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Pirkej Awot mit dem Kommentar des Moses Maimonides > Kapitel 5

Die Übersetzung stammt von Me’ir Rawicz.

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§ 1

Durch 10 Aussprüche1 wurde die Welt erschaffen und weshalb sind sie gesagt? Sie hätte doch durch einen einzigen Ausspruch erschaffen werden können?2 Allein um die Frevler (schwerer) zu bestrafen, die eine Welt zu Grunde richten, welche durch 10 AusSprüche geschaffen wurde und anderseits den Frommen guten Lohn zu geben, die eine Welt erhalten, welche durch 10 Aussprüche erschaffen wurde3.

§ 2

10 Geschlechter4 waren von Adam bis Noa, um kund zu tun, wieviel Langmut bei Gott ist, denn alle Geschlechter, die kamen, erzürnten ihn, bis er über sie die Sintflut brachte. 10 Geschlechter waren ferner von Noa bis Abraham, um kund zu tun, wieviel Langmut Gott hat, denn alle Geschlechter, die kamen, erzürnten ihn, bis unser Erzvater Abraham kam, der den Lohn für alle erhielt (der darin bestand, dass Gott der Welt verzieh und sie nicht untergehen liess).

§ 3

10 Prüfungen wurden unserem Erzvater Abraham auferlegt, die er sämtlich bestand, womit kund getan ist, wie sehr Gott den Abraham liebte (w. wie groß seine Liebe zu A. war)5.

§ 4

10 Wunder geschahen unsern Vätern in Ägypten und 10 am roten Meere6: durch 10 Versuchungen haben unsere Väter Gott erprobt, wie (Num. 14, 22) gesagt ist: “Sie versuchten mich schon zehnmal und hörten nicht auf meine Stimme.”7

§ 5

10 Wunder geschahen unsern Vätern im Tempel. Es hat eine Frau nicht abortiert durch den Geruch des Fleisches von Opfertieren, es wurde das Fleisch von Opfertieren nie übelriechend, es wurde nie eine Fliege im Schlachthause (des Tempels) gesehen, es hatte der Hohepriester am Versöhnungstage nie Pollution, es verlosch der Regen nicht das Feuer des Holzstosses8, nie hat ein Wind die aufsteigende Rauchsäule verweht9, nie fand sich ein Fehler am Omer (Opfer von den Erstlingen des Getreides am zweiten Tag Pessach), an den beiden Broten (von Gerste, die am Pfingstfeste dargebracht wurden) und an den Schaubroten (die im Tempel auflagen und jeden Freitag gewechselt wurden), man stand (im Tempel) gedrängt, bückte sich aber im weiten Raum (man hatte Raum genug, zur Anbetung niederzufallen), nie hat eine Schlange oder ein Skorpion in Jerusalem jemanden beschädigt (gebissen) und es sagte nicht einer zum andern, der Ort ist mir zu eng, um in Jerusalem zu übernachten.

§ 6

10 Dinge wurden am Rüsttage des Sabbaths in der Dämmerungsstunde geschaffen, nämlich: der Mund (Schlund) der Erde (um Korach und seine Rotte zu verschlingen, vgl. Num. 16, 30), die Mündung des Brunnens (ibid. 21, 16), der Mund der Eselin Bileams (ibid. 22, 28), der Regenbogen (Gen. 9, 19), das Manna (Exod. 15, 16), der Stab (des Moses, ibid. 4, 17), der Schamir (ein wunderbares Geschöpf, bei dessen Anblick die Steine gesprengt worden sein sollen), die Schrift (d.h. das Zeichnen, Eingravieren einzelner Buchstaben), die Schreibung (d.h. die Zusammenstellung der Buchstaben zu Wörtern, sowie die Zusammenstellung der letzteren zu Sätzen, Satzbildungen) und die Bundestafeln. Manche rechnen noch hinzu: die bösen Geister (Dämonen), das Grab Mosis (Deuter. 34, 6), und der Widder unseres Erzvaters Abraham (Gen. 22, 33), und einige sagen: auch eine Zange, die mittelst einer andern angefertigt wird (die erste Zange war also durch ein Wunder erschaffen)10.

