 8:14); und »verbannt sei, wer auch nur einen kleinen Grad von Hochmut besitzt.« (Talmud).

Ebenso ist der Zorn eine durchaus böse Eigenschaft, und der Mensch tut wohl, sich lieber zu dessen Gegensatz zu wenden; er gewöhne sich nämlich nicht zu zürnen, selbst dann nicht, wenn. sein Zorn gerechtfertigt wäre. Und will er seinen Kindern oder Hausleuten Ehrfurcht einflössen, oder hat er als Vorsteher über seine Gemeinde zu zürnen, um sie zum Guten zu lenken, so stelle er sich nur zürnend, um sie zu ermahnen, bleibe aber bei sich gelassen, nachahmend einem Zürnenden während des Zornes, ohne wirklich zu zürnen.

Die Weisen lehren: »Ein Zürnender ist einem Götzendiener gleich«, (Talmud) und fügen hinzu: »Wenn ein Weiser zürnt, so schwindet seine Weisheit, und wenn er ein Prophet,— seine Prophetengabe. Das Leben eines Zornigen ist kein Leben. Darum ist geboten, sich des Zornes zu enthalten, bis man dahin gelangt, selbst bei Dingen, die Zorn erregen können, gelassen zu bleiben. Das ist der gute Weg; der Weg der Gerechten aber ist: man schmähet sie, und sie schmähen nicht wieder, sie hören den Hohn und erwidern ihn nicht, vollziehen ihre Pflichten aus Liebe, und ertragen geduldig ihre Leiden. Sie sind es, welche jener Vers nennt: »Seine Freunde sind wie der Aufgang der Sonne in ihrer Herrlichkeit.« (Richter 5:31).

4) Der Mensch gewöhne sich zu schweigen, und wenn er spricht so betreffe es die Weisheit, oder solche Dinge, die des Lebens Bedürfnisse erfordern. Man erzählt von Raw, dem Schüler Rabbi des Heiligen, dass er sein Leben lang nichts Unnützes gesprochen; es wird damit solches Gespräch wie das der meisten Menschen gemeint. Selbst über körperliche Bedürfnisse mache der Mensch nicht zu viel Worte, sondern denke an den Spruch der Weisen: »Wer zu viel redet, verursacht Sünde« (Talmud, Awot) und »es ist dem Körper Nichts zuträglicher als Schweigen« (Ebendas.)

Selbst bei der Beschäftigung mit der heiligen Schrift und den Wissenschaften, suche er in gedrängten Worten viel zu sagen. Auch dies gebieten die Weisen mit den Worten: »Unterrichte deinen Schüler stets in gedrängter Kürze.« (Talmud) Viel Worte und wenig Sinn zeugen von Torheit, was auch die Worte sagen »Der Traum kommt mit vieler Geschäftigkeit, und die Stimme des Toren mit vielen Worten« (Kohelet 5:2).

5) Das Schweigen ist ein Zaun um die Weisheit. Man eile deshalb nicht mit der Antwort, spreche nicht viel, und unterrichte seine Schüler mit Ruhe und Gelassenheit, nicht mit schreiender Stimme, auch nicht mit langen Phrasen. Dies ist es, was Salomo meint: »Des Weisen Worte werden bei Ruhe gehört« (Kohelet 9:17).

6) Der Mensch soll sich weder an Schmeichelworte, noch an verlockende Reden gewöhnen, nicht anders mit dem Munde sprechen als er im Herzen denkt; sein Inneres sei vielmehr wie sein Äußeres; der Gedanke des Herzens sei das Wort des Mundes. Ferner soll er Niemanden täuschen in seiner Meinung, selbst einen Götzendiener nicht.

So soll man z. B. einem Heiden nicht Fleisch von gefallenem (nicht nach jüdischem Ritus geschlachtetem) Vieh, für Fleisch von geschlachtetem, einen Schuh vom Leder eines gefallenen Tieres, für den vom Leder eines geschlachteten verkaufen. Ebenso lade man seinen Nächsten nicht zu Gast, wenn man weiß, dass er nicht essen wird, überhäufe ihn nicht mit Freundschaftsbezeugungen, wenn man weiß, dass er sie nicht annehmen wird, öffne kein Fass Wein unter dem Anscheine, so geschehe es zu Jemandes Ehre, wenn es doch ohnedies, Verkaufs halber geöffnet worden wäre, und dergleichen. Sogar das geringste Wort der Verlockung und der Täuschung sei vermieden; vielmehr spreche man aufrichtig, denke edel, und halte das Herz rein von allem Lug und Trug.

7) Der Mensch sei weder zu scherzhaft und spöttisch, noch traurig und trübe, sondern heiter. Denn nach, dem Spruche der Weisen: »verleiten Lachen und Leichtsinn den Menschen zur Unzucht« (Talmud, Awot); und darum geboten sie: eben so wenig ausgelassen im Scherze, als trübe und traurig zu sein; wohl aber Jedermann freundlich aufzunehmen.

Sei auch nicht habsüchtigen Gemüts und gierig nach Schätzen, noch träg und lässig zur Arbeit; bewahre dir vielmehr ein genügsames Gemüt, und bemühe dich weniger um Erwerb, als um die Lehre. Freue dich auch deines geringen Besitztums, sei nicht zänkisch, neidisch, lüstern, ehrsüchtig »denn Neid, Gelüste und Ehrsucht bringen den Menschen von der Welt«, (Talmud, Awot); so lehren die Weisen. Hieraus folgt: Strebe bei deinen Neigungen nach ihrer Mitte, und wandle auf dem durch dieselbe vorgezeichneten Wege, was auch Salomo meint: »Erwäge den Pfad, den dein Fuß geht, so werden alle deine Wege sicher sein«. (Mischlei 4:26).

DRITTES KAPITEL — Erkenne Ihn auf allen deinen Wegen

1) Wollte nun Jemand die Einwendung machen: da Neid, Gelüste, Ehrsucht und dergleichen den Menschen auf schlechte Wege, und dann aus der Welt bringen, so sei es
vielleicht vorzuziehen, sich deren Gegensätzen, zuzuwenden, kein Fleisch zu essen, keinen Wein zu trinken; dem Ehestande zu entsagen, keine anständige Wohnung zu haben, kein anständiges Kleid zu tragen, sondern im Sack und im groben Gewände, oder in Ähnliches gehüllt einherzugehen, — so wäre auch dies ein schlechter Weg, den zu wandeln verboten ist.

Wer ihn wandelt, wird Sünder genannt. Denn es heißt beim Nasir (Abgesonderten): »Und er bewirke Entsündigung, weil er gesündigt gegen die Seele«. (Num 6:11). Dies deuten unsere Weisen also: »Wenn schon der Nasir, der sich doch nur des Weines enthielt, einer Sühne bedarf, um wie viel mehr Derjenige, der sich so viele Dinge versagt«.

Die Weisen gebieten daher, sich nur solche Dinge zu versagen, welche das Gesetz untersagt, nicht aber durch Gelübde und Schwüre sich erlaubter Dinge zu enthalten. Denn sie sagen: »Ist es nicht genug an den, durch das Gesetz verbotenen Dingen, dass du dir noch, andere verbietest?« (Talmud).

