„Ein Fürst G-ttes, zum Zeichen gesendet, und alle erstaunten sehr, die ihn sahn; Die Weisen der Zeit, da sie seine Pläne Begriffen, hat Schrecken und Angst sie umfahn; Doch indes sie am Fuße des Bergs sich noch streiten, stieg Mosche empor, seinem G-ttzu nahn.“
Josef ben Jehuda
Zahllose Huldigungen wie diese Verse seines Schülers Josef ben Jehuda wurden an den berühmten Mosche ben Maimon gerichtet. Von seinen Zeitgenossen geehrt durch Anreden wie „unser Lehrer und Meister Mosche“, „größter Rabbi in Israel“ und „Banner der Weisen“ war Rambam, so das Anagramm nach seinem Namen Rabbi Mosche ben Maimon, jedoch bereits zu Lebzeiten heftiger Kritik ausgesetzt, die nach seinem Tod sogar in einen Bann (Cherem), ausgesprochen durch Rabbi Schlomo von Montpellier, gipfelte.
Wer war dieser Universalgelehrte, der von manchen als der jüdische Gelehrte des Jahrtausends gesehen wird, und welche waren die neuen Wege, die er mit seiner Lehre betrat? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden.
Die Lebenswege des Maimonides
Die Lebensbedingungen für Juden im mittelalterlichen Spanien werden in der Litera-tur des öfteren als „Das Goldene Zeitalter“ bezeichnet. Die Lebenswege des Mosche ben Maimon könnten kaum stärker in Kontrast zu dieser Bezeichnung stehen.
Rambam wird 1138, manche sagen auch 1135, als Sohn des geachteten Gelehrten Maimon ben Josef in Córdoba, Andalusien geboren.
Rabbi Maimon ben Josef war Mitglied des Rabbinatsgerichts (Bet Din) zu Córdoba und über die Grenzen seiner Stadt hinaus als Persönlichkeit bekannt, die auf arabisch mehrere wichtige Schriften, wie z.B. Auslegungen zur Tora und zur Megilat Ester, verfaßt hat. Seine Frau verstarb bei der Geburt Mosches, später heiratete er erneut und wurde Vater eines weiteren Sohnes und einer Tochter. Rabbi Maimon ben Josef stammte aus einer Familie von Richtern und Gelehrten, die ihre Herkunft bis zum berühmten Rabbi Jehuda Hanassi – und somit auch zu König David – zurückverfolgen konnte.
Kindheit in Córdoba
Córdoba, Maimonides andalusische Geburtsstadt, zählte seinerzeit zu den größten und aufstrebendsten jüdischen Gemeinden Spaniens, das sich unter arabischer Herr-schaft befand. Das Geistesleben der Stadt stand in voller Blüte und wird aus diesem Grunde von Baeck (1954:13) auch als „Protorenaissance“ bezeichnet: Neben der rabbinischen Gelehrsamkeit – Córdoba war der Sitz einer berühmten Talmud-Tora-Schule, zu der Schüler aus ganz Spanien und selbst aus Afrika strömten – wurden auch andere, weltliche Wissenschaften gepflegt. Nach der Schließung der Athener Universität und dem Unterrichtsverbot der Philosophie durch Justiniam im Jahre 529 „wanderte“ die griechische geistige Kultur in die Länder des Islam, wo ihre Lehre aufgenommen und von arabischen Gelehrten kommentiert wurde. Etliche Juden spielten hier eine zen-trale Rolle, zumal sie es oftmals waren, die griechische Philosophen, Astronomen, Mathematiker und Mediziner ins Hebräische übertrugen, um sie später ins Lateini-sche zu übersetzen. In diese Zeit wurde Mosche ben Maimon hineingeboren. Seine ersten zehn Lebens-jahre in Córdoba verbringend, wuchs er mit arabischer Muttersprache und – bedingt durch die richterliche Tätigkeit des Vaters – in einer Atmosphäre der Jurisprudenz und des Respekts vor dem jüdischen Recht auf. Beides wurde für ihn Inhalt und Aufgabe seines Lebens. Während es in fast allen christlichen Staaten Europas die Kreuzzüge waren, die zur Zeit des Maimonides ganze jüdische Gemeinden zur Aufgabe ihres Glaubens unter Todesandrohung zwangen, war es in Spanien eine fanatische islamische Grup-pierung, die die friedliche Koexistenz jüdischer Gemeinden mit der umgebenden Ge-sellschaft beendete. Die Almohaden, die „Bekenner der Einheit“, waren „Männer ei-ner puritanischen Bewegung“, die nach und nach einen großen Teil Nordafrikas er-oberten und schließlich bis zum südlichen Teil Spaniens vorgedrungen waren. In ihrem großen Reich proklamierten sie – ihrer „wahren“ islamischen Religion folgend – eine strenge Lehre einhergehend mit der Ablehnung alles Fremden und aller Fremden. Nach Ansicht der Almohaden war ein Fremder „der Andersgläubige, nur – trat er zum Islam über, so hörte er auf, ein Fremder zu sein“. Während viele Kirchen und Synagogen zerstört wurden, standen die jüdischen Gemeinden vor der Frage: Bekehrung oder Auswanderung. Den Widerstand gegen die Almohaden bezahlten viele mit dem Tod. Da die neuen Machthaber keine häusliche Kontrolle von Neubekehrten durchführ-ten, konnten sich einige Juden offiziell durch Aussprechen der moslemischen Glau-bensformel zum Islam bekennen und insgeheim weiterhin jüdische Riten praktizieren. Die neu zum Islam bekehrten Juden wurden zwar als vollwertige Moslems an-erkannt, durften sich aber unter keinen Umständen – wie alle anderen Moslems – öffentlich zu einer anderen Religion bekennen, da nach islamischem Gesetz der Abfall eines Moslems von seinem Glauben mit dem Tode zu bestrafen ist. Wie bereits angedeutet standen die im nördlichen wie im südlichen Teil Europas le-benden Juden dieser Zeit unter existentieller Bedrohung. Während in Frankreich und Deutschland die Kreuzfahrer zur Eroberung Palästinas und zur Befreiung des Heili-gen Grabes aufbrachen und unter dem Kreuzbanner etliche jüdische Gemeinden ausgelöscht wurden, mußten ihre spanischen und nord-afrikanischen Glaubensge-nossen Ähnliches unter dem Halbmond erleiden. In beiden Bewegungen spielt dem-zufolge der religiöse Gedanke eine zentrale Rolle. Nach Heschel (1992:8) gibt es eine „Parallelität der Geschehnisse“, die sich auch in den gleichen blutigen Spuren zeigt, die sie in der jüdischen Geschichte hinterließ.
