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Pirkej Awot mit dem Kommentar des Moses Maimonides > Kapitel 3

Die Übersetzung stammt von Me’ir Rawicz.

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§ 1

Akabja, der Sohn des Mahallalel sagt: Bedenke drei Dinge und du wirst nicht zu einer Sünde kommen: Wisse, woher du kommst, wohin du gehst und vor wem du einst Rechenschaft wirst ablegen müssen. Du kommst von einem übelriechenden Tropfen, gehst nach einem Orte, wo Staub, Maden und Würmer sind, und musst einst vor Gott, dem Könige aller Könige, dem Heiligen, gepriesen sei er, Rechenschaft ablegen1.

§ 2a

R. Chanina, der Segan der Priester (Oberster der Tempelherren, welcher, nächst dem Hohepriester, das höchste priesterliche Amt bekleidete, Priesterfürst) sagte: Bete für das Wohl der Regierung, denn wenn die Furcht (vor der Regierung) nicht wäre, würde einer den andern lebendig verschlingen.

§ 2b

R. Chanina b. Tharadjon sagt: Wenn zwei Leute irgendwo sitzen, ohne dass sie sich von den Worten der Lehre unterhalten, so ist das ein Ort, wo Spötter sitzen2, nach Ps. 1, 1: “Im Kreise der Spötter nicht sitzt”; wenn dagegen zwei zusammensitzen und sie unterhalten sich wohl von den Worten der Lehre, so ruht die Schechina (Gottheit. S. m. Übers, des Traktats Sanhedrin S. 48 Anm. 2) unter ihnen (nach Maleachi 3, 16): “Es bereden sich einst die Gottesfürchtigen einer mit dem andern und Gott vernimmt und hört, und es wird geschrieben in das Buch des Gedenkens vor ihm für die Gottesfürchtigen, die seines Namens gedenken.” Davon ist allerdings nur bewiesen, dass es bei zweien sich so verhält, woher aber beweist man, dass, wenn ein einzelner sitzt und sich mit der Thora beschäftigt, Gott ihm seinen Lohn bestimmt?3 Weil (Echa 3, 28) steht: “Er sitze einsam und schweige; denn Gott legt es ihm auf.”4

§ 3

R. Simon sagt: Wenn drei an einem Tische essen und nicht dabei von den Worten der Lehre sprechen, so gleicht das, als ob sie von Totenopfern5 essen würden, denn es ist (Jes. 28, 8) gesagt: “Alle Tische sind voll Unflatgespei, kein Platz ist mehr”; aber wenn drei an einem Tische essen und dabei von den Worten der Lehre sprechen, so gleicht es, als würden sie von Gottes Tisch essen, wie (Jecheskel 41, 22) gesagt ist: “Das ist der Tisch, der vor dem Ewigen steht.”

§ 4a

R. Chanina b. Chachinai sagt: Wer des Nachts wacht und wer allein reist und wer sein Herz Eitlem (dem irdischen Tande allein) zuwendet, der hat sein Leben verwirkt.

§ 4b

R. Nechunja b. Hakanah sagt: Wer das Joch der Thora6 auf sich nimmt, von dem beseitigt man das Joch (die Bürde) der weltlichen Regierung7 und das Joch der Sitte (der Gesellschaftspflichten)8. Wer aber das Joch der Thora von sich abwirft (sich davon lossagt)9, dem legt man das Joch der weltlichen Herrschaft und das Joch der allgemeinen Sitte auf10.