Ebenso sind auch diejenigen, welche sich immerfort fasten, nicht auf gutem Wege, und die Weisen verbieten, sich durch Fasten zu peinigen. Hierauf beziehen sich auch die Worte Salomos: »Sei nicht zu fromm und allzu nachgrübelnd, denn warum willst du überspannt werden?« (Kohelet 7:16).

2) Der Mensch soll sein Herz und seine Handlungen lediglich darauf richten, Gott zu erkennen. Sein Sitzen, Stehen, Reden, Alles gehe darauf hin, z.B., wenn er Handel treibt oder Arbeit für Lohn verrichtet, so wolle er sich denen nicht unterziehen, um gerade Geld zusammen zu scharren, sondern um seinen Bedürfnissen an Speise, Trank, Wohnung und Haushalt zu genügen.

Ebenso habe Essen und Trinken nicht den Zweck des Vergnügens allem, sondern er habe bei Essen und Trinken die Absicht Körper und Glieder zu stärken. Darum esse er auch nicht, wie Hund und Esel, Alles, wonach sein Gaumen gelüstet, sondern nur das dem Körper Zuträgliche, sei es süß oder bitter, und nicht das ihm Schädliche, ob es auch süß wäre.

Wer z.B. vollblütig, esse weder Fleisch noch Honig, noch trinke er Wein, wie Salomo gleichnisweise sagt: »Zu viel Honig essen ist nicht gut«. (Mischlei 25:27); wohl aber trinke er Endivien-Wasser, wenn es auch bitter schmeckt. Er betrachte Essen und Trinken nur als Arzneimittel, um gesund und unversehrt dazustehen, da doch der Mensch ohne Essen und Trinken nicht fortleben kann.

Ebenso habe man Geschlechtsverkehr nur um seinen Körper und seinen Samen gesund zu erhalten. Deshalb soll er nicht jedes Mal, wenn es ihm danach gelüstet, Geschlechtsverkehr haben, sondern wenn er weiß, dass er Samenerguss für medizinische Zwecke benötigt oder zur Zeugung.

3) Doch wer nach den Regeln der Gesundheit lebt, nur um Körper und Glieder gesund zu erhalten und Kinder zu erzeugen, die seine Arbeit verrichten, und sich für seine Bedürfnisse abmühen, der hat einen schlechten Weg erwählt; er erhalte vielmehr deshalb seinen Körper unversehrt und stark, damit seine Seele umso empfänglicher werde, Gott zu erkennen; denn bei Hunger, Krankheit und Schmerz ist es unmöglich, die Lehren der Weisheit zu erfassen und zu begreifen; auch denke er daran, einen Sohn zu erzeugen, der einst durch Weisheit und Größe eine Zierde Israels werde.

Wer also auf diesen Wegen sein Leben lang wandelt, der hört nicht auf, Gott zu dienen, selbst dann nicht, wenn er sein Geschäft treibt, oder seine ehelichen Pflichten erfüllt. Denn ihn belebt stets der Gedanke, dass er nur darum seine Bedürfnisse erschwingt, damit er sich unversehrt erhalte, und damit er Gott diene.

Auch wenn er schläft, und dies nur in der Absicht tut, dass Seele und Körper ruhen mögen, damit er nicht krank und dadurch verhindert werde, Gott zu dienen, so ist auch dieser Schlaf ein Dienst Gottes gelobt sei Er. — Dahin zielet auch das Gebot unserer Weisen: »Alle deine Handlungen verrichte im Namen des Himmels« (Talmud — Awot). Das sagt auch der weise Salomo mit den Worten: »Auf allen deinen Wegen merke auf ihn, und er wird deine Pfade ebnen« (Mischlei 3:6)

VIERTES KAPITEL — Gesundheit des Körpers

1) Weil Erhaltung der körperlichen Gesundheit und Stärke, als ein Wandel auf Gottes Wegen gilt, indem es unmöglich ist in krankem Zustande Etwas von der Erkenntnis Gottes zu begreifen und zu verstehen, darum soll der Mensch die dem Körper nachtheiligen Dinge meiden, dagegen diejenigen suchen, die ihn stärken und kräftigen. Er merke sich daher Folgendes:

Man esse nur dann — wann man hungert, und trinke nur dann — wann man durstet, man halte seine Notdurft auch nicht einen Augenblick auf, sondern gebe ihr nach, sobald es drängt.

2) Der Mensch stille nie ganz seinen Hunger, sondern lasse ungefähr ein Viertel desselben unbefriedigt; er trinke kein Wasser während des Essens, höchstens ein wenig mit Wein vermischt; ist die Verdauung vorgeschritten, dann trinke er Wasser, so viel nötig, aber auch dann nicht zu viel, selbst wenn die Verdauung schon beendet ist. Er esse auch nicht eher, als bis er fühlt, dass er keine Notdurft habe.

Vor der Mahlzeit gehe der Mensch so lange umher, bis der Körper anfängt sich zu erwärmen; entweder verrichte er eine Arbeit oder schaffe sich auf eine andere Art Bewegung. Im Allgemeinen sehe man darauf, alle Morgen den Körper so lange in Tätigkeit zu setzen und anzustrengen, bis er sich erwärmt, dann ruhe man ein wenig, bis man sich erholt und esse. Wer ein warmes Bad nach der Arbeit nimmt, tut wohl daran; nach demselben verweile man noch ein wenig, und esse dann.

3) Beim Essen sitze der Mensch immer ruhig auf seiner Stelle, oder neige sich nach der linken Seite. Bevor die Speise verdaut ist soll er weder einhergehen, noch reiten, noch arbeiten, noch seinen Körper in Schweiß bringen, noch lustwandeln; wer aber dennoch nach dem Essen umhergeht, oder sich anstrengt, zieht sich böse und schwere Krankheiten zu.

4) Es ist hinreichend für den Menschen, wenn er von den vier und zwanzig Stunden des Tages den dritten Teil, also acht Stunden schläft; und zwar wähle er diese so, dass sie mit der Nacht zugleich endigen, und von Anfänge seines Schlafes, bis zum Sonnenaufgangs, acht Stunden ausmachen; vor Sonnenaufgang stehe er nämlich von seinem Lager auf.

5) Der Mensch schlafe weder auf dem Gesichte, noch auf dem Rücken, sondern auf der Seite; am Anfänge der Nacht auf der linken, gegen Ende derselben auf der rechten. Er lege sich nicht unmittelbar nach dem Essen schlafen, warte vielmehr drei bis vier Stunden; und schlafe nicht bei Tage.

6) Abführende Speisen, wie: Weintrauben, Feigen, Maulbeeren, Birnen, Melonen, Gurken, Kürbis-Gattungen esse der Mensch vor der Mahlzeit, menge sie aber nicht unter die Speise, sondern warte ein wenig bis sie durch den Oberleib hindurch sind, und dann esse er seine Speise. Verstopfende Dinge, wie Granatäpfel, Quitten, Äpfel und Honigäpfel (Apfelsinen), esse man während der Mahlzeit, jedoch nicht zu viel.

