Creative Commons, Mischna Awot

Mischna Awot » Kapitel 2

Der Text der Mischna Awot » Kapitel 2

Mischna 1

רַבִּי אוֹמֵר, אֵיזוֹהִי דֶרֶךְ יְשָׁרָה שֶׁיָּבוֹר לוֹ הָאָדָם, כֹּל שֶׁהִיא תִפְאֶרֶת לְעוֹשֶׂיהָ וְתִפְאֶרֶת לוֹ מִן הָאָדָם. וֶהֱוֵי זָהִיר בְּמִצְוָה קַלָּה כְּבַחֲמוּרָה, שֶׁאֵין אַתָּה יוֹדֵעַ מַתַּן שְׂכָרָן שֶׁל מִצְוֹת. וֶהֱוֵי מְחַשֵּׁב הֶפְסֵד מִצְוָה כְּנֶגֶד שְׂכָרָהּ, ושְׂכַר עֲבֵרָה כְּנֶגֶד הֶפְסֵדָהּ.
וְהִסְתַּכֵּל בִּשְׁלשָׁה דְבָרִים וְאִי אַתָּה בָא לִידֵי עֲבֵרָה – דַּע מַה לְּמַעְלָה מִמְּךָ,
עַיִן רוֹאָה
וְאֹזֶן שׁוֹמַעַת,
וְכָל מַעֲשֶׂיךָ בַּסֵּפֶר נִכְתָּבִין:

Rabbi sagte:
Welcher ist der rechte Weg ((Samson Raphael Hirsch: Wenn uns eine Handlung zur Wahl steht, so sollen wir ein Zweifaches erwägen: einmal, dass die Handlung eine solche sei, die mit dem göttlichen Willen und seinem Pflichtgebot übereinstimmt, so dass deren Übung an sich uns zur Ehre gereicht, dann aber auch in zweiter Linie, dass sie keiner Missdeutung in den Augen der Menschen unterliegt. Es ist dies ganz der Grundsatz, der sonst mit der Forderung: והיתם נקיים מד‘ ומישראל ausgesprochen ist. Und wenn es sich um die Erfüllung einer Pflicht handelt, so übe die dir leicht scheinende oder leicht werdende ganz mit derselben Gewissenhaftigkeit und Achtsamkeit wie die, die dir die schwerere scheint, oder deren Erfüllung die schwerere sei, denn du kennst nicht den Maßstab, mit welchem Gott den Lohn unserer guten Taten zumisst. Es heißt hier מַתַּן שְׂכָרָן , wohl zur Unterscheidung von dem folgenden שכר מצוה ועברה. Der Lohn unserer guten Taten und Vergehungen ist nämlich ein zweifacher. Einmal der äußere, der durch Gottes Fügung und Verhängung früher oder später, in diesem oder jenem Leben, unser wird; auf diesen bezieht sich das מַתַּן שְׂכָרָן. Es gibt aber einen andern, einen inneren Lohn, den sofort jede gute Tat und jede böse Tat mit sich bringt; es ist dies die Erhöhung unseres sittlichen Wertes, die Steigerung unserer sittlichen Kraft, das wie nichts anderes glückselige, uns der Nähe Gottes würdigende Bewusstsein treu erfüllter Pflicht, womit jede gewissenhafte Pflichterfüllung sofort uns lohnt, so wie die Einbuße sittlicher Reinheit, die Schwächung sittlicher Kraft, die größere Geneigtheit zu weiterem Schlechten, das wie nichts anderes niederschlagend quälende, uns den ruhigen Aufblick zu Gott raubende Bewusstsein, unsere Bestimmung verfehlt, gegen unsere Bestimmung gefrevelt und damit die Zufriedenheit unseres Gottes mit uns, ja unsere eigene Zufriedenheit verscherzt zu haben. Diesen Lohn jeder guten Tat und diese Einbuße mit jeder bösen Tat vermögen wir sehr wohl zu ermessen und von ihnen spricht das שכר מצוה und הפסד עברה unseres Satzes und mahnt uns, die Opfer an Gütern und Genüssen, die etwa eine Pflichterfüllung von uns fordern möchte, gegen den alles überwiegenden Gewinn des beglückenden Bewusstseins in Anschlag zu bringen, mit welchem jedes in Pflichttreue bewährte Beharren und Vollbringen uns, und zwar mit um so größerer Glückseligkeit erfüllt, je größer die Opfer sind, die wir unserer Pflichttreue zu bringen hatten; und ebenso die durch nichts zu ersetzende Einbuße innerer Reinheit und innerer Ruhe, und die dauernd niederschlagende Qual sich selbst verurteilenden, die Zufriedenheit unseres Gottes uns versagenden Schuldbewusstseins, gegen jeden Gewinn unrechtlicher Güter und unheiliger Genüsse in Anschlag zu bringen, mit welchem etwa ein sündhafter Reiz uns der Pflichtbahn zu entlocken uns versuchen möchte. Nichts aber erleichtert das freudige Vollbringen alles Guten und das standhafte Meiden alles Schlechten mehr, als die stete Vergegenwärtigung der drei hier genannten Dinge, des aus der Höhe auf all unser Tun und Reden gerichteten schauenden Auges und hörenden Ohres, und dass all unser Thun in »das Buch« geschrieben werde. Das Bewusstsein, von einem über uns und alles gebietenden Höchsten bei allem unseren Thun und Reden geschaut und gehört zu werden, ist gewiss der mächtigste Sporn, vorsichtig und freudig mit allem Tun und Reden zu sein. Erhöht wird aber diese Vorsicht und Freudigkeit, wenn wir wissen, dass alles, was wir tun. בספר in »das Buch« geschrieben wird. Es heißt nicht בְספר sondern בספר wie wir bereits zu 2.B.M. 32, 32 unter Anführung der betreffenden Stelle bemerkt, wird die ganze durch Gott geleitete Weltentwickelung als ein einheitliches Ganzes, als »ein Buch« betrachtet, in welchem alles für diese Weltentwickelung Bedeutsame seinen Platz hat. Vergiss es nie, mahnt unser Satz, dass alles, was du tust, mit seinen Wirkungen und Folgen weit über die kurze Spanne seines flüchtigen Geschehens hinausreicht. Nicht nur ist bei Gott das Kleinste unvergessen und wird dir dereinst bei einem Rückblick auf dein vollendetes Hiersein zum Bewusstsein gebracht, sondern es wirkt auch selbst im Guten und Bösen in alle Zukunft weiter. Grund genug, um nichts zu tun, dessen du dich vor Gott und deinem einstigen Selbstbewusstsein zu schämen hättest, Grund genug, um darauf bedacht zu sein, nur Saaten des Guten mit all deinem Tun in den Schoß der Zukunft zu legen.)) , den der Mensch wählen soll? – Der den ehrt, der ihn einschlägt, und der ihm Achtung einbringt bei den Leuten.
Beachte ein geringes Gebot genau so wie ein wichtiges, denn du weißt nicht, wie sie vergolten werden. Halte gegen den Verlust wegen Einhaltung eines Gebots den dadurch entstehenden Gewinn, und gegen den Gewinn wegen Übertretung den dadurch entstehenden Verlust.
Merk auf drei Dinge, und du wirst nicht in Sünde fallen: Beherzige was über dir ist, ein Auge das sieht und ein Ohr das hört, und dass alle deine Werke in ein Buch geschrieben werden.