§ 5

R. Chalaftha, ein Mann aus Kefar Chananja, sagt: Wenn zehn irgendwo sitzen und sie beschäftigen sich mit der Thora, so ruht die Schechina (Gottheit) unter ihnen, wie (Ps. 82, 1) gesagt ist: “Gott steht in der Gottesgemeinde” (unter Gemeinde sind mindestens zehn männliche erwachsene Personen gemeint)11. Woher ist es auch von fünf bewiesen? Weil (Amos 9, 6) gesagt ist: “Seinen Bund hat er auf der Erde gegründet.”12 Und woher ist es von drei bewiesen? Weil (Ps. a. a. O.) steht: “In der Mitte der Richter richtet er (Gott).” Und von zwei? Weil (Maleachi 3, 16) gesagt ist: “Es bereden sich die Gottesfürchtigen, einer mit dem andern und Gott lauscht und hört es.” Und woher ist bewiesen, dass es auch bei einem der Fall ist? Weil (Exod. 20, 21) gesagt ist: “An jeglichem Orte, wo ich meines Namens werde gedenken lassen, komme ich zu dir und segne dich.”

§ 6a

R. Eleasar, ein Mann aus Barthotha, sagt: Gib ihm (Gott) von dem, was ihm gehört, denn du und das Deinige sind sein Eigentum, ebenso steht von David (I Chron. 29, 14): “Von dir ist alles und aus deiner Hand geben wir dir.”

§ 6b

R. Simon sagt: Wer des Weges geht und lernt, er unterbricht sein Studium und sagt: Ach, wie schön ist dieser Baum, wie schön diese Flur (urbar gemachtes Feld), so rechnet es ihm die Schrift an, als würde er selbst sein Leben verwirkt haben. R. Dosthai b. R. Janai sagt im Namen des R. Meir: Wer nur etwas von dem, was er gelernt hat, vergisst, dem rechnet es die Schrift an, als ob er selbst den Tod verschuldet haben würde, wie (Deuter. 4, 9) gesagt ist: “Nur hüte dich und hüte deine Seele sehr, dass du nicht vergessest die Dinge, die deine Augen gesehen haben.” Man könnte meinen, das gelte auch von einem solchen, wessen sich sein Erlerntes bemächtigt hat (und infolge der vielen Lehrgegenstände er manches vergass), deshalb steht (ibid.): “Damit sie nicht weichen von deinem Herzen alle Tage deines Lebens”, womit gesagt ist, dass jemand nur dann schuld an seinem Tode ist, wenn er sich niedersetzt und sie (absichtlich) aus seinem Herzen schwinden lässt.

§ 6c.

R. Chanina b. Dosa sagt: Bei wem die Sündenscheu grösser ist als die Weisheit (w. ihr vorangeht), bei dem erhält sich die Weisheit, wenn aber die Weisheit grösser ist als die Sündenscheu, erhält sich die Weisheit nicht (hat sie keinen Bestand)13.

§ 7a

Derselbe sagte: Bei wem die Taten mehr sind als das Wissen, hält sich seine Weisheit, wenn aber das Wissen mehr ist als das Tun, so hält sich seine Weisheit nicht.

§ 7b

Derselbe sagte: Wer bei den Menschen beliebt ist, an dem hat auch Gott Wohlgefallen, wer aber bei den Menschen nicht beliebt ist, an dem hat auch Gott keinen Wohlgefallen.

§ 7C

R. Dosa b. Harkinas sagt: Der Schlaf am Morgen, der Wein am Mittag, das Spielen (Sprechen) mit Kindern und das (lange) Sitzen der עמי הארץ, der Ungebildeten, in den Synagogen bringen den Menschen (frühzeitig) von der Welt14.

§ 8

R. Eleasar aus Modaim sagte: Wer Heiligtümer entweiht, die Festtage gering achtet, den Nebenmenschen öffentlich beschämt, den Bund, den Gott mit unserem Erzvater Abraham geschlossen (sc. die Beschneidung), aufhebt (d. i. wer sich die Vorhaut über das beschnittene Glied zieht, um nicht als Jude erkannt zu werden), wer ungesetzliche (häretische) Deutungen in der Thora nachweist, entdeckt15, der hat, selbst wenn er Thorakenntnisse sich angeeignet und gute Werke geübt, doch keinen Anteil an der zukünftigen Welt (an der ewigen Seligkeit) 16.

