Führer der Unschlüssigen

More Newuchim – Buch 1 – Einführung

»Lehre mich den Weg, den ich gehen soll, denn zu Dir, Herr, erhebe ich meine Seele!« Psalm 143, 8

»Euch, ihr Männer, rufe ich, mein Ruf ergeht an die Menschensöhne!«
Sprüche 8,4

»Neige dein Ohr, vernimm die
Worte der Weisen, und richte deinen Sinn darauf, mich zu verstehen!« Sprüche 22, 17

Der erste Gegenstand dieser Abhandlung ist, die Bedeutung gewisser Wörter zu erläutern, die in den Büchern der Prophetie vorkommen. Von diesen sind einige homonym((Dasselbe Wort kann in mehreren Bedeutungen gebraucht werden.)) , die aber die Unwissenden nur in einer ihrer homonymen Bedeutungen an­wenden; andere wieder sind figürlich, die sie gleichfalls nur nach ihrer ersten Bedeutung verstehen, aus welcher sie über­tragen wurden, und noch andere zweifelhaft, die man bald als Synonyme, bald als Homonyme betrachtet. Es ist nun keineswegs die Tendenz dieses Werkes, alle diese der großen Menge verständlich zu machen, so wie auch nicht denen, die Anfänger im Studium sind, oder denen, die sich bloß mit dem Studium der Gotteslehre, nämlich mit ihrer traditionellen((Mit der Mischna (Wiederholung) einer im Anfang des dritten Jahrhunderts von Rabbi Jehuda ha Nassi redigierten Sammlung der mündlich überlieferten Religionsvorschriften. und der Gemara (Vollendung) einer Sammlung der Verhandlungen der in der Zeit nach dem Abschluß der Mischna wirkenden Gesetzeslehrer (Amoraer) über die in der Mischna enthaltenen Gesetze. Die Gemara, bei welcher die jerusalemische von der babylonischen zu unter­scheiden ist, fand gegen das Jahr 500 ihren Abschluß. Mischna und Gemara vereinigt bilden den Talmud (Lehre, Studium).)) Auslegung befassen; vielmehr ist der Gegenstand dieses Buches im ganzen und in allen seinen Teilen das Verständnis der Tora nach der Wahrheit, und es hat zum Zwecke, dem­jenigen eine Anleitung zu geben, welcher der Religion kundig und mit dem Gesetze vertraut ist, der an die Wahrheit der Tora glaubt und in seinem Glauben und Charakter untadelig ist, der aber Philosophie studiert hat und ihre Probleme kennt, und den die menschliche Vernunft angezogen hat, um ihn in ihrem Bereiche wohnen zu lassen. Ein solcher wird durch die wörtliche Auffassung des Schriftwortes und dadurch, dass er, weil er nun einmal entweder aus eigener Einsicht oder durch Belehrung von anderer Seite immerfort an den wört­lichen Bedeutungen dieser homonymen, metaphorischen und zweifelhaften Wörter festhält, in Unruhe versetzt und ver­bleibt darüber in Ungewissheit und Ratlosigkeit. Entweder folgt er seiner Vernunft und verwirft das, was er von dem Sinne dieser Wörter weiß und dann denkt er, er habe die Grund­lehren der Religion preisgegeben, oder er wird bei seiner Auffassung bleiben, die er bisher festgehalten hatte, und seiner Ver­nunft nicht folgen, sie vielmehr hinter sich werfen und sich von ihr abkehren; dann wird er gewahr werden, dass er sich selbst einen Verlust und der Heiligen Schrift einen Nachteil zuge­zogen hat. Er wird, wenn er bei diesen eingebildeten Meinun­gen bleibt, ihretwegen in Furcht und in gedrückter Gemüts­verfassung sein und unaufhörlich Herzeleid und arge Verlegen­heit empfinden.

Dieses Buch hat aber auch noch eine zweite Aufgabe, näm­lich die sehr dunkeln Gleichnisse zu erklären, die in den Prophetenbüchern vorkommen, ohne dass sie als Gleichnisse ausdrücklich bezeichnet werden, die aber die Unwissenden und diejenigen, denen es an Überlegung mangelt, nach ihrem Wort­sinn auffassen, als hätten sie keinen tieferen Inhalt. Be­trachtet nun diese Gleichnisse einer, der die Wahrheit kennt, und fasst sie wörtlich auf, so wird er gleichfalls in arge Ver­legenheit geraten. Wenn wir ihm jedoch das Gleichnis erklären, oder ihn darauf aufmerksam machen, dass es ein Gleichnis ist, so wird er dem entgehen und von dieser Ungewissheit befreit werden. Deshalb habe ich dieses Buch »Führer der Un­schlüssigen« genannt.

Ich behaupte jedoch nicht, dass dieses Buch denen, die es verstehen, alle Zweifel bannen wird, wohl aber, dass es die wichtigsten zum größten Teile beseitigen wird. Der vernünftige Leser wird auch weder verlangen noch erwarten, dass ich bei der Erörterung irgend eines Gegenstandes diesen bis zu Ende ausführe oder bei dem Versuche, den Gedanken eines Gleich­nisses zu erklären, alles erschöpfend auseinandersetze, was in diesem Gleichnis gesagt worden ist. Das kann ein Verständiger nicht einmal mündlich dem gegenüber, mit dem er von Ange­sicht zu Angesicht spricht, geschweige denn in einem von ihm verfassten Buch. Denn dieses wäre sonst die Zielscheibe der Angriffe jedes sich für weise haltenden Toren, der die Pfeile dagegen richtete, die abzuschnellen seine Unwissenheit ihn veranlasst.