Mischna 2

רַבָּן גַּמְלִיאֵל
בְּנוֹ שֶׁל רַבִּי יְהוּדָה הַנָּשִׂיא אוֹמֵר,
יָפֶה תַלְמוּד תּוֹרָה עִם דֶּרֶךְ אֶרֶץ, שֶׁיְּגִיעַת שְׁנֵיהֶם מְשַׁכַּחַת עָוֹן. וְכָל תּוֹרָה שֶׁאֵין עִמָּהּ מְלָאכָה, סוֹפָהּ בְּטֵלָה וְגוֹרֶרֶת עָוֹן. וְכָל הָעֲמֵלִים עִם הַצִּבּוּר, יִהְיוּ עֲמֵלִים עִמָּהֶם לְשֵׁם שָׁמַיִם, שֶׁזְּכוּת אֲבוֹתָם מְסַיְּעָתַן וְצִדְקָתָם עוֹמֶדֶת לָעַד.
וְאַתֶּם, מַעֲלֶה אֲנִי עֲלֵיכֶם שָׂכָר הַרְבֵּה כְּאִלּוּ עֲשִׂיתֶם:

Rabban Gamliel,
Rabbi Jehudas der Sohn des Nassi, sagte:
Es ist schön, das Studium der Torah 1wörtlich: Talmud Torah mit weltlichen Werken zu verbinden 2torah im derech eretz ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Derech eretz umfasst alles, was daraus hervorgeht und dadurch bedingt ist, dass der Mensch sein Dasein, seine Bestimmung und sein Zusammenleben mit anderen auf Erden und durch die von der Erde zu gewährenden Mittel und Verhältnisse zu vollenden hat. Daher bezeichnet es namentlich die Wege der Nahrung und der bürgerlichen Ordnung, auch die durch das Zusammenleben hervorgerufenen Sitten und Rücksichten der Höflichkeit und des Anstandes, sowie alles, was die allgemeine menschliche und bürgerliche Bildung betrifft. Der beigefügte Grund: “denn die Beschäftigung mit beiden lässt sündige Gedanken nicht aufkommen” lässt, glauben wir, erkennen, dass hier unter Derech Erez zunächst die der bürgerlichen Existenz zugewandte Geschäftstätigkeit verstanden ist. Es heißt hier nicht: hält fern, schützt vor Sünde, sondern משכחת, lässt vergessen, lässt den Gedanken von Sünde nicht aufkommen. Wir glauben, dass hiermit gesagt ist, nur eine dem Studium und der selbständigen Ernährung gewidmete Beschäftigung nehme so sehr die ganze Zeit in Anspruch, dass keine unbeschäftigte Muße bleibt, in welcher vom Guten fernliegenden und entfernenden Gedanken nachgehängt werden könnte. Aber auch geradezu und jedes Toralernen, wer neben dem Toralernen nicht auch eine ernährende Arbeit pflegt, läuft Gefahr, aus Mangel das Lernen einstellen zu müssen und sich aus Not und Elend zu Unrechtem verleiten zu lassen.”)), denn das Mühen um beide lässt das Sündigen vergessen.
Die Torah ohne einen anderen Lebenserwerb aber muss zunichte werden und zieht Sünde nach sich. Die sich im Dienst an der Gemeinde abmühen, sollen also tun um des Himmels willen, denn das Verdienst ihrer Väter hilft ihnen, und die Gerechtigkeit ihrer Väter besteht in Ewigkeit. ER spricht: Euch aber will ich reichen Lohn zurechnen, als hättet ihr alles vollbracht.

Mischna 3

הֱווּ זְהִירִין בָּרָשׁוּת, שֶׁאֵין מְקָרְבִין לוֹ לָאָדָם אֶלָּא לְצֹרֶךְ עַצְמָן.
נִרְאִין כְּאוֹהֲבִין בִּשְׁעַת הֲנָאָתָן.
וְאֵין עוֹמְדִין לוֹ לָאָדָם בִּשְׁעַת דָּחֳקוֹ:

Seid vorsichtig im Umgang mit den Großen, denn nur aus Eigennutz sind sie herablassend gegen die Menschen.
Sie stellen sich freundlich, doch nur wenn sich daraus ein Vorteil für sie ergibt.
In der Notzeit aber stehen sie dem Menschen nicht bei.

Mischna 4

הוּא הָיָה אוֹמֵר,
עֲשֵׂה רְצוֹנוֹ כִּרְצוֹנֶךָ,
כְּדֵי שֶׁיַּעֲשֶׂה רְצוֹנְךָ כִּרְצוֹנוֹ.
בַּטֵּל רְצוֹנְךָ מִפְּנֵי רְצוֹנוֹ,
כְּדֵי שֶׁיְּבַטֵּל רְצוֹן אֲחֵרִים מִפְּנֵי רְצוֹנֶךָ.

Ferner sagte Rabban Gamliel:
Tue SEINEN Willen, als sei es dein Willen,
damit er deinen Willen als SEINEN Willen tue.
Brich deinen Willen vor SEINEM Willen,
damit er den Willen anderer vor deinem Willen breche.