§ 7

7 Dinge findet man bei einem Golem (ein Mensch [hamunculus], der zwar Wissen, aber nicht die Geschicklichkeit besitzt, die gehörige Anwendung davon zu machen) und wiederum 7 Dinge bei einem Weisen. Ein Weiser spricht nicht in Gegenwart eines solchen, der bedeutender ist als er an Weisheit, und ihm überlegen ist an Zahl (der Lebensjahre). Er fällt dem andern nicht ins Wort und ist nicht vorschnell im Antwortgeben. Er fragt gemäss dem Inhalt der Diskussion (d.h. ohne Umschweife) und erwidert (auf eine vom Lehrer aufgestellte Frage) gemäss der Halacha (der vorgetragenen Lehre, der gesetzlichen Bestimmung). Er erwidert auf das erste zuerst und auf das letzte zuletzt (er antwortet nicht durcheinander und vermischt nicht das eine mit dem andern), worüber er keine Tradition vernommen hat, sagt er, ich habe darüber nichts gehört, er bekennt die Wahrheit; das Gegenteil davon findet jedoch beim Golem statt11.

§ 8

7 Arten Strafen kommen auf die Welt wegen 7 Hauptsünden. Wenn man teils das Getreide verzehntet und teils nicht verzehntet, tritt Hungersnot durch Regenmangel ein12, wobei ein Teil hungert und ein Teil der Leute satt ist. Fasste man einen förmlichen Beschluss, nicht zu verzehnten, tritt Hungersnot infolge kriegerischer Unruhe13 und infolge Regenmangels ein und beschloss man, keine Chala (ein Stück Teig als Priestergabe) zu nehmen, so tritt Hungersnot mit nachfolgendem völligen Verderben ein14.

§ 9

Eine Pest kommt auf die Welt wegen Übertretung von Sünden, wofür bestimmte Todesarten in der Thora ausgesprochen wurden, die nicht dem Gerichtshofe zum Vollzuge überlassen sind, und wegen Genuss von Früchten des 7. Erlassjahres. Schwert (Krieg) kommt auf die Welt wegen des Quälens beim Gericht (wenn nämlich der Gerichtshof die Verkündigung des Urteils oder die Bestrafung des Verbrechers unnötigerweise verschiebt), wegen Rechtsbeugung15 und wegen solcher, die eine Entscheidung im Sinne der Thora nicht gemäss der Halacha (der gesetzlichen Bestimmung) erteilen.

§ 10

Wildes Getier kommt auf die Welt wegen Falscheid und Entweihung des göttlichen Namens. Die Strafe des Exils kommt auf die Welt wegen Götzendienst, Inzest, Mord, wegen der Nichtbefolgung des Gebotes vom Brachliegenlassen des Bodens (im Erlassjahre). An vier Zeitabschnitten mehrt sich die Pest. Im 4. Jahre (der Schemitta), im 7. Erlassjahre, am Ausgang des Erlassjahres und jährlich bei Ausgang des Suckotfestes. Im 4. Jahre geschieht es wegen des Unterlassens der Entrichtung des Armenzehnten vom 6. Jahre16, am Ausgang des Erlassjahres geschieht es wegen des Genusses der Früchte vom Erlassjahre und am Ausgange des Suckothfestes in jedem Jahre wegen des Raubes (Verminderung) der Gaben für die Armen17.

§ 11

Viererlei Menschen gibt es: Wer sagt: Das Meinige gehört mir und das Deinige gehört dir, so ist das eine mittlere Eigenschaft (nicht gut, nicht schlecht). Einige sagen: Das nennt man eine sodomitische Eigenschaft. Wer sagt: Das Meinige gehört dir und das Deinige mir, so ist das ein Am ha arez (ein Ungelehriger). Sagt jemand: Das Meinige gehört dir und das Deinige auch dir, so ist der ein Chassid (ein überaus frommer Mann). Sagt aber jemand: Das Meinige gehört mir und das Deinige gehört auch mir, so ist das ein Frevler18.

