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Der Rhythmus des biblischen Wortes berührt im letzten Teil des Chumasch unsere Seele mit besonders klangvollen Tönen. Der Gesetzgeber und Prophet ist zu der großen Rede übergegangen, die den Abschluss seines Werkes krönt, den Abschied von Volk besiegelt und die gemeinsam durchlebte Geschichte noch einmal im Spiegel rückschauender Betrachtung am Geiste der Gemeinde vorübergleiten lässt.
In solchen Stunden großer und ernster Erinnerungen empfangen die Gedanken ihre besondere eindringliche Kraft, prägen sich die Grundzüge der gemeinsam gewonnenen Eindrücke dem Gemüt stärker und verständlicher ein, erwachen aber auch die Sorgen und die Ängste um die Zukunft, die anderen Händen anvertraut und anheimgegeben wird.
Wird sie halten, was eine begeisterungsfrohe Gegenwart verspricht?
Wird sie die unter Schmerzen geborene Gemeinschaft erhalten, wird sie ihr Schicksal gestalten unter dem Zeichen der Religion, die zu neuen Ufern des Lebens durch dieses einzigartige Volk Israel die Welt rief?
Das ist der Ausdruck der Bangnis, die als starkes Motiv durch die Reden Mosche, des Gottesmannes zieht.
Man braucht nicht zu erschrecken, um Verständnis für die haarscharfen Folgerungen zu gewinnen, die Mose aus dem Einblick in die Menschenseele schöpft. Er beschwört die Gemeinde, in den Wegen Gottes zu wandeln, ihre Pflicht zu versehen an jeglichem Tage und dem sittlich-religiösen Gesetz und Geist die Treue und damit sich selbst die Treue zu wahren, wie einst die Väter am Sinai gelobt haben.
Die Erinnerung daran soll jede Generation erheben, als ob es jung in dieses Erlebnis eintrete.
Was aber könnte dieser natürlichen Entwicklung den Weg verlegen?
Die Umwelt — die Weltlichkeit — die anderen Trugbilder?
Gewiss, das ist alles gefahrenreich und furchtbar. Aber der allerschlimmste Feind kommt nie zuerst von außen — er ersteht in der eigenen Mitte, in der Leidenschaft des eigenen Herzens.
»Deine Vernichter und deine Zerstörer gehen aus deiner eigenen Mitte hervor.«
Jeschajahu 49 17
Damit geht Mose zu dem Hinweis über, dass der Mensch sein eigenes Werk, seinen Wohlstand, seinen Besitz vergöttern könnte. Armut und Niedrigkeit verschwinden in nebelhafte Ferne, verflogen, und die Sorgen und Nöte der Vergangenheit, überwunden sind die Kämpfe und Schwierigkeiten ernster Tage, die endlich gewonnene Gegenwart hat recht.
Man ist froh, der nun erreichten Gewissheit der Gegenwart leben zu können und dem Glauben an die Gegenwart zu dienen. Hier setzt der Stachel der Kritik Mosche ein, indem er eindringlich warnt, in dem Behagen des eigenen Ruhmes sich zu sonnen, die eigene Leistung zu überschätzen und die Relativität des Besitzes zu verkennen.
Droht auf der einen Seite der Abstieg, wen die Kraft der Erhaltung und Behauptung des einmal erreichten Status fehlt, so locken auf der anderen Seite Umschmeichelung, Ehre, Ehrgeiz und erschüttern den sicheren Boden, auf dessen Grund geistige Schaffensfreude, zäher Wille und strenge Selbstzucht den Aufstieg ermöglichten.
Die natürliche Entfaltung der Gaben ist dabei mit keinem Wort verurteilt, die Erringung einer erträglichen Existenz keineswegs abgewehrt, aber unter jene religiöse Lebensauffassung gestellt, die das göttliche Wunder des täglichen Brotes dankbar anerkennt, die verpflichtende Kraft des Besitzes als vornehmste Aufgabe, als tägliches Gebot verehrt und die Gewissheit erneuert: dem jüdischen Haus, zumal wenn ihm in freundlichem Lose Bildung und Besitz zuströmt, muss die beste jüdische Tradition Zuwachsen, dass der äußere Rahmen unseres Lebens nicht die Fäden zerreißen darf, die uns mit unseren Vätern, mit unserer Religion, mit unserer tiefernsten Geschichte verbinden.
Distriktsrabbiner Dr. Sigfrid Behrens, Fürth in Bayern am 22.8.1929
Rabbiner Behrens wurde am 22. März 1942 zusammen mit seiner Frau und seiner jüngsten Tochter nach Izbica im Bezirk Lublin verschleppt und getötet.