Schon in unserem Werk über den Talmud((Nämlich im Mischnakommentar und dem Mischne-Tora.)) erläuterten wir manche Grundsätze dieser Art und regten zum Denken über viele derartige Gegenstände an. Wir erwähnten dort, dass Ma’ase BereschitDie biblische Schöpfungsgeschichte (Genesis 1), die mit dem Worte Bereschit (Im Anfang) beginnt, von den Rabbinen aber als die Erörterung aller mit der Welterschaffung zusammenhängenden Fragen verstanden wird. die Naturwissenschaft, hingegen Ma’ase Merkawah((Die Schilderung des Thronwagens der göttlichen Majestät (Jechezkel Kapitel 1) der man, weil man ihren Sinn nicht verstand, tiefe Geheimnisse vermutete. Auch die Entstehung der Kabbala ist auf die Versuche zurückzuführen, diese schwierige Bibelstelle zu erklären.)) die Metaphysik bedeute. Wir erklärten dort auch den Ausspruch unserer Lehrer: »Man unterrichte über Merkawah sogar einen einzelnen Schüler nur dann, wenn er ein Ge­lehrter ist und die Sache aus eigener Einsieht versteht. In diesem Falle darf man ihm die Hauptsachen mitteilen«. Daher wirst du von mir nur die Hauptsachen fordern dürfen, und auch diese sind in dem vorliegenden Werke nicht geordnet und nicht in logischer Folge gegeben, sondern zerstreut und mit anderen Gegenständen, die ich zu erklären wünschte, vermengt, weil es meine Absicht war, dass die Wahrheit zwar durch diese Erläuterungen sichtbar werde, sich dann aber wieder der allgemeinen Kenntnis entziehe. Ich wollte nicht in ungeziemender Weise der Absicht Gottes zuwiderhandeln, die es so eingerichtet hat, dass die Wahrheiten, die sich insbe­sondere auf die Erkenntnis Gottes beziehen, der großen Menge vorenthalten bleiben nach dem Spruch: »Das Geheimnis Gottes ist für die, die ihn fürchten« [Ps. 25,14].

Wisse jedoch, dass man auch gewisse Prinzipien der Natur­wissenschaft nicht in der Weise allgemein bekannt machen darf, dass man sie so, wie sie an sich sind, ausdrücklich erörtert. Du kennst ja den Ausspruch der Weisen: »Man trage Ma’ase Bereschit nicht vor zwei Jüngern vor«. Wenn nun jemand alle diese Dinge in einem Buch abhandelt, dann ist es so, als ob er sie Tausenden von Menschen gepredigt hätte. Deshalb sind auch diese Dinge in den Büchern der Prophetie nur in Bildern dargestellt, und deshalb haben unsere Lehrer von ihnen nur in Gleichnissen und Allegorien gesprochen, indem sie sich hierin nach der Methode der Heiligen Schrift richteten, weil ja zwischen diesen Dingen und der Metaphysik ein inniger Zu­sammenhang besteht. Auch sie gehören zu den Geheimnissen der theologischen Wissenschaft. Du darfst auch nicht glauben, dass diese wichtigen Geheimnisse irgend jemand von uns bis zu ihrem letzten Ende bekannt sind. Dem ist nicht so. Viel­mehr leuchtet uns nur manchmal die Wahrheit hervor, so dass wir meinen, es ist Tag; dann aber entziehen Materie und Lebensweise sie wieder unseren Blicken, so dass wir wieder in finsterer Nacht sind, fast wie zuvor. Wir gleichen dann einem, dem dann und wann ein Blitz aufleuchtet, während er in dich­ter, nächtlicher Finsternis weilt. Es gibt aber nun Leute, denen der Blitz einmal nach dem andern mit geringer Unter­brechung aufleuchtet, so dass sie fast in einem beständigen, ununterbrochenen Licht weilen und ihnen die Nacht zum Tag wird. Dies ist die Stufe des größten der Propheten, zu dem Gott sprach: »Du aber bleibe hier bei mir!« [Deut. 5, 33], oder von dem gesagt wird, dass »die Haut seines Antlitzes strahlte« [Exod. 34, 21]. Ferner gibt es solche, denen es nur ein einziges Mal in ihrer ganzen Nacht aufblitzt. Dies ist die Stufe derjenigen, von denen gesagt wird: »Sie weissagten, fuhren aber nicht fort« [Num. 11, 25]. Es gibt andere, denen zwischen Blitz und Blitz längere oder kürzere Abstände sind, aber auch solche, die niemals zu der Stufe gelangen, dass ihre Finsternis je durch ein Licht erhellt würde, sondern höchstens durch einen reinen und durchsichtigen Körper, wie etwa Steine oder Körper, die in finsterer Nacht leuchten, wenn auch ihr Licht nur schwach ist und uns gleichfalls nicht immer leuchtet, sondern leuchtet und verschwindet, wie die »sich verändernde Flamme des Schwertes« [Gen. 3, 24]. Solcherart verschieden sind die Grade der Vollkommenen. Diejenigen aber, die überhaupt kein Licht sehen, auch nicht Einen Tag, sondern in der Finsternis umhertappen, sind die­jenigen, von denen gesagt wird: »Sie erkennen und verstehen nichts, im Finstern wandeln sie« [Ps. 82, 5]. Ihnen bleibt die Wahrheit gänzlich verborgen, ungeachtet der Stärke ihres Er­scheinens, und von ihnen wird gesagt: »Sie sehen das Licht nicht, welches hell am Firmament leuchtet« [Ijob 36, 21]. Und dies ist die große Masse, mit welcher uns zu befassen in diesem Buch kein Anlass ist.

