Chanukkah

Was ist Chanukkah? Mai Chanukkah?

„Mai Channuka?“ fragt der Talmud. „Was ist Channuka?“ Dies ist vordergründig leicht erklärt; zum Beispiel, indem man mit dem historischen Hintergrund der Feier beginnt: Im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung siegten die Makkabäer gegen die griechische Besatzung und reinigten den Tempel von fremden Kulten. Doch als man den siebenarmigen Leuchter, die Menora, anzünden wollte, fand sich nur reines Öl für einen Tag. Der Legende nach brannte der Leuchter dennoch acht Tage lang, so dass genug Zeit blieb, neues Öl für den Tempelkult herzustellen. In Erinnerung daran wird im jüdischen Haushalt acht Nächte lang jeweils eine zusätzliche Kerze an einem speziellen Leuchter, der Channukia, angezündet.

Man kann Channuka auch erklären, indem man von den beliebten Bräuchen erzählt: Man spielt mit einem Kreisel, man singt Maoz Tsur, man backt Latkes, eine Art Pfannkuchen. Die Leuchter werden so platziert, dass sie sichtbar sind: Am Fenster, in der Synagoge, vermehrt veranstalten religiöse Gruppen auch mitten in der Stadt ein öffentliches Anzünden einer Riesen-Channukia, um von dem Wunder zu künden. Frauen arbeiten nicht, während die Kerzen brennen; sie sind zu dieser Mitsva verpflichtet – ausnahmsweise, denn die Erfüllung zeitlich gebundener Gebote steht einer Frau in der Regel frei.

Man kann, in guter jüdischer Tradition, bei der Erklärung des Festes auch eng am Wort haften: Channuka bedeutet „Einweihung“ und bezieht sich damit auf die Reinigung des Tempels. Eine andere Deutung übersetzt – da jeder hebräische Buchstabe auch einen Zahlenwert hat und das Verb chana „lagern“ bedeutet – wie folgt: „Sie ruhten am fünfundzwanzigsten“ [des Monats Kislev].

Und damit beginnen die Probleme: Wieso am 25. des Monats? Jüdische Feste pflegen in der Mitte eines Monats zu beginnen, in Vollmondnächten – denn der jüdische Monat beginnt mit dem Neumond. Nun kann man sicherlich einwenden, Channuka erinnere eben an ein historisches Ereignis, was den verschobenen Termin erklären würde. Dennoch ist Channuka in mehrfacher Hinsicht ein Ausnahmefall.

Dass es sich um kein Fest handelt, das die Torah vorschreibt, ist an sich unproblematisch. Der jüdische Kalender kennt zahlreiche Gedenktage, die später eingefügt wurden, um markante Geschehnisse in der Geschichte der Israeliten zu würdigen. Doch erinnerte Channuka ursprünglich an den Sieg über assimilatorische Tendenzen, ist die Herkunft mancher heutiger Bräuche gerade Ausdruck von Assimilation. Dies ist kritisch, denn nicht nur der Monotheismus ist für Jüdinnen und Juden verpflichtend, sondern auch ein weitergehendes Gebot, keinen hukkat ha-goi, einen „Brauch der Völker“ zu übernehmen. Nun ist die Debatte, wie weit dieses Verbot unjüdischer Lebensführung reicht, omnipräsent und zentraler Streitpunkt unter den verschiedenen Strömungen des Judentums, manchmal auch innerhalb der Familien selbst. Doch jeder Jude, der sich als gläubig, aber kritisch versteht, muss sich ernsthaft fragen, ob Channuka nicht ein solcher verbotener, heidnischer Brauch ist, oder es zumindest mit der Zeit wurde.

Da wäre zunächst einmal das Weihnukka-Problem. „Aber Papa“, fragte der kleine jüdische Junge verstört, „feiern die Christen denn auch Weihnachten?“ Mit diesem Witz pflegt mein Vater zu erklären, wie sehr die liberalen Juden in Deutschland einst in die christlichen Bräuche eingebunden waren. Auch heute spielt Channuka in der Praxis jüdischen Lebens eine größere Rolle, als ihm als kleineres Fest des Kalenders eigentlich zukommen sollte. Zwar wird überraschenderweise auch an Channuka Hallel gesagt – was sonst bei rabbinischen Festen unbekannt ist. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass Psalm 135 von denen spricht, die „im Haus G’ttes, in den Höfen des Hauses unseres Herrn“ stehen, was an den Tempel gemahnt. Aber auch wenn von der Liturgie her somit eine Annäherung an die Feste der Torah vorgenommen wurde, nehmen viele Jüdinnen und Juden Channuka inzwischen deutlich wichtiger als Sukkot oder Shavuot – beides einst zentrale Punkte des jährlichen Zyklus. Zweifellos führte aber auch der Weihnachtsrummel zur Aufwertung des Festes im Dezember. Zumindest in den Vereinigten Staaten kann man neben Weihnachtdekoration ähnliche „Channuka Decorations“ kaufen. Channuka war auch ursprünglich kein Fest, an dem es Geschenke gab. Jüdinnen und Juden beschenkten sich zu Purim, oft zu Rosch HaSchana, und Kinder wurden in der Pessachnacht mit der Aussicht auf ein Afikoman (wörtlich: einen „Nachtisch“) wachgehalten. Aber der Druck der christlichen Umwelt hat es in Europa und den Vereinigten Staaten dennoch zu einem Geschenkfest gemacht – oft wird an jedem der acht Tage eines ausgepackt. Da es in Deutschland zahlreiche gemischte Ehen zwischen Juden und Christen gibt, und die Feste sich zeitlich meist überschneiden, sind die Symbole oft auch noch in einer einzigen Wohnung vorzufinden – was nicht nur für Kinder verwirrend sein kann.

