Chanukkah

Zur Torahlesung an Chanukkah

Aus den Legenden zur Schriftvorlesung am Chanukkahfest

Zur Einführung

In der Auswahl der für die Chanukkah-Tage zur Vorlesung bestimmten Schriftstellen aus der Thora und den Propheten tritt deutlich Absicht und Zielsetzung der Menschen zutage, die die Liturgie der Synagoge geschaffen haben.

Man hätte in den fünf Büchern Mose manches Stück wählen können, das von Befreiungskämpfen Israels handelte. Statt dessen sonderte man aus der ganzen Kette der damaligen Geschehnisse nur die Reinigung und Wiedereinweihung des durch das aufgestellte Zeusbild entweihten Tempels aus und bestimmte als Schriftvorlesung die Bibelstelle, die von der Einweihung des Stiftszeltes in der Wüste durch Mose handelt, 4. B. Mose, Kap. 7.

Sie ist farblos, erzählt nur von den Opfern, die die 12 Stammesfürsten dargebracht haben. Man merkt an der Auswahl gerade dieses Stückes deutlich die Absicht, das Kriegerisch-Kämpferische der Chanukkahgeschichte in den Hintergrund zu rücken und ihren Sinn vor allem darin erblicken zu lassen, dass der Tempel auf Zion wieder die Erde mit der Majestät des einig-einzigen Gottes erfüllen solle. Davon erzählt auch die erste Legende, die hier wiedergegeben wird.Man hat außerdem noch zur Prophetenvorlesung am Schabbat des Chanukkahfestes ein Kapitel bestimmt, in dem diese Ablehnung des Machtgedankens mit besonderer Schärfe zum Ausdruck kommt: Secharjah Kap. 2,17-4,7. Diese Vorlesung beginnt mit dem Verse: „Still alles Fleisch vor Gott, wenn er sich erhebt von seiner heiligen Wohnung!“ Und sie gipfelt in dem berühmten Satze, der alles auf Kriegskraft Pochende zurückweist:

„Nicht durch Heeresmacht und nicht durch Kraft, sondern nur durch meinen Geist, spricht der Herr Zebaoth“ (4, 6). Indem diese zwei Abschnitte zur Chanukkahlektion erhoben wurden, rücken zugleich, weit über das begrenzte Thema von Chanukkah als einem einmaligen geschichtlichen Ereignis heraus, die Legenden ins Bewusstsein, die in der Auslegung der Alten – „Midrasch“ genannt – an diese Bibelstellen anknüpfen. Aus ihrer Fülle seien zwei wiedergegeben:

I

Auf den ersten Satz der Thoravorlesung: „Und es war als Mose die Aufstellung des Heiligtums beendet hatte“ -, bezieht sich die folgende Legende; ihr gedanklicher Hintergrund ist die mystische Lehre, dass es sieben übereinander gelagerte Himmel gäbe (Tanchuma zu 4. B. M. Nr. 16) :

Rah Samuel bar Nachman sagte: als der Heilige, gelobt sei er, die Welt erschuf, war sein Wunsch, drunten unter den Irdischen eine Wohnstatt zu haben, wie er sie unter den Himmlischen hat. Darum schuf er den Menschen.

Er gab ihm ein Gebot, das er halten sollte, befahl ihm: von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, Dur von dem einen Baum, der Erkenntnis des Guten und Bösen, sollst du nicht essen. Aber der Mensch übertrat das Gebot. Da sprach Gott: wie hatte ich mich gesehnt, drunten unter den Irdischen eine Wohnstatt zu haben, wie ich sie unter den Himmlischen habe! Ein Einziges habe ich von dir verlangt und du hast nicht darauf geachtet Und sofort zog der Heilige, gelobt sei er, die Wohnung seiner Majestät auf den ersten Himmel zurück.