הִלֵּל אוֹמֵר,
אַל תִּפְרוֹשׁ מִן הַצִּבּוּר,
וְאַל תַּאֲמֵן בְּעַצְמָךְ עַד יוֹם מוֹתָךְ,
וְאַל תָּדִין אֶת חֲבֵרָךְ עַד שֶׁתַּגִּיעַ לִמְקוֹמוֹ, וְאַל תֹּאמַר דָּבָר שֶׁאִי אֶפְשָׁר לִשְׁמוֹעַ שֶׁסּוֹפוֹ לְהִשָּׁמַע.
וְאַל תֹּאמַר לִכְשֶׁאֶפָּנֶה אֶשְׁנֶה, שֶׁמָּא לֹא תִפָּנֶה:

Hillel sagte: Sondere dich nicht ab von der Gemeinde. Misstraue dir selbst bis zu deinem letzten Atemzug. Richte nicht deinen Nächsten, ehe du selbst nicht in seine Lage gekommen bist. Rede nichts Unverständliches in der Annahme, man werde es später schon verstehen. Und sprich niemals: Wenn ich Muße habe, dann will ich lernen, denn wer weiß, ob du jemals Muße findest.

Mischna 5

הוּא הָיָה אוֹמֵר,
אֵין בּוֹר יְרֵא חֵטְא,
וְלֹא עַם הָאָרֶץ חָסִיד,
וְלֹא הַבַּיְשָׁן לָמֵד,
וְלֹא הַקַּפְּדָן מְלַמֵּד,
וְלֹא כָל הַמַּרְבֶּה בִסְחוֹרָה מַחְכִּים.
ובִמְקוֹם שֶׁאֵין אֲנָשִׁים, הִשְׁתַּדֵּל לִהְיוֹת אִישׁ:

Er sagte ferner:
Wer das Gesetz nicht kennt,
der scheut keine Sünde, und wer nichts weiß, kann nicht gerecht sein.
Ist einer schüchtern, dann vermag er nichts zu lernen,
und ist einer aufbrausend,
dann kann er nicht lehren.
Und wer viel Handel treibt, wird nicht weise.
Fehlt es an einem Ort an Männern, dann bemühe dich, ein Mann zu sein.

Mischna 6

אַף הוּא רָאָה גֻלְגֹּלֶת אַחַת שֶׁצָּפָה עַל פְּנֵי הַמָּיִם. אָמַר (לָהּ),
עַל דַּאֲטֵפְתְּ, אַטְפוּךְ.
וְסוֹף מְטַיְּפַיִךְ יְטוּפוּן:

Und da er sah einen Schädel auf dem Wasser treiben, redete er ihn an und sprach: Weil du ertränkt hast, ertränkte man dich, und die dich ertränkten, werden ertrinken.

Mischna 7

הוּא הָיָה אוֹמֵר,
מַרְבֶּה בָשָׂר מַרְבֶּה רִמָּה.
מַרְבֶּה נְכָסִים, מַרְבֶּה דְאָגָה.
מַרְבֶּה נָשִׁים, מַרְבֶּה כְשָׁפִים.
מַרְבֶּה שְׁפָחוֹת, מַרְבֶּה זִמָּה.
מַרְבֶּה עֲבָדִים, מַרְבֶּה גָזֵל.
מַרְבֶּה תוֹרָה, מַרְבֶּה חַיִּים.
מַרְבֶּה יְשִׁיבָה, מַרְבֶּה חָכְמָה.
מַרְבֶּה עֵצָה, מַרְבֶּה תְבוּנָה.
מַרְבֶּה צְדָקָה, מַרְבֶּה שָׁלוֹם.
קָנָה שֵׁם טוֹב, קָנָה לעַצְמוֹ.
קָנָה לוֹ דִבְרֵי תוֹרָה, קָנָה לוֹ חַיֵּי הָעוֹלָם הַבָּא:

Er sagte ferner:
Mehr Fleisch bedeutet auch mehr Gewürm.
Mehr Güter, mehr Sorgen.
Mehr Mägde, mehr Unzucht.
Mehr Knechte, mehr Untreue.
Mehr Frauen, mehr Zauberei.
Mehr Torah, mehr Leben.
Mehr Lehre, mehr Weisheit.
Mehr Rat, mehr Einsicht.
Mehr Tzedakah, mehr Frieden.
Wer einen guten Namen erworben hat,
hat ihn für sich erworben.
Wer Worte der Torah erworben hat, hat die zukünftige Welt erworben.

Mischna 8

רַבָּן יוֹחָנָן בֶּן זַכַּאי קִבֵּל מֵהִלֵּל וּמִשַּׁמַּאי.
הוּא הָיָה אוֹמֵר,
אִם לָמַדְתָּ תּוֹרָה הַרְבֵּה,
אַל תַּחֲזִיק טוֹבָה לְעַצְמָךְ, כִּי לְכָךְ נוֹצָרְתָּ.

Und Rabban Jochanan, Zakkais Sohn, war Schüler Hillels und Schammais, und er sagte: Rühme dich nicht, wenn du viel im Gesetz geforscht hast, denn dazu wurdest du ja erschaffen.

חֲמִשָּׁה תַלְמִידִים הָיוּ לוֹ לְרַבָּן יוֹחָנָן בֶּן זַכַּאי, וְאֵלּוּ הֵן,
רַבִּי אֱלִיעֶזֶר בֶּן הֻרְקְנוֹס,
וְרַבִּי יְהוֹשֻׁעַ בֶּן חֲנַנְיָה,
וְרַבִּי יוֹסֵי הַכֹּהֵן,
וְרַבִּי שִׁמְעוֹן בֶּן נְתַנְאֵל,
וְרַבִּי אֶלְעָזָר בֶּן עֲרָךְ.

Fünf Schüler hatte Rabban Jochanan, Zakkais Sohn: Rabbi Eliezer, des Hyrkanos Sohn,
Rabbi Jehoschua, Chananjas Sohn,
Rabbi Jose haKohen,
Rabbi Schimon, Nathanaels Sohn
und Rabbi Eleazar, Arachs Sohn.

