Eicha als Gedicht

Eicha als Gedicht in Reimen von Albrecht Klausner


Kapitel
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1. Kapitel.

Der Prophet.
Zahllos waren deine Bürger,
Heilge Stadt, und üppig reich,
Strahlend ragten deine Zinnen,
Freunde durftest du gewinnen,
Eh der unbarmherzge Würger
Dich vereinsamt, witwengleich.

Fürstin einst in weiten Landen,
Herrin einer halben Welt —
Wie hat sich dein Los gewendet,
Jähe hat dein Glück geendet,
Jetzt bist du in Knechtesbanden,
Denn gefallen ist dein Held

Deine Tage voller Klage,
Deine Nächte schlummerlos,
Deine Schmeichler alle schweigen
Und kein Tröster will sich zeigen,
Von der Wange rinnt die bange
Zähre nieder in den Schoss.

Freunde waren dein in Scharen,
Buhlten um der Minne Lohn,
Weihten, deinem Dienst ergeben,
Ihre Kraft dir und ihr Streben —.
Aber heute tragen Beute
Sie aus deinem Raub davon.

Deine Hallen wüst und wüster,
Deine Tore still und leer,
Deiner Jungfraun Blick so traurig,
Durch die Gassen tönt es schaurig,
Seufzend stehen deine Priester,
Nirgend naht ein Pilgerheer.

Schwer mit Zagen und mit Bangen
Hat der Herr dich heimgesucht:
Deine Feinde sieggekrönet,
Wehruf durch die Gassen tönet,
Deine Töchter sind gefangen,
Deine Söhne auf der Flucht.

Fort sind Schmuck und Prunkgeschmeide,
Deine Krieger kraftlos fliehn,
Bitternis ist ihre Speise,
Klagend klinget ihre Weise,
Wie die Widder ohne Weide
Sie vor ihrem Treiber ziehn.

Zion denkt, gebeugt vom Leide,
Glücklicher Vergangenheit.
Ihre Heere sind gefallen,
Feindeslieder höhnend schallen —
Lauter Spott nach stillem Neide —
Ach, der Helfer ist so weit!

Zion, musstest so du fehlen!
Scheu vermeidet dich der Blick,
Deine Freunde selbst erbleichen
Und vor deiner Schande weichen —
Ach, sie lässt sich nicht verhehlen! —
Voller Schaudern sie zurück.

Tauchtest in den Schlamm der Sünde,
Dachtest nicht, was kommen mag.
Du zum Unheil Ausgeloste
Blickst vergeblich aus nach Troste.
Naht sich selbst der Reue Tag —
Wo ist, der Verzeihen künde?

Zion:
Herr, erhör mich, schenk Erbarmen!
Sieh, der Feind ist überstark,
Bricht die Zeichen meines Ruhmes,
Dringt in deines Heiligtumes
Schranken, zehrt an meinem Mark.
Herr, erhör mich, hilf mir Armen!

Hunger nagt an meinem Volke,
Und um kümmerliches Brot,
Nur für einer Stunde Labe
Gibt es seine letzte Habe,
Um zu scheuchen bittren Tod —
Hör es, Herr, in deiner Wolke!

Meine Wunden stehen offen,
Die der Herr im Zorn mir schlug.
Wandrer, kannst du ohne Grauen
Solcher Qualen Fülle schauen,
Wie noch keiner sie ertrug? —
Herz, mein Herz, willst du noch hoffen?

Feuersglut aus Gottes Händen
Rast in Seele und Gebein,
Meine Füsse sind verstricket,
Der Verzweiflung Schlange blicket
Lähmend mir ins Herz hinein —
Ach, wohin soll ich mich wenden!

Meiner Sünden Reis erblühet,
Herr, in deiner Zorneshand,
Schiesset züngelnd Zweiggewinde,
Dass es Hals und Arm mir binde,
Bis es ganz mich überwand,
Die vergeblich sich noch mühet.

Meine Starken warfst du nieder,
Meiner jungen Mannen Schar
Gabst du wildem Feind zum Raube,
Meine Tochter wie die Traube
Nach der Kelter stellt sich dar,
Da gefallen ihre Brüder.

Meine Augen — Tränenbäche,
Darf sich jemals Trost mir nahn?
Meine Söhne unterlagen,
Grimmer Feind hat sie erschlagen:
Tränen, rinnet eure Bahn —
Wer erbarmt sich meiner Schwäche?

Der Prophet:
Zion, ringst du auch die Hände,
Bleibt dir doch der Tröster fern.
Dass dich Feinde rings umgeben,
Grausam Hass und Rache weben,
Ist der Willensschluss des Herrn —.
Wer ists, der dein Schicksal wende?

