Wajetze

Wa’jetze

Diese Woche in der Tora (Gen. 28,10 – 32,3):

G~ttes Versprechen an Jakov, ihn im Exil zu schützen, Begegnung mit Rachel, Jakov in Charan bei Lawan, Leah, die vertauschte Braut, Hochzeit mit Rachel, Geburt der Stämme, Lawans Betrügereien und göttliche Wende zu Jakovs Vorteil, beschleunigte Abreise nach Kana’an und Showdown mit Lawan auf dem Wege.

Rav Asri’el Ari’el

„Und Jakov zog aus Be’er Scheva“ (Gen. 28,10). Jakov verläßt sein Land, seine Heimat und sein Vaterhaus und flüchtet voller Befürchtungen ins Ungewisse. Wie wird er sich vor Eßaw, seinem Bruder, retten können? Wie wird er sich gegenüber den Betrügereien seines Onkels Lavan behaupten können? Eine Stütze jedoch verbleibt ihm: Der Herr der Welt. In seiner Not wendet sich unser Vorvater Jakov an G~tt mit einem detaillierten Gelübde: „Wenn G~tt mit mir sein wird, und mich behütet… und gibt mir Brot… und ich kehre zurück in Frieden…“ (Gen. 28,20-21) – dann wird dieser Ort ein G~tteshaus werden. Dem fügt Jakov eine weitere Verpflichtung hinzu: „..und alles, was du mir gibst, will ich dir verzehnten“ (V.22).

Zwischen diesen wenigen Zeilen verbirgt sich ein großer Gedankenreichtum, von dem wir hier ein wenig betrachten wollen. Die Absonderung der Priesterhebe und des Zehnts erfolgt vom Bodenertrag, und dabei nur von für den menschlichen Genuß geeigneten Pflanzen. Ein weiteres Gebot betrifft die Absonderung eines Tier-Zehnts von den reinen (koscheren) Tieren. Jakov nimmt all dies auf sich. „alles, was du mir gibst“. Daraus lernten die talmudischen Weisen, daß auch jemand, der weder Bauer noch Tierzüchter ist, den Zehnt absondern muß. Wenn er schon keinen Getreide- oder Tier-Zehnt absondern kann, dann wenigstens Zehnt von seinem Einkommen. Von unserem Vorvater Jakov sagte man, er habe sogar seine Söhne verzehntet, indem er den Levi [von dem auch die Kohanim, die Priester abstammen] dem Dienst an G~tt weihte.

Es liegt in der Natur der Dinge, daß sich jemand, der von seinem Einkommen für wohltätige Zwecke oder andere erhabene Ziele spendet, in seinen eigenen Augen wie ein Baron Rothschild vorkommt. Er hält sich für was Besseres und erwartet von seiner Umgebung, seine Großzügigkeit zu schätzen und zu würdigen. Nicht so unser Vorvater Jakov. Er sieht sich nicht einmal als Herr über sein Vermögen, obwohl er es unter ärgsten Mühen und großer Anstrengung erwarb. Er sieht sein Vermögen als ein Geschenk G~ttes. „was du mir gibst“, und nicht: „was ich haben werde“. Er sieht darin eine Gabe an G~tt, im Sinne von „Gib ihm (dem Ewigen) von dem, was ihm gehört, denn du und was du hast, gehören ihm, wie es heißt… Denn von dir kommt alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben“ (Mischna „Sprüche der Väter“ 3.Kap.,8 nach Chronik I, 29,14).