7) Wer bei einer Mahlzeit Geflügel und Fleisch essen will, der esse zuerst das Geflügel; will er Eier und Geflügel essen, so esse er zuerst die Eier; hat er Fleisch von Jungvieh und Rind-Fleisch, so esse er das Fleisch vom Jungvieh zuerst. Kurz! man lasse die leichteren Speisen immer den schwereren vorangehen.

8) Im Sommer esse man kühlende Speisen, nicht zu viel Gewürz, wohl aber Essig; zur Zeit des Regens esse man erwärmende Speisen, viel Gewürz, ein wenig Senf, und Laser- (Asant) Kraut. Solcherweise verfahre man in kalten und warmen Ländern, ihren Klima gemäß.

9) Es gibt Speisen die überaus nachtheilig sind, und der Mensch tut wohl daran, sich ihrer gänzlich zu enthalten. Dahin gehören: eingesalzene, alte, große Fische, alter salziger Käse, Schwämme, Pilze, altes eingesalzenes Fleisch, Wein, der eben gekeltert ist, lang gestandene Speisen, die ihren Geruch verloren, wie überhaupt übelriechende und allzu bittere Speisen. Alles dies ist dem Körper wie Gift.

Es gibt noch andere Speisen, die ebenfalls nachtheilig sind, doch nicht in dem Grade, wie die eben genannten; darum esse man nur selten und wenig von ihnen. Keineswegs gewöhne man sich, solche Speisen zur täglichen Kost zu machen, oder sie auch nur neben anderen Speisen zu essen, wie z. B. große Fische, Käse, Milch, die vierundzwanzig Stunden nach dem Melken gestanden, Fleisch von großem Rindviehe und Böcken, Bohnen, Linsen, Erbsen, Gerstenbrot, ungesäuertes Brot, Kohl, Lauch, Zwiebel, Knoblauch, Senf, Rettich.

Alle diese Speisen sind schädlich und man tut wohl daran, davon nur äußerst wenig bloß zur Regenzeit zu genießen. Im Sommer aber genieße man durchaus nichts davon. Bohnen und Erbsen esse man weder zur Sommer, noch zur Regenzeit, und Kürbisse nur des Sommers.

10) Dann gibt es Speisen, die auch nachtheilig sind, doch nicht so wie die genannten, wie z. B. Wasservögel, junge kleine Tauben, Datteln, mit Öl gerostetes oder geknetetes Brot, feines Mehl, das so sehr durchgesiebt ist, dass auch keine Spur von Kleie darin ist, Fischlacke und scharfe Brühe. Von allen diesen Speisen darf man nicht viel genießen; und wer so weise ist, sein Gelüst zu bezähmen, sich nicht von ihm hinreißen zu lassen, sich ihrer ganz und gar enthalten und sie nur als Heilmittel zu benutzen, der heißt ein Held.

11) Man enthalte sich stets der Baumfrüchte, esse nicht viel von ihnen, selbst nicht wenn sie getrocknet, noch weniger frische nun gar unreif genossen, sind sie dem Körper wie solche; auch Johannisbrot ist stets schädlich, wie überhaupt alle sauren Früchte; man esse deshalb nur wenig davon im Sommer, und an warmen Orten. Feigen, Weintrauben und Mandeln sind immer zuträglich, seien sie frisch oder getrocknet und esse man davon auch zur vollen Genüge. Man mache sie aber darum nicht zur täglichen Kost, wenngleich sie die besten aller Baumfrüchte sind.

12) Honig und Wein sind Kindern schädlich, alten Leuten zuträglich, besonders zur Regenzeit. Im Allgemeinen esse man des Sommers zwei Drittheile von dem, was man zur Regenzeit essen würde.

13) Man sorge stets dafür, dass man, wenn nicht ein wenig Diarrhoe, doch offenen Leib habe. Es ist dies eine Hauptregel der Heilkunst. Wenn der Stuhlgang ganz fehlt, oder nur mit Mühe erfolgt, sind schwere Krankheiten im Anzuge.

Doch welche Mittel gibt es gegen geringe Leibesverhärtung? Ein junger Mann esse jeden Morgen stark in Salz Gekochtes, mit Olivenöl, gewürzt und mit scharfer Brühe, ohne Brot, und trinke in Grünkraut gekochtes Wasser, oder Kohl mit Olivenöl, scharfer Brühe und Salz zubereitet. Ein alter Mann trinke alle Morgen Honig mit warmem Wasser gemischt, warte dann ungefähr vier Stunden, und esse dann seine Mahlzeit; er tue das einen, zwei, oder vier Tage, wenn nötig, überhaupt so lange bis sein Leib wieder in Ordnung ist.

14) Noch eine andere Hauptregel für die Gesundheit des Körpers ist: Arbeite, mühe dich, iss mäßig und erhalte dir offenen Leib, so wird dich nicht nur keine Krankheit heimsuchen, sondern du wirst sogar an Kräften zunehmen, selbst beim Genuss unzuträglicher Speisen.

15) Wer hingegen träge dasitzt und nicht arbeitet, seine Notdurft aufhält, oder an Verhärtung leidet, der wird, mag er auch noch so zuträgliche Speisen genießen, und noch so sehr nach den Regeln der Gesundheit sich verhalten, sein Leben lang Schmerzen haben und seine Kräfte schwinden sehen. Übermäßiges Essen ist jedem menschlichen Körper tödliches Gift, und die Hauptursache aller Krankheiten.

Die meisten treffen den Menschen, weil er entweder ungesunde Speisen genießt, oder seinen Magen überfüllt oder unmäßig, wenn auch von zuträglichem Speisen isst. So sagt auch der weise Salomon: »Wer Mund und Zunge hütet, wahret seine Seele vor Leiden« (Mischlei 21:23), d. h. wer seinen Mund vor schädlichen Speisen, oder Übersättigung und seine Zunge vor unnützen Reden bewahrt.

16) In Betreff der Bäder verfahre man also: Man nehme wöchentlich ein Bad, nicht unmittelbar nach dem Essen, auch nicht wenn man hungrig ist, sondern wenn man die Speisen zu verdauen anfängt. Man wasche den ganzen Körper mit lauem Wasser, den Kopf allein mit wärmerem, dann wasche man den Körper mit lauwarmem und zuletzt mit kaltem Wasser, lasse jedoch den Kopf davon unberührt. Zur Regenzeit bade man nicht in kaltem Wasser, und auch nicht so lange bis der ganze Körper im Schweiße, und erregt ist, bleibe nicht zu lange im Bade, sondern nachdem man geschwitzt hat, und durch und durch erregt worden, spüle man sich ab, und gehe hinaus.

Vor und nach dem Bade prüfe man sich, ob man nicht ein natürliches Bedürfnis habe; wie man es auch vor und nach dem Essen, vor dem Geschlechtsverkehr und nach dem Geschlechtsverkehr, vor und nach einer mühsamen Arbeit, vor und nach dem Schlafe, überhaupt zehnmal täglich Thun soll.

