Judentum erklärt

Über den Messias

Zwölfter Glaubenssatz:
»Ich glaube fest an das Kommen des Messias; und mag es auch noch so ferne scheinen, so hoffe ich doch täglich auf sein Kommen.«

Als Abraham von Gott erwählt wurde, der Gründer eines Volkes zu werden, das die Einheit Gottes lehrt, als ihm das Geheiß wurde, sich von seinen Verwandten und Freunden zu trennen und als Fremdling in ein fremdes Land zu wandern, da sollte nicht er den ihm versprochenen Segen gleich genießen, sondern erst seine Nachkommen in ferner Zukunft: »Alle Völkerfamilien der Erde sollen durch dich gesegnet werden« (Gen.12, 3).
Dasselbe Versprechen wurde wiederholt, als Abraham die Prüfung bestand und bereit war, dem Willen des höchsten Wesens gehorsam jedes Opfer zu bringen: »Alle Völker der Erde sollen durch deine Nachkommen gesegnet werden« (ebend. 22, 18).
Die Überzeugung, dass die Nachkommen Abrahams die Auszeichnung und die Mission haben, für die ganze Menschheit eine Quelle des Segens zu werden, wurde von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt; von Abraham durch Isaak zu Jakob oder Israel, dessen Nachkommen, die Israeliten, die ererbte Aufgabe als besonderen Schatz bewahrten. Vor dem Empfang der zehn Worte am Berge Sinai wurden die Israeliten an diese ihre Mission mit den Worten erinnert: »Und ihr sollt mir ein Reich von Priestern sein und ein heiliges Volk« (Exod.19, 6). Nicht durch Waffengewalt oder Überredung sollten sie die ganze Erde beeinflussen, sondern durch das Vorbild eines edlen, reinen und heiligen Lebenswandels. Eine besondere Stätte wurde ihnen ausgesucht, wo sie, abseits von der übrigen Welt, in wahrer Gottesverehrung und in der Ausübung der Tugend erzogen werden sollten. Zion und Jerusalem wurden im Laufe der Zeit das religiöse Zentrum, von dem »die Lehre ausging und das Wort Gottes«.
Die Israeliten vernachlässigten ihre Mission und wurden ihrer heiligen Aufgabe untreu. Anstatt andere Völker zur wahren Gottesverehrung anzuleiten, ließen sie sich von ihnen zum Götzendienst verführen; anstatt ein lauteres Leben der Gerechtigkeit und Redlichkeit zu führen, ergaben sie sich dem Luxus und der Lust, waren ungerecht und bedrückten ihre Mitmenschen. Sie wurden bestraft. Leiden folgten auf Leiden; sie verloren ihre Unabhängigkeit und ihren religiösen Mittelpunkt.

Die Männer Gottes, die Propheten, von Moses bis zum letzten der Propheten Maleachi verkündeten die Katastrophe im Voraus, fügten aber gleichzeitig Worte des Trostes und der Ermunterung hinzu, indem sie auf eine ferne Zukunft hinwiesen, da »die festgesetzte Zeit des Leidens vollendet sein werde und ihre Schuld gesühnt«; da Israel in sein Land zurückkehren würde und unter Führung des Messias »des Gesalbten des Herrn« erfüllt sein würde von der Gottesfurcht und dem ernsten Wunsche, zu tun, was gerecht und richtig ist. Moses sagte in einer seiner letzten Reden von Israel: »Wenn all dieses, der Segen und der Fluch, den ich dir vorgelegt habe, über dich kommen wird, und du es dir zu Herzen nimmst unter allen Völkern, unter die dich der Ewige, dein Gott, verstoßen hat, und du zurückkehrst zu dem Ewigen, deinem Gotte, und auf seine Stimme hörst in allem, was ich dir heute gebiete, du und deine Kinder, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele, so wird der Ewige, dein Gott, dein Geschick wenden und Mitleid mit dir haben und dich wieder sammeln aus allen den Völkern, unter die dich der Ewige, dein Gott, zerstreut hat. Wenn einer deiner Verstoßenen an den äußersten Enden des Himmels sich befindet, so wird auch von dort der Ewige, dein Gott, dich sammeln und von dort wird er dich holen« usw. (Deut. 30,1—3). Die herrlichen Zeiten des Messias werden von Jesaja in folgenden Worten beschrieben: »Am Ende der Tage wird der Berg des Gotteshauses als der höchste der Berge feststehen und erhaben sein über die Hügel, und alle Völker werden zu ihm hinströmen. Und viele Völker werden gehen und sprechen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Ewigen gehen, in das Haus des Gottes Jakobs, und er wird uns seine Wege lehren, und wir wollen wandeln auf seinen Pfaden, denn von Zion wird die Lehre ausgehen und das Wort Gottes von Jerusalem. Und er wird Gericht halten unter den Völkern, und viele Völker zurechtweisen; und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern; kein Volk wird mehr das Schwert gegen das andre erheben, noch werden sie überhaupt den Krieg erlernen« (Jes. 2,2—4).

