Der Verfasser erörtert die Attribute noch eingehender als in den vorhergehenden Kapiteln.
Wir wollen aber in betreff der Eigenschaften (Gottes) noch tiefer eingehen als im vorhergehenden. Es ist bekannt, dass das Dasein eine zufällige Eigenschaft ist, die dem Daseienden zukommt. Es ist somit etwas zu dem Wesen des Daseienden hinzukommendes. Somit liegt die offenkundige Tatsache vor, welche bei allem zutrifft, dessen Dasein eine Ursache hat, dass sein Dasein etwas zu seinem Wesen hinzukommendes ist.
Bei demjenigen aber, dessen Dasein keine Ursache hat, und dies ist Gott allein denn dies ist der Sinn, wenn wir von Gott sagen, dass sein Dasein ein notwendiges ist, hat sein Dasein mit seinem Wesen und sein Wesen mit seinem Dasein identisch. Er ist also nicht ein Wesen, dem es zufällig widerfährt, dass es existiert -denn sonst wäre das Dasein etwas zu seinem Dasein Hinzukommendes ; vielmehr muss ihm das Dasein notwendig immer zukommen; es ist nicht etwas an ihm Neuentstehendes oder ein Zufall, der ihn betrifft. Somit existiert er, aber nicht durch die Existenz, er lebt, aber nicht durch das Leben, er weiß, aber nicht durch Wissen, er ist mächtig, aber nicht durch Macht, er ist weise, aber nicht durch Weisheit, sondern dies alles wird wieder zu Einern Dinge, in welchem es, wie gezeigt werden soll, keine Vielheit gibt.
Man muss aber ferner auch noch wissen, dass Einheit und Vielheit zufällige Bestimmungen sind, die dem Daseienden widerfahren, insofern es eine Vielheit oder eine Einheit ist. Dies ist bereits im Buch der Metaphysik dargelegt. Und ebenso wie die Zahl nicht das Wesen des gezählten, so ist auch die Einheit nicht das Wesen des Eins genannten Dinges; vielmehr sind das eine sowohl als das andere zufällige Eigenschaften aus der Kategorie der zusammenhängenden Quantität, welche diejenigen seienden Dinge betreffen, welche fähig sind, dergleichen zufällige Eigenschaften anzunehmen. Von demjenigen aber, der das notwendige und in Wahrheit einfache Dasein besitzt und den schlechterdings keine Zusammensetzung betreffen kann, von diesem ist es ebenso falsch, das Akzidens der Einheit auszusagen, als man von ihm das Akzidens der Vielheit aussagen dürfte, oder mit anderen Worten, die Einheit ist nicht etwas zu seinem Wesen Hinzukommendes, sondern er ist Einer, aber nicht durch die Einheit.
Doch können diese nur durch scharfes Denken erfassbaren Dinge, die sich fast dem Denken entziehen, nicht durch die gebräuchlichen Worte verstanden werden, welche die Hauptquelle der Irrtümer sind. Denn in allen Sprachen ist der Ausdruck überaus beschränkt, so dass wir diesen Gegenstand nur durch ungenaue Ausdrücke darstellen können. Wenn wir also andeuten wollen, dass Gott keine Vielheit ist, kann der Redende dies nicht anders ausdrücken, als indem er sagt, er ist Einer, obgleich »Einer« und »Viele« lediglich Unterschiede der Quantität sind. Deshalb wollen wir den Gedanken verständlicher machen und das Denken zum·wahren Wesen des Dinges hinführen, indem wir sagen: Er ist Einer, aber nicht durch Einheit.
Ebenso sagen wir, er sei ewig, um auszudrücken, dass er nicht entstanden ist. Aber in dem Ausdrucke »ewig« liegt ganz offenbar eine Ungenauigkeit. Denn »ewig« kann in der Tat nur von einem Dinge ausgesagt werden, welches der Zeit unterliegt, die ein Akzidens der mit dem Körper verbundenen Bewegung ist. Dieses Wort gehört ferner auch in die Kategorie der Relation ; denn was du »ewig« nennst, ist im Akzidens der Zeit dem gleichzustellen, was du im Akzidens der Längenausdehnung »lang« oder »kurz« nennst. Dasjenige aber, worauf das Akzidens der Zeit nicht anwendbar ist, kann in Wahrheit weder ewig noch entstanden genannt werden, so wie man das Süße nicht krumm oder gerade, den Schall nicht salzig oder geschmacklos nennen kann.
Diese Dinge sind allen denen bekannt, die sich gewöhnt haben, die Dinge nach ihrem wahren Wesen zu verstehen und sie zu betrachten, indem sie sie im Denken erfassen und sie abstrahieren, nicht aber in dem allgemeinen Sinne, auf den die Worte hindeuten. Wenn du also in den heiligen Büchern von Gott ausgesagt findest, dass er der »Erste« und der »Letzte« ist [Jes. 44, 9], so ist dies dasselbe, wie wenn man ihn mit Auge und Ohr darstellt. Meine Absicht war hier, zu zeigen, dass Gott von keiner Veränderung betroffen werden und dass in ihm auf keine wie immer geartete Weise etwas entstehen kann. Gott aber unterliegt der Zeit nicht in dem Sinne, dass zwischen ihm und irgendeinem anderen Wesen hinsichtlich der Zeit eine Art Vergleichbarkeit stattfinden und er der »Erste« oder der »Letzte« sein könnte. Tatsächlich sind alle diese Worte auf Gott nach dem Sprachgebrauch der Menschen angewandt. Und somit hat es auch, wenn wir sagen, Gott ist einzig, nur den Sinn: Es ist ihm nichts vergleichbar, nicht aber dass der Begriff der Einheit mit seinem Wesen verbunden sei.
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Der »Führer der Unschlüssigen«