Wenn aber einer der Vollkommenen je nach der Stufe seiner Tüchtigkeit etwas von dem, was er mit Bezug auf diese Geheim­nisse tatsächlich begriffen hat, mündlich oder schriftlich einem andern erklären will, so kann er das geringe Maß dessen, was er begriffen hat, nicht vollständig und in logischer Folge dar­legen, wie er dies bei den anderen Wissenschaften getan hätte, deren Studium allgemein zugänglich ist. Vielmehr wird ihm, wenn er einen andern darin unterrichtet, dasselbe widerfahren wie zur Zeit, als er es im eigenen Studium für sich erwarb; nämlich der Gegenstand wird, als wäre es seine Natur, bald hell sichtbar werden und bald sich wieder verhüllen, gleich­viel ob er viel oder wenig davon weiß. Deshalb durften die großen Metaphysiker und Theologen, die im Besitze der Wahr­heit waren, wenn sie etwas davon lehren wollten, nur in Bildern und Rätseln davon reden und mussten zahlreiche Allegorien anwenden, in der Art und sogar in der Gattung verschieden, indem sie den Gedanken, den sie verständlich zu machen wünschten, bald an den Anfang, bald in die Mitte oder an das Ende des Gleichnisses setzten, wenn es kein Gleichnis gab, welches dem Gedanken, den sie im Sinne hatten, vom Anfang bis zum Ende entsprach. Deshalb wird auch der Gegen­stand, den man zu lehren beabsichtigt, wenn er auch an und für sich nur Einer ist, verteilt und in zahlreichen Bildern an weit auseinanderliegenden Stellen dargelegt. Noch schwieriger ist es, wenn das eine Bild, wie es oft der Fall ist, ein Bild für viele Gegenstände sein und man dessen Anfang auf einen, das Ende aber auf den andern Gegenstand beziehen kann. Manchmal aber ist das ganze Gleichnis ein Bild für zwei ver­wandte Gegenstände, die demselben Zweige der Wissen­schaft angehören, so dass derjenige, der darüber ohne Gleich­nisse und Bilder sprechen wollte, entweder zu dunkel oder zu flüchtig davon sprechen müsste, und das käme ja dem gleich, als wenn er im Bild und Gleichnis spräche. Es ist, als ob hierin die Gelehrten und Wissenden nicht minder durch den Willen Gottes als von ihren eigenen Anlagen geleitet würden. Du siehst ja, dass Gott, als er uns vervollkommnen und die Lage unserer Volksmenge durch seine praktischen Gebote ver­bessern wollte, an den Eingang seines heiligen Buches die Schöpfungsgeschichte, d. i., wie wir sagten, die Naturwissen­schaft, gestellt hat, weil die praktischen Gebote doch nur nach Erlangung von Vernunfterkenntnissen erfüllt werden können, deren erste die möglichste Erkenntnis Gottes ist. Diese wird aber durch die Metaphysik erreicht, zu der man jedoch nur mittelst der Naturwissenschaft gelangt, die ihr benachbart ist und ihr, wie es jedem klar ist, der diese Studien betrieben hat, im Unterrichte vorangehen muss. Aber wegen der Erhaben­heit und hohen Bedeutung des Gegenstandes, und weil unser Können unzureichend ist, die Wichtigkeit dieser Dinge, wie sie an sich sind, zu erfassen, hat uns Gott diese schwierigen Dinge, die für die Metaphysik notwendig sind, in Bildern, Rätseln und sehr dunkeln Worten mitgeteilt nach dem Aus­spruch unserer Lehrer: »Da es unmöglich ist, die Größe des Schöpfungswerkes einem Sterblichen zu verkünden, hat die Heilige Schrift uns mit dunkeln Worten angedeutet: »Im An­fange schuf Gott« usw. [Gen. 1, 1]. Sie machen dich also darauf aufmerksam, dass diese hier genannten Dinge tiefe Ge­heimnisse sind. Du kennst ferner den Ausspruch Salomos: »ferne ist das, was ist, und sehr tief verborgen, wer kann es finden?« [Pred. 7, 25]. Man bediente sich also, indem man von diesen Dingen sprach, der doppelsinnigen Wörter, damit die große Menge, dem Maße ihrer Einsicht und der Schwäche ihres Vorstellungsvermögens entsprechend, sie in dem einen, der Vollkommene und Tüchtige hingegen in einem andern Sinne auffasse.

Bereits im Mischnakommentar habe ich in Aussicht gestellt, in einem Buch über die Prophetie und einem Buch der Ausglei­chung gewisse schwierige Dinge in den Büchern der Prophetie zu erläutern, und das letztere haben wir dazu bestimmt, alle dunkeln Midraschim((Wörtlich: Forschung. In den Verhandlungen, welche die Gesetzeslehrer der palästinischen und der babylonischen Schulen führten, handelt es sich vor­wiegend um die Feststellung dessen, was für die praktische Religionsübung als Norm zu gelten habe. Diese Norm wird aus dem Bibelworte abgeleitet, welches mit dem äußersten Aufwande folgerichtigen Denkens und scharfsinnigen Unterscheidens auf seine wahre Absicht durchforscht wird. Alles, was in diesen Verhandlungen auf die praktische Gesetzgebung Bezug hat, wird mit dem Ausdruck »Halacha«, Richtschnur bezeichnet. Dieser geistige Wettkampf wird jedoch manchmal, je nachdem der Gegenstand es zuließ oder sogar dazu einlud, von anderen Erörterungen unterbrochen, in denen ohne Beschluss und ohne gesetz­liche Verbindlichkeit nur Meinungen ausgetauscht werden, welche Fragen der Moral oder der biblischen Geschichte betreffen. Dieser Meinungsaustausch heißt Agada. Ihren Gegenstand bilden Sprichwörter, Sentenzen, Parabeln, Fabeln, lehrhafte Erzählungen, Volkssagen, die Vorstellungen über Unsterblichkeit, Auf­erstehung und Vergeltung (Eschatologie), das Verhältnis Israels zu den anderen Nationen und vieles andere, was überhaupt nicht in den Rahmen der Lehre fällt. Man nennt diese Erörterungen auch Midrasch, ein Name, der von dem hebräischen Verb »darasch, suchen« abgeleitet ist, indem man sich die Aufgabe stellte, im Gottesworte noch tiefere Gedanken zu suchen und zu finden, als die aus dem einfachen Wortlaut ersichtlichen. Als in späterer Zeit unter dem Druck der äußeren Verhältnisse namentlich in Palästina der Sinn für das ernste Gesetzesstudium geschwunden war, wurde dem trostbedürftigen Volke der Midrasch ein neuer Quell der Erbauung. Er wurde nun auch in die Synagoge eingeführt und im Anschluss an die gelesene Perikope vorgetragen, zu deren Erläuterung er diente. Diese Synagogenvorträge wurden später gesammelt und nach der Reihenfolge der Bibelstellen, auf welche sie sich bezogen, geordnet. Diese Sammlungen heißen jetzt Midraschim. Die verbreitetste ist die unter dem Namen Midrasch rabbah bekannte, die den Pentateuch nebst den Büchern Hoheslied, Rut, Klagelieder, Kohelet und Esther umfasst, welche in der Synagoge gelesen werden, ferner Midrasch Tanchuma, Pirke di R. Eliezer, Jalkut und andere.)) aufzuhellen, deren Wortlaut sich dem Anschein nach weit von der auf dem Wege des Denkens hervorgegangenen Wahrheit entfernt, die aber alle doch nur Gleichnisse sind. Als ich jedoch vor Jahren damit begann und einen Teil davon niederschrieb, missfiel es mir, mich auf die Erklärung nach dieser Methode eingelassen zu haben, weil ich einsah, dass wir im Falle der Beibehaltung der bildlichen Dar­stellung und bei dem Verbergen dessen, was verborgen werden soll, die bisherige Methode nicht verließen und nur ein Indi­viduum derselben Art mit einem andern vertauschten. Falls ich aber alles, was einer Erläuterung bedurfte, erläutert hätte, so wäre diese meine Bemühung bei der Menge übel angebracht, obgleich ich nichts anderes beabsichtigte, als die Gedanken der Midraschim und den einfachen Wortsinn der Prophetie volks­tümlich zu erklären. Ich sah aber auch ein, dass ein Unwissen­der aus der Menge der Rabbinen, wenn er die Midraschim liest, darin keine Schwierigkeiten findet, weil der Unwissende und Unbesonnene, der jeder Erkenntnis von der Natur des Seienden bar ist, das Unmögliche nicht für undenkbar hält. Wenn sie aber ein Vollkommener und Achtungswürdiger liest, so entgeht er einem von beiden nicht: entweder fasst er sie wörtlich auf und denkt schlecht über den Verfasser, den er für einen Unwissenden hält – er käme jedoch in diesem Falle nicht in Widerspruch mit den Grundlehren der Heiligen Schrift – oder er legt ihnen einen tieferen Inhalt bei. Damit wäre er wohl gut davongekommen und hätte über den Verfasser eine günstige Meinung erlangt, gleichviel ob ihm der tiefere Sinn des Ausspruches klar geworden ist oder nicht. Übrigens werden der Begriff der Prophetie, ihre Abstufungen und die in ihren Büchern angewandten Bilder in diesem Buch nach irgend einer der Erklärungsmethoden erläutert. Aus diesen Erwägungen stand ich davon ab, jene beiden Bücher, so wie sie gedacht waren, zu verfassen, und begnügte mich in der Dar­stellung der Grundlehren der Religion und der allgemeinen Wahrheiten mit kurzen Andeutungen und den einer Erklärung nahekommenden Ausführungen, welche ich in dem großen Werke Mischne-Tora gegeben habe.