Dasselbe wird mit fast gleichen Worten von Micha (4,1-4), einem Zeitgenossen des Jesaja, geweissagt. Der Friede der messianischen Zeit wird bildlich von Jesaja in folgenden Versen beschrieben: »Und der Wolf wird bei dem Lamme wohnen und der Leopard sich niederlegen bei dem Böckchen; Kalb und junger Löwe werden zusammen weiden, und ein kleiner Knabe führet sie. Kuh und Bär werden weiden: ihre Jungen werden nebeneinander lagern, und der Löwe wird Stroh essen wie das Rind. Und der Säugling wird an der Höhle der Otter spielen, und das entwöhnte Kind wird seine Hand auf die Grube der Natter legen. Sie werden nicht schaden noch zerstören auf meinem ganzen heiligen Berge; denn die Erde wird voll sein der Erkenntnis des Ewigen, wie Wasser das Meer bedeckt« (Jes. 11,6—9).

In den Tagen des Messias werden alle sich vereinen, die Einheit Gottes und seine Verehrung zu künden: »Und der Ewige wird König sein über die ganze Erde: an jenem Tage wird der Ewige einzig sein und sein Name einzig« . (Sachar. 14,9). »Dann will ich den Völkern eine lautere Sprache schaffen, dass sie alle den Namen des Ewigen anrufen, ihm einstimmig zu dienen« (Zeph. 3,9). Die Israel und seinem Lande verliehene Auszeichnung wird wiederum in all ihrer Herrlichkeit erscheinen: Israel wird zwar bestraft, seiner Unabhängigkeit beraubt, zuzeiten sogar verachtet und übel behandelt; aber bei alldem wird es von Gott geliebt und nicht für immer von ihm verworfen. Jesaja prophezeit folgendes: »Bedenke dies, Jakob und Israel, denn du bist mein Knecht: Ich habe dich gebildet; du bist mein Knecht; Israel, du wirst von mir nicht vergessen werden« (Jes. 44,21). »Denn die Berge werden weichen, und die Hügel wanken; aber meine Liebe wird nicht von dir weichen und mein Friedensbund nicht wanken, spricht der Ewige, der sich deiner erbarmt« (ebend. 54,10). Vgl. 59, 20, 21; 60,19—21; 66, 22; Jer. 33, 25,26; Hos. 2, 21,22.
Die Israel während seiner Bestrafung verachtet und übel behandelt haben, werden ihr Verhalten bereuen, wenn sie Zeugen seiner wunderbaren Erlösung sind. Ihre Reue wird von Jesaja schön ausgemalt an der Stelle, die beginnt: »Siehe, mein Knecht wird Erfolg haben« (52, 13). Israel, Gottes Knecht, erträgt geduldig Beleidigung und Verfolgung und wartet vertrauensvoll auf die Erfüllung des göttlichen -Versprechens. Israels Unterdrücker werden dann, wenn sie sehen, wie Gott es liebt, ihr Unrecht eingestehen und bekennen, dass Israel durch ihre Hand unschuldig gelitten hat. Mit der Erlösung Israels verbunden ist die Wiederaufrichtung des Thrones Davids. »Ein Reis aus dem Hause Davids« wird an der Spitze des Volkes stehen, auf dem »der Geist des Ewigen ruhen wird, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht« (Jes. 11, 2).
So prophezeit Jeremia: »Siehe, die Tage kommen, spricht der Ewige, dass ich David erwecken werde einen rechten Spross, und er wird regieren wie ein König und weise handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Lande. In jenen Tagen wird Jehuda gerettet werden und Israel sicher wohnen; und dies ist sein Name, mit dem man ihn benennen wird: der Ewige ist unsere Gerechtigkeit« (25,5, 6). Alle Attribute des Messias sind die eines menschlichen Wesens in seiner höchstmöglichen Vollendung. Keine übermenschlichen Eigenschaften werden ihm beigelegt; all sein Ruhm, all sein Erfolg ist abhängig von dem Willen Gottes. Er ist ein idealer Mensch und ein idealer König, doch nicht mehr; wenn Wunder geschehen sollen, so ist es nicht der Messias, der sie ausführen wird, sondern Gott, der Wunder vollbringt für den Messias und für Israel. Von der Ankunft des Messias wird nicht erwartet, dass sie die Natur des Menschen ändert, viel weniger den Lauf der Welt um uns. Der einzige Wandel, den wir erwarten, besteht darin, dass die Einheit Gottes allgemein anerkannt wird und Recht und Gerechtigkeit überall auf Erden blühen werden. Die an eine übermenschliche Natur des Messias glauben, machen sich des Götzendienstes schuldig. Unsre Weisen sprechen dies Prinzip in den Worten aus אין בין העולם הזה לימות המשיח אלא שעבור מלכיות בלבד »Nur dadurch unterscheidet sich die Gegenwart von den Tagen des Messias, dass Israels Unabhängigkeit wiederhergestellt sein wird.«