17) Hat man das Bad verlassen, so kleide man sich an, und bedecke den Kopf schon im Vorhause, damit ihn keine kalte Zugluft treffe, und achte hierauf selbst des Sommers. Dann verweile man, bis man sich erholt, ausgeruht und abgekühlt hat — esse erst alsdann. Kann man zwischen dem Bade und dem Essen ein wenig schlafen, so tut man wohl daran.

Gleich nach dem Bade trinke man kein kaltes Wasser, und am wenigsten im Bade selbst; ist man aber durstig, und kann sich nicht beherrschen, so trinke man Wasser mit Wein oder Honig gemischt. Wer sich zur Regenzeit, wenn er sich nach dem Bade abgespült, mit Öl einreibt, tut wohl daran.

18) Man gewöhne sich nicht an allzu häufiges Aderlassen, tue es vielmehr nur, wenn es sehr nötig ist; man lasse weder zur Sommer noch zur Regenzeit zur Ader, sondern in den Monaten Nissan (Frühling) und Tischri (Herbst), und auch dann nur selten. Hat man das 50ste Jahr erreicht, so lasse man ganz davon ab. An dem Tage, wo man zur Ader gelassen, nehme man weder ein Bad, noch gehe man auf Reisen, auch tue man es nicht an dem Tage, an welchem man von einer Reise zurückgekehrt. Am Tage des Aderlasses esse und trinke man weniger als gewöhnlich, ruhe etwas aus, mühe sich nicht ab, und gehe auch nicht spazieren.

19) Der Samen ist die Kraft des Körpers, seine Lebenskraft und das Licht der Augen. Viel Samenerguss schwächt den Körper und verkürzt das Leben, das sagte bereits Salomo: »Gibt deine Kraft nicht den Frauen« (Mischlei 31:3).

Wer nach Geschlechtsverkehr begierig ist, dem spring das Alter an, seine Kraft verbraucht, seine Augen werden schwach, fauler Geruch geht aus seinem Mund und von seinen Achseln hervor; sein Kopfhaar, seine Augenbrauen und seine Augenwimpern fallen aus, seine Barthaar, sein Achselhaar und seine Beinbehaarung vermehren sich; seine Zähne fallen aus und viele Schmerzen, außer diesen, treffen ihn.

Die Weisen Ärzte sagten: einer von Tausend stirbt an anderen Krankheiten und Tausend sterben an übermäßigen Geschlechtsverkehr. Deshalb muss der Mensch sich vor dieser Sache in Acht nehmen, wenn er gesund leben möchte. Er soll Geschlechtsverkehr haben, nur wenn sein Körper gesund und stark ist. Wenn er viele unbeabsichtigte Erektionen hat, die auch bleiben während er an etwas Anderes denke, sein Unterleib schmerzt ihn, die Sehnen seiner Hoden sind gedehnt und sein Fleisch ist warm —solch ein Menschen braucht Geschlechtsverkehr und das ist medizinisch ratsam.

Er soll kein Geschlechtsverkehr auf vollen oder leeren Magen haben, sondern erst wenn das Essen verdaut ist. Er untersuche seine Öffnungen vor und nach dem Verkehr. Er verkehre nicht stehend oder sitzend, nicht im Badehaus, auch nicht am Tage, wann er ins Badehaus geht, auch nicht am Tag des Aderlasses, nicht am Tage seiner Wegreise und seiner Ankunft und nicht davor oder danach.

20) Wer auf diesen eben bezeichneten Wegen wandelt, dem verbürge ich ein langes, gesundes Leben bis ins hohe Greisenalter und einen stets gesunden und unversehrten Körper. Er wird keines Arztes bedürfen, wenn er nicht etwa mit einem kranken Körper geboren, oder von Jugend an auf schlechten Wegen zu wandeln gewohnt war, oder wenn Pest und Hungersnot die Welt heimsuchen.

21) Nach jenen Regeln hat sich jedoch nur der Gesunde zu richten; wer aber krank ist, wer an irgendeinem Gliede leidet, oder wer schon viele Jahre sich schlecht geführt, für alle diese Menschen gibt es andere, der jedesmaligen Krankheit angemessene Bestimmungen und Regeln, die in dem Werke »von der Heilkunst« erläutert sind. Veränderung in der Zirkulation des Blutes ist der Anfang einer Krankheit.

22) Überall, wo kein Arzt ist, tut ein Kranker wie ein Gesunder wohl daran — die in diesem Kapitel gegebenen Vorschriften zu halten; denn eine jede von ihnen bringt doch zuletzt etwas Gutes.

23) In einer Stadt, wo nicht folgende Dinge: Arzt, Chirurg, Badehaus, Wasser, gleichviel ob Fluss oder Quelle, Synagoge, Kinderlehrer, Schreiber, Armenpfleger und ein mit Schlägen und Gefängnis bestrafendes Gericht vorgefunden werden, soll sich kein Weiser niederlassen.

FÜNFTES KAPITEL — Benehmen des Weisen

1) So wie der Weise an seiner Weisheit und Einsicht erkannt wird, und sich dadurch vor dem übrigen Volke auszeichnet, so sollen ihn auch seine Handlungen: Essen, Trinken, Verrichtung der Notdurft, Sprache, Gang, Kleidung, Unterhaltung und Geschäfte als solchen auszeichnen. Alle diese Handlungen sollen geordnet und geregelt verrichtet werden.

Doch wie das? Ein Weiser soll kein Schlemmer sein, sondern bloß dem Körper zuträgliche Speisen genießen, davon aber nicht unmäßig; auch wolle er nicht seinen Magen überfüllen, wie Manche, die sich so vollessen und trinken, dass ihnen der Leib zu bersten droht. Diese trifft der Spruch: »Ich streue Kot auf euer Angesicht« (Malach. 2:3), welches unsere Weisen auf diejenigen Menschen anwenden, die bloß dem Essen und Trinken sich ergeben, und alle ihre Tage zu Feiertagen machen, sprechend: »Iss, trink, denn morgen können wir sterben« (Jes. 22:13).

Solche Mahlzeiten halten Bösewichter, und von ihnen spricht der Prophet mit Verachtung: »Denn alle Tische sind vollgespien vom Unflat, kein Platz ist mehr« (Jes. 28:8). Der Weise esse nur ein oder zwei Gerichte, genieße davon zu seinem Lebensunterhalte, und lasse sich genügen. Ihn bezeichnet König Salomo: »Der Gerechte isst bloß zum Sattwerden« (Mischlei 13: 25).

2) Der Weise verzehre die geringe, für ihn sich ziemende Mahlzeit in seinem Hause, an seinem Tische, nicht aber in irgendeinem Laden, oder auf dem Markte,— es sei denn, dass ihn die Notwendigkeit dazu zwinge, — damit es sich nicht die Verachtung seiner Mitmenschen zuziehe. Auch esse er nicht beim groben Pöbel und an solchen Tischen, »die vom Unflat vollgespien sind«. Er halte nirgends, selbst in Gesellschaft mit Weisen, zu viel Mahlzeiten, schmause nicht bei großen Versammlungen, und nehme nur an gesetzlich gebotenen Mahlzeiten, wie bei Verlobungen und Hochzeiten teil, und an diesen auch nur, wenn der Bräutigam ein Weiser und die Braut die Tochter eines Weisen ist. Die früheren Gerechten und Frommen aßen an keinem fremden Gastmahle.

