Der Bericht des Chronisten Schlomoh bar Schimon (Gezerot Tatnu גזירות תתנ“ו), der um 1140 die Geschichte der jüdischen Märtyrer der Städte Worms, Mainz, Speyer und Köln beschrieb.
Nach der Übersetzung und Neuordnung von Nathan Birnbaum und Hugo Herrmann. Die Übersetzung wurde sprachlich leicht überarbeitet.
Hier beginnt der wahrhaftige Bericht von den Leiden und Verfolgungen, so die fromme Gemeinde von Köln erfahren.
Nun will ich erzählen, was die Gemeinde zu Köln tat und wie sie den erhabenen Namen des Einzigen heiligte.
Es war am 5. Siwan, (29. Mai 1096) dem Vortag des Schawuotfestes, als die Botschaft von Speyer, Worms und Mainz nach Köln kam, der schönen Stadt, der Stätte der Gerechtigkeit, aus der Recht und Fürsorge ausgingen für unsere nach allen Winden zerstreuten Brüder. Und auch hier begann das Morden und währte vom Schawuotfest bis zum achten Tage des Tammus (1. Juni 1096).
Als sie hörten, dass die Gemeinden erschlagen seien, flüchteten sie, ein jeglicher zu seinem christlichen Bekannten, und verweilten da die beiden Tage des Festes. Aber am Morgen des dritten Tages brach der Sturm los. Die Feinde zerstörten jüdische Häuser, raubten und plünderten, rissen das Bethaus nieder, holten die Torahrollen heraus, schändeten sie und verstreuten sie auf den Straßen. An demselben Tage, da einst die Erde erbebte und ihre Säulen wankten, weil die Torah gegeben wurde, wurde diese jetzt von Frevlern zerrissen, verbrannt, zertreten, entweiht.
Einen Frommen, Mar Izchak ben R. Eljakim, der wegen des Festes nicht hatte flüchten wollen und lieber freudig das Urteil des Himmels annahm, trafen die Feinde eben, da er aus seinem Hause trat. Sie ergriffen ihn und führten ihn in die Kirche. Er aber spie vor ihnen und ihren Bildern aus und schmähte sie. Da erschlugen sie ihn, und er starb und heiligte den göttlichen Namen. Auch eine angesehene Frau, namens Riwkah, hatte das gleiche Los. Sie wollte zu ihrem Mann, R. Schlomo, der schon vordem bei einem christlichen Bekannten Zuflucht gefunden hatte, und trug goldenes und silbernes Gerät in den Händen. Die Feinde nahmen ihr das Gut und erschlugen sie. So starb sie in Heiligkeit, und gleicherweise noch eine Frau, namens Matrona. Die übrigen der Gemeinde wurden verschont; sie blieben bei ihren christlichen Bekannten, bis sie Bischof Hermann am 10. Siwan (3. Juni 1096) in sieben seiner Ortschaften verteilte, um sie zu retten. Dort harrten sie bis zum Neumond des Tammus, täglich des Todes gewärtig und fastend. Auch an den beiden Neumondstagen, einem Montag und Dienstag, und noch am Tage darauf, drei volle Tage; fasteten sie Tag und Nacht.
Am Dienstag (24. Juni 1096) wurden die getötet, so im Dorf Neuss untergebracht waren. An diesem Tage wurde dort das Johannisfest gefeiert, zu dem die Leute aus den Dörfern ringsum zusammengeströmt waren. Sie erschlugen den frommen Mar Schemuel ben R. Ascher samt seinen beiden Söhnen am Ufer des Rheins und begruben ihn auch im Sand des Flusses; einen der Söhne aber hängten sie zum Hohn am Tor seines Hauses auf. Einen anderen Frommen, R. Izchak haLevi, peinigten sie mit schweren Martern, bis er das Bewusstsein verlor. Dann tauften sie ihn. Als er nach drei Tagen wieder zu sich kam, kehrte er nach Köln in sein Haus zurück, verweilte dort und ruhte eine Stunde lang, ging dann an den Rhein und stürzte sich in den Strom. Seine Leiche trieb bis Neuss. Dort warf sie das Wasser aus, gerade neben Mar Schmuel, der da erschlagen worden. Die beiden Frommen, die den Namen Gottes geheiligt hatten, wurden im Sand des Ufers nebeneinander in einem Grab bestattet. Auch die Frau und die Kinder des Mar Gedaljah, der noch vor den Verfolgungen zum Dorf Bonn gefahren war, wurden in Neuss erschlagen und verherrlichten den Namen Gottes.