Als Kain seinen Bruder tötete, hob er seine Wohnung empor in den zweiten Himmel. Enoschs Geschlecht begann damit, Vergängliches göttlich zu verehren, es trieb als erstes Götzendienst, erzürnte Gott durch solche Tat, und weiter zog er sich zurück in den dritten Himmel. Als das Geschlecht der Sintflut den Weg seiner Sünde ging, stieg er weiter hinauf in den vierten Himmel. Als gar die Menschen des Turmhaus ihren Übermut ins Ungemessene steigerten, hob er die Wohnung seiner Majestät um wieder eine Stufe hinauf in den fünften Himmel. Die Männer von Sodom erfanden neue Sünden, und weiter entfernte Gott sich in den sechsten Himmel. Amraphel und seine Bundesgenossen erfüllten die Erde mit Kriegslärm und Gewalttat (I. B. Mose Kap. 14), und Gottes Majestät zog sich zurück in den siebenten Himmel. Da aber erstand Abraham und häufte Guttat auf Guttat, dadurch wurde die Majestät Gottes wieder vom siebenten in den sechsten Himmel heruntergeholt. Isaak bot sich widerspruchslos zum Opfer, und sie wandte sich wieder näher den Menschen zurück in den fünften Himmel. Als Jakob in seinem Lebensweg seine Sünde büßte, stieg sie weiter hinab in den vierten Himmel. Levi, Jakobs Sohn, fügte sich der Strafrede seines Vaters, und näher kam die Majestät Gottes der Erde, hinab in den dritten Himmel. Kehat, Levis Sohn, wirkte, daß sie in den zweiten Himmel zurückkehrte. Als Amram Israel in Ägypten mit fester Hand leitete, stärkte und aufrichtete, und als er, unbekümmert um die Not der Zeit und trotz des sicheren Verderbens, dem jeder Neugeborene ausgesetzt war, den Mut hatte, Mose zu zeugen, öffnete der erste Himmel sich wieder Gottes Majestät.

Am Tage aber, da Mose das Heiligtum errichtete, wie heißt es da? „Gottes Herrlichkeit erfüllte das Heiligtum“

(2. B. M:. (40, 35); nun war sie wieder heimisch auf Erden, mitten unter den Menschen. Das ist’s, was geschrieben steht: „Fromme wohnen auf der Erde“

(Spr. 2, 21), lies nicht: jischkenu = „sie wohnen“, sondern lies: jaschkinu = „sie lassen wohnen“, sie machen, dass Gottes Majestät auf Erden wohnt.

II

In einer gänzlich anderen Richtung bewegt sich die Legende zur Prophetenvorlesung. Sie knüpft an den Eingangssatz an: „Still alles Fleisch vor Gott, wenn er sich erhebt von seiner heiligen Wohnung.“ (Secharjah Kap. 2, V. 17) und lautet also (Jalkut zur Stelle):

Rabbi Pinchas sagte im Namen von Rabbi Re’uben: fünf Mal richtet David im ersten Buch der Psalmen an Gott die Aufforderung, sich machtvoll zu erheben. „Erhebe Dich, Ewiger: hilf mir mein Gott“ (Ps. 3, V. 8); „erhebe Dich, Ewiger, in Deinem Zorn“ (Ps. 7, V.7); „erhebe Dich, Ewiger, dass nicht der Mensch sich erdreiste“ (Ps. 9, V. 20); „erhebe Dich, Ewiger, Gott, strecke Deine Hand aus, vergiss die Demütigen nicht“ (Ps. 10, V. 12); „erhebe Dich, Ewiger, komme ihm zuvor, dem Bösewicht“ (Ps. 17, V. r3).

Sprach der Heilige, gelobt sei er, zu ihm: David, mein Sohn, und wenn Du tausendmal mich aufforderst, daß ich mich erheben soll, ich erhebe mich nicht. Wann erst erhebe ich mich? Wenn ich sehe, wie Arme beraubt werden und Dürftige wehklagen. Das ist’s, was geschrieben steht: „wegen der Gewalttat an den Armen, wegen des Wehgeschreis der Dürftigen, jetzt erhebe ich mich spricht der Ewige“ (Ps. 12, V.6).