Leben in Fés
Diejenigen Juden, die nicht unter dem Schutz der Notlüge leben wollten oder konn-ten, blieb nur eine Option: die Auswanderung. Dieses Schicksal teilte Mosche ben Maimon mit seiner Familie. Mit dem Einfall der Almohaden im Jahre 1148 verließ die Familie Maimon Córdoba und führte daraufhin ein offensichtlich ruheloses Leben, in dem sie etwa ein Jahrzehnt in verschiedenen südspanischen Städten lebte, um sich schließlich 1159 in Fés, Marokko, niederzulassen (Guttmann 2000:196).
Die genauen Ursachen für die Wahl Marokkos als Zufluchtsort der Maimon sind un-geklärt, da auch dieses Land seit 1145 unter almohadischer Kontrolle lag und vor diesem Hintergrund keine besseren Lebensperspektiven für die Familie Maimon ben Josefs zu erwarten waren. Münz (1912:21) stellt hierzu einige Vermutungen an. Vielleicht ließen sich die Maimon in der Hafenstadt Fés nieder, da ihnen diese Stadt bessere Fluchtmöglichkeiten im Falle neuer Gefahren bot? Denkbar ist ebenfalls, daß Maimon ben Josef als Ziel Fés hatte, um die dort lebenden verfolgten Juden zum Festhalten an den Glauben ihrer Vorfahren zu ermuntern.
Nach Heschel (1992:16ff.) war Nordafrika „von jeher ein Asyl für die von Religions-verfolgungen flüchtenden Juden Spaniens“. Fés, so führt Heschel aus, war zu dama-liger Zeit eine große Hafenstadt, in der überwiegend Berber lebten und dessen jüdi-sche Gemeinde seit Jahrhunderten ein großes geistiges Ansehen in der jüdischen Welt genoß. Mit der Eroberung von Fés durch die Almohaden wurden die Juden ge-zwungen, den Islam anzunehmen oder auszuwandern. Während die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung zum Schein den moslemischen Glauben annahm, wurden einige, die sich dem verweigerten, hingerichtet.
Warum entschied sich Maimon ben Josef also gerade für diese Stadt als Zufluchtsort für seine Familie? Es muß bedacht werden, daß seinerzeit zwischen den Ländern Spanien und Marokko ein wirtschaftlicher und kultureller Austausch bestand, durch den es wahrscheinlich wird, daß Richter Maimon ben Josef vor seiner Ankunft bereits in Fés bekannt war und sich vielleicht in der dortigen jüdischen Gemeinschaft ein – zumindest teilweise – gesichertes Leben erhoffte. Nichtsdestotrotz konnten auch die Maimon ihre jüdische Religion dort nur im Verbor-genen ausüben (Guttmann 2000:196). Die unklaren Hintergründe ihrer Niederlas-sung in Fés gab Anlaß zur Vermutung, die Maimon seien – wie etliche ihrer Glaubensgenossen – zum Islam konvertiert. Hierfür lassen sich allerdings keine stich-haltigen Beweise finden. Im Gegenteil, einiges spricht gegen diese These, wie z.B. die spätere Niederlassung der Maimon im Heiligen Land. Vor der Niederlassung in Fés hatte Maimon ben Josef erneut geheiratet und zwei weitere Kinder bekommen: einen Sohn und eine Tochter. Mosche ben Maimon hatte eine besonders enge Beziehung zu David, seinem jüngeren Bruder. Aber Fés sollte im Leben des Mosche ben Maimon nur eine Zwischenstation blei-ben, denn auch hier erfuhr er „am eigenen Leibe die Grenzen der Koexistenz von Ju-den und Mohammedanern“. Selbst die eingeschränkten Möglichkeiten, die man Juden für ein jüdisches Leben gewährte, wurden plötzlich aufgehoben. Die almohadi-sche Führung verlangte von Rabbi Juda Hakohen Ibn Sussan, „dem großen Weisen und Frommen“ (Heschel) der jüdischen Gemeinde, eine Bekehrung zum Islam. Dies hätte auf die jüdische Gemeinschaft von Fés eine verheerende Signalwirkung gehabt, angesichts derer Rabbi Juda den Tod vorzog und 1165 öffentlich hingerichtet wurde. Nun war offensichtlich, daß das Zusammenleben von Moslems und Juden unter almohadischer Führung keine Zukunft hatte. Und wieder mußten sich die Maimon auf die Flucht begeben; diesmal lautete ihr Zufluchtsort das Land ihrer Väter.