Zion:
Herr, du bist gerecht! Gesündigt
Hab ich wider dem Gebot!
Muss — mich konnte Niemand retten —
Schmachten in der Knechtschaft Ketten,
Brachte meinen Kindern Tod;
Allen Völkern seis verkündigt!

Alle meine Freunde trogen,
Die ich rief in meiner Not;
Meine Priester, meine Alten,
Sich das Leben zu erhalten,
Bettelnd um ein Stückchen Brot
Sind sie durch die Stadt gezogen.

Herr, mir ist so angst und wehe,
Wie so bange ist das Herz!
Meinen wilden Kummer steigert,
Dass Gehorsam ich geweigert.
Hier die Pest, dort würgend Erz
Machen, dass ich ganz vergehe.

Wird mein Jammer nicht vernommen?
Will sich Niemand tröstend nahn?
Meiner Feinde arge Rotten
Fühllos meines Elends spotten. —
Herr, du bists, der das getan!
Wann soll mir Vergeltung kommen?

Meine Sünde, unvergesslich
Ist sie, ach, und übergross.
Doch die Frevel jener Frechen,
Vater, willst du die nicht rächen?
Weihe ihnen jetzt mein Los —
Denn mein Leid ist unermesslich!

2. Kapitel.

Der Prophet.
Seinen Grimm hat ausgegossen
Über Zion unser Gott.
Hoch von seines Thrones Schwelle
Bannt er Israel zur Hölle,
Macht es zu der Völker Spott,
Hat den Himmel ihm verschlossen.

Ausgetilget ohn Erbarmen
Ist, wo Jakob einst geweilt;
Judas Festen sind vernichtet,
Gott hat sie im Groll gerichtet,
Zions Reich ist aufgeteilt,
Ihre Fürsten gleichen Armen.

Israel und seinen Heeren
Blühte Kraft und stolze Pracht;
Gottes Zorn hat sie zerbrochen,
Durch die Feinde sich gerochen,
Hat ein Feuermeer entfacht,
Jakobs Lager zu verzehren.

Grausig spannte er den Bogen
Drohend wider Jakobs Land;
Was in Zions blumger Haide
Sprosste, eine Augenweide,
Tilgte er, von Wut entbrannt,
Und versenkts in Feuerwogen.

Wie ein Feind, mit Donnerwagen
Warf er Israel zu Hauf,
Stürzte Jakobs Prunkpaläste,
Schleifte Judas stolze Feste,
Türmte alles Unheil auf —
Weinen tönt, Geschrei und Klagen.

Wie man Unkraut reisst aus wüster
Erde, riss er Jakobs Zelt,
Liess den Feiertag verwehen,
Liess den Schabbat selbst vergehen,
Stürzte Zions ganze Welt,
So den König wie den Priester.

Seine eignen heilgen Hallen,
Seinen Altar gab er preis
Feinde, die vor Zion lauern,
Führte er in Zions Mauern,
Freuet sich des Siegsgeschreis,
Das die Heiden lassen schallen.

Lange schon war dir Verderben,
Tochter Zion, zugedacht —
Jetzt, die Sehne schwirrt am Bogen,
Kommt der Todespfeil geflogen,
Gottes Rache ist vollbracht,
Deine Mauer ward zu Scherben!

Unter den versunknen Toren
Ist verlöscht der letzte Schein
Von prophetischen Gesichten;
König nicht, noch Priester richten
Nach der Lehre, deren Schrein
An die Heiden ging verloren.

Sackumhüllt auf nackter Erde
Sitzet stumm der Greise Schar,
Zions Töchter gramvoll schweigen,
Trostlos ihre Köpfe neigen,
Asche streuen sie ins Haar
Mit verzweifelter Geberde.

Tränen meine Augen blenden,
Und das Herz im Leibe bricht,
Meines Volkes Not zu sehen,
Wie die Säuglinge vergehen,
Vor der Mutter Angesicht,
Und kann keine Labung spenden!

Ach, dein Leid ist ohne Ende,
Zion, wie der Himmelssaal;
Dein Verlust ist unvergleichlich,
Jedem Troste unerreichlich —
Wer bringt Lindrung deiner Qual,
Wer ist, der dir Heilung spende?

Ach, der trügrischen Propheten,
Die dich schmeichelnd einst geschont!
Hätten sie dich hart gescholten,
Deine Missetat vergolten,
Wärst du heute nicht entthront
Und erhört dein reuig Beten.

