Dewarim

Dewarim

Diese Woche in der Tora (Dt. 1:1-3:22): Im 40. Jahr, am 1. des 11. Monats, spricht Moscheh zu den Kindern Israels, bevor sie den Jordan überqueren: Rückblick auf die Reise, Einsetzen von Richtern, Aussenden der Kundschafter+Sünde dazu, welche Länder in Ruhe gelassen und welche erobert werden.

Am Schabbes-Tisch…

Ich erhebe Einspruch

Rav Iti’el Ari’el
(Gemeinderabbiner in Bet Schemesch)

Die Weissagung Jeschajahus („Chason Jeschajahu“), nach der dieser Schabbat auch „Schabbat Chason“ genannt wird, beendet die Serie der zurechtweisenden Haftarot [Prophetenlesung nach der wöchentlichen Toralesung]. Diese Zurechtweisung benutzt äußerst scharfe Worte zur Beschreibung der Sünde, doch wo es um die detaillierte Auflistung geht, läßt sich kaum eine besonders schwere Sünde ausmachen. Darüberhinaus werden ausgerechnet Sünden wie Nachlässigkeit des Richters bei der Behandlung von Forderungen eines Beraubten als leichte Sünden aufgefaßt, die nicht besonderer Bosheit entstammen, sondern mangelndem Mitgefühl. Anscheinend hielten auch die Menschen jener Generationen diese Sünde für nicht besonders schlimm, im Vergleich zu den schweren Sünden, derenwegen der Tempel zerstört wurde.

Der Midrasch beschreibt einen weiteren Grund, den die Menschen jener Zeit zur Verteidigung der Sünder anführten. Die gesellschaftliche Norm war nämlich auf ein so schäbiges Niveau gesunken, daß jeder Einzelne gezwungen war, sich mehr oder weniger zwangsläufig der Situation anzupassen. Im Zusammenhang mit dem Vers aus der Haftara: „Dein Silber ward Schlacken, vermischt ist mit Wasser dein Getränke“ (1,22) schildert der Midrasch ein Gespräch zwischen Käufer und Händler: „Sagte der Verkäufer zum Käufer: Dein Silber ward Schlacken, darauf antwortete der Käufer dem Verkäufer: vermischt ist mit Wasser dein Getränke“. Dieser Dialog hebt die volle Gegenseitigkeit des Mißtrauens zwischen beiden Seiten hervor, die sich mit Handelsgeschäften befassen, und am Ende sind alle Verlierer. Außerdem erschwert eine solche gesellschaftliche Lage ehrlichen Menschen ganz besonders, der Versuchung zu widerstehen, es den anderen gleichzutun.

Doch gerade deswegen wurde Jeschajahu zur Zurechtweisung des Volkes geschickt, gerade wegen dieser Sünden, die den Übergang von privater zu öffentlicher Sünde bilden. Solange der Einzelne die allgemeine Atmosphäre toleriert, wird er auf ihr Niveau keinen Einfluß haben, auch wenn allen bekannt ist, daß er in seinen eigenen vier Wänden nicht sündigt. Wenn aber ein gesellschaftlicher Sog entsteht, weil einige Strauchelnde die öffentlichen Normen zum Sinken bringen, so bedeutet dies einen Makel für die gesamte Öffentlichkeit, wofür alle die Verantwortung übernehmen müssen. Die Tatsache an sich, „deine Minister Genossen der Diebe“ (V.23) g~ttbehüte, reicht, um die gesellschaftliche Norm herunterzuschrauben und so indirekt Diebstahl und Mord zu ermutigen.

Hieraus können wir entnehmen, welchen gewaltigen Wert scharfer öffentlicher Protest an jedem Ort hat, wo sich die gesellschaftliche Norm zum Schlechteren wandelt und lansam aber sicher in Unmoral umschlägt. Auch wenn der Protest keine sofortige Wirkung zeitigt, kann er doch auf lange Sicht einen Eindruck hinterlassen, besonders, wenn er von vielen und guten Leuten kommt, die in aller Öffentlichkeit deutlich machen, daß sie sich nicht mit den Dingen abfinden. Obwohl das Gebot der Zurechtweisung eines individuellen Sünders von vielen Bedingungen abhängt, die in der heutigen Zeit nicht gegeben sind, sollte man sie dennoch im Zusammenhang mit öffentlichen Angelegenheiten in Erwägung ziehen, wenn ein neuartiges öffentliches Problem entsteht. Nicht umsonst beklagt sich die Öffentlichkeit über eine Führung, die das eine Thema stillschweigend übergeht, andere aber an die große Glocke hängt.

Wo sich allerdings die Weisen der Generation der lockeren öffentlichen Stimmung anpassen und sich nicht deutlich von ihr distanzieren, tragen sie mit an der Verantwortung für den weiteren Niedergang. So auch bei der Geschichte von „Kamza und Bar-Kamza“ (Gittin 55b/56a), die mit zum Untergang Jerusalems führte, als der Gastgeber den Bar-Kamza vor allen beleidigte und sich niemand fand, ihm zur Seite zu stehen. Das Schweigen der anwesenden Rabbiner wurde als Duldung der Tat gewertet. Diese Art der Zurückhaltung war in der gegebenen Situation nicht am Platze, und sie war es, die unseren Tempel zerstörte, denn sie wurde als Legitimation grundlosen Hasses aufgefaßt.

Und so wie Unterdrückung öffentlichen Protestes aus falscher Bescheidenheit zum Untergang des Tempels führte, wird ihn in Zukunft eindrucksvoller öffentlicher Protest, der großer Demut entspringt, wieder aufbauen, schnell und in unseren Tagen.