Im Talmud wird im Namen eines Rabbi Hillel — nicht des großen Hillel, des Babyloniers — eine Ansicht vertreten, nach der »es für die Israeliten keinen Messias gäbe, weil sie den Segen des Messias schon unter der Regierung des Chiskia genossen hätten« (Babyl. Talm. Sanhedrin 98b). Dies kann sich nur auf die wunderbare Niederlage des Feindes beziehen und die unmittelbaren Wohltaten, die die Israeliten daraus gewannen. Aber der Rabbi verwirft durchaus nicht unsern Glauben, dass der Messias kommen wird und mit ihm die allgemeine Verehrung des einzigen Gottes, die allgemeine Übung der Tugend in allen ihren Formen, allgemeiner Friede und allgemeine Glückseligkeit1 Nach Raschi wollte Rabbi Hillel sagen, dass die Juden von keinem Messias würden erlöst werden außer von Gott selbst. Vgl. Hagada für den Sederabend:. Hillel fand übrigens für seine »Und ich will durch das Land Ägypten ziehen; ich selbst und nicht ein Engel.« Ansicht keinen Anhang; im Gegenteil wird ihm sofort sein Irrtum gezeigt, dass er nämlich die Propheten nach Chiskia vergaß. Es gibt Theologen, die die messianische Zeit für den vollkommensten Zustand der Zivilisation halten, aber nicht an die Wiederaufrichtung des Davidischen Reiches, noch an den Wiederbau des Tempels glauben, auch nicht daran, dass die Juden Palästina wiederbesitzen werden. Sie verwerfen ganz und gar die nationale Hoffnung der Juden. Diese Theologen erklären entweder die Lehre der Bibel und die Verheißungen der Gottesmänner für unrichtig oder kennen sie gar nicht.

Schließt die Ankunft des Messias und der Wiederbau des Tempels in Jerusalem die Wiedereinrichtung des Opferdienstes ein?

Der letzte der Propheten Maleachi erklärt, dass »dann das Opfer Jehudas und Jerusalems dem Ewigen angenehm sein wird, wie in den Tagen der Vorzeit, wie in längst vergangenen Jahren« (Mal. 3, 4). In demselben Geiste sprechen alle Propheten, und wenn Propheten in einigen Fällen Opfer rügen, so rügen sie nur die Opfer der Gottlosen. Den Opfern muss die Reinigung des Herzens vorhergehen und der ernste Entschluss, dem Worte Gottes zu gehorchen, sonst mehren sie die Sünde. Wenn wir unsrer Sehnsucht nach dem Wiederbau des Tempels und der Wiedereinrichtung des Tempeldienstes — der Rückkehr der Priester in ihren Dienst und der Leviten zu ihrem Gesang und Spiel — Ausdruck verleihen, so liegt darin nur unser Wunsch nach Gelegenheit, Gott nach seinem Willen und seinem Gebote zu dienen, und nicht ein Gefühl, das je nach der Mode oder dem Geschmack sich ändert. Durch unsre Sünden haben wir unsren Tempel verloren; der Wiederaufbau des Tempels und die Wiedereinrichtung des Opferdienstes werden das Ergebnis unsrer eignen Läuterung und der darauf folgenden göttlichen Vergebung sein.