Das Land der Väter
Wenige Tage nach dem gewaltsamen Tode Rabbi Judas schifften die Maimon mit Ziel Palästina ein. Auch wenn man in damaliger Zeit durch die Reiselust in moham-medanischen Ländern verhältnismäßig offen und leicht reisen konnte, mußten die Maimon ihre Auswanderung bei Nacht durchführen, um nicht von den Almohaden doch noch als „flüchtende Nichtgläubige“ entdeckt zu werden.
Nach einigen Wochen Seereise erreichte das Schiff das Heilige Land. Akko ist die erste Stadt, die Maimonides in Palästina betritt. Seine Familie wurde von der jüdischen Gemeinde Akkos freundlich und ehrenvoll aufgenommen. Zur damaligen Zeit besaß die Hafenstadt mit etwa 200 Familien die größte jüdische Gemeinde des Landes.
Palästina lag zur Zeit Maimonides in den Händen der Kreuzritter, an deren Spitze König Amalrich stand, dessen Herrschaft scheinbar vor allem darauf angelegt war, „große Reichtümer zu erwerben und in Glanz und Fülle zu leben.
Akko ist, bedingt durch die Kreuzzüge, ein Welthandelsplatz und zudem Hauptstation der Pilger, in der jährlich zehntausende Menschen eintreffen. Heschel (1992:59) zitiert den Bericht eines Zeitgenossen, der Akko als herrliche, wohlhabende Stadt beschreibt, in der man „alle Sprachen des Morgen- und Abendlandes“ hört.
Nach etwa sechsmonatigem Aufenthalt verließ die Familie Maimon Akko und machte sich auf den gefahrvollen Weg nach Jerusalem, um an der Stätte, wo einst das Heiligtum stand, zu beten. Als Palästina in arabischer Hand lag, war den Juden noch die Niederlassung in Jerusalem gestattet. Zudem durften auch Juden aus benachbarten Ländern zu den Feiertagen in die Heilige Stadt pilgern. Seit der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer, in deren Zuge die dortige jüdische Bevölkerung hingerichtet wurde und die jüdische Gemeinde nicht mehr existierte, war den Juden das Betreten von Jerusalem verboten.
In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts „wurde den Nichtchristen unter Wah-rung ihrer nationalen und religiösen Eigenart die Teilnahme am wirtschaftlichen Leben (Jerusalems; Anm.) gestattet“, und Juden genossen dort fast uneingeschränk-te bürgerliche Freiheit. Bei der Ankunft Maimonides in Jerusalem lebten dort ledig-lich vier jüdische Familien. Nach dreitägigem Aufenthalt in der heiligen Stadt reisten sie weiter nach Hebron, um am Grab der Patriarchen zu beten.
Die Familie Maimon entschloß sich nach einem mehr als halbjährigen Aufenthalt, Pa-lästina zu verlassen. Die kleine jüdische Gemeinschaft in Palästina lebte in ständiger Angst vor erneuten Kreuzzügen, wodurch auch ihre materielle Versorgung bedroht war. Vielleicht ist ein weiterer Beweggrund zur Ausreise, daß Maimonides von den kleinen, im Untergang begriffenen jüdischen Gemeinden enttäuscht war, die er im Heiligen Land vorfand, von dem Mangel an Bildungsmöglichkeiten und Gelehrten. Zudem galten viele Neuzuwanderer Palästinas als unehrenhaft, denn ihre Gruppe soll sich vor allem aus „Dieben, Räubern, Mördern (…), ihren Klöstern entlaufenen Mönchen und Nonnen (…)“ rekrutiert haben (ebd.). Naheliegend scheint, daß diese Umstände Maimonides nicht zur endgültigen Niederlassung einluden.
Ägypten hieß das neue Ziel der Familie Maimon, ein Land, das für sie nun zu einer bleibenden Heimat werden sollte.