An demselben Tage (24. Juni 1096), am Dienstag, kamen die Feinde, die Feinde des Herrn, gegen Abend in den Ort Wewelinghoven. Bräutigame und Bräute, Greise und Greisinnen, Jünglinge und Mädchen streckten den Hals hin, schlachteten einer den anderen und sprangen in die Teiche, die den Ort umgaben. Einige stiegen auf den Turm, warfen sich von dort in den vorüberfließenden Rhein und ertranken. Nur zwei Jünglinge konnten nicht im Wasser sterben: R. Schemuel ben R. Gedaljah, der verlobt und ein schöner, stattlicher Jüngling war, und Mar Jechiel ben R. Schemuel. Als sie den Entschluß fassten, sich in den Strom zu stürzen, umarmten und küssten sie einander, weinten und sprachen: »Wehe unserer Freundschaft! dass wir das Glück nicht hatten, einer des andern Kinder zu sehen, dass wir nicht zusammen alt werden konnten! Doch wollen wir durch die Hand des Herrn fallen, des wahren und barmherzigen Königs. Besser, dass wir hier für Seinen großen Namen sterben und dann mit den Gerechten durch den Garten Eden wallen, als dass uns diese Unreinen ergreifen und uns wider unsern Willen zur Taufe nötigen!« Die andern, die nicht auf den Turm gestiegen waren, sahen vom Ufer, wie sich die beiden liebenden Freunde im Wasser fest umschlungen hielten.
Der fromme Schmuel aber, der Vater des einen, rief seinem Sohn, der noch lebte, die Worte zu: »Jechiel, mein Sohn, mein Sohn! Strecke deinen Hals her! Ich will dich dem Herrn zum Opfer bringen, mein liebes Kind! Ich will den Segensspruch über die Schlachtung sprechen, du antworte: Amen.« Und so tat er und schlachtete seinen Sohn im Wasser. Doch da R. Schemuel ben R. Gedaljah hörte, wie sein Freund Jechiel einwilligte, sich von seinem Vater schlachten zu lassen, beschloss er sogleich desselbigen Todes zu sterben. Er rief Menachem, den Synagogendiener aus Köln, und sprach zu ihm: »Ich beschwöre dich bei deinem Leben, nimm dein scharfes Messer, untersuche es genau, dass keine Scharte daran sei, und schlachte mich, auf dass ich den Tod meines Freundes nicht sehe. Sprich den Segensspruch über die Schlachtung, und ich will Amen sagen.« Schon waren die beiden frommen Jünglinge geschlachtet, als sie noch im letzten Augenblicke ihres Lebens einander an den Händen fassten. So wurden, die sich im Leben so sehr geliebt hatten, auch im Tode nicht getrennt. Der alte R. Schmuel aber, der Vater des R. Jechiel, sagte, da er dies angesehen hatte, zu Menachem, dem Synagogendiener: »Jetzt, Menachem, unterdrücke dein Mitleid wie ein Held und schlachte mich mit demselben Messer, mit dem ich meinen Sohn Jechiel geschlachtet habe. Ich habe es genau geprüft, es ist keine Scharte daran, durch die die Schlachtung ungültig werden könnte.« Da nahm R. Menachem das Messer, prüfte es und schlachtete den Alten. Er sprach den Segensspruch, und jener antwortete Amen. Dann stürzte sich der fromme Menachem selber in das Messer, durchstach seinen Leib und starb. So heiligten diese Frommen den Namen Gottes. Kommet doch, ihr Geborenen alle, kommt und seht, ob seit den Tagen des ersten Menschen die Einzigkeit Gottes in solcher Erhabenheit bekannt wurde! Welche Größe dieser heiligen, die da alle geschlachtet wurden! Welche Stärke des Vaters, der das Erbarmen um seinen Sohn überwand!
Viele taten so zu jener Zeit; wes Augen es sahen, der zeugt davon, wessen Ohren es hörten, der preist sie.
Es war auch ein alter Mann dort, namens Mar El’asar halevi, der Schwager des R. Levi ben R. Schlomo; ihn und seine Frau quälten die Feinde mit schweren Martern, um sie zur Taufe zu bewegen. Jede Stunde kamen sie und peinigten sie; denn die Teiche, in die sie sich gestürzt hatten, waren nahe am Dorf. Die Feinde setzten ihnen ihre Speisen vor, doch die beiden wiesen alles zurück und wollten lieber verschmachten. Die Frau starb bald; ihr Mann aber lebte noch drei Tage und rief laut den Herrn an, dass er seinem Leben ein Ende mache. Beide starben an Hunger und Durst und wurden dort begraben. Noch viele andere, deren Namen ich vergessen habe, starben in den beiden Ortschaften, indem sie den Namen Gottes heiligten. Nur zwei Jünglinge und zwei Kinder blieben am Leben.