Staunend ruft der fremde Wandrer,
Der dich heut zuerst erschaut:
„Das wär aller Städte Krone,
„Das der schönste aller Throne,
„Das die Burg, von Gott gebaut!
„Nimmer glaub ichs, glaubs ein Andrer!“

Doch die feindlich frechen Spötter
Prahlen laut mit stolzem Mund:
„Jene hat sich einst gebrüstet,
„Jetzt ist sie von uns verwüstet
„Von dem Dache bis zum Grund —
„Dazu halfen unsre Götter!“

Längst schon hat dir Gott Verderben,
Tochter Zion, zugedacht —
Jetzt, die Sehne schwirrt am Bogen,
Kommt der Todespfeil geflogen,
Gottes Rache ist vollbracht,
Deine Mauer ward zu Scherben!

Hörst du deiner Feinde Höhnen?
„Tochter Zion, Tag und Nacht
„Lasse deine Tränen fliessen,
„Sie gleich Bächen sich ergiessen,
„Ewig hin ist deine Pracht,
„Und dir ziemt nur klagen, stöhnen.

„Durch die Gassen dringt das Weinen,
„Dringt das Wimmern bittrer Not.
„Schaue deiner Kinder Sterben,
„Die vor Hunger dir verderben;
„Hast ja keinen Bissen Brot —
„Es verschmachten deine Kleinen!“

Herr im Himmel, hab Erbarmen!
Wer ward je so heimgesucht!
Willst du, dass Gebärerinnen,
Um ihr Leben zu gewinnen,
Schlingen ihres Leibes Frucht?
Übe Gnade an den Armen!

In den Strassen auf der Erde
Lagern jammernd Kind und Greis.
Sollen Priester und Propheten,
Die in deinem Tempel beten,
Zu dir flehen innig heiss,
Grausam hingemordet werden?

Zion
Meine Knaben sind erschlagen,
Meine Töchter hingerafft.
Herr, es hat dem Zorn gewütet,
Keinen hast du mild behütet.
Deines Grimmes Leidenschaft
Häufte Leiden mir und Plagen.

Hast die Feinde aufgerufen
Wie zu Fest- und Lustgelag.
Hast in ihre Hand gegeben
Mein und aller Meinen Leben —
Herr, mich streckt dein Blitzesschlag
Tot zu deines Altars Stufen.

3. Kapitel.

Der Prophet.
Ich bin der Mann, der Elend hat erfahren.
Die Rute deines Grimmes trieb mich fort
In Finsternissen, jedes Schimmers baren.
Mit drohnder Geissel jagt von Ort zu Ort
Sein Zorn mich vor sich her in Ungewittern,
Dass Fleisch und Bein mir schwindet und verdorrt,
Wirkt mich in Kerker, wo nur Furcht und Zittern,
In Grabestiefe, in der Toten Reich,
Umschliesst, dass überfliesst das Mass des Bittern,
Mit Eisenketten Hand und Fuss zugleich.
Ich rufe — nur der eignen Stimme Schallen
Vernehm ich, und verstumme schreckensbleich.
Die Felsenblöcke werden mir zu Fallen,
Der Pfad verschlingt sich, wie in Hohn und Tücken,
Es drohn vom Dickicht eines Löwen Krallen,
Ein Bär versperrt den Weg in meinem Rücken,
Und wenn voll Angst und Schreck ich seitwärts flüchte,
Seh Pfeile ich nach meinem Herzen zücken.
Mein eignes Volk singt Spott= und Hohngedichte,
Lacht meiner tiefen Not den ganzen Tag,
Voll Schadenfreude siehts, wie zum Gerichte
Mir Bitternis bereitet werden mag,
Als Trank mir Wermut dienet, wie an Kieseln
Die Zähne ich zermalme, Geisselschlag
Mein Blut lässt in den Staub der Strasse rieseln.

Du, meine Seele, musst du ganz verzagen?
Ist aller Frieden, alle Hoffnung hin?
Muss ich in Ewigkeit dem Trost entsagen,
Weil ich getränkt mit Gram und Galle bin?
Wird all mein Leid mir nicht Verzeihn erbitten
Und nie erweichen unsres Uaters Sinn?
Er weiss, wie ich durch seinen Zorn gelitten!