Im Lande Ägypten
1165, das Jahr, in dem Maimon ben Josef mit seiner Familie Ägypten erreichte, herrschte großer Wohlstand in dem Land am Nil, das seit dem Jahre 909 von Fati-miden regiert wurde. Nachdem 1171 der letzte Fatimide verstarb, wurde Saladin Sultan, begründete die Dynastie der Ajubiden und wurde offizieller Alleinherrscher Ägyptens. Zum Reich des Sultan Saladin sollten später neben Ägypten auch Syrien und, nach erfolgreicher Bekämpfung der Kreuzfahrer, Palästina gehören. Unter seiner Hand entwickelte sich nicht nur die Wirtschaft positiv, es kam auch zu einem geistigen Aufschwung durch die Förderung der Wissenschaften. Während in Spanien und Marokko die jüdischen Gemeinden zugrunde gingen, lag Ägypten „im Meer der Not wie eine glückliche Insel, auf der die Juden glauben und leben durften“. Zunächst ließen sich die Maimon in Alexandrien nieder. Hier lebten bei einer Ge-samtbevölkerung von 50.000 Menschen etwa 3.000 jüdische Familien, weshalb die Stadt am Mittelmeer als größte jüdische Gemeinde des Landes galt. Im Angesicht der neu gefundenen Heimat mußten Maimonides und seine Familie schwere Schicksalsschläge hinnehmen: Zunächst verstarb Maimon ben Josefs zweite Frau. Kurz darauf, Anfang 1166, entschlief auch Maimonides Vater. Nach dem Tod des Vaters auf sich gestellt, entwickelte sich zwischen Mosche, der inzwischen Familienoberhaupt geworden war, und seinem jüngeren Bruder David eine noch engere Beziehung. Schließlich mußte Mosche ben Maimon eine weitere existentielle Krisen bewältigen: Sein geliebter Bruder David erlitt auf einer geschäftlichen Seereise Schiffbruch und kam um, jedoch erfuhr dies Maimonides erst ein Jahr nach dem Unglück. Noch zu Lebzeiten des Vaters hatte David ben Maimon durch einen Perlen- und Edelsteinhandel mit zur Ernährung der Familie beigetragen, und wurde nach dem Tod Maimons dessen Haupternährer. Die familiäre Situation hatte es Maimonides bislang ermöglicht, sich völlig seinen Studien (s.u.) hinzugeben; nun stand er aber im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Nichts, da der Ernährer der Fa-milie nicht mehr lebte und bei dem Unglück zudem das gesamte Familienvermögen verloren ging. Bereits kurze Zeit nach der Niederlassung in Alexandrien scheint sich um Mosche ben Maimon eine Situation entwickelt zu haben, die ihn veranlaßte, die Stadt dauerhaft zu verlassen. Die Vermutung liegt nahe, daß der Grund für das plötzliche Verlassen Alexandriens in einer theologischen Auseinandersetzung mit den Karäern liegt.
Seit dem achten Jahrhundert n.d.Z. führte die Sekte der Karäer ein vom restlichen Judentum abgesondertes Leben. Der Begriff „Karäer“ ist eine Herleitung des hebräischen Wortes für Schrift oder Buch (mikra). Hintergrund dessen ist, daß sich die Karäer einzig und allein an die schriftliche Lehre, d.h., die hebräische Bibel, hielten, nicht aber an die mündliche Lehre, also den Talmud und die rabbinischen Lehren.
Im Laufe der Jahrhunderte hatten die Rabbinen Regeln bestimmt, mit deren Hilfe Bestimmungen der Tora eingehender ausgelegt werden konnten. Beispielsweise wurde eine rabbinische Berechnungsregel aufgestellt, anhand derer sich der jüdische Kalender derart bestimmt ließ, daß eine Einheitlichkeit der Daten für jüdische Feiertage garantiert werden konnte. Hielte man sich nicht an diesen Kalender, so würden Feiertage, die allein ihrem inhaltlichen und symbolischen Sinn entsprechend an bestimmte Jahreszeiten gebunden sind, zu völlig anderen Jahreszeiten „wandern“. Weitere Abweichungen bestanden hinsichtlich der Kaschrut, da die Karäer lediglich das biblische „Du sollst das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen“ wörtlich annahmen, nicht aber die damit zusammenhängenden Interpretationen der Rabbinen.
Die Karäer lehnten also die Autorität der Rabbinen grundlegend ab, und entfernten sich dadurch so weit vom rabbinischen Judentum, daß sie von Teilen der jüdischen Gemeinschaft nicht mehr als jüdisch akzeptiert wurden.
Während die Karäer in den meisten anderen Ländern an Gewicht verloren hatten, gewannen sie in Ägypten zunehmend an Bedeutung. Durch gezielte und geschickte Propaganda erhielten sie Zulauf aus breiten Schichten des überlieferungstreuen Judentums. Außerordentlich gute Beziehungen pflegten sie zudem zu den fatimidischen Regierenden, die wohl von der Annahme ausgingen, die Karäer stünden dem Islam näher als das rabbinische Judentum.
Scheinbar herrschte seitens der Rabbinen eine Machtlosigkeit gegenüber dieser Entwicklung, angesichts derer sich Maimonides berufen fühlte, zunächst wohlwollend, schließlich mit zunehmender Schärfe gegen die Karäer vorzugehen. Die Gegenwehr, die daraufhin von seiten der Karäer aufkam, scheint die Ursache dafür zu sein, daß Maimonides Alexandrien verlassen mußte, um sich dann in Fostat, Alt-Kairo, niederzulassen. Mit dieser Stadt sollte Maimonides denn auch einen beständigen Wohnort finden.
