Omerzeit

Lag baOmer

Im Idealfall zählen wir seit dem zweiten Sederabend „Omer“. Mit dem „Omerzählen“, werden nach dem Abendgebet 49 Tage gezählt, an deren Ende, am 50.Tag das Schawuot-Fest steht. Der Begriff „Omer“ meint eigentlich ein Maß für Getreide, das während dieses Zeitraumes an jedem Tag zum Tempel gebracht werden sollte.

Mit Bestehen des Tempels war diese Zeit ein Vorbereiten auf das Schawuot-Fest, mit durchaus freudigem Charakter. Man erlebte den Auszug aus Ägypten nach, das Zurücklassen der Knechtschaft und schaute nach vorn, auf die Torahgebung. Doch nach Ende des Tempels bekam diese Zeit den Charakter einer Trauerzeit. Zunächst einmal, weil es den Tempel zu dem das tägliche Getreideopfer hätte gebracht werden sollen, nicht mehr existierte und weil dies eine Zeit war, in der viele Katastrophen das jüdische Volk heimgesucht hatten. Es scheint, als sei die jüdische Geschichte keine lineare Abfolge von Ereignissen, sondern als drehe sich die Geschichte fortschreitend als Spirale; so dass sich bestimmte Ereignisse in anderer Form wiederholen, die Zeit jedoch voranschreitet. So wurde während der Omerzeit der Bar-Kochba-Aufstand niedergeschlagen, während der Omerzeit starben vierundzwanzigtausend Schüler von Rabbi Akiwa, weil sie, wie der Talmud im Traktat Jebamot berichtet „einander keine Achtung entgegenbrachten“ und so wurde das Judentum plötzlich um zahlreiche wichtige Vermittler der jüdischen Lehre gebracht. Später, zur Zeit der Kreuzzüge, war die Omerzeit eine Zeit der blutigen antijüdischen Pogrome und Massaker. Aus dieser Zeit kennen wir heute zahlreiche Klagelieder, die vor allem am Fastentag des neunten Aw gesagt werden (Tischa beAw), aber auch das aschkenasische „Aw Harachamim – Vater der Barmherzigkeit“, das kurz nach der Torahlesung an den Schabbatot während der Omerzeit gesagt wird. In diesem bewegenden Gebet wird der Ermordeten der Kreuzzüge gedacht, heute natürlich auch der Ermordeten anderer Pogrome oder Massaker. Auch der Aufstand im Warschauer Ghetto fällt in diese Zeit. In dieser Zeit der Trauer gelten die Vorschriften für eine solche Zeit: Man heiratet nicht oder richtet sonstige Feste aus, orthodoxe Juden rasieren sich nicht und lassen sich nicht die Haare schneiden. In eben diese Zeit der leisen, gedämpften Atmosphäre fällt Lag baOmer – der 33. Tag des Omerzählens, der in diesem Jahr auf den 16. Mai fällt. Ein Tag außergewöhnlicher Freude, an dem die Trauerregeln nicht gelten. Für sefardische Juden gilt das allerdings nicht, denn sie sind schon ab dem 34. Tag von den Trauervorschriften befreit! In der sefardischen Tradition wird angenommen, dass die Seuche unter den Schülern Akiwas nur bis zum 34.Tag der Zählung anhielt. Die aschkenasische Tradition dagegen nimmt an, dass die Seuche am 33. Tag aussetzte und danach weiterwütete. Aber auch hier machte die findige aschkenasische Tradition aus 49 Trauertagen 33, denn an den Feiertagen und Schabbatot gelten ja keine Trauervorschriften. So fallen der sechste Tag Pessach, Isru Chag, die zwei Tage von Rosch Chodesch Ijjar, der Tag Rosch Chodesch Siwan und sechs Schabbatot weg.

Doch Haareschneiden allein macht Lag BaOmer natürlich noch nicht zu einem fröhlichen Fest. Heute werden in Israel vielerorts Lagerfeuer angezündet, besonders um die Ortschaft Meron herum, in der Schimon bar Jochaj, im hebräischen abgekürzt mit „Raschbi“, lehrte und verstarb. Schimon bar Jochaj war ein Schüler des bereits genannten Rabbi Akiwas und einer der Weisen des Talmuds. Er lebte im 2. Jahrhundert, war ein Gegner Roms und verstarb an Lag BaOmer in Meron. Lag BaOmer ist also auch die „Jahrzeit“ Schimon bar Jochajs – es wird erzählt, er sei direkt in den Himmel aufgestiegen. Einer talmudischen Legende (Schabbat 33b) zufolge musste Schimon bar Jochaj sich 12 Jahre in einer Höhle verstecken, wurde dort mit Wasser versorgt und lernte ausschließlich Torah. Nach Ablauf dieser zwölf Jahre musste er weitere 12 Monate in der Höhle verbringen. Ihm wurde auch die Autorenschaft des „Sohar“ zugeschrieben, möglicherweise der wahre Grund für seine Popularität. Wahrscheinlicher ist aber, dass Mosche ben Schemtow de Leon, der zwischen 1250 und 1305 lebte, das Buch verfasste und es dem „Raschbi“ zuschrieb, um ihm mehr Autorität zu verleihen. Dies ist eine Interpretationshilfe für die vielen Feuer, die angezündet werden. denn das von ihm im „Sohar“ offenbarte himmlische Licht sei nun für alle seine Schüler entzündet. Die Tora selbst wird ja nach König Schlomoh mit Licht verglichen, heißt es doch: „Denn eine Leuchte ist die Mitzvah, und die Tora ein Licht“ Sprüche 6:23. Auf der anderen Seite erinnern die Lagerfeuer auch an die Signalfeuer der Teilnehmer des Bar-Kochba-Aufstandes die für ein freies Israel und den Fortbestand des Judentums kämpften. So ist es vielleicht heute schon fast an sich Anlass genug zur Freude, dass sich Jüdinnen und Juden nach all den Katastrophen in der Geschichte und speziell auch in der Omerzeit, in einem freien Israel gemeinsam an ein Lagerfeuer setzen können um in hebräischer Sprache darüber zu reden und zu singen.