הוּא הָיָה מוֹנֶה שְׁבָחָן.
רַבִּי אֱלִיעֶזֶר בֶּן הֻרְקְנוֹס, בּוֹר סוּד שֶׁאֵינוֹ מְאַבֵּד טִפָּה.
רַבִּי יְהוֹשֻׁעַ בֶּן חֲנַנְיָה, אַשְׁרֵי יוֹלַדְתּוֹ.
רַבִּי יוֹסֵי הַכֹּהֵן, חָסִיד.
רַבִּי שִׁמְעוֹן בֶּן נְתַנְאֵל, יְרֵא חֵטְא.
וְרַבִּי אֶלְעָזָר בֶּן עֲרָךְ, מַעְיָן הַמִּתְגַּבֵּר.

Er lobte ihre Tugenden, indem er sprach:
Rabbi Eliezer, des Hyrkanos Sohn, – er ist wie eine gut ausgekalkte Zisterne, die keinen Tropfen verlorengehen lässt.
Rabbi Jehoschua, Chananjas Sohn, – gepriesen sei, die ihn geboren.
Rabbi Jose, der Kohen, – er ist ein Gerechter.
Rabbi Schimon, Nathanaels Sohn, – er fürchtet die Sünde.
Rabbi Eleazar, Araks Sohn, – er ist wie eine Quelle, die immer stärker strömt.

הוּא הָיָה אוֹמֵר,
אִם יִהְיוּ כָל חַכְמֵי יִשְׂרָאֵל בְּכַף מֹאזְנַיִם, וֶאֱלִיעֶזֶר בֶּן הֻרְקְנוֹס בְּכַף שְׁנִיָּה,
מַכְרִיעַ אֶת כֻּלָּם.
אַבָּא שָׁאוּל אוֹמֵר מִשְּׁמוֹ,
אִם יִהְיוּ כָל חַכְמֵי יִשְׂרָאֵל בְּכַף מֹאזְנַיִם
וְרַבִּי אֱלִיעֶזֶר בֶּן הֻרְקְנוֹס אַף עִמָּהֶם,
וְרַבִּי אֶלְעָזָר בֶּן עֲרָךְ בְּכַף שְׁנִיָּה,
מַכְרִיעַ אֶת כֻּלָּם:

Auch pflegte er zu sagen:
Wären alle Weisen Israels in einer Waagschale und Eliezer, des Hyrkanos Sohn in der anderen, dann würde er sie alle aufwiegen.
Und Abba Scha‘ul sagte in seinem Namen:
Wären alle Weisen Israels in einer Wagschale und Eliezer, Sohn des Hyrkanos, noch dazu, und wäre Rabbi Eleazar, in der anderen, dann würde er sie alle aufwiegen. ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Oft ist das sittliche Verhalten eines Minderbegabten (der nur ein bescheiden Grad an Wissen erlangt hat), weit größer, als das eines Hochbegabten (der sich ein hohes Grad des Wissens angeeignet hat). Das bescheidene Wissen des Wenigbegabten verdankt er seiner ausserordentlichen Anstrengung und Hingebung, während dem andern das Lernen infolge seiner günstigen Begabung ausserordentlich leicht geworden, und er den Grad seines glänzenden Wissens in erster Linie seinen Bildungsanlagen verdankt. Er hat nur das Verdienst, die Anlagen, die ihm sein Schöpfer gegeben, nicht vernachlässigt und sie ihrer Bestimmung gemäss gebraucht zu haben, ein Verdienst, welches der Minderbegabte mit seinem bescheidenen Wissen mit ihm teilt.
Im Mund eines Rabbi Jochanan ben Sakkai, der, selbst ein Muster des umfassendsten Wissens, eine sehr grosse Schülerzahl hatte und ganz eigentlich unmittelbar nach dem Zusammenbruch des jüdischen Staatslebens der Träger und Forterhalter der Lehre war, war dieser Ausspruch doppelt bedeutsam. Er mahnte die Tüchtigsten seiner Schüler zur Bescheidenheit und zum pflichtgetreuen Gebrauch ihrer Anlagen und ermutigte die Minderbegabten zum unverzagten Fortschritt.
Die hier nach ihren besonderen Eigentümlichkeiten geschilderten fünf waren die Ausgezeichneten unter seinen Schülern. Der Nachruf Aschrej Joladeto auf seine Mutter bezeichnet Rabbi Jehoschua als einen Mann von sittlicher und geistiger Vollendung. Wenn hinsichtlich des Ruhms des Rabbi Elieser Sohn Horkenos‘ und des Rabbi Elasar Sohn Arachs die Uberlieferung geteilt zu sein scheint, wem die Palme gebührt, so dürfte dieses Schwanken nur scheinbar sein und jedem für ein bestimmtes, gleich wichtiges Feld der Wissenschaftslehre mit gleicher Berechtigung die Palme zuzuerkennen sein. Rabbi Elieser Sohn Horkenos‘, für das zuverlässig treue und vollständige Bewahren des überlieferten Schatzes der Wissenschaft, Rabbi Elasar Sohn Arachs, wenn es sich um die reichhaltige Folgerung und vielseitige Anwendung der Gesetzeslehre zur Gestaltung der menschlichen Verhältnisse nach dem geoffenbarten göttlichen Willen handelt.
Die allerdings zunächst im sittlichen Gebiet sich bewährenden Charaktere (sündenscheu und fromm) dürften gleichwohl auch ihre Geltung für das Gebiet der Wissenschaftslehre haben.
Der Jere Chet wird sich gewissenhaft vor allem davor hüten, ja nichts Irrtümliches zur Geltung zu bringen, ihn wird die Eitelkeit nicht verführen, irgend etwas als neu entdeckte Wahrheit zu lehren, an deren Richtigkeit er selbst im Innern noch zweifelt, er wird keine irrige Meinung aufrechthalten, weil er sie einmal geäussert, sobald er sie als Irrtum oder auch nur als zweifelhaft eingesehen, er wird nie hartnäckig auf seiner Ansicht bestehen und sich gern belehren lassen.
Vollends der Chasid wird auch im Gebiet der Wissenschaft die vollendete Selbstlosigkeit bewahren. Ihm wird nur die Erkenntnis und das Lehren des Wahren und Guten am Herzen liegen, gleichgültig, ob ihm oder einem andern daraus der Ruhm der Entdeckung erwächst, ja er wird gern auf die Ansicht eines andern eingehen, wird sie prüfen, wird sie verbessern, wird sie mit Gründen und Beweisen zu stützen suchen, wird sie endlich adoptieren, wenn sie ihm die bessere erscheint, wie wir dies unzählige Male in den Verhandlungen des Talmuds finden.))