3) Trinkt der Weise Wein, so geschehe es nur, um die Speisen in den Eingeweiden zu erweichen; berauscht er sich, so sündigt er, und bringt sich um seine Achtung und Weisheit; berauscht er sich in Gegenwart vom groben Pöbel, so entweiht er den Namen Gottes. Es ist verboten, am Mittage sogar ein wenig Wein zu trinken; wohl aber ist es während der Mahlzeit erlaubt, weil dann das Trinken nicht berauscht. Nach dem Mahle hüte man sich wohl vor Wein.

4) Obwohl die Frau einem Mann stets erlaubt ist, gebührt es einem Weisen sich in Heiligkeit zu führen. Er soll sich bei seiner Frau nicht wie ein Hahn ständig befinden, sondern von Schabbat Abend bis Schabbat Abend, wenn er Kraft hat. Er soll mit ihr nicht verkehren, weder zu Beginn der Nacht, während sein Magen voll ist, noch am Ende der Nacht, wenn er hungrig ist, sondern mitten in der Nacht, während der Verdauung der Speisen.

Er soll nicht zu sehr leichtsinnig sein, noch soll er mit ihr unzüchtig reden, auch wenn sie unter sich sind. Denn es heißt: »Der dem Menschen seinen Plan kundtut« (Amos 4:13). Wie Weisen sagten, der Mensch muss Rechenschaft ablegen, sogar über die kleinste Unterhaltung zwischen ihm und seiner Frau.

Während des Verkehrs dürfen beide nicht betrunken sein, noch lustlos und es darf keine Spannung zwischen ihnen herrschen. Sie darf nicht schlafen noch darf er sie gegen ihren Willen zwingen, sondern nach deren beiden Willen und in Freude. Er erzähle ihr etwas und flirte mit ihr etwas, damit sie sich entspannen. Er verkehre mit ihr bescheiden und nicht unverschämt und ziehe sich danach zurück.

5) Wer so verfährt, hat nicht allein geheiligt seine Seele, sich gereinigt, und seine Neigungen geregelt, — sondern wenn er Kinder zeugt, so werden auch diese schön, keusch und empfänglich für Weisheit und Frömmigkeit sein; wer aber nach der Weise der großen Menge, die im Finstern wandelt, lebt, der wird auch solche Kinder erzeugen.

6) Die Weisen müssen besondere Keuschheit beobachten, in jeder Hinsicht. Sie sollen sich nicht entwürdigen, noch ihr Haupt oder ihren Körper entblößen. Sogar zur Stunde seiner Notdurft soll man Keuschheit beobachten, man entkleide sich nicht bevor man sitzt und wische sich nicht mit der Rechten ab, man entferne sich von jedem Menschen und gehe in den Raum hinter den Raum und eine Höhle und der Höhle erleichtere sich dort. Man erleichtere sich hinter einem Zaun und entferne sich weit genug, sodass keiner ihn hört, wenn er nießt (Blähung). Muss man sich auf dem Felde erleichtern, entferne man sich, damit sein Freund seine Nacktheit nicht sehe. Beim Erleichtern spreche man nicht, auch wenn es notwendig ist. Man gewöhne sich im Allgemeinen am Morgen und Abend seine Notdurft zu verrichten, damit man nicht nötig habe von der Gesellschaft sich zu entfernen.

7) Der Weise schreie und lärme nicht, wenn er spricht, wie das Vieh und Wild, erhebe auch seine Stimme nicht allzu sehr, sondern rede sanft mit Jedermann. Spricht er aber mit Sanftmut, so gehe er darin nicht zu weit, damit seine Worte nicht den Anstrich wie die des Hochmuts haben. Man grüße Jedermann zuerst, um sich Aller Wohlgefallen zu erwerben. Er beurteile Jeden nach der besten Seite, erzähle das Lob seines Nebenmenschen, nie aber dessen Schande, er liebe den Frieden und strebe ihm nach.

Er spreche, wenn er merkt, dass seine Worte fruchten und gehört werden, schweige aber, wenn dem nicht so ist. Doch wie das? Er suche Niemanden während des Zürnens zu besänftigen, befrage nicht einen Gelobenden wegen seines Gelübdes, so lange er noch nicht seine kalte Überlegung und Ruhe hat, spreche von keinem Trost, wenn die Leiche noch vor Augen liegt, weil der Leidtragende bis zur Beerdigung zu bestürzt ist; und Ähnliches mehr. Er sei nicht Zuschauer, wenn der Nächste einen Fehltritt begeht, wende vielmehr das Auge davon ab.

Er ändere das gegebene Wort nicht, weder erweitere er es, noch beschränke er es, Friedensstiftungen und ähnliche Fälle ausgenommen. Im Allgemeinen gewöhne man sich, nur weise Gespräche, oder solche zu führen, die eine Wohltat oder dergleichen bezwecken. Man unterhalte sich nicht mit einem Frauenzimmer auf öffentlichem Markte; sogar nicht mit der eigenen Frau, oder Schwester oder Tochter.

8) Ein Weiser gehe nicht in steifer Haltung und mit gestrecktem Halse einher, wie es heißt: »Sie gehen umher die Hälse gestreckt, und die Augen umherwerfend« (Jes. 3:16). Er gehe nicht wie die Weiber und hochmütigen, langsam, Schritt vor Schritt; wie es heißt: »Sie gehen trippelnden Ganges und machen Geklirr mit ihren Füßen« (Ebenda).

Aber er laufe auch nicht auf der Straße wie ein Wahnsinniger, noch gehe er gekrümmt, wie ein Verwachsener, sondern den Blick gesenkt wie beim Gebete, und auf der Straße wie ein beschäftigter Mann.

Auch aus dem Gange des Menschen lässt sich’s erkennen, ob er ein kluger und bescheidener Mann, oder ein Tor und ein Narr sei, was auch der weise Salomo lehrt: »Auch im Gange, wenn der Dummkopf geht, mangelt ihm Verstand, und er sagt überall: Er sei ein Dummkopf« (Kohelet 10:3), — er selbst verkündet es Allen, dass er ein Dummkopf ist.

9) Das Gewand des Weisen sei anständig und rein, und frei von Flecken, und dergleichen; er kleide sich nicht königlich in Gold und Purpur, noch bettelhaft; denn jene ziehen die Blicke, dieses zieht die Verachtung aller auf ihn; er kleide sich vielmehr anständig und mittelmäßig.

Seine Haut soll nicht durch den Stoff durchscheinen, wie bei den feinen in Ägypten gearbeiteten Leinen, noch sollen sich seine Kleider schleppen auf der Erde, wie die der Hochmütigen, sie reichen vielmehr nur bis an die Ferse, und die Ärmel bis an die Fingerspitzen. Er lasse seinen Gebetmantel nicht weit hinabhängen, weil es hochmütig aussieht, mit Ausnahme des Schabbats, wenn er keinen zweiten hat. Im Sommer ziehe er keine allzugeflickten Schuhe an, wohl aber zur Regenzeit, wenn er arm ist.