§ 9

R. Ismael sagt: Achte dich für gering (d.h. sei dienstfertig) einem Vornehmen gegenüber17 und sei sanftmütig (ruhig, gelassen) gegen die Obrigkeit (oder: gegen die Jugend, die Schwarzhaarigen)18 und empfange jeden Menschen mit Freude19.

§ 10

R. Akiba sagt: Scherz und Leichtsinn gewöhnen an Inzest. Die überlieferte Schreibung (der Bibel, hinsichtlich der scriptio plena et defectiva) ist die Umzäunung für die Gesetzeslehre. Die Entrichtung der Zehnten ist eine Umzäunung für den Reichtum. Gelübde20 sind eine Umzäunung für die Enthaltsamkeit21, aber der Zaun um die Weisheit ist die Schweigsamkeit.

§ 11

Derselbe sagte: Lieb ist der Mensch, weil er im Ebenbilde Gottes geschaffen ist. Diese besondere Liebe, dass er im Ebenbilde Gottes geschaffen ist, wurde ihm kund getan in dem Verse (Gen. 9, 6): “Denn im Ebenbilde Gottes schuf er den Menschen.” Geliebt ist Israel, weil es Kinder Gottes genannt wird; diese besondere Liebe wurde ihm kund getan in dem Verse (Deuter. 14, 1): “Kinder seid ihr dem Ewigen, eurem Gotte.” Geliebt ist Israel, weil ihm etwas Kostbares geschenkt wurde. Diese besondere Liebe, dass ihm etwas Kostbares, womit die Welt erschaffen wurde, geschenkt worden ist, wurde ihm kund getan in dem Verse (Spr. Sal. 4, 2): “Eine gute Lehre gab ich euch, meine Thora verlasset nicht.”22

§ 12

Alles wird geschaut (von Gott), aber die Freiheit ist gegeben; gemäss der göttlichen Güte (Gnade) wird die Welt gerichtet; alles jedoch kommt auf die meisten Handlungen an23.

§ 13

Derselbe sagte: Alles ist auf Pfand gegeben (geliehen), ein Netz ist ausgebreitet über alle Lebenden, der Laden ist geöffnet, der Kaufmann leiht, das Buch (worin die entnommenen Waren eingetragen werden), ist offen (aufgeschlagen), die Hand schreibt; wer sich leihen will, komme und leihe24, die Einkassierer gehen beständig, täglich umher und treiben die Schuld vom Menschen ein25 wissentlich oder unwissentlich; sie haben etwas, worauf sie sich stützen, das Urteil ist ein gerechtes und alles ist vorbereitet für die Mahlzeit26.

§ 14

R. Eliëser b. Asarja sagt: Wo keine Thora ist, ist auch keine Sitte (weltliche Tugend), wenn keine Sitte, ist auch keine Thora; wo keine Weisheit, ist auch keine Furcht (vor Gott) und wenn keine Furcht, ist auch keine Weisheit. Wo keine Vernunft, ist auch kein Verstand, wenn kein Verstand, ist auch keine Vernunft27. Wenn kein Mahl (kein Brot zu essen), gibt es keine Thora und wenn keine Thora, gibt es kein Mahl (Brot).

§ 15

Derselbe sagte: Bei wem die Weisheit mehr ist als die Taten, mit wem wäre er wohl zu vergleichen? Mit einem Baume, dessen Gezweige viel und dessen Wurzeln aber wenige sind; kommt nun ein Sturm, so reisst er ihn aus und wirft ihn auf die Vorderseite; denn so heißt es (Jeremias 17, 16): “Er ist wie ein einsamer Baum in der Steppe, der es nicht wahrnimmt, wenn das Gute kommt; er steht in dürrer Wüste, auf einem salzigen und unbewohnten Boden.” Wer aber der Taten mehr, als der Weisheit hat, wem gleicht der? Einem Baum mit wenigen Zweigen, aber vielen Wurzeln; kämen auch alle Stürme der Welt und umbrausten ihn, sie würden ihn von seiner Stelle nicht fortrücken; denn so heißt es (ibid. 13, 8): “Er ist ein Baum, am Wasser gepflanzt, der zum Strome seine Wurzel hinstreckt, und es nicht merkt, wenn die Glut naht; sein Laub ist immer frisch, im Jahre der Dürre bangt’s ihm nicht und er hört nicht auf, Früchte zu tragen.”