Am dritten Tammus (26. Juni 1096), einem Donnerstag, wurden die Frommen in Altenahr bei Jülich [gemeint ist wohl Aldenhoven], den Namen des einzigen Gottes bekennend, getötet. Nur eine ganz kleine Zahl blieb übrig.
Am vierten Tage des Tammus (27. Juni), Freitag, scharten sich die Feinde gegen die Frommen, so in Altenahr bei Ahrweiler waren, und marterten und peinigten sie schwer, um sie zur Taufe zu bewegen. Die Frommen fassten aber den Entschluss, zu sterben, bekannten ihre Sünden vor ihrem Schöpfer und erlasen fünf gottesfürchtige und beherzte Männer, die alle andern schlachteten. So starben gegen dreihundert angesehene Mitglieder der Gemeinde von Köln. Auch nicht einer blieb übrig, alle starben in Reinheit um der Heiligung des göttlichen Namens willen. Unter diesen Märtyrern war auch der Vorsteher Mar Jehudah den R. Awraham, ein hochangesehener Mann, der edelste der Edlen, der erste der Sprecher. So oft Leute aus den anderen Gemeinden nach Köln zu Markte kamen — es geschah dies dreimal im Jahr —, sprach er im Bethaus als erster, und alle schwiegen und lauschten aufmerksam seiner Rede. Selbst wenn die Häupter der Gemeinden das Wort nehmen wollten, wehrte man ihnen und ließ sie schweigen und seinem Worte lauschen. Denn alle wussten: was er sprach, war lauter, wahr und zuverlässig. Er war vom Stamme Dan, ein ausgezeichneter und treuer Mann, der sich für den leidenden Nächsten hingab und in seinem ganzen Leben auch nicht einem einzigen Menschen Übles tat. Dieser Gott und Menschen wohlgefällige Mann sah, wie Sarith, die blühende Braut seines Sohnes Awraham, eine schöne und anmutige Jungfrau, vor Schrecken über das, was sie ansehen musste, durchs Fenster entfliehen wollte. Da rief er ihr zu und sprach: »Liebe Tochter, da ich nicht das Glück haben konnte, dich als Frau meines Sohnes Awraham zu sehen, so sollst du auch nicht einem Fremden gehören.«
Und er griff sie und zog sie vom Fenster zurück, küsste sie auf den Mund, schluchzte mit ihr zusammen laut auf und rief aus betrübter Seele aus: »O, sehet alle, welche Hochzeit ich heute meiner Tochter, meiner Schnur, bereite!« Alle weinten laut, jammerten und klagten. Er aber sprach zu ihr: »Komm und gehe ein in den Schoß Awrahams, unseres Vaters. In einem Augenblicke gewinnst du die Seligkeit und kommst an die Stätte der frommen Gerechten.« Und er nahm sie und legte sie seinem Sohne Awraham als Braut in den Schoß und hieb sie mit seinem scharfen Schwert in zwei Stücke. Danach schlachtete er auch seinen Sohn. Darüber weine ich und es klagt mein Herz.
Nach drei Tagen, als die Feinde Gottes vorübergezogen waren, kamen, von Mitleid getrieben, gewaltsam getaufte Juden, um die Leichen zu begraben, die frei dalagen, den Vögeln der Luft und den Tieren der Erde zum Fraß. Da fanden sie eine Frau in ihrem Blut, die noch Zeichen von Leben gab. Sie wuschen ihr das Blut ab und brachten sie in ein Haus. Dort lag sie sieben Tage, ohne Sprache, und ohne Speise noch Trank zu genießen. Dann aber lebte sie wieder auf und wurde gesund. Von diesem Tage aber fastete sie immer und aß, mit Ausnahme der Schabbatot, Feste und Neumondstage, nur einmal am Tag.