Er gehe nicht duftend von wohlriechenden Salben auf der Straße, noch mit wohlriechenden Kleidern, noch tue er Wohlriechendes ins Haar. Geschieht es um Unreinigkeiten des Körpers zu heben, so ist es erlaubt. Er gehe auch nachts nicht allein aus, es sei denn, dass er seiner Studien wegen immer zu einer bestimmten Stunde ausgehe. Alles dies tue der Weise, um jeden Verdacht zu vermeiden.

10) Der Weise esse, trinke und ernähre seine Familie nach seinem Vermögen, verrichte seine Handlungen mit Berechnung, und lade sich keine übermäßige Last auf.

Unsere Weisen lehren man esse nur dann Fleisch, wenn man ganz besondere Lust dazu hat, wie es heißt: »Wenn deine Seele Fleisch zu essen gelüstet« (Deut. 12:20). Dem Gesunden genüge, alle Freitag Abend Fleisch zu essen. Wer aber so reich ist, dass er alle Tage Fleisch essen kann, möge es tun.

Die Weisen gebieten uns: zu essen unter unseren Stand, uns zu kleiden nach demselben, und Frau und Kinder zu ehren über denselben.

11) Der Vernünftige wähle sich vor allen Dingen ein Geschäft, das ihn ernähre, danach schaffe er sich eine Wohnung, und heirate erst dann, wie es heißt: »Wer ist der Mann, der einen Weinberg gepflanzt und ihn noch nicht genützt? Wer, der ein neues Haus baut, und es noch nicht einweihet? Wer, der sich einem Weibe verlobt, und es noch nicht heiratet (Deut. 20:5-7).

Die Dummen fangen mit der Heirat an, kaufen sich dann, wenn möglich, ein Haus, und suchen zuletzt auf die letzten Tage einen Erwerb, oder Almosen. So heißt es auch unter den Flüchen: »Ein Weib wirst du nehmen, ein Haus bauen und einen Weinberg pflanzen (Deut. 28:30) welches bedeutet: Deine Handlungen werden verkehrt sein, damit du auf deinen Wegen kein Glück findest. Unter den Segnungen heißt es dagegen: »Und David war glücklich auf allen seinen Wegen, und der Ewige war mit ihm« (1 Sam. 18:14).

12) Der Mensch soll nicht sein ganzes Vermögen verschenken oder auf heilige Gegenstände verwenden, und dann seinen Nebenmenschen zur Last fallen. Er verkaufe auch kein Feld, um dafür ein Haus zu kaufen, noch veräußere er ein Haus, um dafür bewegliche Güter anzuschaffen, oder Handel zu treiben, wohl aber mag er bewegliche Güter verkaufen, um sich dafür ein Feld zu kaufen. Im Allgemeinen merke man: Ein Jeder strebe sein Vermögen zu sichern, Bleibendes für Vergängliches einzutauschen, nicht aber flüchtigen Genuss um große Opfer.

13) Der Handel und Wandel des Jüngers der Weisen sei in Wahrheit und Redlichkeit, sein Ja sei Ja und sein Nein Nein; er sei streng, genau gegen sich selbst, schenke aber freigebig Andern, halte sich, um sein Wort pünktlich zu erfüllen, beim Kauf und Verkauf auch in dem Falle für schuldig, wo er nach der Tora nichts schuldig ist, und wenn Andere ihm nach Recht schuldig sind, so möge er verzeihen und verzichten, leihen und mildtätig spenden; er trete nie an das Handwerk seines Nächsten [um ihm Konkurrenz zu machen] und bedränge nie in seinem Leben einen Menschen; kurz er sei stets von den Verfolgten und nicht von den Verfolgern, von den Bedrückten und nicht von den Bedrückern. Von einem Menschen, der solche und ähnliche Taten übt, sagt die Schrift: „Er sprach zu mir: Mein Knecht bist Du, o Israel, an dem Ich mich verherrliche“ (Jes. 49:3).

SECHSTES KAPITEL — Zwischenmenschliche Angelegenheiten

1) Es liegt in der Natur des Menschen, sich bei seinen Neigungen und Handlungen nach denen der Bekannten und Freunde zu richten, und überhaupt nach Landes-Sitte zu leben. Er geselle sich daher den Frommen bei, und pflege Umgang mit Weisen, damit er von ihnen ihre Handlungen lerne; dagegen fliehe man Bösewichter, und die im Finstern wandeln, um ihre Handlungsweise nicht abzulernen. Denn Salomo sagt: »Wer mit Weisen umgeht, der wird weise. Wer sich zu Toren gesellt, zerschellt« (Mischlei 13:20). Wie auch König David sagt: »Heil dem Manne, der dem Rat der Bösen nicht folgt« (Ps. 1:1).

Wer daher in einem Lande lebt, dessen Sitten schlecht sind, und dessen Bewohner nicht auf dem rechten Wege wandeln, der wandre nach einem Orte aus, dessen Bewohner gerecht und fromm sind. Befinden sich aber alle Städte, die er kennt, auf schlechter Bahn, wie leider in unseren Zeiten, oder ist er Krieges oder Krankheitshalber gehindert nach dem Lande mit guten Sitten zu gehen, so bleibe er für sich allein, wie es heißt: »Er sitzt einsam und schweigt« (Eicha 3:28). Sind aber die Einwohner so böse und sündhaft, dass sie ihm weder diese Einsamkeit noch den Aufenthalt im Lande gönnen, es sei denn, er nähme teil an ihrem Treiben, so flüchte er in Höhlen, Gebüsche und Wüsten, und lebe nicht nach Weise der Sünder, wie es heißt: »Wer brächte mich doch in die Wüste, in das Nachtlager der Wanderer!« (Jer. 9:1).

2) Es ist ein Gebot, den Weisen und ihren Schülern anzuhängen und von ihren Handlungen, zu lernen, wie es heißt: »Ihm (Gott) hange an« (Deut. 10:20). Aber wie kann der Mensch dem göttlichen Wesen anhangen? Die Weisen erklären dies Gebot also: »Folge den Weisen und ihren Schülern« (Talmud). Deshalb soll der Mensch streben, die Tochter eines Weisen zu heiraten und die seine, — einem Weisen zu geben, mit ihm zu essen und zu trinken, für ihn Geschäfte zu treiben und jede mögliche Verbindung mit ihm einzugehen, nach dem Spruche: »An ihm sollt ihr hangen« (Deut. 11:22) und nach dem Gebote der Weisen: »Bestreue dich mit dem Staube ihrer Füße, und trinke durstig ihre Worte« (Awot).

3) Es ist Israels Pflicht, jeden aus Israel wie sich selbst zu lieben, wie es heißt: »Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst« (Lev. 19:18). Man verkünde deshalb des Nächsten Lob, und schone sein Vermögen und seine Ehre, wie die eigene; und wer seine Ehre auf die Schmach seiner Mitmenschen erbaut, hat keinen Teil an der künftigen Welt.