Wann wird dies stattfinden?

Wir wissen es nicht und bescheiden uns bei der Überlegung, dass die Zeit unsrer Erlösung zu »den verborgenen Dingen gehört, die des Ewigen, unsres Gottes« sind. »Wenn sie lange zögert,« sagt Habakuk, »harre darauf, denn sie kommt sicherlich und nicht später als zur festgesetzten Zeit« (2,3). Gewisse Zahlen von Tagen und Wochen werden im Daniel erwähnt, aber es steht nicht fest, wie sie zu rechnen sind und auf welche Zeitperiode sie angewandt werden sollen: ob auf die Zeit der Rückkehr unter Serubabel, auf die Zeit der Makkabäer, auf die Zerstörung des Tempels oder auf die Zukunft und schließliche Erlösung. Es ist auch möglich, dass diese Zahlen symbolische Bedeutung haben, in bezug auf diese geheimnisvollen Zahlen sagt Daniel (12,8—10): »Und ich hörte dies, aber ich verstand es nicht; da sagte ich: O mein Gott, was wird das Ende von alledem sein? Und er antwortete: Geh, Daniel; denn die Worte bleiben verschlossen und versiegelt bis zur Endzeit. Viele werden gesichtet, gereinigt und geläutert werden; aber die Gottlosen werden Böses tun, und keiner der Gottlosen wird Einsicht haben; aber die Weisen werden es verstehen.« Diese Worte Daniels sind eine Warnung an alle, die geneigt sind, mit den von Daniel angegebenen Zahlen das genaue Jahr des Messias berechnen zu wollen. Viele haben die Warnung nicht beachtet und sind in grobe Irrtümer verfallen. Pflicht des frommen Israeliten ist, Vertrauen auf Gottes Weisheit, Güte und Macht zu haben: »Der Fromme wird durch seinen Glauben leben« (Hab. 2, 4).