Jakovs Zehnt zählt doppelt. „[Zehnt] will ich verzehnten“; Zehnt und noch ein Zehnt. Diese Worte Jakovs werden von den talmudischen Weisen in zweifacher Hinsicht ausgelegt: Einmal als Quelle für die Definition der Obergrenze des Gebotes über die mildtätigen Gaben, nämlich ein Fünftel seines Vermögens – ein Zehntel und noch ein Zehntel. Der Zehnte ist G~tt geheiligt. Der zehnte Buchstabe im Alefbet – jud – besteht nur aus einem kleinen Punkt. Er symbolisiert mit seiner äußerlichen Form den verborgenen und versteckten Kernpunkt der Dinge, das göttliche Innenleben, das durch die Zehntabgabe ans Tageslicht kommt. Unser Vorvater Jakov begnügt sich nicht mit der regulären Zehntpflicht. Er „verschönert“ seine Gebotspflicht und verpflichtet sich zur Abgabe eines Fünftels. Jakovs Ergänzung bedeutet nicht nur eine mengenmäßige Erweiterung, sondern auch eine qualitative. Nicht nur der „erste Zehnt“, der dem Levi oder dem Kohen gegeben wird, sondern auch der „zweite Zehnt“, mit dessen Hilfe jeder Israelit seine eigene, tief in seinem Inneren verborgene Priestereigenschaft zutagefördert. Der „erste Zehnt“ gilt als profan. Er gehört zum Eigentum des Leviten, und jeder Jude darf davon essen, selbst im Zustand spiritueller Unreinheit (Tum’a). Der „zweite Zehnt“ hingegen gilt als Heiliges, „Vermögen des Hohen“. Er wird nur in Jerusalem verzehrt, und nur im Zustand der Reinheit (Tahara). Hiezu paßt der Midrasch, der im Buche Menorat Hameor erwähnt wird:

„Awraham teilte die ‚große Hebe‘ ab, wie geschrieben steht: aufgehoben habe ich meine Hand zum Ewigen (Gen. 14,22), und aufgehoben bedeutet nichts anderes als Hebe… Jizchak teilte den ‚ersten Zehnt‘ ab, wie geschrieben steht: Und Jizchak säte in diesem Lande und gewann in diesem Jahre das Hundertfältige (Gen. 26,12)… und warum maß er sie? Um sie zu verzehnten… Jakov teilte den ‚zweiten Zehnt‘ ab, wie geschrieben steht: alles, was du mir gibst, will ich dir verzehnten (s.o.)“.

Die Dinge gehen bereits genau aus dem Wortlaut des Verses hervor. Den Zehnt, den Awraham an Malchi-Zedek, „Priester des höchsten G~ttes“ (Gen. 14,18) gab, ging in dessen (profanes) Eigentum über. „Und er gab ihm den Zehnten von Allem“ (14,20). Demgegenüber gilt der Zehnt von Jakov als G~ttes Eigentum, als „Vermögen des Hohen“. „Alles, was du mir gibst, will ich dir verzehnten“; von hier lernte der „Chafetz Chajim“, daß man den Zehnt von seinem Vermögen (oder das Fünftel) aufteilen soll: ein Teil an die Armen, die das Geld für sich verbrauchen, und ein Teil an jene, die ihr Leben der Tora und dem heiligen Dienst widmen. Damit werden Jakovs Gelübde zu einer heiligen Einheit verschmolzen. Dieser Ort „soll sein ein G~tteshaus“ (28,22) – „ein fester Ort für mein Gebet, und um dort den Zehnt herauszugeben… Geld zu geben demjenigen, der würdig ist, es zur Ehre G~ttes zu nehmen“(Ewen-Esra Kommentar).

Bekanntlich fällt der „zweite Zehnt“ an vier Jahren des siebenjährigen Schmitta-Zyklus an, und zwei Jahre geben wir den „Armenzehnt“. Beide Zehnte gehören in den Bereich des Gebens „zur Würde G~ttes“. Der Armenzehnt bringt den Menschen zur Anhänglichkeit an G~tt, der sich damit als „guter G~tt“ erweist, und ersetzt in jenen Jahren den „zweiten Zehnt“, der den Menschen zur Anhänglichkeit an G~tt bringt, der sich als „heiliger G~tt“ offenbart. Der Tisch des Menschen, an den er seine Gäste, die Armen, einlädt, wird zum Altar.

In seinem Gelübde über die Verzehntung verkündet unser Vorvater Jakov, daß er niemals alleine übrigbleiben werde. Der Heilige, gelobt sei er, befindet sich bei ihm an jedem Orte. „Bei all ihrer Bedrängnis war ihm leid“ (Jeschajahu 63,9). G~tt ist anwesend und nimmt Anteil an jeder Mühe und jeder Werktätigkeit, und alles Einkommen und Gewinn – kommen zu ihm aus der Hand G~ttes. In der Gesamtheit der Zehntabgaben – erster Zehnt, zweiter Zehnt, Armenzehnt – kommt die Erkenntnis des Menschen zum Ausdruck: „denn von dir kommt alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben“ (s.o.), „..und alles, was du mir gibst, will ich dir verzehnten“.

© Machon Meir

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