4) Zwei Gebote lehren die Liebe gegen den Fremdling (Ger), der sich unter Gottes Schutz begeben, nämlich: das vom Nebenmenschen, und das vom Fremdlinge, von dem das Gesetz sagt: »Ihr sollt den Fremdling lieben« (Deut. 10:19). Den Fremdling lieben ist so gut geboten, wie Gott lieben, von dem es auch bloß heißt: »Du sollst den Ewigen, Deinen Gott, lieben.« Der Heilige selbst, gelobt sei Er, liebt den zu ihm herannahenden Fremden, wie es heißt: »Und er liebt den Fremdling« (Deut. 10:18).

5) Wer unter den Israeliten seinen Nächsten im Herzen hasst, übertritt ein Verbot, denn es heißt: »Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen« (Lev. 19:17) Jedoch wird dies Vergehen nicht mit Geißelhieben bestraft, weil es ohne äußere Tat ist. Das Gesetz warnt hier nur vor Hass im Herzen. Wer seinen Mitmenschen schlägt und ihm Schande antut, übertritt nicht dieses Verbot, obgleich er andere Verbote übertritt.

6) Vergeht sich Jemand gegen einen Anderen, so soll Dieser jenen nicht im Stillen hassen, wie es von Bösewichten heißt: »Und Absalom redete nicht mit Ammon, weder Böses noch Gutes, denn Absalom hasste den Ammon« (2. 13:22), — sondern es ist ihm geboten, sich mit ihm zu verständigen, ihn fragend: warum hast Du mir so und so getan, und dich darin gegen mich vergangen? Denn es heißt: »Du sollst deinen Nächsten zur Rede stellen« (Lev. 19:17). Bereut nun jener dies, und bittet um Verzeihung, so verzeihe er ihm, und verhalte sich nicht unversöhnlich, wie es heißt: »Und Abraham betete zu Gott u. s. w.« (Gen. 20:17).

7) Wer seinen Nebenmenschen fehlen, und auf schlechten Wegen wandeln sieht, ist verpflichtet, ihn zum Guten zurückzuführen, und ihn zu belehren, dass er durch seine bösen Handlungen nur gegen sich selbst sündigt, wie es heißt: »Du sollst deinen Nächsten zur Rede stellen« (Lev. 19:17).

Wer seinen Nächsten in eigenen Angelegenheiten, oder weil er gegen Gott gesündigt, zur Rede stellt, tue es unter vier Augen, er rede ihn gelassen und mit sanften Worten an, und mache ihm bemerkbar, dass er ihn ermahne zu seinem Besten, auf dass er der zukünftigen Welt teilhaftig werde. Findet er ihn für die Ermahnung empfänglich, so ist’s gut, wo nicht, so ermahne er ihn ein zweites und ein drittes Mal, und fahre damit pflichtmäßig so lange fort, bis ihn der Sünder schlägt, und ihm zuruft: »Ich will nicht hören«. Wer dem Unrecht wehren kann, und ihm nicht wehrt, der wird selbst der Sünde teilhaftig, weil er ihm doch hatte wehren können.

8) Wer seinen Nächsten zurechtweist, rede ihm mit Sanftmut zu, ohne ihn zu beschämen, nach den Worten: »Du sollst auf ihn keine Sünde tragen« (ebenda), welche die Weisen also deuten: Du sollst Niemanden so zurechtweisen, dass er schamrot wird. Daher ist es jedem Israeliten verboten seinen Nächsten irgendwo, am allerwenigsten öffentlich, zu beschämen.

Obwohl der, welcher seinen Nächsten schamrot macht, nicht gegeißelt wird, so begeht er doch eine große Sünde, denn unsre Weisen sagen: »Wer seinen Nächsten öffentlich beschämt, hat keinen Teil an der künftigen Welt« (Talmud). Man hüte sich deshalb seinen Nächten, wer er auch sei, öffentlich zu beschämen, man nenne ihn nicht mit einem Beinamen, der ihn schamrot macht, noch erzähle man in seiner Gegenwart, wovor er sich schämen muss.

So sei es bei zwischenmenschlichen Angelegenheiten; handelt es sich aber um ein Vergehen gegen Gott, das der Sünder nach einer Ermahnung unter vier Augen nicht bereut, so soll man ihn öffentlich beschämen, seine Sünde verkünden, ihn beleidigen, verachten und ihn, selbst in seinem Beisein verfluchen, bis er wieder zum Guten zurückkehrt. Ganz so machten es die Propheten Israels.

9) Ist Jemand von seinem Nächsten beleidigt, und er will ihn darüber nicht zur Rede stellen, weil der Beleidiger eine zu unbedeutende Person, oder geisteskrank war, vielmehr ihm in seinen Herzen verzeihen, ohne Hass und Ermahnung, so ist das besondere Frömmigkeit, insofern das Gesetz nur verlangt, dass kein innerer Hass da sei.

10) Der Mensch soll sich der Witwen und Waisen annehmen, weil ihre Seele gebeugt und ihr Geist gedrückt ist; auch sogar auf Vermögende, ja selbst auf die Witwen und Waisen eines Fürsten erstreckt sich diese Verpflichtung, denn es heißt: »Keine Wittwer oder Waise sollt ihr drücken« (Ex. 22:21).

Und wie geht man mit ihnen um? Man spreche nur sanft mit ihnen, erweise ihnen Ehre, greife weder ihren Körper mit Arbeit, noch ihr Herz mit harten Worten an, und schone ihr Vermögen mehr als das eigene.

Wer sie erzürnt, kränkt, betrübt, drückt, ihr Gut vergeudet — übertritt ein Verbot, geschweige denn derjenige, der sie schlägt, oder ihnen flucht. Wenngleich auf die Übertretung dieses Verbots keine Geißelung steht, so bezeichnet die Schrift dennoch die Strafe, denn es heißt: »Mein Zorn wird entbrennen, und Ich werde euch töten mit dem Schwerte« (Ex. 22:23).

Der da sprach: »Es werde die Welt« hat mit ihnen einen Bund geschloffen und will sie erhören, so oft sie wegen Gewalt zu ihm schreien, denn es heißt: »Wenn er zu mir schreit so erhört Ich ihn« (ebenda).

Dies geschieht jedoch nur insofern, als man sie zu eigenem Vorteil beeinträchtigt, hält sie aber der Vorgesetzte streng, um sie zum Studium des Gesetzes, zur Erlernung eines Handwerks, oder auf den rechten Weg zu führen, so ist das erlaubt; aber auch dann behandle man sie nicht wie Jedermann, zeichne sie vielmehr aus, leite sie mit Sanftmut, Nachsicht und Achtung, denn es heißt: »Der Ewige wird ihren Streit führen« (Mischlei 22:23), sei es eine vater- oder eine mutterlose Waise. Und wie lange werden sie als Waisen in dieser Hinsicht betrachtet? Bis sie keines Erwachsenen mehr zur Stütze, Pflege, oder Belehrung bedürfen, sondern, anderen Erwachsenen gleich, selbst für ihre Bedürfnisse sorgen.