Die Werke des Maimonides
Mosche ben Maimon bekam bereits von Kindesbeinen an durch seinen gelehrten Vater eine fundierte jüdische Bildung vermittelt, für Münz (1912:10) der „Grund zu seiner späteren Grösse“. Schon in jungen Jahren soll Maimonides eine außerordentliche Begabung und Auffassungsgabe, gepaart mit einem ausgezeichneten Gedächtnis gezeigt haben. Obschon man von Rabbi Maimon ben Josef behauptete, daß er „sich niemals einen Tag mit den weltlichen Wissenschaften beschäftigte“, begann Maimonides, neben der jüdischen Lehre Astronomie zu studieren. Während der Wanderungen der Familie Maimon setzte Mosche seine verschiedenen Studien fort. Gerade in Fés, einem seiner ersten Emigrationsziele, bestand für Maimonides ein reiches Bildungsangebot. Dort beschäftigte man sich mit indischer Rechenkunst, Arzneikunde, Meßkunst und Algebra. Zudem las man arabische Erzählungen und Anekdoten, um den eleganten Stil bekannter Schriftsteller zu studieren, was sicherlich auch später Auswirkungen auf Maimonides eigene Werke hatte. Bereits in seiner Jugend hatte sich Mosche ben Maimon dem Studium der Medizin zugewandt und suchte später in Fés die Bekanntschaft mit Ärzten, bei denen er seine medizinischen Kenntnisse vertiefen konnte. Für ihn war das Heilen von Kranken eine Mitzwa, ein göttliches Gebot, denn nur ein Gesunder konnte zum jüdischen Ideal des Tikkun Olam, der vollständigen Heilung der Welt, beitragen. Als nach dem Tod seines Vaters und seines Bruders die Frage aufkommt, wie Maimonides seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, schloß er die Tätigkeit des Rabbiners aus, da er sie nicht als Beruf verstand, mit dem man Geld verdienen soll, sondern als Berufung. Hier stützte er sich auf Hillel, der sich selbst „vom Erlös seiner Arbeit“ ernährte. Mosche ben Maimon war also gegen die finanzielle Honorierung geistlicher Arbeit und konnte seine Position mit talmudischen Quellen untermauern. Wie andere bedeutende jüdische Denker vor ihm wurde Mosche Arzt. Für ihn war die Medizin ein grundlegender Lebensbestandteil, und bereits der Talmud schreibt vor, daß sich ein Weiser nur in einer Stadt niederlassen darf, die zehn Bedingungen erfüllt; eine davon ist das Vorhandensein eines Arztes. In späteren Jahren sollte er ein berühmter und geachteter Arzt werden, sogar Leibarzt von Kalifen und Wesiren, der wichtige medizinische Abhandlungen verfaßte und an den medizinische Anfragen aus vielen Ländern gestellt wurden. Aufgrund seines Ansehens und seiner Anstellung als Leibarzt am Hofe wurde Mosche ben Maimon 1176 der Rang des Nagid verliehen, ein Ehrenamt, das er bis zu seinem Tode im Jahre 1204 innehatte. Das Nagidat wurde mit der Errichtung des Fatimitdenreiches geschaffen und kann als Gegenpol zum Exilarchen angesehen werden, der im feindlichen Bagdad residierte und dessen Autorität weltweit von Juden anerkannt wurde. Der Nagid war das Oberhaupt der Juden Ägyptens, übernahm die Führung aller jüdischen Gemeinden im Fatimidenreich und stand im Dienst des Landesherrn. Der Nagid ernannte Rabbiner und Vorbeter und setzte in allen Städten Batei Din (Gerichtshöfe) ein, die durch seine Autorität Urteile fällen und Urkunden ausstellen durften.
Maimonides hatte ein hohes Bildungsziel. Es lautete, G-tt zu erfassen, „soweit es einem Menschen möglich ist“. Um sich diesem Ideal zu nähern, befaßte er sich zunächst mit Logik – hier sei nur am Rande angemerkt, daß Mosche bereits mit 16 Jahren eine Einführung in die Logik verfaßte -, ging daraufhin über zu mathematischen Wissenschaften, schließlich zu Naturwissenschaften und konzentrierte sich dann auf die Metaphysik. Laut Heschel (1992) soll sich Maimonides nach eigener Aussage deshalb mit Werken wie den astronomischen Schriften des Ptolomäus oder den Sätzen der Algebra beschäftigt haben, weil er hoffte, dadurch „die streng demonstrative Schlußweise von den anderen Denkverfahren zu unterscheiden und so zur Erkenntnis der Wahrheit des göttlichen Daseins zu gelangen“. Er bemühte sich außerdem, tieferen Einblick in die moslemische Gedankenwelt zu erhalten, in dem er sich eingehend mit den theologischen Schriften des Islam beschäftigte. Mit außerordentlichem Eifer studierte Mosche philosophische Schriften, etwa die Lehren des Sokrates oder Platon, ebenso wie Kommentare moslemischer Interpreten wie Alfarabi, Ibn Tufail und Ibn Sina. Sein „Meister“ aber war Aristoteles, von dem er sagte: „Sein Wissen ist das Vollkommenste, das ein Mensch besitzen kann“.