Der Glaube an den Messias wird in der Mischna zwar nicht direkt gelehrt, aber als vorhanden angenommen; und von den Tagen des Messias (ימות המשיח) wird als von einem außer allem Zweifel liegenden Ereignis gesprochen (vgl. Mischna Berachot 1,5). Die Einführung eines Gebetes um baldiges Erscheinen des Messias in die Amida zeigt deutlich, dass dieser Glaube in der Tat von den religiösen Führern der jüdischen Gemeinde gelehrt wurde. Der Glaube an das Erscheinen des Messias in einer zukünftigen Zeit ist, wie der Glaube an die Einheit Gottes, die Quelle verdrießlicher Disputationen zwischen Juden und Nichtjuden gewesen. Mohammedaner und Christen versuchten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Juden zu überzeugen, dass der Gesalbte, dessen Ankunft von den Propheten verkündet war, bereits erschienen sei, wobei die ersteren auf Mohammed, die letzteren auf Jesus als die Person hinwiesen, die jene Weissagungen verwirklicht habe. Die Bibelstellen, die als Beleg angeführt wurden, beweisen nichts dergleichen. Z. B. wurden die drei Namen Sinai, Seir und Paran im Deut. 33,2 von Muslimen auf die drei Offenbarungen durch Moses, Jesus und Mohammed bezogen; und da Mohammed zuletzt erwähnt werde, sei seine Offenbarung die endgültige. Solcher Beweisführung muss widersprochen werden; man braucht nur den Text zu lesen, um das Absurde der Beweisführung zu erkennen. Christen führten Stellen aus Jesaja an, die gar keine Beziehung zum Messias hatten, um die Messianität Jesu zu erhärten. Die Geburt von Kindern zur Zeit Jesajas (7,14; 8,18), deren Namen auf gute oder böse Ereignisse der Zeit Bezug hatten, wurde fälschlich auf die Geburt Jesu bezogen; die Leiden und die endgültige Erlösung des Knechtes Gottes, d. i. Israels (Kap. 52 u. 53) wurden auf Jesus bezogen; der Psalmist, der von Siegen singt, die Gott David gewähren wird (110), soll die Göttlichkeit Jesu verkünden. Erklärer und Philosophen haben diese Beweise widerlegt. Von den vielen Werken über diese Gegenstände mögen einige genannt werden: »Nizachon« (נצחון), von Lippmann Mühlhausen (1400), »Stärkung des Glaubens« (חזוק אמונה) von Isaak ben Abraham Troki (1594), »Vindiciae Jehudaeorum« von Manasse ben Israel (1650).
Wenn auch die Juden die von Christen und Muslimen gegen Juden und Judentum eingebrachten Argumente zu widerlegen suchen und Jesus und Mohammed als Messias ablehnen, so sind sie doch bereit, anzuerkennen, dass sowohl Christen wie Mohammedaner gute Arbeit geleistet haben in der Bekämpfung des Götzendienstes und in der Verbreitung der Zivilisation. Maimonides sagt: »Der König Messias wird einst kommen, das Reich David wieder in seiner frühem Macht aufrichten, die Zerstreuten Israels sammeln, und alle alten Gesetze werden wieder gelten: Opfer werden dargebracht werden, Erlassjahre und Jubeljahre werden wieder gehalten werden, wie es im Gesetze vorgeschrieben ist. Wer an ihn nicht glaubt oder auf sein Kommen nicht hofft, glaubt nicht an die Propheten und nicht an die Tora; denn die Tora bezeugt von ihm: ,Und der Herr dein Gott wird dein Geschick wenden, sich deiner erbarmen und dich wieder sammeln usw. Wenn deine Vertriebenen sich am Ende des Himmels befinden sollten, so wird der Herr von dort dich sammeln usw. und wird dich berufen« usw. (Deut. 50, 3—5), usw. »Du darfst nicht denken, dass der Messias sich durch Zeichen und Wunder ausweisen muss, indem er etwas Unerwartetes tut, die Toten belebt oder ähnliches usw. Die Hauptsache ist: die Lehren und Vorschriften der Tora bleiben bestehen, und nichts kann hinzugefügt noch etwas von ihnen genommen werden. Wenn also ein Nachkomme Davids ernstlich die Tora studiert, wie David, sein Ahne, beobachtet, was die schriftliche und die mündliche Lehre fordert, alle Israeliten veranlasst, das Gleiche zu tun, die ermahnt, die in der Befolgung der Gebote nachlässig sind, und die Kämpfe Gottes führt: der mag möglicherweise der Messias sein. Wenn er Glück hat, den Tempel an seiner Stätte baut und die Versprengten Israels sammelt, so ist er gewiss der Messias; und wenn er kein Glück hat oder er wird getötet, so ist er gewiss nicht der verheißene Messias; er ist wie alle edlen und guten Könige des Hauses David, die gestorben sind; und der Allmächtige ließ ihn nur erstehen, um uns dadurch zu prüfen, wie es heißt: ,Und von den Weisen werden einige straucheln, um eine Läuterung, Sichtung und Reinigung unter ihnen zu vollziehen bis zur Zeit des Endes; denn dieses steht noch aus bis zur festgesetzten Zeit‘ (Dan. 11,35). Auch auf Jesus, den Nazarener, der glaubte, er sei der Messias, und der durch den Gerichtshof getötet wurde, wird im Buche Daniel angespielt, wie es heißt: Und gewalttätige Volksgenossen von dir werden sich empören, um die Weissagung zu erfüllen, aber sie werden zu Falle kommen (ebend. 11, 14). Kann es einen großem Sturz geben als diesen?
Alle Propheten sagten, der Messias werde ein Erlöser und Erretter für die Israeliten sein, werde ihre Versprengten zusammenbringen und ihren Gehorsam gegen die göttlichen Vorschriften stärken, aber er (Jesus) brachte Israel Vernichtung durch das Schwert, Zerstreuung der Verlassenen und ihre Erniedrigung; er veränderte das Gesetz und verführte viele, ein Wesen neben Gott zu verehren. Aber die Gedanken des Schöpfers des Weltalls können von keinem menschlichen Wesen verstanden werden. Denn der Menschen Wege sind nicht seine Wege und ihre Gedanken nicht seine Gedanken; denn alle Ereignisse, die aus dem Auftreten von Jesus und Mohammed sich ergaben, dienten nur dazu, den Weg für den König Messias zu bahnen, der die ganze Menschheit umgestalten wird und sie einmütig zum Dienste Gottes führen, wie es heißt: .Fürwahr, dann will ich den Völkern reine Lippen schaffen, dass sie alle den Namen Gottes anrufen und ihm einmütig dienen‘ (Zeph. 3,9).