Freitag, am vierten Tage des Tammus (27. Juni 1096), in der Dämmerungsstunde des Ruheabends, kamen die Feinde Gottes über die Frommen in Xanten. Die Feinde kamen in der Stunde des Schabbatanfangs. Eben hatten sie sich zum Mahl gesetzt, den Schabbatsegen und den Segen über das Brot gesprochen, als sie den Sturm ihrer Feinde und die tosenden Wogen heranbrausen hörten. Da aßen sie nichts denn einen Bissen Brot, soviel als für den Brotsegen genügte, dann begann R. Mosche HaKohen, der fromme Priester, und sprach zu der mit ihm zu Tische sitzenden Gemeinde:
»Lasset uns zuerst das Tischgebet vor dem lebendigen Gotte, unserm Vater im Himmel, sprechen. Und dann lasset uns nach dem Willen unseres Schöpfers tun, Die Feinde sind über uns gekommen. So wollen wir heute am Schabbat ein jeder seinen Sohn oder seine Tochter oder seinen Bruder schlachten. Niemand schone sich selbst oder seinen Nächsten, und der letzte schneide sich mit einem Messer selber die Kehle durch oder durchbohre sich mit seinem Schwerte, auf dass uns die Unreinen und Frevler nicht besudeln. Wir wollen uns selbst als Opfer darbringen auf dem Altar des Allerhöchsten, auf dass wir in jene Welt kommen, die ganz Tag ist, in den strahlenden Garten Eden, und Gott von Angesicht zu Angesicht schauen in Seiner Herrlichkeit und Größe. Dort werden wir unter dem Baume des Lebens auf goldenem Stuhle sitzen, zwischen den Stützen der Welt, im Verein mit dem Frommen, mit Edelgestein und perlen besetzte Kronen auf den Häuptern. Dort erst werden wir den Schabbat feiern, den wir in dieser finsteren Welt nicht also achten und hüten können, wie es geziemte.« »Amen, so soll es sein!« antworteten alle einmütig und laut. »So möge Gottes Wille geschehen!«
Und R. Mosche, der Priester, eröffnete das Tischgebet: »Lasset uns preisen unsern Gott, von dem wir Speise erhielten.« »Gepriesen sei er, unser Gott!« fielen die andern ein. Und nun betete er: »Möge der Barmherzige noch in den Tagen derer, die nach uns übrigbleiben, und vor ihren Augen, das Blut seiner Diener rächen, das vergossen wurde und noch vergossen werden wird. Möge er uns retten vor den Männern des Frevels, vor Verfolgung und vor Götzendienst, vor der Unreinheit der Völker und ihren Abscheulichkeiten!«
Meine Eltern und andere alte Leute, die Zeugen solcher Taten gewesen, erzählten mir, wie er noch viele andere Gebete sprach, die sich auf das Verhängnis bezogen. Dann, als alle vom Tische aufstanden, sagte er: »Ihr Söhne des lebendigen Gottes, sprechet nun laut und einmütig: Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig!«
Sie taten es so. »Und nunmehr,« sprach er weiter, »zögert nicht länger. Denn die Zeit zu handeln ist da, auf dass wir Ihm unser Leben als Opfer darbringen.« Sie gehorchten und opferten sich. Es war in der Abenddämmerung, am Vortag des Schabbats. Und wie Leute, die gute Beute machen oder die frohe Ernte feiern, so freuten sie sich, Gottes Dienste sich zu weihen und Seinen großen und heiligen Namen zu verherrlichen. Froh und freudig traten sie vor den Höchsten.
Unter diesen Frommen war R. Natronai ben R. Izchak. Er war ein schöner junger Mann, und schon vordem waren Pfaffen, mit denen er bekannt war, täglich zu ihm gekommen und hatten versucht, ihn zur Taufe zu bewegen. Doch er wies ihr abscheuliches Ansinnen zurück und sprach: »Ferne sei es von mir, dass ich meinen Gott da droben verleugne. Auf Ihn will ich vertrauen, bis meine Seele mich verlässt.« Und nun schlachtete er zuerst seinen Bruder, dann sich selbst, um der Heiligkeit und Einzigkeit Gottes willen.
Auch ein frommer Bekehrter war dort und fragte unsern großen Lehrer R. Mosche HaKohen: »Was wird aus mir werden, o Meister, wenn ich mich opfern werde, um die Einzigkeit des Herrn zu bekennen?« Und jener sprach: »Dann wirst du bei uns weilen, denn ein frommer Bekehrter bist du. Zusammen mit allen übrigen frommen Bekehrten wirst du bei Awraham unserm Vater sein, der selbst der erste der Bekehrten war.« Kaum hatte der Fromme diese Antwort vernommen, als er das Messer ergriff und sich schlachtete. Seine Seele ist mit eingeschlossen in den Bund des Lebens im Garten Eden, im Licht des Herrn.