Durch die Auseinandersetzung mit der griechisch-arabischen Philosophie wurde Maimonides jedoch zu keinem Zeitpunkt dazu verleitet, sich von seinem jüdischen Glauben zu entfernen. Ganz im Gegenteil, seiner Meinung nach hielt das Judentum den Vergleich mit anderen Religionen und Philosophien stand.
Nichtsdestotrotz hatte das Talmud-Tora-Studium bei Mosche ben Maimon den wichtigsten Stellenwert, alle anderen Wissenschaften habe er seiner eigentlichen „Frau“ (der Tora) lediglich als „Nebenbuhlerinnen zur Seite gestellt“: Die Tora habe ihn „ersehen, ehe er aus dem Schoße der Mutter kam, erkoren, auf daß er sie auf Erden verbreite“. Rambam beschäftigte sich intensiv mit jüdischen Denkern wie Salomon Ibn Gabirol, Jehuda Halevi und Abraham Ibn Esra, die Bibelkommentare oder eigene Werke verfaßten, die ein philosophisches System enthielten.
Aber wie konnte Rambam zwei scheinbar gegensätzliche Disziplinen wie das Judentum und die Philosophie miteinander vereinbaren? Er vertrat die Ansicht, daß Tora und Philosophie demselben Ziel dienen können: daß der Mensch G-tt kennt und fürchtet. Für Mosche sind beide Disziplinen „Zwillingsschwestern“; während sich die Religion an alle Menschen richtet, um sie zu bessern, wendet sich die Philosophie an nur wenige Erwählte, die nach der wahren Lehre der Religion, über G-tt, das All und die Bestimmungen des Menschen suchen.
Eine von Mosche ben Maimons philosophischen Hauptfragen war die nach dem Sinn der jüdischen Geschichte. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Vita stellte er sich existentielle Fragen: Warum wurde das Volk Israel so vielen Prüfungen unterzogen? Weshalb wurde dieses kleine Volk immerzu verfolgt und war dazu verdammt, umherzuirren? Und wie hätte sich wohl das jüdische Volk in einem eigenen Land entwickelt, wenn es die Möglichkeit gehabt hätte, wie andere Völker in Frieden und Wohlstand zu leben?
Mischne Tora: Die Zusammenfassung der Lehre
In der nachbiblischen Zeit war einzig und allein das biblische Wort Gegenstand von Studium und Forschung jüdischer Gelehrsamkeit. Zu Beginn des dritten Jahrhunderts konnten die Resultate aus dem jahrhundertelangen Studium und der Auslegung der Heiligen Schrift in der Mischna zusammengetragen werden, dessen Redaktion in der Hand Rabbi Jehuda Hanassis lag. Mit der Mischna war das autoritative Gesetzbuch für die Praxis des Studiums und des Lebens geschaffen. Während der kommenden Jahrhunderte sammelten sich eine ganze Fülle neuer Erkenntnisse und Ansichten, die den Text der Mischna eingehend kommentierten. Zusammen mit der Mischna bildet dieser Text den Talmud, der im fünften Jahrhundert abgeschlossen wurde.
Zu Maimonides Zeiten bildete der Talmud seit sieben Jahrhunderten die Grundlage aller religiösen Forschungen, den „Mittelpunkt aller geistigen Tätigkeit unter den Juden“. Allerdings erwies sich im Laufe der Zeit, daß ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung der „hohen Schule“ des Talmud nicht gewachsen war. Aus diesem Grund bemühten sich Generationen von nachtalmudischen Gelehrten, das Werk für das Volk verständlich zu machen. Jedoch besaßen nur einige Wenige das Talent und die Fähigkeit, den Talmud selbständig zu studieren.
Maimonides stellte mit großem Bedauern fest, daß das Volk somit „ohne ein Gesetzbuch ist, in dem es feststehende Lehrsätze finden könnte, die unvermischt mit Kontroversen und Irrtümern wären“. Vor diesem Hintergrund faßte Maimonides den Entschluß zur Zusammenstellung eines religionsgesetzlichen Werkes, an dem sich seine Glaubensbrüder orientieren konnten.
In dem auf hebräisch verfaßten Werk Mischne Tora stellt Rambam zum erstenmal das gesamte jüdische Religionsgesetz systematisch dar. Er trägt hier das unübersehare Material aus den Diskussionen des Talmud in seiner Gesamtheit zusammen und systematisiert sie nach einem bis ins kleinste Detail durchdachten Plan. Nach eigener Aussage hat er zehn Jahre an diesem Werk gearbeitet, das er im Jahre 1180 vollendete.
Mit seinem Werk steht Maimonides auf festem Boden der Tradition und leistet den Vorschriften des Talmud unbedingten Gehorsam. Er klassifiziert Gesetze nicht in wichtig oder minderwichtig, denn ihm sind alle Bestimmungen gleichermaßen heilig, seien sie nun rabbinischem oder biblischen Ursprungs. Das Werk Mischne Tora umfaßt insgesamt 14 Bücher, wobei jedes Buch in mehrere Halachot (Abschnitte) zerfällt, die aus Perakim (Kapitel) bestehen.