Wie kann dies geschehen?

Fast alle Menschen sind durch sie — Jesus und Mohammed — mit der Idee des Messias, mit den Worten der Tora und mit den göttlichen Vorschriften bekannt geworden. Durch sie hat sich die Kenntnis der Bibel sogar bis zu den entferntesten Inseln und unter vielen Nationen verbreitet. Sie suchen ihren Ungehorsam gegenüber den Vorschriften der Tora zu rechtfertigen; einige sagen, diese Vorschriften seien göttlich, aber jetzt nicht in Geltung und sollten niemals ewige Gesetze sein; andere behaupten, sie seien nicht buchstäblich zu verstehen, da sie nur Symbole seien, deren Sinn bereits durch den Messias dargelegt sei. Aber wenn der wahre König Messias erstehen wird, wird er Glück haben, hoch und erhaben sein; alle werden dann sofort wissen, dass Falsches ihre Väter geerbt haben und dass ihre Propheten und Lehrer sie irregeführt haben. »Glaube nicht, dass in den’Tagen des Messias der Lauf der Natur sich irgendwie ändern wird oder dass irgendeine neue Schöpfung stattfinden wird. Wenn Jesaja sagte: ,Der Wolf wird bei dem Lamm wohnen und der Leopard bei dem Böckchen«, so brauchte er allegorische und bildliche Redeweise, und er wollte sagen, dass der Israelit in Ruhe und Frieden mit seinen Feinden zusammen wohnen werde, der grausam gegen ihn war wie ein Wolf oder ein Leopard usw.; alle werden sich der wahren Religion anschließen; sie werden nicht rauben, noch irgendeine Gewalttat begehen usw., nur in den Tagen des Messias wird die Bedeutung der Allegorien klar erkannt werden. »Unsere Weisen sagten, es werde kein anderer Unterschied bestehen zwischen der Gegenwart und den Tagen des Messias als die Unabhängigkeit des Volkes Israel. »Aus der wörtlichen Bedeutung der Weissagungen der Propheten scheint hervorzugehen, dass der messianischen Periode der Krieg mit Gog und Magog vorhergehen wird und dass vor dem Kriege ein Prophet erscheinen wird, die Israeliten zu führen und ihre Herzen zur Reue anzuleiten. Vgl. Siehe ich will dir Elia senden2Er heißt Elia wahrscheinlich wegen des Eifers, den er entfalten wird, um die Menschen zum Dienste Gottes zurückzubringen. « usw. (Mal. 3,23). Elia wird nicht kommen, um für unrein zu erklären, was rein ist, oder für rein das, was unrein ist; noch Leute für ungeeignet zu erklären, die man für geeignet hält, sich Gottes Gemeinde anzuschließen oder umgekehrt; sondern er wird kommen, Frieden auf Erden zu stiften, wie es heißt: ,Er soll das Herz der Väter den Kindern zuwenden«3Mischna Edujot 8,7. (ebenda 24). »Einige unserer Weisen glauben, dass Elia vor dem Messias kommen wird, aber von all dergleichen Dingen weiß niemand, wie sie geschehen werden; sie werden in den Prophetenbüchern nicht aufgeklärt, und unsere Weisen haben darüber keine Tradition; sie halten für wahr, was ihrer Ansicht nach die Bedeutung der betreffenden biblischen Stellen ist. Daher die Meinungsverschiedenheit. Auf alle Fälle bilden die Ordnung und die Einzelheiten dieser Ereignisse keinen wesentlichen Teil unseres Glaubens. Wir dürfen Agadot und Midraschim über diese und ähnliche Gegenstände nicht allzu viel Bedeutung beilegen, denn sie führen nicht zur Gottesfurcht und zur Liebe zu Gott. Alles, was wir zu tun haben, ist, an das Kommen des Messias zu glauben, zu warten und zu hoffen. »Nicht weil sie über alle Länder und Nationen herrschen noch weil sie von allen Völkern geehrt werden wollten, oder weil sie genusssüchtig waren, sehnten sich die Weisen und die Propheten nach der messianischen Zeit, sondern weil sie dann in Muße würden das Gesetz studieren können, ohne von irgendeinem Unterdrücker unterbrochen zu werden, und sich so des Lebens in der zukünftigen Welt würdig erweisen. » In jenen Tagen wird keine Hungersnot, kein Krieg, keine Eifersucht und kein Streit mehr sein, weil alles Gute reichlich vorhanden ist und selbst Luxus sich überall findet; alle werden sich nur damit befassen, Gott zu erkennen. Die Israeliten werden sehr weise sein und Dinge wissen, die jetzt noch verborgen sind; sie werden von ihrem Schöpfer Kenntnis erlangen, soweit es menschlichem Verstände überhaupt möglich ist: «denn die Erde ist voll der Erkenntnis Gottes wie Wasser das Meer bedeckt« (Maimonides, Mischne-tora 14; Hilchot Melachim 11—12).