Als die Feinde eindrangen, fanden sie nur Tote vor. Einige, die sich verwundet in ihrem Blut zwischen den Leichen gewälzt hatten, hatten sich noch des Nachts fortgeschleppt. Preis sei dem Schöpfer, dass sie alle zu Grabe gebracht werden konnten. Möge ihr Verdienst und das Verdienst der andern, die aus Liebe und um ihrer heiligen reinen Gottesfurcht willen geschlachtet, erstochen, erdrosselt, verbrannt, ertränkt, gesteinigt und lebendig begraben wurden, unser Fürsprecher sein vor Gott, dem Allerhöchsten; auf dass Er bald, noch in unsern Tagen, uns aus der Verbannung in Edom erlöse, die Mauern Jeruschalaims wieder aufrichte, wieder sammle die zerstreuten Jehudas und Israels, die wie mit der Worfschaufel durch alle Tore der Erde geworfen sind, der letzte Rest, der in Gefangenschaft und Unechtschaft, in Not und Drangsal unter den Völkern übriggeblieben ist: um Seines großen, gewaltigen, furchtbaren Namens willen, nach dem wir genannt sind.
Am Sonntag, den 6. Tammus (29. Juni 1096), erhoben sich die Feinde des Herrn auch gegen Seine Frommen in Moers, um sie zu vertilgen. Ein Haufen Volkes, zahllos wie der Sand am Meer, lagerte vor der Stadt. Der Bürgermeister kam zu ihnen auf das Feld hinaus und bat sie, bis zum nächsten Morgen zu warten. »Vielleicht kann ich die Juden überreden,« sprach er, »vielleicht hören sie aus Furcht auf mich.« Die Frist wurde gewährt, und er kehrte in die Stadt zurück. Alsbald ließ er die Juden kommen und sprach zu ihnen: »Anfangs versprach ich, euch zu schirmen und zu schützen, solange es noch einen Juden auf der Welt gibt. Bis hierher habe ich mein Wort treulich gehalten; von nun ab kann ich euch vor all diesem Volke nicht länger retten. Sehet nun selbst zu, was ihr tun könnt. Ihr wisset wohl, wenn ihr ihnen nicht den Willen tut, dass dann die Stadt belagert und die Burg niedergerissen wird.« Darauf antworteten sie alle, Alt wie Jung, aus einem Munde: »So sind wir bereit und willig, unsern hals hinzustrecken, um unsere Gottesfurcht und unseren Glauben an den Einzigen zu bezeugen.« Da fasste der Bürgermeister einen anderen Gedanken, um ihnen beizukommen. Er wollte sie mit den Kreuzfahrern schrecken und sie so gefügig machen und zur Taufe bewegen.
Und so gab er Befehl, sie aus der Stadt und an das Lager der Kreuzfahrer zu bringen. Doch all dies nützte nichts. Denn alle, wie einer, sprachen sie: »Wir haben keine Furcht vor den Kreuzfahrern.« Nun ließ er sie in die Stadt zurückbringen, festnehmen und einsperren, einen jeden für sich allein, damit sie einander nicht töteten, wie er von anderwärts gehört hatte. Am andern Morgen wurden sie mit Stößen aus der Stadt getrieben und den Krenzfahrern ausgeliefert. Diese brachten etliche von ihnen um; die sie leben ließen, tauften sie und verfuhren mit ihnen nach ihrer Willkür.
Von dort war noch nachts ein Frommer namens Mar Schemarjah samt seiner Frau und seinen drei Kindern entflohen. Um vieles Geld hatte ihnen der Schatzmeister des Bischofs versprochen, sie herauszubringen und zu retten. Aber er führte sie in den Wald, und dort streiften sie bis zum 9. Aw (31. Juli 1096) unstet und flüchtig in der Irre umher. Erst, als Mar Schemarjah zu seinen Söhnen R. Nathan und R. Mordechai in Speyer um Geld geschickt und dieses dem Schatzmeister gegeben hatte, führte er sie wieder heraus nach Dortmund. Die Bewohner dieses Dorfes, die Mar Schemarjah gut kannten, freuten sich ob seiner Ankunft. Er versprach ihnen, bis zum anderen Tage zu bleiben und nach ihrem Wunsch und Begehr zu tun. Vor großer Freude darüber veranstalteten sie ein Gastmahl. Allein die Flüchtlinge, die von den unreinen Speisen nichts genießen, sondern nur Reines und Erlaubtes und mit neuen Messern essen wollten, sagten: »Solange wir noch unseres Glaubens sind, wollen wir uns halten wie bisher. Morgen werden wir dann eines Volkes mit euch werden. Nun aber gebt uns für diese Nacht ein besonderes Zimmer. Denn wir sind müde und matt von der beschwerlichen Wanderung.« Die Bitte wurde erfüllt. In der Nacht aber stand der Fromme auf, nahm ein Messer, fasste sich ein Herz und schlachtete seine Frau und seine drei Kinder und dann sich selbst. Er starb jedoch nicht, sondern fiel nur in Ohnmacht.