n diesem Buch aber rede ich, wie gesagt, mit einem der Philosophie Beflissenen, der die wahre Wissenschaft kennt und an die Worte der Schrift glaubt, der jedoch hinsichtlich der darin enthaltenen Ideen durch die wörtliche Auffassung der dunkeln Worte und der Gleichnisse in Ratlosigkeit geraten ist. Allerdings werden in diesem Buch auch Kapitel vor­kommen, wo von keinem homonymen Worte die Rede sein wird. Ein solches Kapitel wird aber entweder für ein anderes Kapitel grundlegend sein oder auf eine der Bedeutungen eines homonymen Wortes hindeuten, die ich an jener Stelle nicht ausführlich besprechen wollte, oder es wird eines der Bilder erläutern oder betreffs einer anderen Stelle darauf aufmerk­sam machen, dass sie figürlich zu verstehen ist, oder das Ka­pitel wird schwierige Dinge enthalten, an die manche infolge der Mehrdeutigkeit der Wörter im Gegensatze zur Wahrheit glauben, weil sie das Bild mit dem dadurch Dargestellten oder das Dargestellte mit dem Bilde verwechselten.

Nach der Erwähnung der Gleichnisse schicke ich folgende Vorbemerkung voraus: Der Schlüssel zum Verständnis alles dessen, was die Propheten gesprochen haben, und zur Er­kenntnis seiner Wahrheit ist das Verständnis der Gleichnisse und ihrer Bedeutung sowie der Erklärung ihrer Worte. Du kennst ja das Schriftwort: »Durch die Propheten lasse ich Gleichnisse vortragen« [Hosea 12, 11], oder den Spruch: »Gib ein Rätsel auf und dichte ein Gleichnis« [Jechezkel 17, 2], und du weißt, dass Jechezkel, weil die Propheten meist in Gleichnissen zu sprechen pflegten, das Wort gesagt hat: »Sie sprechen von mir: Er erdichtet ja nur Gleichnisse« [ebenda 21, s]. Du kennst auch die Worte, mit denen Salomo sein Buch begonnen hat: »Spruch und Dichtung zu verstehen, die Worte der Weisen und ihre Rätsel« [Spr. 1, 6]. Dazu sagt der Midrasch: »Ehe Salomo auftrat, glichen die Worte der Heiligen Schrift einem Brunnen, dessen Wasser sehr tief und kalt war, so dass niemand davon trinken konnte. Da kam ein kluger Mann, knüpfte Seil an Seil und Eimer an Eimer, dann schöpfte er und trank. So machte es Salomo. Er drang on einem Bilde zum andern, von einem Gedanken zum an­dern vor, bis er den klaren Sinn der Schrift erfasste«. Das ist das Wort der Weisen, aber glaube nicht, dass irgend einer, der zu den Vollkommenen in der Erkenntnis gehört, meinen wird, dass diese Worte der Heiligen Schrift, auf die hier hingedeutet wird und deren Verständnis man durch die kluge Erfassung der Gedanken der Parabeln erlangt, die Vor­schriften über die Herstellung der Laubhütte oder den Lulaw oder das Gesetz über die vier Hüter u. dgl. betreffen, son­dern zweifellos geht die Absicht des Midrasch auf das Ver­ständnis der tiefen und geheimen Gedanken der Heiligen Schrift. An derselben Stelle wird ferner gesagt: »Unsere Lehrer sagen: Wenn jemand eine große Münze oder einen Edelstein in seinem Hause verloren hat, und er zündet für den Preis eines Hellers ein Licht an, so findet er den Edel­stein. So ist das Gleichnis an sich nichts, aber durch das Gleichnis erblickst du die Worte der Heiligen Schrift«. Auch dies ist ein Wort der Weisen. Achte auf ihre Erklärung, dass der Sinn der Worte der Heiligen Schrift der Edelstein, der Wortlaut aller der Bilder aber nichts ist. Achte darauf, wie sie die verborgenen und durch den Wortlaut des Gleich­nisses· ausgedrückten Gedanken mit einem kostbaren Stein vergleichen, der jemand in seinem Hause, und zwar in einem dunkeln Hause, in dem viele Geräte sind, entfallen ist! Nun ist wohl der Edelstein in dem dunkeln Hause, er aber sieht ihn nicht und nimmt ihn nicht wahr, und es ist, als wäre dieser aus seinem Besitze gekommen, denn ihm war, ehe er, wie gesagt, das Licht anzündet, sein Nutzen entzogen. Dem gleicht auch die Auffassung des Gedankens eines Gleichnisses.