Mischna 9

אָמַר לָהֶם,
צְאוּ וּרְאוּ אֵיזוֹהִי דֶרֶךְ יְשָׁרָה שֶׁיִּדְבַּק בָּהּ הָאָדָם. רַבִּי אֱלִיעֶזֶר אוֹמֵר, עַיִן טוֹבָה.
רַבִּי יְהוֹשֻׁעַ אוֹמֵר, חָבֵר טוֹב.
רַבִּי יוֹסֵי אוֹמֵר, שָׁכֵן טוֹב.
רַבִּי שִׁמְעוֹן אוֹמֵר, הָרוֹאֶה אֶת הַנּוֹלָד.
רַבִּי אֶלְעָזָר אוֹמֵר, לֵב טוֹב.
אָמַר לָהֶם, רוֹאֶה אֲנִי אֶת דִּבְרֵי אֶלְעָזָר בֶּן עֲרָךְ מִדִּבְרֵיכֶם, שֶׁבִּכְלַל דְּבָרָיו דִּבְרֵיכֶם.

Er sprach zu ihnen: Geht hinaus ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Geht einmal hinaus in den Kreis des wirklichen Lebens und suchet einen „Weg“, eine Richtung, ein leitendes Prinzip, an dem man unter allen Umständen sich festhalten könne, um auf dem Weg zum Guten zu bleiben. )) und sehet, welches der richtige Weg ist, dass ihn sich ein Mensch erwähle.
Da sprach Rabbi Eliezer: Ein freundliches Auge ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Ajin towah, bezeichnet diejenige Gemütsart, die alle Mitmenschen und ihre Angelegenheiten, alles, was sie erstreben, erringen und besitzen, mit freundlicher, wohlwollender Gesinnung anschaut. Ein „gutes Auge“ freut sich über das Gedeihen des Nächsten, wünscht allen Menschen alles Gute und kennt keinen Neid, keine Missgunst, keine Scheel- und Eifersucht. Eine solche Gemütsart schützt gewiss davor, dem Wohl und dem Gedeihen des Nächsten irgendwie hindernd in den Weg zu treten und lässt mit freudiger Bereitwilligkeit alles leisten, was das Wohl und Gedeihen des Nächsten irgendwie zu fördern imstande ist.)).
Und Rabbi Jehoschua sprach: Ein guter Freund ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Chawer tow, ein Genosse, der nur das Gute will, und mehr vielleicht noch, weil die Nähe einen häufigeren Umgang gestattet.)).
Und Rabbi Jose sprach: Ein guter Nachbar ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Schachen tow, Nachbar, der nur das Gute will, uns, wenn wir uns ihnen anschliessen, einen mächtigen Schutz vor Verirrung und eine mächtige Stütze und Förderung zu allem Guten zu gewähren imstande sind, ist an sich selbst klar.)).
Und Rabbi Schimon sprach:
Vorausschauendes Handeln ((HaRoeh et haNolad wörtlich: »der Sehende des Kommenden«
Rabbiner Samson Raphael Hirsch: wer also bei allem, was er tut, die Folgen bedenkt, wird sich gewiss keines gedankenlosen Leichtsinns schuldig machen. Ihn wird nie der Reiz des Augenblicks verführen, wie auch das Bittere einer Gegenwart nie vom Guten zurückschrecken. Er sieht die bitteren Folgen eines vorübergehenden süssen Genusses, er gedenkt des seligen Bewusstseins, das mit jeder opferfreudigen Hingebung an das Gute und für das Gute erkauft wird, und bleibt stark im Kampf mit dem Schlechten, und stark in Vollbringung des Guten.)).
Und Rabbi Eleazar sprach: Ein gutes Herz ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Lew towein gutes Herz ist mehr, ist unendlich mehr als das, was man gewöhnlich mit dem Ausdruck „ein gutes Herz“ bezeichnet, worunter man zunächst die Herzensgüte versteht, die gern wohltut, gefällig ist und so leicht keine Bitte abschlägt. Lew ist ein jüdischer Begriff, die Grundquelle allen Empfindens, alles Wollens, alles Bestrebens, aller geistigen und sittlichen Regung und Bewegung, auch des Gedankens und der Gesinnung, somit die Wurzel und der Ausgang alles Wollens und Vollbringens. Ist daher das „Herz“ „gut“, nur für das Gute empfänglich, nur auf das Gute gerichtet, so steht der ganze Mensch unter der Herrschaft des Guten, kann nichts Böses wollen, ist zu allem Guten bereit.
Lew tow umfasst in Wahrheit alle Wege und Mittel zum Guten.)).
Da antwortete er ihnen und sprach:
Eleazar, Arachs Sohn, hat am besten geantwortet, denn in seinen Worten sind eure enthalten.

אָמַר לָהֶם צְאוּ וּרְאוּ אֵיזוֹהִי דֶרֶךְ רָעָה שֶׁיִּתְרַחֵק מִמֶּנָּה הָאָדָם.
רַבִּי אֱלִיעֶזֶר אוֹמֵר, עַיִן רָעָה.
רַבִּי יְהוֹשֻׁעַ אוֹמֵר, חָבֵר רָע.
רַבִּי יוֹסֵי אוֹמֵר, שָׁכֵן רָע.
רַבִּי שִׁמְעוֹן אוֹמֵר, הַלֹּוֶה וְאֵינוֹ מְשַׁלֵּם.
אֶחָד הַלֹּוֶה מִן הָאָדָם,
כְּלֹוֶה מִן הַמָּקוֹם בָּרוּךְ הוּא,
שֶׁנֶּאֱמַר
לֹוֶה רָשָׁע וְלֹא יְשַׁלֵּם, וְצַדִּיק חוֹנֵן וְנוֹתֵן.
רַבִּי אֶלְעָזָר אוֹמֵר, לֵב רָע.
אָמַר לָהֶם, רוֹאֶה אֲנִי אֶת דִּבְרֵי אֶלְעָזָר בֶּן עֲרָךְ מִדִּבְרֵיכֶם, שֶׁבִּכְלַל דְּבָרָיו דִּבְרֵיכֶם:

Ferner sprach er zu ihnen:
Gehet hin und sehet, welches der schlimmste Weg ist, dass der Mensch ihn meide.
Da sprach Rabbi Eliezer: Ein böses Auge ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch: Die entgegengesetzte Gemütsart Ajin ra’ah, ein böses Auge, die nicht nur keine Freude hat an dem Wohlergehen der Menschen, die es betrübt, wenn es andern gut geht, und die sich beglückt fühlt durch den Schaden, den Jammer, den Schmerz und das Elend der Mitmenschen, und so auch Chawer ra, Schachen ra, Lew ra sind nicht nur unserer sittlichen Reinheit so gefahrbringend, dass wir sie uns nicht zu eigen machen, uns ihnen nicht anschliessen dürfen, sondern: Jitrahek mimenah, fern haben wir uns von ihnen zu halten, haben alles zu meiden, was den Charakter unseres Auges und unseres Herzens trüben und uns schlechtem Genossen und schlechtem Nachbar näher bringen könnte. )).
Und Rabbi Jehoschua sprach: Ein schlechter Freund. Und Rabbi Jose sprach: Ein böser Nachbar.
Und Rabbi Schimon sprach:
Geborgtes nicht zurückerstatten.
Und dabei gilt es gleich, ob einer von Menschen borgt oder von G-tt, denn es steht geschrieben:
Der G-ttlose borgt und bezahlt nicht ((haLoweh we’ejno meschalem Rabbiner Samson Raphael Hirsch: der Gegensatz zum gedankenvollen Lebensernst, der bei jedem Schritt der Folgen bedacht ist, wird haLoweh we’ejno meschalem, gedankenloser Leichtsinn bezeichnet, der nicht bedenkt, welche ungeheure Schuld jedes Pflichtversäumnis und jede Pflichtwidrigkeit auf uns lädt. Alles, was wir von der Welt empfangen – und zu jedem Atemzug steuert ja das ganze Weltall eine unnennbare Summe von Spenden, ist uns nur ein geliehenes Gut, um damit diejenigen Zwecke zu verwirklichen und diejenigen Ziele anzustreben, womit nach dem von G’tt geoffenbarten Willen von uns Wohl und Freude Seiner Welt gefördert und vermehrt werden soll. Keiner ist für sich da, und je mehr jemandem verliehen worden, um so grösser ist seine Verpflichtung, um so grösser die Summe der Leistungen, die von ihm erwartet werden. Wer daher gedankenlos in die Welt hineinlebt, von keinem Gesetz, von keiner Pflicht weiss, nur sich, seinen Neigungen und Wünschen lebt und sie auf Kosten seiner Mitwelt befriedigt, ohne an die von ihm erwartete Gegenleistung, für die ihn G’tt geschaffen hat, zu denken, der häuft mit jedem Atemzug eine Schuld auf sich, die immer grösser, immer drückender wird, je länger er lebt und je mehr er geniesst, und geht als grösster G’ttes- und Weltschuldner einem Lebensbankrott entgegen, dessen Verantwortung zu Boden drückt. Der dem Ro’eh et haNolad entgegengesetzte gedankenlose Leichtsinn lässt sich nicht treffender als haLoweh we’ejno meschalem ausdrücken.)), der Gerechte aber ist barmherzig und gibt ((Tzadik chonen wenoten Rabbiner Samson Raphael Hirsch: der Gerechte, der seiner Pflicht, und nur seiner Pflicht lebt, nur G’tt und Seiner Welt gerecht werden will, je bescheidener seine Glücksstellung ist, je weniger er an Gütern und Freuden aus der Welt empfangen und empfängt, um so mehr bleibt ihm die Welt schuldig und als anspruchsreichster Weltgläubiger scheidet er meist aus der Welt.)).3Tehillim 37,21
Und Rabbi Eleazar sprach: Ein böses Herz.
Da antwortete er ihnen und sprach: Eleazar, Arachs Sohn, hat am besten geantwortet, denn in seinen Worten sind eure enthalten.

Mischna 10

הֵם אָמְרוּ שְׁלשָׁה דְבָרִים.
רַבִּי אֱלִיעֶזֶר אוֹמֵר,
יְהִי כְבוֹד חֲבֵרָךְ חָבִיב עָלֶיךָ כְּשֶׁלָּךְ,
וְאַל תְּהִי נוֹחַ לִכְעוֹס.
וְשׁוּב יוֹם אֶחָד לִפְנֵי מִיתָתָךְ.
וֶהֱוֵי מִתְחַמֵּם כְּנֶגֶד אוּרָן שֶׁל חֲכָמִים,
וֶהֱוֵי זָהִיר בְּגַחַלְתָּן שֶׁלֹּא תִכָּוֶה,
שֶׁנְּשִׁיכָתָן נְשִׁיכַת שׁוּעָל,
וַעֲקִיצָתָן עֲקִיצַת עַקְרָב,
וּלְחִישָׁתָן לְחִישַׁת שָׂרָף,
וְכָל דִּבְרֵיהֶם כְּגַחֲלֵי אֵשׁ:

Jeder von ihnen lehrte drei Dinge. –
Rabbi Eliezer sagte:
Achte die Ehre deines Nächsten wie deine eigene ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch darum gerate nicht leicht in Zorn, dass du nicht in Heftigkeit der Ehre deines Nächsten zu nahe tretest; und statt über die Handlungsweise des Nächsten zu zürnen, denke vielmehr an deine eigenen Fehler und arbeite unaufhörlich an deiner Besserung.)). Hüte dich vor dem Zorn.
Tu Buße einen Tag vor deinem Tode! ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch d.h. denke jeden Tag, es könnte dein letzter sein, und bessere dich heute, da du nicht weisst, ob du morgen noch lebst.
Nichts wird dich aber so zur steten Besserung führen, als wenn du dich mit den Lehren und dem Beispiel der Weisen vertraut machst und ihre Vorschriften befolgst. Nicht nur Licht, sondern auch Wärme gewährt ihr Wort und gibt dir freudige Kraft und Leben zu allem Guten.
Und nimm dich in acht mit ihrer ,,Kohle“! Du könntest manches, was sie gesprochen und geordnet, als veraltet und ausgebrannt betrachten, aus welchem bereits das ehemalige Feuer gewichen, und wagst es nun respektwidrig in die Hand zu nehmen und nach deiner Willkür damit zu spielen. Nimm dich in acht! Kein Wort und keine Anordnung der Weisen veraltet und verliert die Feuerkraft. Was dir dunkel scheint, birgt ewige Glut, und jede Hand verbrennt sich, die sich leichtsinnig daran vergreift. Die Kraft des Bannes, der über die Worte und Anordnungen der Weisen schwebt, wird häufig durch einen Biss oder Stich ausgedrückt, der den Mutwilligen trifft. Sie werden nie Kohlen, sie bleiben immer Feuerkohlen.))
Wärme dich am Feuer der Weisen, doch hüte dich vor ihren glühenden Kohlen, dass du dich nicht verbrennst,
denn ihr Biss ist wie der eines Fuchses, und ihr Stich ist wie der eines Skorpions,
und ihr Zischen ist wie das Zischen einer Schlange,
und ihre Worte sind wie glühende Kohlen.

Mischna 11

רַבִּי יְהוֹשֻׁעַ אוֹמֵר, עַיִן הָרָע, וְיֵצֶר הָרָע,
וְשִׂנְאַת הַבְּרִיּוֹת, מוֹצִיאִין אֶת הָאָדָם מִן הָעוֹלָם:

Und Rabbi Jehoschua sagte:
Das böse Auge, böse Leidenschaft und Menschenhass bringen den Menschen aus der Welt. ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch Jedes dieser drei Dinge reicht für sich allein hin, einen Menschen, der sonst fähig gewesen, eine Stelle in der Welt pflichtgemäß auszufüllen, um diese Lebensstellung zu bringen; ein böses Auge, das seines Lebens nicht froh wird, wenn es das Gedeihen anderer sieht, eine sinnliche Leidenschaft, die der Mensch zur Herrschaft über sich hat kommen lassen, Menschenhass, der die Menschen verachtet, nur das ihnen anhaftende Böse kennt und das Gute gänzlich übersieht, von dem trotzdem wohl keiner völlig leer ausgeht.
Es ist ein schöner Ausdruck, mit welchem die Weisen die Menschen allgemein bezeichnen, wenn sie deren Liebe empfehlen und vor Gehässigkeiten gegen sie warnen. haB’riot nennen sie dieselben, G’ttesgeschöpfe, und umfassen mit diesem Ausdruck ausnahmslos alle Menschen, indem damit zugleich das Motiv hervorgehoben ist, aus welchem die Forderung allgemeiner Menschenliebe fliesst.
Wir haben in jedem, wer er auch sei und wie er auch sei, das Geschöpf G’ttes zu achten und um unseres gemeinschaftlichen Schöpfers willen keinem unsere Liebe zu versagen.))

Mischna 12

רַבִּי יוֹסֵי אוֹמֵר,
יְהִי מָמוֹן חֲבֵרָךְ חָבִיב עָלֶיךָ כְּשֶׁלָּךְ.
וְהַתְקֵן עַצְמָךְ לִלְמוֹד תּוֹרָה,
שֶׁאֵינָהּ יְרֻשָּׁה לָךְ.
וְכָל מַעֲשֶׂיךָ יִהְיוּ לְשֵׁם שָׁמָיִם:

Und Rabbi Jose sagte:
Achte den Besitz deines Nächsten wie deinen eigenen.
Bereite dich gut vor, die Torah zu lernen,
denn sie fällt dir nicht einfach als Erbe zu.
Was du tust, tue um des Himmels willen. ((Rabbiner Samson Raphael Hirsch Dies sind drei Lehren, die geeignet sind, unserem Verhalten zum Nebenmenschen, zur Tora, und unserem ganzen übrigen Leben die Richtung auf das Wahre und Gute zu geben und zu sichern.
Wie wir auf die Erhaltung und Vermehrung des eigenen Vermögens Bedacht nehmen, so soll auch der Vermögensstand des Nächsten nicht nur von uns nicht beneidet werden, nicht nur uns nicht gleichgültig sein, wir sollen uns freuen, wenn es dem Nächsten gut geht, sollen nicht müßig bleiben, wo wir ihn vor Schaden bewahren können, und uns freuen, wenn wir imstande sind, ihm einen Vorteil zuzuwenden.
Wenn wir auch das Glück haben, von Eltern und in einer Umgebung geboren und erzogen zu sein, unter deren Einfluss Kenntnis der Torah und ein ihrer Anforderung gemäßes Leben uns nicht fremd geblieben, so sollen wir doch nicht vergessen, dass – von welcher unendlichen Wichtigkeit dieses Aneignen der Tora in Wissen und Leben aus Lehre und Beispiel des Elternhauses auch ist – diese uns überkommene Erbschaft der Torah doch nicht unsere Aufgabe für dieselbe erschöpft. Wir dürfen uns wohl mit dem etwa von Eltern ererbten Vermögen begnügen und brauchen, wenn auch auf dessen Erhaltung, doch auf dessen Vermehrung durch eigenen Erwerb nicht bedacht zu sein. Allein bei dem, was uns aus Elternerziehung und Leitung von Torahwissen überkommen ist, dürfen wir nimmer stehenbleiben. Wir haben die lebenslängliche Aufgabe, im Gebiet der nimmer zu erschöpfenden Torahwissenschaft fortzuschreiten, und je reicher der Grundstock der Toraherkenntnis ist, den wir so glücklich waren aus dem Elternhaus in das eigene selbständige Leben mit hinüberzunehmen, um so höher wächst uns die Pflicht, auf diesem Grund weiter zu bauen und mit eigener Anstrebung und Dahingebung unserer ganzen Geisteskraft unseren Anteil an dem ewigen Geistesschatz der Torah zu mehren.
Selbstverständlich – ja um so mehr, liegt darin aber auch die Mahnung für jenen, der nicht so glücklich war, viel oder auch nur etwas von Torahkenntnis aus Elternhänden empfangen zu haben: hatken azmecha lilmod Torah – sich selbst in Erziehung, Anleitung und Bestimmung zum Lernen der Tora zu nehmen.
Torah ist der ganz allgemeine geistige Nationalschatz, an welchem jeder Jude nach seinen Fähigkeiten Anteil zu nehmen berufen und verpflichtet ist, und wer dazu in der Kindheit angeleitet zu werden nicht so glücklich war, der hat als Jüngling und Mann das Versäumte selbst nachzuholen, Sch’ejnah Jeruschah lecha, denn wir sind mit unserer Bestimmung für die Torah nicht lediglich auf die Erbschaft aus dem Vaterhaus angewiesen.
Wechal Ma’asejcha jih’ju l’Schem Schamajim – alles, was wir tun, soll leSchem Schamajim (in Namen des Himmels) geschehen. Nicht nur verliert selbst das Gute, das wir tun, einen grossen Teil seines Wertes, wenn wir es nicht lediglich aus reinem; G’tt zugewandten Pflichtgefühl ausüben, wenn uns dabei irgend ein anderes Interesse, eine Rücksicht auf Vorteil, Ehre usw. leitet, sondern selbst unser ganz gewöhnliches Leben, auch das zunächst auf Selbsterhaltung und Pflege unseres körperlich sinnlichen Wesens und Seins gerichtete, kann und soll durch die dabei uns leitende Pflichtabsicht über gemein Sinnliches und Selbstsüchtiges in den Kreis sittlicher Vollbringungen gehoben und G’tt dienenden Pflichterfüllungen zugewandt werden; damit werden alle unsere Lebenswege dem pflichtgemässen Reinen und Guten erhalten bleiben. In Mischlej 3, 6 heißt es: „In allen deinen Wegen sei dein Sinn auf G’tt gerichtet, der wird deine Pfade zum Rechten lenken“.))