Als die Feinde des Morgens vergeblich auf ihn gewartet hatten, traten sie ein und fanden ihn auf dem Boden liegen. »Willst du deinem Gott absagen«, fragten sie ihn, »und zu unserm Glauben dich bekehren, dann magst du noch genesen.« »Bewahre mich Gott davor,« erwiderte er, »dass ich Ihn, den Lebendigen, verleugne. Nein, ich will für Ihn und Seine heilige Lehre den Tod erleiden und dann an die Stätte der Gerechten kommen, wie ich mein ganzes Leben lang gehofft habe.« Darauf sagten sie: »Glaube nur nicht, dass wir dich einfach umbringen werden. Entweder bekennst du dich zu unserm Glauben oder wir begraben dich bei lebendigem Leibe.« Doch er sprach: »Tut mit mir nach eurem Willen. Ich nehme alles in Tiebe auf mich.«
Da gruben die Frevler eine Grube für ihn und er, der fromme Schemarjah, legte sich selbst hinein. Seine drei Kinder bettete er zu seiner Linken, seine Frau zur Rechten, so dass er in der Mitte zu liegen kam. Dann warfen die Bösewichter Erde über sie alle. Er aber schrie und weinte laut und wehklagte über sich und seine Kinder und seine Fran den ganzen Tag hindurch bis an den nächsten Morgen. Da kamen die Feinde des Herrn nochmals zu ihm und zogen ihn noch lebend aus dem Grabe, damit er seinen Sinn ändere und sich zu ihrem Glauben bekehre. Nochmals fragten sie ihn: »Willst du nun deinen Gott hergeben?« Doch er weigerte sich auch weiter, den Großen und Erhabenen abzuschwören, und hielt an seiner Frömmigkeit fest, bis die Seele ihn verließ. Sie taten ihn zum zweiten Male ins Grab und warfen Erde über ihn. So starb er, der fromme Mann, in Verherrlichung des großen einzigen Gottes, bestand in der Prüfung wie unser Vater Awraham. heil ihm und seinem Anteil! Von ihm und seinesgleichen gilt das Wort: »Die den Herrn lieben, sind, wie die Sonne aufgehet in ihrer Macht.«
Von all den sieben Orten, wohin die Gemeinde Köln zerstreut wurde, war es nur die Stadt Kerpen, wo die Flüchtlinge nicht umgebracht wurden. Aber der Herr dieser Stadt fügte ihnen auf andere Weise Böses zu. Er ließ nämlich durch seine Knechte die Grabsteine der in Köln begrabenen Toten bringen und damit einen Bau ausführen. Doch als sie die Steine zum Bau hinaufzogen, um die Mauer aufzurichten, da fügte es der eifernde und rächende Gott, dass dem Herrn der Stadt ein Stein auf den Kopf fiel und ihm den Schädel zerschmetterte, so dass das Gehirn herausspritzte und er starb. Seine Frau wurde darob irre und starb im Wahnsinn. So bewies Gott, dass Er ihnen nach ihrem Tun vergalt. Möge Er also auch bald, noch in unseren Tagen, das Blut aller Seiner Diener rächen, das um Seinetwillen vergossen wurde und Tag um Tag vergossen wird!
Wie die Feinde in der Bosheit ihres Herzens in den genannten Gemeinden wüteten, so wüteten sie auch in anderen, wie Trier, Metz, Regensburg, Prag, Pappenheim. Und überall heiligten die Juden den großen und furchtbaren Namen Gottes in Liebe und Treue. Alles dies aber geschah in jenem Jahre zu ein und derselben Zeit, vom Monat Ijar bis zum Monat Tammus. Denn Gott hatte sich jenes ganze fromme Geschlecht erkoren, um dessen Verdienste den nachfolgenden Generationen zugutekommen zu lassen. Darum möge es Ihm, dem Erhabenen, gefallen, dass die Frömmigkeit und Reinheit dieser Gerechten uns für immer beistehe, auf dass uns die Erlösung werde und das ewige Leben.