Der weise Dichter sagt ferner: »Goldenen Äpfeln in silberner Fassung (Maskijot) gleicht ein Wort, das in seinen verschie­denen Bedeutungen gesprochen ist« [Spr. 25, 11]. Vernimm die Erklärung dieses Satzes! Maskijot sind in Filigranarbeit ziselierte Figuren, die sehr feine Öffnungen haben wie die Arbeiten der Goldschmiede. Man nennt sie Maskijot, weil sie der Sehkraft des Auges entgehen, wie im Targum das Wort wajjaschkef, (»er sah«) durch w’istechi übersetzt ist. Er sagt also, dass das Bild eines goldenen Apfels in silbernem Netzwerk mit sehr feinen Lücken das in doppelsinniger Weise gesprochene Wort ist. Sieh nun, wie wunderbar dieser Spruch ist in der Gestalt eines wohl­gelungenen Bildes! Er will damit sagen, dass das Wort zweierlei Bedeutungen hat, nämlich eine oben aufliegende und eine verborgene. Notwendig muss der offenbare Sinn an Güte dem Silber gleichen, sein eigentlicher Inhalt aber noch wert­voller sein, so dass er im Vergleich zu dem oberflächlichen Sinne sich wie das Gold zum Silber verhält. Notwendig muss aber auch in dem oberflächlichen Sinn etwas sein, was den Betrachtenden auf den eigentlichen Inhalt hinweist, wie dieser goldene Apfel, den man mit einem sehr feinen Silbergeflecht bedeckt hat, so dass derjenige, der ihn von weitem sieht oder nicht genau acht gibt, ihn für einen Silberapfel halten wird. Wenn ihn aber jemand mit scharfem Auge sorgfältig betrach­tet, wird ihm der Inhalt deutlich, und er erkennt, dass er von Gold ist. So ist es auch mit den Gleichnissen der Propheten. Oberflächlich betrachtet enthalten sie Weisheit, die für viele Dinge nützlich ist, unter anderem für die Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft, wie man aus dem Wortlaut des Buches der Sprüche und aus diesem ähnlichen Büchern ersehen kann; in ihrer Tiefe aber enthalten sie eine Wissen­schaft, die dazu dient, die Wahrheit in ihrer eigentlichen Gestalt zur Geltung zu bringen.

Die Gleichnisse der Prophetie haben zweierlei Methoden. Die eine ist die, dass jedes Wort in dem Bild einen eigenen Gedanken enthält, die andere, dass das Gleichnis auf einen und denselben durch das Bild vorgestellten Gedanken hin­weist. Dabei kommen viele Worte vor, von denen einige nichts zu dem durch das Bild Ausgedrückten beitragen, sondern sie dienen zur Ausschmückung oder zum logischen Aufbau der Rede, oder wohl gar um den durch das Bild ausgedrückten Gedanken sorgfältiger zu verhüllen, obgleich die Worte so aufeinanderfolgen, wie es zu dem oberflächlichen Sinn des Gleichnisses passt. Beachte dies besonders!

Ein Gleichnis der ersten Art ist folgendes: »Eine Leiter war aufgestellt auf die Erde, deren Spitze bis in den Himmel reichte« u. s. f. [Gen. 28, 12 ff]. »Eine Leiter« deutet auf einen Gegenstand, »aufgestellt auf die Erde« auf einen zweiten, »ihre Spitze reichte bis in den Himmel« auf einen dritten, »die Engel Gottes« auf einen vierten, »stiegen auf« auf einen fünften, »stiegen ab« auf einen sechsten und »über ihr stand der Herr« auf einen siebenten. Es trägt also jedes in diesem Gleichnis vorkommende Wort zum Ganzen im Bild Dar­gestellten etwas bei. Ein Gleichnis der zweiten Art unter den Gleichnissen der Prophetie ist hingegen das folgende:

»Ich blickte durch das Fenster meines Hauses, schaute durch mein Fenstergitter. Da sah ich unter den Einfältigen, bemerkte ich unter den Toren einen unverständigen Knaben. Er überschritt die Straße an der Ecke, wo eine Buhlerin wohnte, ging den Weg zu ihrem Hause im Dunkel der Abenddämmerung, in finsterer, sternloser Nacht. Da kam ihm ein Weib entgegen, wie eine Dirne angezogen, arglistigen Sinnes, ein Weib, das zügellos umherschweift und nie zuhause weilt, sondern bald auf der Straße, bald auf den Plätzen an jeder Ecke lauert. Sie umarmte und küsste ihn und sprach mit frechem Angesicht: Ein Freudenopfer hatte ich auf mich genommen, und heute habe ich mein Gelöbnis erfüllt. Darum bin ich Dir ent­gegen gegangen, um dich aufzusuchen, und nun finde ich Dich. Mit Teppichen habe ich mir mein Bett bereitet, mit Tapeten von ägyptischem Garn. Ich habe meine Lagerstätte mit Myrrhe, Aloe und Zimt besprengt. Komm, wir wollen uns der Liebe erfreuen bis zum Morgen, und an Liebkosen ergötzen, denn mein Mann ist nicht zuhause« usw. »Seinen Geldbeutel hat er mitgenommen« usw. »Und sie überredete ihn durch ihre große Zungenfertigkeit« usw. [Spr. 7,6-23].