Der Krieg Gogs und Magogs gegen das Heilige Land, auf den Maimonides Bezug nimmt, wird vom Propheten Hesekiel (Kap. 38, 59) als ein Ereignis geschildert, das der völligen Wiederherstellung Israels vorausgeht. Saadja hat eine andere Ansicht von diesem Kriege. Die Bestrafung Israels soll zu einer festgesetzten Zeit zu Ende sein, oder sobald die Israeliten durch ernstliche und gründliche Reue sich der göttlichen Gnade würdig zeigen. In dem Fall wird kein Krieg Gogs und Magogs gegen sie geführt werden. Wenn aber die Israeliten die für die Erlösung bestimmte Zeit herankommen lassen, ohne Zeichen von Reue und Besserung an den Tag zu legen, dann werden große Leiden über sie kommen und sie zwangsweise an die Notwendigkeit mahnen, zu Gott zurückzukehren, sie werden unter einem Führer, Messias ben Joseph, sich sammeln und gegen ihre Feinde kämpfen, geschlagen werden und Messias ben Joseph selbst wird fallen.
Dann wird Messias ben David erscheinen und mit ihm die Zeit des Ruhmes, dauernden Friedens und Glückes, die Zeit, da alle Nationen den Einen Gott verehren werden. Die Idee von einem doppelten Messias, einem kriegerischen und einem friedlichen, einem erfolglosen und einem erfolgreichen findet sich bei den Propheten der Bibel nicht und scheint späteren Ursprungs zu sein. Maimonides spricht nicht von Messias ben Joseph; ebensowenig Albo in Ikkarim, noch Jehuda ha-Levi im Buche Kusari.
Albo erörtert die Frage über den Messias in Kap. 42 des vierten Abschnittes der Ikkarim. Er verwirft die Ansicht derer, die die messianischen Weissagungen auf die Regierung Chiskias oder auf die Wiedererrichtung Israels unter Serubabel und Esra beziehen. Die Lage der Israeliten unter Chiskia war keine glückliche, ruhmreiche und friedliche, wie man sie vom messianischen Zeitalter erwartete; auf die Erfüllung jener messianischen Weissagungen hofft man noch immer, und unsere Hoffnung gründet sich auf unsern Glauben an die Wahrhaftigkeit des Gotteswortes (vgl. Saadja, Em. wedeot 8,3).

  • 1
    Nach Raschi wollte Rabbi Hillel sagen, dass die Juden von keinem Messias würden erlöst werden außer von Gott selbst. Vgl. Hagada für den Sederabend:
  • 2
    Er heißt Elia wahrscheinlich wegen des Eifers, den er entfalten wird, um die Menschen zum Dienste Gottes zurückzubringen.
  • 3
    Mischna Edujot 8,7.
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Rabbiner Michael Friedländer (29.4.1833 – 10.12.1910) war der Direktor des Londoner Jews' College. Geboren in Jutroschin, studierte er später bei Rabbiner Jakob Josef Oettinger und Rabbiner Elchanan Rosenstein. Von 1856 bis 1862 studierte er alte Sprachen und Mathematik und absolvierte nebenher ein talmudisches Studium. 1865 wurde er dann Direktor des Jews' College. Dort unterrichtete er biblische und rabbinische Exegese, Talmud, jüdische Geschichte und Arabisch. Die Übersetzungen seiner Texte auf talmud.de stammen von Josua Friedländer.