§ 16

R. Eleasar b. Chasma sagt: Kinnin (die Opfer der Taubenpaare) und die gesetzlichen Bestimmungen über die Menstruierende bilden Haupthalachoth (sind ungemein schwierig und sehr verwickelt), die Berechnung der Sonnenwenden und der Raummessungen sind bloss nebensächliche Dinge zur Weisheit.


  1. Wenn der Mensch denkt, woher er kommt, wird er demütig, denkt er an sein Ende, so bewirkt das, dass er die irdische Welt gering schätzt, denkt er aber an die Grösse dessen, der ihm die Gebote gegeben, so veranlasst ihn das, schnell auf seine Gebote zu hören. Sind diese drei Dinge bei dem Menschen anzutreffen, wird er überhaupt nicht sündigen.↩︎

  2. Da Ps. 1, 2 steht: “Sondern an der Lehre des Ewigen hat er seine Lust”, so ist damit angedeutet, dass, wo keine Thora gesprochen wird, es so gut ist, als würden Spötter dasitzen.↩︎

  3. Berachoth 6b steht: Woher ist bewiesen, dass, wenn ein einzelner sitzt und Thora studiert, die Schechina bei ihm ist? Weil Exod. 20, 21 steht: “An jeglichem Orte, wo ich meinem Namen ein Gedächtnis stifte, werde ich zu dir kommen und dich segnen.” Da es nun von einem ausgesprochen wurde, so findet es doch gewiss auch bei zweien statt? Allein zwei schreiben ihre Worte in ein Buch des Andenkens, aber einer nicht. Da es aber auch von zweien steht, so ist es doch bei dreien um so mehr der Fall? Allein sonst hätte ich geglaubt, dass bei dreien nur der Richterspruch ein vollkommener ist (wenn sie von der Thora sich unterhalten), aber die Schechina ruht nicht bei ihnen, darum steht, dass das Richten zugleich auch Thora heißt. Wozu steht es aber von zehn? Bei zehn kommt die Schechina noch vorher (bevor sie sich hinsetzen), aber bei drei erst, wenn sie sitzen.↩︎

  4. Das Targum übersetzt: וידום אהרן Lev. 10, 3 mit ושתיק אהרן. Das כי נטל עליו bedeutet: Es ist so gut, als würde wegen eines solchen die ganze Gesetzgebung erfolgt sein.↩︎

  5. Was Götzenopfer heißt, wie es die Schrift nennt und wie wir es im 3. Abschnitt von Aboda Sara näher erklärten. Der Prophet Jesajas nennt es קי צואה im verächtlichen Sinne, wie der Götzendienst selbst Greuel und Ekel genannt wird. In dem Verse vorher (Jesajas 28, 7) ist die Rede von dem vielen Essen und Trinken und von der Unterlassung der Beschäftigung mit der Thora und deshalb folgt Vers 8 darauf: Alle ihre Tische gleichen, als ob man darauf schmutzige und ekelhafte Sachen essen würde, denn das צואה bedeutet eine Speise für den Götzen, was auch zu Beginn von Vers 7 steht: “Auch diese taumeln im Weine und schwanken umher im Rauschtrank.”↩︎

      1. der emsige Fleiss beim Lesen in der heiligen Schrift.
    ↩︎
      1. die Lasten für den König und sein Heer.
    ↩︎
      1. was die Zeitumstände erfordern, das wird ihnen erleichtert werden.
    ↩︎
  6. d.h. er sagt, die Thora sei nicht von Gott gegeben worden und ich will sie nicht.↩︎