SIEBENTES KAPITEL — Verbote der Zunge

1) Wer seinen Nächsten auskundschaftet, übertritt ein Verbot, denn es heißt: »Du sollst nicht als Zungenträger herumgehen unter deinem Volke« (Lev. 19:16); und obgleich die Übertretung dieses Verbots nicht mit Geißelung geahndet wird, so ist dieselbe doch nicht weniger strafbar, und kann Ursache des Todes vieler Israeliten werden; daher heißt es auch gleich nach jenem Spruche: »Stehe nicht gegen das Blut deines Nächsten« (ebenda). Ein Beispiel dafür gibt die Geschichte Doegs, des Edomiten (1 Sam. 19).

2) Wer heißt ein Auskundschafter? Derjenige, welcher sich mit Neuigkeiten herumträgt, von Einem zum Anderen geht und erzählt: Der hat dies gesagt, und jener so gesprochen; ein solcher, wenn auch seine Mitteilungen wahr sind, richtet die Welt zu Grunde.

Eine noch weit größere, ebenfalls in diesem Verbot mit inbegriffene Sünde ist die Verleumdung (laschon hara). Ein Verleumder ist ein solcher der, wäre es auch mit Grund, immer nur Schändliches von seinem Nächsten erzählt; tut er es ohne Grund, so wird er ein Namenschänder genannt, weil er den guten Namen seines Nächsten untergräbt. Auf den Verleumder, der ruhig dasitzend erzählt: »Dies hat er getan, so waren seine Eltern, jenes habe ich über ihn gehört« und hiermit Schändliches mittheilt, beziehen sich die Worte des Psalmisten: »Der Ewige rotte aus alle glatten Lippen und Zungen, die falsche Worte reden.« (Ps. 12:4).

3) Die Weisen lehren: für drei Sünden wird der Mensch schon in dieser Welt bestraft, und verlustig der künftigen, nämlich für Götzendienst, Blutschande, Mord; Verleumdung jedoch wiegt schwerer als alle.

Ferner lehren die Weisen: Ein Verleumder ist nicht besser, als der, welcher die Grundwahrheiten leugnet; denn es heißt: »Mit unseren Zungen bringen wir es weit, sind unsere Lippen mit uns, wer will unser Herr sein?« (Ps. 12:5). Endlich lehren die Weisen: »Drei werden von der Verleumdung getötet: Der sie spricht, der sie anhört, und den sie trifft (der Verleumdete). Wer sie aber anhört ist noch schuldiger, als der sie spricht (Talmud).

4) Eine untergeordnete Art von Verleumdung ist es, wenn Jemand also spricht: Wer würde geglaubt haben, dass N. R. so sein würde, wie er jetzt ist« oder »schweigt von Jenem, ich mag nicht erzählen, was er beging, und was er war«, u. dgl. mehr. Und wer von dem Wohl seines Nächsten vor dessen Feinden spricht, gehört dieser Klasse von Verleumdern an, denn er wird Veranlassung, dass diese Übles von ihm reden. Hierauf beziehen sich die Worte Salomons: »Wer seinen Freund mit Lob ausposaunet am frühen Morgen, tut es zu seinem Fluche« (Mischlei 27:14). Denn sein Lobspruch bewirkt nur Übles.

Von dem, der ohne böse Absicht, nur in Scherz und Leichtsinn verleumdet, spricht der weise Salomo: Er gleicht dem, der zum Zeitvertreib Brandgeschoß, Pfeile und Tod absendet und spricht: »Ich scherze ja nur« (Mischlei 26:18-19). Gleicherweise ist es verboten, mit Hinterlist zu verleumden, als wenn man in aller Unschuld spräche und sich zu stellten als wüsste man nicht, dass es Verleumdung sei, und bei etwaiger Zurechtweisung zu erwidern: »Ich wusste gar nicht, dass es Verleumdung sei, oder dass Jener dies und das getan.«

5) Erzählt man in Gegenwart seines Nächsten, oder hinter seinem Rücken Übles oder Dinge, die weiterverbreitet, ihm an seiner Person oder an seinem Vermögen schaden, oder Angst und Schrecken einjagen, so ist das Alles Verleumdung. Erzählt man dergleichen vor drei Personen, so wird es als allgemein bekannt angesehen. Wird es nun von Einem dieser drei weitererzählt, so ist es keine Verleumdung, er müsste denn die Absicht haben, es weiter zu verbreiten und es mehr zu veröffentlichen.

6) Du sollst nicht in der Nachbarschaft von solchen Verleumdern wohnen, geschweige dich zu ihnen gesellen, oder ihre Worte anhören. Ward doch das Strafgericht in der Wüste über unsere Väter, lediglich wegen Verleumdung verhängt.

7) Wer sich an seinen Mitmenschen rächt, Übertritt ein Verbot, denn es heißt: »Du sollst dich nicht rächen« (Lev. 19:18); und wiewohl darauf keine Geißelung steht, so ist es doch eine sehr böse Eigenschaft; denn der Mensch soll in irdischen Angelegenheiten überhaupt nachsichtig verfahren, und mit der Vernunft jener Kenner überlegen, dass dieselben eitel und nichtig sind, und der Rache nicht wert.

Was heißt Rache? Tritt Jemand zu seinem Nächsten mit der Bitte »leih mir deine Axt« und dieser antwortet: »Ich leihe sie dir nicht«. Kommt aber selbst den andern Morgen, wo er eine Axt braucht, zu jenem, sich eine solche zu erbitten, und dieser antwortet dann: »Ich gebe sie dir nicht, weil du mir die deinige verweigertest, als ich dich darum bat«; so ist das Rache. Dieses aber ist nicht recht, er erfülle vielmehr die Bitte, und tue nicht wie jener. Also verfahre man bei Ähnlichem, wie auch David von seinen guten Sitten spricht: »Wenn ich Böses dem mir übel Gesinnten erwiesen« u. s. w. (Ps. 7:5).

8) Ebenso sündigt der Israelit, der einem etwas nachsagt, denn es heißt: »Du sollst Nichts nachtragen den Kindern deines Volks« (Lev 19:18). Was heißt aber nachtragen? Ruben bittet Schimon, er möge ihm ein Haus vermieten oder einen Ochsen leihen, dieser aber schlägt es ab, kommt aber nach einiger Zeit zu Ruben mit der Bitte, ihm Etwas zu leihen oder zu vermieten. Schlägt nun jener es nicht ab, bemerkt über dabei: Siehe, ich leihe dir, bin nicht so wie du, vergelte dir nicht mit Gleichem,— so übertritt er das Verbot: nicht nachzutragen.

Man tilge vielmehr jede Regung von Hass aus dem Herzen und trage Nichts nach, denn so lange man nachträgt, und an das erlittene Unrecht denkt, wird man leicht zur Rache verleitet; darum legt die Schrift so große Bedeutung auf das Nachtagen, und verlangt, das Unrecht im Herzen mit gänzlichem Vergessen auszulöschen. Das ist die rechte Weise, bei der die Wohlfahrt des Landes und der gegenseitige Verkehr der Menschen, am besten gedeihen.