Der Kranke möge doch gesund werden. Natürlich wünschen wir ihm dies. Dafür schöpfen wir alle Möglichkeiten aus, d. h. wir verlassen uns weder ausschließlich auf das Gebet, noch nur auf die Medizin, den Arzt und seine Kenntnisse. Lt. Midrasch schweben Gnade und Herrlichkeit G-ttes über dem Kopfende; G-tt verlässt den Kranken nie. So sollten auch wir dem Kranken beistehen, indem wir aus Achtung vor dem Leben eine entsprechende Haltung am Krankenbett einnehmen, indem wir den Kranken nicht unnötig beunruhigen (z. B. ihm alle Sorgen mitteilen) und ihm immer wieder Hoffnung machen.
Hilfreich kann hier das Lesen bzw. Beten aus dem Buch der Psalmen sein. Vielleicht wird in der Synagoge auch ein Familienmitglied des Erkrankten aufgerufen, der bei der Thorarolle ein Ge-bet sprechen kann. Meist ist dies mit einer Spende für wohltätige Zwecke verbunden. Oder manch andere verspüren das Bedürfnis, in kleinen Zusammenkünften für die Genesung zu be-ten. Verschlechtert sich der Zustand des Kranken und man ist hierin der Ansicht, daß das „To-desurteil“ schon gefällt ist, dann zeigt der Talmud anhand von vier verschiedenen Bibelstellen die Möglichkeit auf, nun das Urteil zu revidieren:
1. Wohltätigkeit/Gerechtigkeit: „Es frommen nicht ungerechte Schätze, aber Gerechtigkeit rettet vom Tode“ (Spr. 10,2).
2. Gebet: „Und sie schrieen zum Ewigen in ihrer Not, aus ihren Bedrängnissen rettete er sie“ (Ps. 107,6/13/19/28).
3. Namensänderung: „Ferner sprach G-tt zu Abraham: Dein Weib Sarai, nicht nenne ihren Namen Sarai, sondern Sarah sei ihr Name. Und ich werde sie segnen und gebe dir auch von ihr einen Sohn ..“ (1. Mose17,15-16).
4. Änderung des Lebenswandels: „Und da G-tt ihre Werke sah dass sie umgekehrt waren von ihrem bösen Wandel, da bedachte sich G-tt wegen des Übels, das er geredet hat-te, ihnen zu tun, und tat es nicht“ (Jona 3,10).
Auf diese Weise könnte die Seele des Schwererkrankten aus der Hand des Todesengels „ma-lach ha-mawet“, erlöst werden (1+2), welcher sich – so die Vorstellung – am Fuß des Bettes befindet und dessen Aufgabe darin besteht, die Seele des Toten zu G-tt zu bringen. Weiterhin können auch Reue und Umkehr (3+4) helfen. Um genau dies anzuzeigen, betet man vor dem geöffneten Thoraschrank für den Kranken und gibt seinen neuen zusätzlichen Namen bekannt. Wenn der Betroffenen noch 30 Tage danach lebt, behält er diesen Namen, welcher anschließend verwendet wird für den Aufruf zur Thoralesung und sogar für Urkunden. Der dann Genesene kann auch seinen Dank öffentlich zum Ausdruck zu bringen; im Anschluss an die Thora-lesung spricht er folgende Segensspruchformel:
Gepriesen seist Du, Ewiger, unser G-tt, Du regierst die Welt. Du erweist denen Gutes, die es nicht verdient haben. Du hast mir Güte erwiesen“.
Daraufhin antwortet die Gemeinde mit: „G-tt hat dir alles erdenklich Gute erwiesen. Möge er dir weiterhin Gutes erweisen“(dt. Übersetzung in Seder ha-tefillot). Der Betroffene dankt G-tt, denn ihm hat er die Heilung zu verdanken.
Dieser Glaube spiegelt sich auch wieder in dem Gebet, welches in Krankheit gesprochen wird:
GEBET IN KRANKHEIT
G-tt, in meiner Krankheit wende ich mich an dich, denn ich bin dein Geschöpf. Deine Stärke und dein Mut sind in meinem Geist und deine heilenden Kräfte sind in meinem Körper. Möge es dein Wille sein, mich wieder gesund werden zu lassen.
In meiner Krankheit habe ich gelernt, was wichtig ist und was nicht. Ich weiß, wie abhän-gig ich von dir bin. Mein eigenes Leid und meine Ängste waren meine Lehrer. Gib, dass ich dieses wertvolle Wissen nicht vergesse, wenn ich wieder gesund bin.
Tröste mich G-tt, und birg mich in deiner Liebe. „Heile mich, G-tt, dann bin ich geheilt. Hilf mir, dann ist mir geholfen“.
Gepriesen seist du, Ewiger, unser G-tt. Du heilst die Kranken.
(a.a.O.568)
Dort heißt es. „Tröste mich, G-tt, … Heile mich, G-tt, … Du heilst die Kranken“. Dass G-tt den Kranken nicht verlässt, zeigt die letzte Strophe des „Adon olam“. Sie ist auch enthalten im „Gebet in sehr schwerer Krankheit“ (a.a.O., S. 570): „Mein Geist birgt sich in deiner Hand, … du bist bei mir.“ In kleiner Abwandlung finden sich diese Worte auch in dem Gebet, dass man für Sterbende sprechen könnte (a.a.O., S. 571): „Ihre/Seine Seele birgt sich in deiner Hand Und auch ihr/sein Leib birgt sich in dir. Ich fürchte mich nicht, denn bist bei ihr/ihm.“