Da die christliche Religion wesentlich weniger streng bezüglich der Rezeption heidnischer Elemente war und ist, kennt auch das Weihnachtsfest selbst Rituale aus Dritt-Religionen: Der Mistelzweig dürfte keltisch sein, die Dekoration mit Stechpalme ist vermutlich römisch, da es sich um eine Opferpflanze für Saturn handelte. Saturn wiederum war übrigens voraussichtlich eine etruskische Gottheit, so dass hier eine mittelbare Einflussnahme eines recht weit zurück liegenden Kultes anzunehmen ist.

Und genau hier liegt das allergrößte Problem, das Channuka bietet: Inwieweit wurden Bräuche der römischen Religion übernommen? Die Frage liegt sicherlich für viele gläubige Jüdinnen und Juden nicht derart auf der Hand wie die Abgrenzung zum christlichen Fest, schon weil die römische Religion nicht mehr praktiziert wird, wohingegen man sich weihnachtlichen Symbolen kaum entziehen kann. Fest steht: Eigentlich jede Religion feierte in der dunkleren Jahreszeit ein Fest, an dem das Licht eine zentrale Rolle spielte. Fest steht auch, dass die Geschichte vom Wunder des Tempelleuchters relativ spät dokumentiert ist – in der Mischna findet sich kein derartiger Hinweis. Dies wird allerdings teilweise dadurch erklärt, dass die Rabbiner unter der – inzwischen römischen – Besatzung eine Geschichte vom Sieg weniger mutiger Juden über eine militärische Übermacht nur zurückhaltend erzählen durften, denn ein Guerrilla-Krieg war verständlicherweise etwas, was bei der römischen Armeeführung Nervosität auslöste. Ab wann Channuka mit einem Wunder im Tempel in Verbindung gebracht wurde, ist daher nicht abschließend geklärt. Von einigen Weisen wird sogar die Nähe zu Sukkot für die achttägige Dauer angeführt – beide Feste würden das Thema des „Behaust-Seins“ thematisieren. Dass es aber genau zu der Zeit, wo heute Channuka liegt, ein römisches Fest zu Ehren von Saturn gab, an dem man sich gegenseitig mit Kerzen beschenkte, dürfte den frommen Juden beunruhigen, sobald er es erst einmal erfahren hat. Im schlimmsten Fall sieht es dann also so aus: Neben einem – keltischen – Tannenbaum entzündet man einem römischen Brauch zufolge Kerzen, was einem etruskischen Götzenritual entspricht. Und das alles für ein jüdisches Symbol – den Tempel – welches heute ebenfalls sehr umstritten ist.

Zwar wird die Errichtung des dritten Tempels anlässlich der messianischen Erlösung im täglichen Gebet noch immer herbeigefleht; sehr liberale Strömungen lassen dies aber gänzlich aus, und andere Gruppen streiten zumindest um den Stellenwert des Tempels. Teils wird eine Abwertung des Synagogeng’ttesdienstes befürchtet; und viele lehnen Tieropfer ab. Gefeiert wird also die Wiedereinführung von Ritualen, die viele Jüdinnen und Juden heute befremden würden. Channuka ist ein Fest mit fragwürdiger Herkunft und schwierigem Aussagegehalt. Es ist (vielleicht neben Schemini Atzeret) das rätselhafteste Fest des jüdischen Kalenders. Ist Channuka-Feiern koscher? Es ist das am meisten gefeierte Fest in der jüdischen Welt; auch nicht sehr religiös geprägte Familien begehen es, und Bedenken hiergegen wären zumindest eins: Unpopulär.

Man kann die Einwände aber zerstreuen, wenn man darüber nachdenkt, was wir an Channuka feiern. Obwohl nur noch eine winzige Menge reinen Öls für den Tempelleuchter aufzufinden war, kam trotz der intensiven Assimilation an die griechische Kultur, die das jüdische Volk vorher hatte durchlaufen müssen, offenbar niemand auf die Idee, unreines Öl hierfür zu verwenden, und sei es nur für einen Übergang. Wir feiern nicht so sehr, dass der Leuchter acht Tage lang brannte, sondern dass die, die ihn wieder entzündeten, lieber bescheidenere, aber den Geboten entsprechende Mittel verwendeten als den äußerlichen Effekt mit unreinem Öl herbeizuschummeln. Sie räumten dem Gesetz Vorrang vor der Ästhetik ein. Und hatten damit die Hellenisierung der Israeliten beendet.

Dies sollte ein Vorbild sein, und in dieser geistigen – nicht so sehr der militärischen – Souveränität lag der eigentliche Sieg der Makkabäer. Während die Kerzen angezündet werden, sagen wir traditionell Haneros Halelu, ein Text, der ermahnt, die Kerzen würden für die Zeichen, Wunder und Rettungen angezündet und dürften keinem profanen Gebrauch dienen. Während der ganzen acht Tage von Channuka seien sie „kodesch“, heilig, und man dürfe sie lediglich ansehen. Die Kerzen auf der Channukia sind zweckfreie Symbole. Für was, darüber wird weiterhin diskutiert werden.

Die Frage: Mai Channuka? erweist sich somit als überraschend schwierig und dürfte immer noch nicht beantwortet sein.