Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Es wird dargelegt, was die H. Schrift genötigt hat, mittelst der Attribute, die sich auf Gott beziehen, nach der Ausdrucksweise der Menschen zu reden, da wir an das Dasein eines Dinges nur mittelst körperlicher Vorstellungen glauben und wir die wahre Beschaffenheit des Abstrakten nicht verstehen. Deshalb glauben wir an die Existenz dieser Tätigkeiten, welche ebenso wie Essen, Trinken, Bewegung u. dgl. bei Gott undenkbar sind.
Du kennst ja den Ausspruch unserer Weisen, der alle Erklärungsarten umfasst, die mit diesem Gegenstande zusammenhängen. Es ist ihr Ausspruch: »Die Tora spricht in der Sprache der Menschen«. Dies bedeutet, dass es zulässig sei, auf Gott alles anzuwenden, was alle Menschen auf der untersten Stufe des Denkens verstehen und sich vorstellen können. Demgemäß wird Gott mit Attributen dargestellt, die auf Körperlichkeit hindeuten, um damit auszudrücken, dass er existiert, weil die Menschen auf der untersten Stufe des Denkens keine andere Existenz als die eines Körpers begreifen, und weil das, was kein Körper oder nicht in einem Körper ist, nach ihrer Ansicht nicht existiert. Ebenso wird Gott alles zugeschrieben, was bei uns, den Menschen, als Vollkommenheit gilt, um auszudrücken, dass er jede Art der Vollkommenheit besitzt und dass keine Mangelhaftigkeit und keine Beraubung bei ihm vorhanden ist. Daher wird alles, was die Menge aus Mangelhaftigkeit oder Defekt denkt, von Gott nicht ausgesagt?). So wird von ihm weder Essen, noch Trinken, noch Schlaf, noch Krankheit, noch Unrecht oder, was dem ähnlich ist, ausgesagt. Alles aber, was die Menschen als Vollkommenheit ansehen, wird von Gott ausgesagt, obgleich dies nur Vollkommenheiten in Beziehung auf uns sind, in Beziehung auf Gott aber alles, was wir für eine Vollkommenheit halten, die höchste Mangelhaftigkeit wäre. Nach ihrer Meinung aber wäre es eine Mangelhaftigkeit in Beziehung auf Gott, wenn sie sich vorstellen sollten, dass diese menschlichen Vollkommenheiten bei ihm nicht vorhanden sind.
Du weißt nun, dass die Bewegung zu den Vorzügen der Lebewesen gehört und für ihre Vollkommenheit unerlässlich ist, und dass sie, ebenso wie sie der Speise und des Trankes zum Ersatze der verbrauchten Stoffe, so auch der Bewegung bedürfen, um dem zuzustreben, was ihnen dienlich und vertraut ist, und das zu meiden, was ihnen schädlich oder zuwider ist. Es besteht aber darin kein Unterschied, ob man von Gott Essen und Trinken, oder ob man von ihm Bewegung aussagt. Aber nach dem Sprachgebrauch der Menschen, nämlich nach den Vorstellungen der Menge gilt Essen und Trinken als Mangelhaftigkeit in Beziehung auf Gott, Bewegung aber nicht als solche, obgleich in dem Bedürfen nach einer Bewegung in Wahrheit die Mangelhaftigkeit liegt. Es ist ja bewiesen, dass alles, was sich bewegt, zweifellos einen teilbaren Körper haben muss.
Es wird ferner bewiesen werden, dass Gott keinen Körper hat und es bei ihm auch keine Bewegung geben kann. Es kann ihm aber auch das Ruhen nicht als Attribut beigelegt werden, denn Ruhe kann ja nur ein Attribut für etwas sein, dessen Art und Weise es ist, sich zu bewegen. Nun werden aber alle die Wörter, welche die Arten der Bewegung der Lebewesen bezeichnen, in der Weise von Gott als Attribut ausgesagt, wie man von ihm aussagt, dass er lebe, weil ja die Bewegung ein Akzidens ist, welches den Lebewesen anhaftet. Es unterliegt aber keinem Zweifel, dass bei dem Nichtvorhandensein der Körperlichkeit auch alle diese Bewegungen, wie Auf-und Absteigen, Gehen, Stehen, Sichaufrichten, Umkreisen, Sitzen, Wohnen, Ein-und Ausgehen, Vorübergehen und alles, was diesen ähnlich ist, nicht vorhanden sind. Es wäre daher überflüssig, bei diesem Gegenstande länger zu verweilen, wenn man ihn nicht, wie wir es tun, infolge der darüber verbreiteten Volksmeinungen denjenigen, die sich selbst zu menschlicher Vollkommenheit emporgerungen haben, etwas ausführlicher erläutern müsste, damit sie die ihnen von den Kinderjahren her anhaftenden Vorstellungen verbannen.
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Der »Führer der Unschlüssigen«