Maimonides läßt in seinem Werk die einzelnen Phasen der Entwicklung von Diskussionen und Kontroversen, die sich im Talmud finden, beiseite und konzentriert sich statt dessen auf deren Endresultate. Was Maimonides im Talmud als gesetzlich entschieden fand, nimmt er in sein Werk als Gesetz auf und trifft in unentschiedenen Fällen selbst Entscheidungen. Selten legt er in Mischne Tora religiöse Erörterungen dar und unterläßt meist, dem Leser Begründungen für (seine) religiösen Vorschriften mitzuteilen, denn er will „hier nicht überzeugen und erklären, sondern entscheiden und richten“. Leider kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich auf den Inhalt der Mischne Tora eingegangen werden. Trotzdem sollen nun einige wenige Themen aufgezeigt werden, die Maimonides in seinem Werk behandelt.
Inhaltlich umfaßt Rambams Religionskodex sämtliche 613 Ge- und Verbote der hebräischen Bibel. Er befaßt sich mit allen Vorschriften des Judentums, seien sie religiösritueller, bürgerlicher oder strafrechtlicher Natur. Es finden sich hier Gedanken über die Einheit G-ttes ebenso wie über das Verbot des Götzendienstes. In Mischne Tora betont Maimonides, daß die G-tteserkenntnis die höchstmögliche Form der Erkenntnis des Menschen sei. Weiterhin hebt er die Unkörperichkeit G-ttes hervor und führt aus, daß die anthropomorphen Ausdrücke der Bibel über G-ttes Gestalt einfache Bilder sind, damit alle Menschen sie verstehen. Rambam legt ferner seine Ansichten zur Moral- und Sittenlehre des Judentums dar. Hier unternimmt er den Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Auffassunen der Religion zu vereinen. So betrachtet er die Erhaltung der Gesundheit als Voredingung eines Gttgefälligen Lebens und somit als religiöse Pflicht, gleichbedeutend mit den Vorschriften zur Heiligung des Schabbat. Nach Mosche ben Maimon besteht die messianische Hoffnung des jüdischen Volkes darin, daß die Welt voller „G-tteserkenntnis“ sein wird und sich Israel sorgenfrei der Erforschung der Tora widmen kann. Ferner stellt Maimonides Vorschriften über die Gebete, die Schabbatot und die Chagim auf. Ein weiterer Themenpunkt der Mischne Tora sind zwischenmenschliche Beziehungen. Rambam erläutert in diesem Zusammenhang die Ehegesetze, die Reinlichkeitsvorschriften Taharat ha Mischpacha sowie Verbote den Geschlechtsverkehr betreffend. Des weiteren legt Rambam die Bestimmungen für das Schabbat- und Jobeljahr aus, um dann zu den Vorschriften für den Tempelbau überzugehen. Maimonides geht an dieser Stelle also selbst auf Themen ein, die Israel in der Galut nicht erfüllen kann: Er spricht hier ebenso über die Bereiche der opferdienstbezogenen Reinheit und Unreinheit wie über den Dienst der Kohanim im Heiligtum und die Regelungen für die Korbanot, die Opfer, im Tempel. Weiters behandelt er rechtliche Punkte wie die Sachbeschädigungen eines Menschen am Besitztum anderer sowie andere Rechtsprobleme. Abschließend geht Maimonides auf richterliche Entscheidungen, wie die Voraussetzungen für den Verhang der Todesstrafe, ein.
Maimonides erhielt für sein Werk durchaus nicht nur Lob und Anerkennung, sondern mußte sich die Kritik gefallen lassen, man könne seinen Argumentationssträngen teilweise nicht folgen, da die exakten Quellen dazu fehlen. Zudem erweckte sein Monumentalwerk bei manchen den Eindruck, es wolle den Talmud verdrängen.
Trotz aller Kritik hat sich die Mischne Tora schnell durchgesetzt und erlangte vor allem bei der sefardischen Judenheit große Popularität und Anerkennung. Das Werk wurde zum Lehrbuch für Studierende, zum Kompendium für Richter und zum Nachschlagewerk für alle Wißbegierigen.
More Nebuchim: Führer der Unschlüssigen
Die Schrift „Führer der Unschlüssigen“, die als sein religionsphilosophisches Hauptwerk gilt, wurde erst 1190 von Maimonides veröffentlicht. Dieses Werk widmete er seinem Lieblingsschüler Josef ben Jehuda Ibn Aknin, der sich im Zuge der Machtergreifung der Almohaden in Marokko zum Islam bekennen mußte und 1185 nach Fostat kam, um drei Jahre bei Maimonides zu lernen.
Das auf arabisch geschriebene Buch dient dem Ziel „mit der Fackel der Wissenschaft in das innere Heiligtum der Religion hineinzuleuchten“ und besteht aus drei Teilen, die wiederum in Kapitel oder Abschnitte aufgeteilt sind.
Im ersten Teil definiert Mosche ben Maimon seinen G-ttesbegriff und schließt jedwede Körperlichkeit G-ttes aus, um im zweiten Teil den Beweis für die Existenz G-ttes zu führen.Der dritte Teil des „Führers“ beschreibt schließlich die Vision des Propheten Ezechiel vom Thronwagen und beleuchtet die Beziehung G-ttes zur Menschenwelt.