Nein, nein, des Himmels Gnade hat kein Ende,
Von Tag zu Tag wird sein Erbarmen neu!
In Demut betend hebe ich die Hände:
Bezeuge an mir Armstem deine Treu!
Du bist mein Teil, auf dich nur will ich hoffen.
Dem bist du freundlich, der dein harrt in Scheu,
Geduldgen hält der Herr den Himmel offen. —
Wohl dem, der früh sich übet in Geduld,
Dem Herrn vertraut, wenn Unglück ihn getroffen,
Den Mund der Klage schliesst und ohne Schuld
Den Schmerz und selbst die Schande mag ertragen!
Nicht ewig zürnt der Herr, nur seine Huld
Ist unvergänglich. Schickt er Weh und Plagen,
So weint sein Herz. Und macht er uns erbangen,
Als wollte er den Erdball ganz zerschlagen —.
Gerechtigkeit ist einzig sein Verlangen!
Wer des Geringsten Recht zu beugen wagt,
Wird Gottes Beifall nimmermehr erlangen.
Was uns bekümmert je, was uns behagt,
Durch ihn allein geschahs — er hats befohlen!
Was wollt ihr, Toren, dass ihr murrend fragt:
„Warum ist dieses?“ — Euch ist nicht verhohlen,
Dass euer Fehl es ist, der euch bedrückt!
Prüft euer Herz, ob es nicht tief verstohlen
Das Unrecht hegt! Zum Ewgen geht und bückt
In Demut euch vor seiner Gnade Ruhme,
Bekennt begangne Missetat und pflückt
Um sein Verzeihn aufrichtger Reue Blume,
Erhebt zu seinem Throne Herz und Hand,
Anbetend ruft in seinem Heiligtume.
„Gesündigt haben wir in Unverstand,
„Durch Ungehorsam deinen Zorn geweckt;
„Gerechter Grimm hat uns und unser Land
„Mit Plagen, Not und tiefer Schmach bedeckt;
„Du hast dich hinter dichter Wolkenwand
„Vor uns und unserem Gebet versteckt;
„Du triebst uns hilflos an des Abgrunds Rand,
„Du stiessest uns in unsrer Feinde Rachen —
„Erhör uns, Uater, knüpf das alte Band!“
Allgütger, habe Mitleid mit den Schwachen,
Sieh meine Tränen unaufhaltsam fliessen!
Verzagend hör ich deines Donners Krachen
Und wälze mich im Staub zu deinen Füssen.
Ich lass dich nicht, bis dein Verzeihen winkt,
Huld und Erbarmen meinem Volke spriessen.
Mein Auge, das der Meinen Jammer trinkt,
Ist gramerblindet; meine Feinde hetzen
Mich rastlos, bis mein Leib zu Boden sinkt;
Sie werfen mich zur Grube und zerfetzen
Mit Steinen meine Glieder. Aus der Gruft
Ruf ich dich, den Verschmachtenden zu letzen.
Allgütger, lasse nicht in leere Luft
Verhallen meine Seutzer, meine Klagen!
Verstopfe nicht dein Ohr dem, der dich ruft!
Sprich du zu mir; ich solle nicht verzagen,
Du werdest meiner Seele Sache führen,
Ich dürfte aller Sorge mich entschlagen! —
Sieh meine Feinde an und lass dich rühren!
Des Unrechts Vögte, voller Neid und Geifer,
Die kannst du nicht zu deinem Werkzeug küren,
Verleumder sind sie — Heuchelei ihr Eifer!
Mit Hohn und Lug und zotgem Lästerspotte
Umtanzen mich die wüsten Gassenpfeifer:
Feind sind sie uns, feind sind sie unserm Gotte —
Ihr steinern Herz erschlage dein Gericht:
Herr Herr, verfolge du die arge Rotte,
Vertilge sie vor deinem Angesicht!

4. Kapitel.

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Der Prophet.
Ausgelöscht der Glanz des Goldes,
Wüst zerstöret Zier und Putz!
In der Gasse Winkeln liegen
Edelsteine unter Schmutz.

Zions edle Söhne, einstens
Voller Ehrfurcht nur betrachtet,
Werden jetzt von ihren Feinden
Töpferscherben gleich geachtet.

Selbst des Waldes wilde Tiere
Säugen sorglich ihre Jungen,
Meines Volkes Tochter aber
Ist zur Grausamkeit gezwungen.

Ihrem Säugling klebt die Zunge
An dem Gaumen, ihre bleichen
Kleinen hungrig schrein nach Brote,
Niemand kann es ihnen reichen.

Die dereinst verwöhnt, verzärtelt,
Sind zu Tode jetzt verschmachtet;
Tiefster Armut Graun umfänget,
Die sonst Seide nicht geachtet.
Deine Sünde, Tochter Zion,
Ist so gross und unerhört,
Grösser als die Schuld, die Sodom
Ohne Menschenhand zerstört.