Mischna 13

רַבִּי שִׁמְעוֹן אוֹמֵר,
הֱוֵי זָהִיר בִּקְרִיאַת שְׁמַע (וּבִתְפִלָּה).
וּכְשֶׁאַתָּה מִתְפַּלֵּל, אַל תַּעַשׂ תְּפִלָּתְךָ קֶבַע,
אֶלָּא רַחֲמִים וְתַחֲנוּנִים לִפְנֵי הַמָּקוֹם בָּרוּךְ הוּא, שֶׁנֶּאֱמַר (יואל ב,)
כִּי חַנּוּן וְרַחוּם הוּא אֶרֶךְ אַפַּיִם וְרַב חֶסֶד וְנִחָם עַל הָרָעָה.
וְאַל תְּהִי רָשָׁע בִּפְנֵי עַצְמָךְ:

Und Rabbi Schimon sagte: Sei aufmerksam und genau beim Lesen des »Schma Jisrael« (und beim Gebet ((Gebet, Tfilah, meint meist das Achtzehnbittengebet)) ). Wenn du betest, mache dein Gebet nicht zu etwas Äußerlichem, sondern bete mit Inbrunst und Flehen vor G-tt, denn es steht geschrieben:
Er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und ihn reut bald der Strafe. 4Joel 2,13
Erscheine dir selbst nicht als einer, der straft.

Mischna 14

רַבִּי אֶלְעָזָר אוֹמֵר,
הֱוֵי שָׁקוּד לִלְמוֹד תּוֹרָה,
וְדַע מַה שֶּׁתָּשִׁיב לָאַפִּיקוֹרוֹס.
וְדַע לִפְנֵי מִי אַתָּה עָמֵל.
וְנֶאֱמָן הוּא בַּעַל מְלַאכְתְּךָ שֶׁיְּשַׁלֶּם לָךְ שְׂכַר פְּעֻלָּתָךְ:

Und Rabbi Eleazar lehrte:
Bemühe dich eifrig, die Torah zu lernen, damit du dem G-ttlosen zu erwidern weißt.
Halte fest im Sinn, für wen du dich mühst,
und wer dein Meister ist,
der dir sicher den Lohn geben wird für deine Mühen.

Mischna 15

רַבִּי טַרְפוֹן אוֹמֵר,
הַיּוֹם קָצֵר וְהַמְּלָאכָה מְרֻבָּה,
וְהַפּוֹעֲלִים עֲצֵלִים,
וְהַשָּׂכָר הַרְבֵּה,
וּבַעַל הַבַּיִת דּוֹחֵק:

Rabbi Tryphon sagte:
Kurz ist der Tag, und ist viel der Arbeit.
Träge sind die Arbeiter,
und hoch ist der Lohn.
Und der Meister drängt.

Mischna 16

הוּא הָיָה אוֹמֵר,
לֹא עָלֶיךָ הַמְּלָאכָה לִגְמוֹר,
וְלֹא אַתָּה בֶן חוֹרִין לִבָּטֵל מִמֶּנָּה.
אִם לָמַדְתָּ תוֹרָה הַרְבֵּה,
נוֹתְנִים לָךְ שָׂכָר הַרְבֵּה.
וְנֶאֱמָן הוּא בַּעַל מְלַאכְתְּךָ שֶׁיְּשַׁלֶּם לָךְ שְׂכַר פְּעֻלָּתָךְ.
וְדַע, מַתַּן שְׂכָרָן שֶׁל צַדִּיקִים לֶעָתִיד לָבוֹא:

Ferner sagte er:
Zwar ist es nicht deine Sache, die Arbeit zu vollenden, doch darfst du dich ihrer auch nicht einfach entledigen.
Hast du viel in der Torah gelernt, wird dein Lohn groß sein;
denn dein Meister wird dir sicher den Lohn geben für deine Mühen.
Halte aber fest im Sinn, dass die Gerechten ihren Lohn erst in der zukünftigen Welt erhalten werden.

  • 1
    wörtlich: Talmud Torah
  • 2
    torah im derech eretz
  • 3
    Tehillim 37,21
  • 4
    Joel 2,13