Zum Gebet
Baruch ata a-donai…
Rav Uri Scherki

„Gesegnet seist du, Ewiger, unser G~tt und G~tt unserer Väter, G~tt Awrahams, G~tt Jizchaks und G~tt Jakovs…“. Diese ersten Worte des Schmone-Esre-Gebetes sind auf den ersten Blick nur sehr schwer zu verstehen. Wir sagen: „Gesegnet seist du, Ewiger“. Wenn wir diese Worte nach ihrer von den meisten Menschen verstandenen Bedeutung nehmen, so kommen sie der Ketzerei nahe, g~ttbehüte. Jemanden „segnen“ bedeutet nämlich, ihm etwas zu verschaffen, was ihm fehlt [Kindersegen, ‚Sich regen bringt Segen‘ usw.]. Demnach will die Formel „Gesegnet seist du, Ewiger“ dem Anschein nach ausdrücken, daß wir dem Herrn der Welt etwas geben, was ihm fehlt.

Vor diesem Irrtum rettet uns Rabbiner Chajim aus Woloschin mit seinem Buch „Nefesch Hachajim“ (2. Abschnitt). Dort erklärt er den Unterschied zwischen dem Wort baruch (gesegnet; Attribut) und meworach (gesegnet; Passiv). Nehmen wir zum besseren Verständnis das Wort rachum (barmherzig; Attribut) und merachem (barmherzig sein, sich Jemandes erbarmen). Ein Mensch merachem, d.h. es wird Barmherzigkeit in ihm erweckt, wenn er z.B. Leiden sieht, sein Innenleben ändert sich also aufgrund eines äußeren Anstoßes. Diese Reaktion weist auf eine gewisse Weichheit seiner Seele, was auch Schwäche bedeuten kann, eine gewisse Unterworfenheit unter äußere Einflüsse. Ganz anders rachum, das ist jemand, der auch ganz ohne äußeren Anstoß Barmherzigkeit ausstrahlt. Ebenso ist das Wort baruch zu verstehen, etwa wie „gesegnete Quelle“. Nicht daß die Quelle selber Segen erhält, vielmehr spendet sie Segen. Demnach bedeutet „Gesegnet seist du, Ewiger“: „du Quelle des Segens“. Das Aussprechen des Wortes baruch soll in uns die Erkenntnis entwickeln, daß der Herr der Welt die Quelle alles Segens ist. Wir erwähnen das, um in unserer Seele die Leitungen göttlichen Einflusses zu öffnen.

Das zweite Wort, ata, du, ist auch etwas problematisch. Wie kann man sich an den Schöpfer mit einem so einschränkenden Ausdruck wenden?! Wenn wir ata sagen, konzentrieren wir uns auf einen bestimmten Punkt unserer Erkenntnis, derjenige, an den wir uns wenden. Der Herr der Welt aber ist doch unendlich? Wie kann man sich an ihn als etwas Spezifisches wenden, als eine bestimmte Persönlichkeit? Vielmehr müssen wir uns wiederum an den grammatikalischen Ursprung des Wortes ata im Hebräischen wenden. Das Wort ata als Tätigkeitswort, le’atot, bedeutet ‚kommen‘. Wie der Vers am Ende des Chumasch, im Abschnitt „Wesott habracha“: „Der Ewige kam von Sinai… und fuhr einher (ve’ata) aus Myriaden des Heiligtums“ (Dt. 33,2). Auch im Aramäischen [der dem Hebräischen sehr verwandten Sprache des babylonischen Talmuds] bedeutet das Verb ata kommen. Wenn wir also zum Herrn der Welt ‚ata‘ sagen, wenden wir uns gar nicht zu ihm hin, sondern bestätigen die Tatsache, daß er zu uns kommt. Demnach bedeutet ‚Baruch ata‘: Die Quelle des Segens, die zu uns kommt. Auch das dritte Wort, adonai, (jud-heh-waw-heh, Wortstamm Hawaja, Sein; dieser Name wurde nur im Tempel und nur an Jom Kippur exakt ausgesprochen), bedarf der Erläuterung. Hat doch G~tt noch viele andere Namen, z.B. Elohim, Schadai, Zewa’ot, Rachum und Chanun. Warum wählten die Weisen der „Großen Versammlung“, die Autoren des Schmone-Esre Gebetes, für alle Gebete den Hawaja-Namen, und keinen der vielen anderen? Weil der Hawaja-Name für die Eigenschaft des Erbarmens steht, d.h., der den Gang der Natur ändern kann. Wenn wir vor dem Herrn der Welt zum Gebet erscheinen, möchten wir von ihm, daß er den Lauf der Welt ändert. Wenn wir von ihm erbitten wollten, den Gang der Welt festzuschreiben, würden wir den Namen ‚Elohim‘ benutzen, seine Eigenschaft als Schöpfer der Natur. Wir aber wünschen, daß er unsere Bitten erhört, unsere Kranken heilt, die Gefangenen befreit und die Toten auferstehen läßt. Wir wenden uns also an jemanden, der die normalen Abläufe in der Natur umgehen kann und sich durch die Eigenschaft des Erbarmens über sie erhebt. Damit können wir zusammenfassend sagen: ‚Baruch ata a-donai‘ – die Quelle des Segens kommt zu uns in der Eigenschaft des Erbarmens, er – unser G~tt und der G~tt unserer Väter, G~tt Awrahams, G~tt Jizchaks und G~tt Jakovs.

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