Zunächst geht es Mosche ben Maimon im „Führer“ um eine Bestimmung seines G-ttesbegriffs. Er unterscheidet zwei Gruppen von Menschen. Zur ersten Gruppe zählt er einfache, fromme Gläubige, die nicht die Möglichkeit und den Willen haben, Wissenschaften zu studieren und sich deshalb an den exakten Buchstabensinn der Tora halten. Lediglich den Menschen der zweiten Gruppe ist der tiefere Sinn der Tora zugänglich, die die Erkenntnisse der Philosophen in der Heiligen Schrift wiederzufinden versuchen. Maimonides schrieb den „Führer der Unschlüssigen“ nicht für die Menge, sondern für Josef und andere, die von der Wahrheit der Tora überzeugt sind und Philosophie studieren.
So erläutert Maimonides im „Führer der Unschlüssigen“ seine Überzeugung, die Tora mußte sich der Sprache des „einfachen Mannes“ bedienen, um sich dem gesamten Volk verständlich zu machen. G-tt ist nicht äußerlich oder körperlich, er besitzt keine Eigenschaften, dennoch mußte sich die Tora einer „leibhaftigen Sprache“ über G-tt (Hayoun) bedienen, um sich einer größtmöglichen Menschenzahl verständlich zu machen. Maimonides G-ttesbegriff ist also rein geistiger Natur, erhaben über alle sinnlichen Vorstellungen. Seiner Vorstellung entsprechend ist die Existenz G-ttes ab-solut notwendige Voraussetzung für die Schaffung der Welt. Eine Zuschreibung von jedweden Attributen G-ttes ist für ihn unzulässig, da alle beigefügten Eigenschaften das Wesen G-ttes nur begrenzen würden. Zulässig sind seiner Meinung nach lediglich verneinende Formen von Eigenschaften, die jegliche Unvollkommenheit G-ttes beseitigen und keine positiven, reduzierenden Eigenschaften beinhalten. Da wir mit menschlicher Erkenntnis nichts Näheres über die Vollkommenheit G-ttes aussagen können, bleibt uns nur, seine Unvollkommenheit zu negieren: „Wir können nur wissen, daß G-tt ist, nicht aber, was er ist“.
Eine weitere zentrale Frage ist die nach der Weltschöpfung. Würde man – wie Aristoteles – die Lehre von der Ewigkeit der Welt bejahen, wären die Grundlagen der jüdischen Religion gesprengt, denn zentral ist demnach der Schöpfungsbericht der Tora. Im Einklang mit der Tora geht Maimonides von der Schöpfung der Welt durch G-tt aus, der alle Dinge bestimmten Gesetzen unterwarf, die lediglich durch abweichende Wunder unterbrochen werden können. G-tt hat also die Welt durch seinen freien Willen erschaffen und erhält sie fortwährend. Da alles, was G-tt erschaffen hat, gut ist, kann das „Böse“ nur in einer Abwesenheit des Guten bestehen. Man betrachtet also das Nichtvorhandensein gewisser Dinge, so z.B. der Gesundheit, als Übel. Auch wenn G-ttes gesamte Schöpfung „gut“ ist, so existiert das Übel dennoch, obwohl G-tt es nicht im positiven Sinne erschaffen hat. Maimonides führt aus, daß das Gute wie das Böse, das dem Menschen begegnet, im Verhältnis zu seinen Handlungen steht. Alles Sein der Welt unterliegt der göttlichen Vorsehung, wobei das Ausmaß der göttlichen Fürsorge teilhaftig zu werden, von der Würdigkeit des einzelnen Menschen abhängig ist. Der Mensch muß demgemäß nach Vollkommenheit streben, nach dem biblischen Wort: „Ihr sollt mir ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk sein“. Dementsprechend sieht Mosche ben Maimon die Lebensaufgabe des Menschen darin, „zu einer immer höheren Stufe der geistigen Vollendung emporzusteigen“. Der Mensch muß also durch selbständiges Denken und intensives Forschen zu einem „Mehr“ an G-tteserkenntnis kommen. Diejenigen, die die höchste Stufe dieser Vollkommenheit erlangen, werden Propheten genannt. Je höher die geistige und sittliche Vollkommenheit des Propheten, desto höher auch seine Rangstufe: Mosche Rabbenu bekleidet nach Ansicht Mosche ben Maimon die höchste Stufe. Alle Propheten, die nach Mosche Rabbenu lebten, konnten seiner Lehre keine neuen Gesetze mehr hinzufügen.
Das religiöse Lebensideal, das Maimonides im „Führer“ aufzeigt, ist das Bemühen des Menschen, „seine Gedanken von allen weltlichen Dingen abzuwenden und auf G-tt zu konzentrieren und das Band, welches den Zusammenhang mit G-tt herstellt, immer fester und inniger zu gestalten“.
Außer einer Fülle von Gutachten und Sendschreiben verfaßte Mosche ben Maimon nach Abschluß des letzten Kapitels des „Führers der Unschlüssigen“ keine größeren Werke mehr, sondern konzentrierte sich zunehmend auf seine Praxis als Mediziner. Seinen Glaubensgenossen wurde „Moreh Nebuchim“ zu einem Führer und Wegweiser.