Aus diesem Gleichnis geht für uns als Hauptgedanke die Warnung hervor, sich den körperlichen Begierden und Ge­nüssen nicht hinzugeben, und die Materie, die die Ursache aller dieser leiblichen Begierden ist, vergleicht der Dichter mit einer Buhldirne, die noch dazu eines Mannes Weib ist. Und auf dieses Gleichnis hat er sein ganzes Buch aufgebaut. In einzelnen Kapiteln des vorliegenden Werkes werde ich zeigen, wie weise der Vergleich der Materie mit dem ver­heirateten Hurenweibe ist und wie der Dichter sein Buch mit dem Lobe eines Weibes beendet, das nicht buhlt, sondern sich mit der Instandhaltung des Hauses und der Pflege der Interessen seines Gatten begnügt. Dass aber alle Hindernisse, die den Menschen von der Erreichung seiner letzten Voll­kommenheit abhalten, sowie alle Mängel und sittlichen Ver­fehlungen, die dem Menschen zustoßen, ihm allein durch seine Materie widerfahren, werde ich in diesem Buch nachweisen. Die in dem ganzen Gleichnis enthaltene Lehre ist nämlich die, dass der Mensch nicht seiner Tierheit allein, nämlich seiner Materie, folgen darf, da die nächste Materie des Menschen dieselbe ist, wie die aller Lebewesen. Nachdem ich Dir also dies erklärt und den verborgenen Gedanken des Gleichnisses Dir enthüllt habe, darfst Du nicht erwarten, alle Umstände des Bildes in dem Gegenstande zu finden, der in diesem Bilde dargestellt wurde. Du darfst nicht fragen, was sich in dem Satze birgt »Ich habe ein Freudenopfer auf mich genommen« [ebenda 14], oder auf was für einen Gedanken die Worte hindeuten »mit Teppichen habe ich mir mein Bett bereitet« [ebenda 16], oder welchen Gedanken die Worte »denn mein Mann ist nicht zuhause« [ebenda 19] dem Hauptgedanken beifügen, und ebenso in betreff alles anderen, was in diesem Stücke vorkommt. Alles dies ist nur eine Fortsetzung im Sinne der einfachen Bedeutung des Gleichnisses, denn alle die erwähnten Sätze sind Gedanken der Buhlerinnen, und diese und ähnliche Worte bezeichnen die Art, wie die Buhlenden miteinander reden. Schenke diesen meinen Ausführungen besondere Aufmerk­samkeit, denn sie bilden ein wesentliches Fundament für das, was ich erläutern will!

Wenn du also in einem der Kapitel dieses Buches die Er­klärung eines Gleichnisses findest und ich dich darauf aufmerk­sam gemacht habe, was im allgemeinen durch das Gleichnis ausgedrückt werden sollte, darfst du nicht nach allen Teilsätzen forschen, die in dem Gleichnis vorkommen, und etwas ihnen Analoges in dem Verglichenen finden wollen, denn dies würde dich zu einem von zwei Dingen führen: entweder wird es dich von dem eigentlichen Sinne des Gleichnisses ablenken oder dir die Mühe verursachen, Dinge zu erklären, für die es keine Er­klärung gibt und die auch nicht zur Erklärung bestimmt sind, und du gelangst durch diese Bemühung zu derartigen gewaltigen Sophistereien, wie sie heutzutage viele Sekten in Wort und Schrift äußern, weil sie von dem Wunsche beseelt sind, in allen Aussprüchen Gedanken zu finden, die der Sprecher nie hat aussprechen wollen. Vielmehr sei bei den meisten Gleich­nissen darauf bedacht, den Hauptgedanken zu erfassen, der dadurch bekannt gemacht werden sollte, und es dir bei manchen Dingen genügen zu lassen, wenn du aus meinen Worten erkannt hast, dass dies ein Gleichnis sei, auch wenn ich es nicht weiter erkläre, und dass du dich, sobald du weißt, dass es ein Gleichnis ist, auch darüber im klaren befindest, wofür es ein Gleichnis ist, so dass mein Ausspruch, es ist ein Gleichnis, gleichsam die Scheidewand zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen entfernt.

Anweisung für den Gebrauch dieses Buches: Wenn du alles besitzen willst, was die Kapitel dieses Buches enthalten, so dass dir nichts davon fehle, so musst du seine Kapitel aufein­ander beziehen. Es darf dir also nicht bloß darum zu tun sein, dass du in jedem Kapitel seinen Hauptgedanken verstehest, sondern darum, den Sinn jedes Wortes zu erfassen, welches im Zusammenhang der Rede vorkommt, auch wenn es zum Inhalt des Kapitels nicht gehört. Denn in diesem Buch sind die Worte nicht willkürlich gewählt, sondern mit großer Genauig­keit und Präzision wie auch mit Bedachtnahme darauf, dass es bei einem Gegenstande, der Zweifel hervorruft, an einer Auf­klärung nicht mangle. Es ist auch darin kein Wort an un­gehöriger Stelle vorgebracht, außer um einen anderen Gedanken an seiner richtigen Stelle zu erläutern. Du darfst es aber auch, wenn du es liest, nicht allzu sehr mit deinen Hintergedanken verfolgen, sonst würdest du mir schaden, ohne dir selbst zu nützen. Vielmehr sollst du daraus das für dich Erforderliche lernen und stets darin studieren; dann wird es die bedeutend­sten Zweifel lösen, die sich in betreff der Religion jedem Denker aufdrängen. Bei Gott aber beschwöre ich jeden Leser dieses Buches, dass er auch nicht ein Wort aus diesem einem anderen auseinandersetze oder erkläre, welches nicht auch schon von den namhaften und anerkannten Lehrern unseres Gesetzes, die vor mir waren, auseinandergesetzt oder erklärt ist. Was er aber darin verstanden hat in betreff eines Gegenstandes, den andere Lehrer außer mir noch nicht besprochen haben, das möge er keinen anderen lehren. Er möge auch nicht vorwitzig und über­eilt meine Worte zu widerlegen suchen; denn möglicherweise hat er sie anders verstanden, als ich sie sagen wollte; dann wird er zum Lohne dafür, dass ich ihm nützen wollte, mir schaden und Gutes mit Bösem vergelten. Vielmehr möge jeder, dem es in die Hand kommt, es aufmerksam lesen, und, wenn es ihm auch nur durch die Lösung eines einzigen Zweifels den Durst stillt, Gott danken und sich es an dem genügen lassen, was er verstanden hat. Findet er aber darin in keiner Hinsicht etwas, was ihm nützen kann, so betrachte er es, als wäre es nicht vorhanden. Sieht er jedoch darin etwas, was nach seiner Ansicht schädlich ist, so versuche er es in wohlmeinendem Sinne zu erklären und zu beurteilen, wenn er auch zu diesem Behufe eine weit hergeholte Erklärung suchen müsste. Dies ist ja eine uns auferlegte Pflicht, die uns selbst hinsichtlich der unwissenden Menge geboten ist, um so mehr aber hinsichtlich unserer Bekannten und hinsichtlich der Kundigen unseres Ge­setzes, die ihrer Einsicht gemäß uns durch die Wahrheit zu fördern beflissen sind.