  7. Sie (die talmudischen Weisen) sagen: Es steht (Exod. 32, 16) חרות על הלוחות, lies חירות על הלוחות, d.h. Befreiung von den Bürden, die die Zeitumstände mit sich bringen und von den Lasten, die die irdischen Könige auflegen für diejenigen, welche das auf sich nehmen und befolgen, was auf den Tafeln geschrieben ist.↩︎

  8. Anfang Sanhedrin setzten wir auch auseinander, dass ein Richterkollegium mindestens aus drei Personen bestehen muss, die bezüglich des Richterspruchs gleichsam die Stelle Gottes vertreten.↩︎

  9. אגודה ist das, was man mit einer Hand bindet und da die Hand fünf Finger hat, so ruht auch unter fünf die Schechina. Vielleicht ist gemeint, es sind in dem Verse fünf Dinge genannt: Himmel, Söller, Wasser, Erde, Gott.↩︎

  10. Darin sind die Philosophen einig, dass wenn die Gewöhnung an die Tugenden den Vorrang vor dem Wissen hat, so dass die Tugend ein sicherer Besitz geworden ist und dann erst das Wissen hinzutritt, das ihn zu den guten Werken anspornt, der Betreffende mehr Freude und Liebe zur Wissenschaft und zu geistreichen Dingen hat, da sie ihn anregen, das zu tun, was er schon vorher zu tun gewohnt war. Umgekehrt hindert ihn das Wissen an der Befriedigung seiner Leidenschaft, die Weisheit fällt ihm schwer und er lässt dann von ihr.↩︎

  11. Denn dies hindert und beseitigt das Emporkommen des Menschen, bis er stirbt.↩︎

  12. Er übertritt öffentlich die Gebote der Thora, was das Endziel der Gottesleugnung ist, wie Gott sagte (Num. 15, 30): “Die Person, welche mit erhobener Hand etwas tut, der lästert den Ewigen” usw. Unter מגלה פנים ist zu verstehen, er erfrecht sich, gegen die Thora aufzutreten, wie es im Traktat Pea heißt: „Er übertritt öffentlich die Worte der Thora, ähnlich Jehojakim, dem Sohne des Josias“ (s. II Kön. 23, 36, 37).↩︎

  13. Dort (in Pea) steht: „Überall, wo es heißt: Man hat keinen Anteil an der zukünftigen Welt, wäre schwierig: Falls der Sünder Busse getan hat, so steht seinem Anteil nichts entgegen. Darum meint man, er tat keine Busse und starb infolge von Leiden“, d.h. die Sünden waren sehr schwere, die er begangen hatte, so dass selbst Leiden und Tod sie nicht sühnten und wegen solcher hat man keinen Anteil an einer zukünftigen Welt.↩︎

  14. Wenn du vor einem bedeutenden Manne stehst, erniedrige dich vor ihm, bediene ihn und halte nicht ihm gegenüber auf deine Würde.↩︎

  15. Aber Jüngeren gegenüber sollst du dich nicht so verhalten, sondern mehr auf deine Würde achten, du sollst mit ihnen nicht scherzen, keinen Spass mit ihnen treiben.↩︎

  16. Aber deshalb brauchst du nicht junge Leute mit einer gar zu ernsten und finsteren Miene aufzunehmen, vielmehr musst du jeden Menschen, mag er sein, wer er will, mit Freuden, mit Heiterkeit empfangen.↩︎

  17. Wenn man Gelübde tut und sie hält, so wird man dadurch von dem zurückgehalten, was man nicht tun soll.↩︎

  18. Und dadurch wird einem die Enthaltsamkeit, d.h. das Sichinachtnehmen vor Unreinheit, leichter, wie es in Chagiga heißt: “Die Kleider eines Amhaarez sind Midras (verunreinigen durch Stehen, Sitzen, Liegen) für die Pharisäer.”↩︎

  19. Die besondere Liebe liegt in dem Kundtun derselben, denn zuweilen tut der Mensch jemandem aus Mitleid eine Wohltat, ohne ihm kund zu tun, wieviel er ihm getan, weil er ihn dessen nicht für wert hält.↩︎