Reiner waren deine Edlen
Einst denn Schnee, der frisch gefallen,
Ihres Wuchses Anmut strahlte
Mehr denn Saphir und Korallen.

Jetzt, verzerrt und notentstellet,
Wanken — wer erkennt sie wieder? —
Durch die Gassen sie, es schlottert
Schwarze Haut um dürre Glieder.

Glücklich, die im Schlachtgewühle
Von des Feindes Schwerte starben!
Ach, der Armen, die vor Elend,
Durch des Hungers Not verdarben!

In dem Jammer, der verwirrend,
Grausig Herz und Hirn bezwungen,
Haben meines Volkes Mütter
Ihre eigne Frucht verschlungen.

Herr, dein Grimm hat das gewaltet,
Herr, dein Zorn hat das vollbracht,
Feuer hat die Stadt verwüstet,
Sie dem Boden gleichgemacht.
Nicht der weiten Welt Bewohner,
Nicht die Könge dieser Erde
Glaubten, dass durch Feindesangriff
Zion je bezwungen werde.

Zion, deine Götzenpriester,
Deiner Lugpropheten Sang,
Die der Unschuld Blut vergossen,
Weihten dich dem Untergang.

Blutbesudelt Hand und Kleider,
Rasten wild sie durch die Gassen,
Die das Volk in Schreck und Grauen
Auf ihr Herrschgebot verlassen.

Beiden sahen voller Staunen
Guter Sitte schlimme Wende,
Und vernehmlich ward das Kaunen:
„Solchem Tun folgt schnelles Ende.“

Gott zerstreute sie und wandte
Zürnend ab sein Angesicht:
„Warum ehrt ihr eure Alten,
„Meine echten Priester nicht?“

Sehnend, mit vergebnem Hoffen
Spähn nach Rettung wir umher,
Bis sich müde senkt das Auge —
Dirgend naht ein helfend Heer.
Ach, in unsren eignen Gassen
Dränget uns der Feinde Plage,
Unser Ende ist gekommen
Und gezählt sind unsre Tage.

Schneller als auf Adlersfittig
Ist der Feind uns nachgesetzt,
Hat in Wüsten uns erlauert,
Auf den Bergen uns gehetzt.

Unser Hort, des Herrn Gesalbter,
Ist gefangen. Ach, wir hatten
Uns getröstet, bei den Heiden
Auszuruhn in seinem Schatten!

Jauchze nur, du Tochter Edom,
Juble in der Heimat Lande —
Über dich auch kommt Vergeltung,
Leidenskelch und Kelch der Schande!

Deine Sünde, Tochter Edom,
Wird gar bald ans Licht gewendet —
Fasse Mut, du Tochter Zion,
Deine Sühne ist beendet!

5. Kapitel.

Sieh unser Elend, Herr, und unser Schrein
Vernimm! Der Fremde wohnt in unsrem Erbe;
Du ludst der Witwen und der Waisen Pein
Auf uns. Doch willst du, dass dein Volk verderbe,
Dass ohne Heim es finde frühen Tod,
Dass in der Heiden Joch es elend sterbe?
Egyptern frohnden wir um karges Brot,
Nach Assur reichen heischend wir die hände.
Und sollen für der Väter Sünde Not
Wir ewig leiden? Dass die Knechtschaft ende,
Uns aus der Dränger Macht ein Retter löse,
Nach tiefem Fall sich unser Schicksal wende —
Das füge du! Es will die Not, die böse,
Dass unser Schwert die Nahrung muss erringen
In täglich neuen, harten Kampfs Getöse.
Des Hungers herber Schmerz will uns bezwingen,
Uns drückt des Mühlsteins Last, des Balkens Bürde,
Wir sahn, wie Feinde unsre Fürsten fingen,
Sie nicht geschont, nicht Fraun noch Alters Würde.
Es dörret unsre Haut in Wüstenhitze,
Es singt der Jüngling nicht mehr in der Hürde,
Die Alten meiden ihrer Musse Sitze.
Des Herzens Freude ist versiegt, die Krone
Herabgeschleudert durch des Himmels Blitze
Von unsrem Haupt zu unsrer Sünden Lohne.
Das Herz verzagt, das müde Auge bricht,
Will Zion nimmer sehen, das zum Hohne
Dem Feind geworden. Herr, dein ewges Licht
Ist unvergänglich wie dein Throngezelt;
Willst du uns ewig zürnen? ewig nicht
Dich unsrer Not erbarmen? Herr der Welt,
O lass die Rückkehr gnädig uns bereiten,
Gewähr uns Heimkehr, bau des Friedens Zelt,
Erneure unsre Tage wie vor Zeiten!