Ich weiß wohl, dass jeder Anfänger, auch wenn er von der Philosophie keine Kenntnis hat, von einigen Kapiteln dieses Buches Nutzen haben wird; hingegen wird der als Mensch Vollkommene und der Religion Kundige, der, wie ich sagte, in Ratlosigkeit befangen ist, aus allen seinen Kapiteln Nutzen empfangen und sich gewiss sehr daran erfreuen und ergötzen. Hingegen werden diejenigen, die im Geiste verworren sind und deren Hirn von unwahren Ansichten und sophistischen Metho­den verderbt ist, die sie jedoch für wahre Wissenschaft ebenso wie sich selbst für Philosophen halten, jedoch von dem, was in Wahrheit Wissenschaft zu nennen ist, absolut keine Kennt­nis haben, vor vielen Kapiteln dieses Buches Abneigung haben. Sie werden auch sehr viele Einwendungen dagegen erheben, weil sie seine Gedanken nicht verstehen und weil auch darin die Nichtigkeit der falschen Lehren, die sie besitzen, aufgeklärt wird, jenes Schlackensilbers, welches ihr Schatz und ihr zu ihrem Verderben bestimmtes Eigentum ist. Gott aber weiß, dass ich mich stets gescheut habe, die Gegen­stände zu erörtern, die ich in diesem Buch niederschreibe, weil sie verborgene Dinge sind, über die in diesen Zeiten des Exils außer dem vorliegenden noch kein Werk von einem un­serer Glaubensgenossen geschrieben worden ist. Wie darf also ich mich erkühnen, eine solche Neuerung einzuführen? Ich stütze mich jedoch auf zwei Grundsätze. Erstens darauf, dass unsere Weisen angesichts eines ähnlichen Gegenstandes zu sagen pflegen: »Wenn es gilt, etwas für Gott zu tun, darf man auch das Gesetz unwirksam sein lassen« [Ps. 119,126], und zweitens auf ihren Ausspruch: »Alles, was du tust, tue um Gottes willen!«. Darauf stützte ich mich bei der Abfassung mancher Kapitel dieses Buches. Schließlich jedoch bin ich der Mann, der, wenn der Gegenstand ihn drängt, wenn der Weg ihm zu enge ist und er keinen anderen Ausweg weiß, eine bewiesene Wahrheit zu lehren, als nur indem sie einem Auserwählten gefällt, aber zehntausend Toren missfällt, es vorzieht, sie diesem Einen mitzuteilen. Ich achte des Tadels der großen Menge nicht und will den einen Auserlesenen aus seiner Unentschieden­heit, in die er versunken ist, herausreißen und ihm den Aus­weg aus seiner Ratlosigkeit zeigen, damit er vollkommen werde und gesunde.

Vorwort

Die konträren oder kontradiktorischen Widersprüche, die sich in irgend einer Schrift oder in irgend einem Werke vorfinden, beruhen auf einer der folgenden sieben Ursachen.

Erstens: Wenn der Verfasser zu denjenigen gehört, die die Aussprüche verschiedener Autoren sammeln, deren Meinungen voneinander abweichen, jedoch die Namen der Urheber dieser Aussprüche weglässt, dann findet sich in dem Buch ein kontradiktorischer oder konträrer Widerspruch, da die eine Behauptung die An­sicht des einen, die andere aber die Meinung eines andern Autors darstellt.

Zweitens: Wenn der Verfasser eine gewisse Meinung hat, von dieser aber später wieder abgekommen ist, dessen ungeachtet aber sein früherer Ausspruch zusammen mit dem späteren niedergeschrieben wurde.

Drittens: Wenn die Aus­sprüche nicht alle wörtlich gemeint sind, sondern teils wörtlich, teils figürlich mit einer tieferliegenden Bedeutung, oder auch, wenn beide einander ausschließende Behauptungen figürlich gemeint sind, jedoch, wörtlich aufgefasst, einander ausschließen oder widerstreiten.

Viertens: Wenn bei einem Satze eine Bedingung obwaltet, die an ihrer Stelle aus was immer für einem Grunde nicht ausdrücklich erwähnt wurde, oder wenn zwei Subjekte verwechselt wurden, ohne dass das eine an seiner Stelle ausdrücklich bezeichnet wurde, dann erscheint in der Rede ein Widerspruch, obgleich er in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.

Fünftens: Oft muss für den Zweck des Unter­richts und zur Erleichterung des Verständnisses ein dunkler und schwer vorstellbarer Gegenstand erwähnt oder als Prämisse benutzt werden, indem man durch ihn einen leichter vorstell­baren darstellt. Dieser müsste eigentlich im Unterrichte dem ersterwähnten Gegenstande vorausgehen, weil der Unterricht stets mit dem Leichten zu beginnen hat. Der Lehrer muss also das Verständnis des ersterwähnten Gegenstandes auf irgend eine ihm angemessen scheinende Art erleichtern, er darf ihn daher nur in den Umrissen darstellen und nicht genau auf die wahre Erklärung eingehen, sondern muss ihn mit dem Vor­stellungsvermögen des Schülers in Übereinstimmung bringen, bis dieser das verstanden hat, was er ihm jetzt verständlich machen will. Später aber wird auf die genaue Begriffsbestim­mung des schwierigen Gegenstandes eingegangen und die wahre Erklärung an der ihr zukommenden Stelle gegeben«. Sechstens: Wenn der Widerspruch dem Verfasser verborgen bleibt und erst nach vielen Prämissen klar wird -je mehr Prämissen aber ein Gegenstand zu seiner Darstellung braucht, desto ver­borgener ist der Widerspruch -, wenn also dieser Widerspruch dem Verfasser entgangen ist und er glaubt, dass zwischen den beiden Behauptungen kein Widerspruch bestehe, das Denken jedoch, sobald jede dieser Behauptungen für sich genommen mit den richtigen Prämissen verknüpft und die nötige Folge­rung daraus gezogen, derselbe Vorgang aber auch bei allen diesen Folgerungen eingehalten wird, nach vielen Komplika­tionen zu einem kontradiktorischen oder konträren Widerspruch zwischen den zwei letzteren Folgerungen führt. Dergleichen entgeht manchmal den gelehrten Schriftstellern. Zeigen jedoch die beiden ersten Behauptungen den Widerspruch deutlich, oder hat der Verfasser, als er den zweiten Satz an einer anderen Stelle des Buches schrieb, nur den ersten vergessen, so bedeutet dies eine sehr große Minderwertigkeit, und der betreffende Ver­fasser wird dann überhaupt nicht unter diejenigen gezählt, deren Worte einer Prüfung würdig sind. Siebentens: Da bei sehr geheimnisvollen Gegenständen das Bedürfnis obwaltet, manches zu verschweigen und manches zu offenbaren, so ge­schieht es manchmal, dass man auf Grund des einen Aus­spruches gemäß einer dort aufgestellten Behauptung die Rede fortsetzen muss, an einer anderen Stelle auf Grund einer Be­hauptung, welche die erste negiert. Die Laien dürfen jedoch diesen Widerspruch in keiner Weise merken, und der Verfasser muss ihn planmäßig auf allen Seiten unkenntlich zu machen wissen.