  20. Dieser Ausspruch enthält sehr Wichtiges und ist würdig seines großen Autors, des R. Akiba. Der Sinn ist in Kürze folgender: Vorausgesetzt wird allerdings, dass du weisst, was in den früheren Abschnitten (in den schemoneh perakim, den 8 Kapiteln) steht. Zuerst sagt der Autor: Alles, was in der Welt vorgeht, weiss Gott und begreift es. Du wirst alsdann aber denken, danach muss der Mensch so tun, wie er tut und kann gar nicht anders, nein, so verhält es sicht nicht, sondern der Mensch hat den freien Willen (die freie Wahl, Gutes oder Böses zu tun, liberum arbitrium). Daher enthält das göttliche Wissen, für welches es kein Zukünftiges gibt, da ihm alles gegenwärtig — was allerdings dem menschlichen Verstande unbegreiflich ist — für den Menschen keinerlei Zwang, so oder so zu handeln. Gott richtet ferner mit Güte und Gnade und lässt nicht das strenge Recht walten, wie er selbst (Exod. 34, 6) von sich kund getan hat: “Langmütig und groß an Güte und Treue”, wozu unsere Weisen bemerken: “Gott ist langmütig sowohl für die Frommen als auch für die Frevler”. Ferner sagte der Prophet (Psalmist), der die Eigenschaften Gottes aufzählt: “Gott ist gütig allen” (Ps. 145, 9). Zum Schlusse heißt es: Je mehr Tugenden, desto mehr waltet die Güte Gottes, je mehr der Mensch sich in guten Handlungen übt, desto fester wurzelt die Tugend in ihm, nicht eine einmalige große Handlung, sondern viele kleine gute Werke soll er tun. Folgendes Gleichnis kann dafür gelten: Wenn jemand einem Mann 1000 Gulden auf einmal gibt, aber einem andern nichts gibt, so zeigt sich dabei der Wohltätigkeitssinn nicht in dem Masse, als wenn er die 1000 Gulden auf 1000 Leute verteilen und jedem 1 Gulden geben würde, denn dadurch gewöhnt man sich an Wohltun und eignet sich diese Tugend als einen festen Besitz an, während der erstere nur einmal eine gute Tat vollzieht und dann hört die Tugend der Wohltätigkeit bei ihm auf. Ebenso ist der Lohn eines solchen, der einen Gefangenen um 100 Denare auslöst, oder einem Armen 100 Denare schenkt, die er benötigt, nicht ebenso groß, als wenn er 10 Gefangene mit der gleichen Summe auslösen oder 10 Armen a 10 Gulden, die sie benötigen, schenken möchte. Darum steht: Auf die Menge, nicht auf die Grösse des Tuns kommt es an.↩︎

  21. d.h. er hat freie Wahl, der Mensch kann tun, was er will und ist nicht gezwungen, so zu handeln, wie er handelt.↩︎

  22. Bezieht sich auf den Tod und andere Strafen, die täglich unerwartet eintreten können.↩︎

  23. Das ganze Diesseits hat nur den Zweck, sich für das Jenseits vor zubereiten.↩︎

  24. Verstand kann man sich aneignen, aber die Begriffe von einem Gegen stande erhalten wir, wenn wir die Form trennen (sie lösen) und ihn so betrachten (das Ding an sich), oder wir erfassen die getrennten Formen in ihrer Wesenheit auf, ohne dass wir Verstand darauf verwenden, aber in ihrer Wesenheit sind sie Verstand. Das wird Vernunft genannt, was eigentlich auch Verstand ist, wie auch Vernunft Verstand ist. Der Autor meint: Wenn wir nicht begreifen, haben wir keinen Verstand und wenn wir keinen Verstand haben, können wir nichts begreifen (das Ding an sich nicht begreifen). Das ist sehr schwer zu verstehen.↩︎