Der Widerstreit zwischen Mischna und Boraita ist von der ersten Art. Du findest oft den Ausspruch: »Der erste Satz ist mit dem zweiten unvereinbar« und die Antwort lautet dann: der erste Satz rührt von Rabbi*, der zweite von Rabbi** her. Oft findest du auch den Ausspruch: »Rabbi gefiel die An­sicht des Rabbi* und er nahm sie schlechthin in den Wortlaut der Mischna auf«, oder »Rabbi gefiel die Meinung des Rabbi* in betreff dieses und dieses Gegenstandes, und er gab sie schlecht­hin in der Mischna wieder«. Unzählige Mal findest du auch die Worte: »Von wem ist der anonyme Text?« oder »Von wem rührt die Mischna her?« und die Antwort lautet: »Von Rabbi*«.

Kontradiktorische oder konträre Widersprüche im Talmud sind von der ersten oder von der zweiten Art, und so findest du oft den Ausspruch: »In diesem Punkte folgte er der Meinung des Rabbi*, in jenem der des Rabbi**, oder »In einem Punkte stimmte er mit ihm überein, in dem andern widersprach er ihm«, oder »Es sind zwei Amoräer, welche die Meinung des Rabbi * verschieden auffassten«. Alle diese Beispiele gehören zur ersten Art. Wenn sie hingegen an einer Stelle erläuternd sagen: »Raba ist von dieser Meinung abgekommen«, und dabei untersucht wird, welcher von den beiden Aussprüchen der spätere ist, so ist dies nach der zweiten Art. Ebenso in dem Satze: »R. Aschi sprach sich bei dem ersten Zyklus so, bei dem zweiten anders aus«.

Kontradiktorische oder konträre Widersprüche, die im Wort­laute mancher Stellen in den Büchern der Prophetie vorzu­kommen scheinen, sind von der dritten und vierten Art, und um dieser willen habe ich diese ganze Einleitung geschrieben. Du kennst ja viele Aussprüche der Weisen, in denen sie zwei Bibelstellen einander gegenüberstellen und ihren Widerspruch aufweisen, diesen aber dann lösen, indem sie sagen, dass bei einem eine Bedingung fehle, oder dass die Subjekte verwechselt worden seien, z. B. der Satz: »O Salomo! Nicht genug, dass deine Worte denen deines Vaters David widersprechen, sie widersprechen sogar einander selbst.« Dies kommt häufig vor in den Worten unserer Lehrer. Das meiste aber, was unsere Lehrer darüber gesprochen haben, betrifft jene prophetischen Aussprüche, die mit den Rechtsvorschriften oder mit dem sitt­lichen Lebenswandel zusammenhängen. Wir wollen jedoch hauptsächlich auf jene Aussprüche der Tora aufmerksam machen, in denen, wenn man sie wörtlich auffasst, ein schein­barer Widerspruch bezüglich der Meinungen und der Glaubens­lehren vorhanden ist. Diese will ich zum Teil in mehreren Kapiteln dieses Buches besprechen, da wohl auch dies zu den Geheimnissen der Tora gehört. Findet man jedoch in den Büchern der Prophetie einen Widerspruch der siebenten Art, so ist da Nachdenken und Untersuchen am Platze; da darf man nicht nach Ermessen und Meinung ohne gründliche Unter­suchung entscheiden.

Widersprüche in den Worten der wahren Philosophen sind von der fünften, Widersprüche in den meisten Büchern der übrigen, bisher nicht genannten Schriftsteller und Kommenta­toren von der sechsten Art. Auch in den Midraschim und den agadischen Büchern kommen aus dieser Ursache viele Wider­sprüche vor, und deshalb lehrten unsere Weisen, dass man bei der Agada keine logischen Einwendungen geltend machen solle. Es finden sich in diesen aber auch Widersprüche der siebenten Art. Die Widersprüche, die in dem vorliegenden Buch vor­kommen dürften, werden von der fünften oder von der siebenten Art sein. Nimm dies zur Kenntnis, urteile, ob es richtig ist, und sei stets dessen eingedenk, damit du nicht durch einzelne dieser Kapitel in Verwirrung geratest!

Nach diesen Vorerörterungen beginne ich mit der Anführung der Wörter, auf deren richtige Bedeutung an jeder Stelle, je nach dem Gegenstande, der dort besprochen wird, aufmerksam gemacht werden soll. Diese bilden den Schlüssel, mittelst dessen man zu jenen Orten gelangen kann, deren Pforten verschlossen sind. Öffnet man diese Pforten und kann man in diese Orte eintreten, dann wird dem Gemüt Beruhigung, den Augen Befriedigung, dem Leibe Erholung von Arbeit und Mühe zuteil. »Öffnet die Pforten, damit ein gerechtes Volk einziehe, das den Glauben bewahrt!« [Jes. 26, 2].

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Der »Führer der Unschlüssigen«


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