§ 12

Viererlei Temperamente gibt es: Wer leicht zu erzürnen und leicht zu besänftigen ist, dessen Verdienst geht im Nachteile auf (d.h. die leichte Besänftigung bringt mehr Vorteil als die leichte Reizbarkeit Nachteil). Wer schwer zu erzürnen und schwer zu besänftigen ist, dessen Nachteil geht im Vorteil auf (d.h. die schwere Besänftigung bringt mehr Nachteil, als die schwere Erzürnung Vorteil bringt). Wer schwer zu erzürnen und leicht zu besänftigen ist, ist ein Frommer, wer leicht zu erzürnen und schwer zu besänftigen ist, ist ein Frevler19.

§ 13

Viererlei Eigenschaften gibt es bei den Schülern: Wer schnell hört (auffasst), aber auch schnell vergisst (was er gelernt hat), dessen Verdienst geht im Nachteile auf; fasst jemand schwer, aber vergisst auch schwer, dessen Nachteil geht im Verdienst auf; fasst jemand schnell, vergisst auch schwer, ist er ein Weiser; fasst jemand schwer und vergisst auch leicht, dem wurde ein schlechtes Los zuteil20.

§ 14

Vier verschiedene Almosengeber gibt es: Wer will, dass er geben kann und andere nicht geben sollen, der ist missgünstig gegen andere. Will er, dass andere geben, aber er selbst nicht geben will, ist missgünstig gegen sich; will er, dass er geben kann und andere auch geben sollen, ist er ein Frommer21; will er nicht geben und will auch nicht, dass andere geben sollen, ist er ein Frevler22.

§ 15

Viererlei Arten von Lehrhausbesuchern gibt es: Wer ins Lehrhaus geht, tut jedoch da nichts (lernt dort nichts), der hat nur den Lohn für den Gang (den er dabei macht); tut er etwas dort (lernt er etwas), geht aber nicht dahin (das Lehrhaus ist z. B. in seiner Wohnung), so hat er den Lohn für das Tun; geht er und tut etwas, so ist das ein Frommer, geht er nicht und tut auch nichts, so ist das ein Frevler23.

§ 16

Viererlei Arten von solchen, die zu Füssen von Weisen sitzen, gibt es: (Sie sind zu vergleichen) mit einem Schwamm, mit einem Trichter, einem Seiher und einem Sieb. Der Schwamm saugt alles ein (bildlich: ein Schüler, der viele Lehren aufnimmt, aber kein Sichtungsvermögen hat, um das Unnütze vom Nützlichen abzusondern)24. Der Trichter lässt dasjenige, was er von der einen Seite aufnimmt, von der andern Seite wieder durchlaufen (ein Schüler, der alles, was er lernt, sofort wieder vergisst)25. Der Seiher lässt den Wein ablaufen, aber die Hefe behält er zurück (ein Schüler, der durch Vergesslichkeit die nützlichen Lehren verliert, aber die unnützen im Gedächtnis behält)26. Ein Sieb schüttet das grobe Mehl (die Schrotkörner) aus, aber behält das feine Mehl (ein Schüler, der die unnützen Lehren fahren lässt, die nützlichen aber wohl verwahrt)27.

§ 17

Jede Liebe, die durch etwas bedingt ist (w. an einer Sache hängt), hört auf, sobald der Gegenstand, von dem sie bedingt war (von dem sie abhing), aufgehört hat; ist die Liebe aber nicht von etwas abhängig, so hört sie nie auf28. Welche ist eine Liebe, die von etwas bedingt ist? Z. B. die Liebe von Amnon zu Thamar (s. II Sam. 13, 1 f.), und eine Liebe, die von nichts abhing (eine reine, uneigennützige Liebe), war die zwischen David und Jonathan (I Sam. 18, 1).

§ 18a

Jeder Streit, welcher in des Himmels (in Gottes) Namen geführt wird, wird sich schließlich erhalten, wird er aber nicht in Gottes Namen geführt, wird er schließlich nicht bestehen bleiben29. Welcher ist ein Streit, der im Namen Gottes geführt wird? Z. B. der Streit von Hillel und Sammai. Und welcher ist ein Streit, der nicht im Namen Gottes geführt wird? Z. B. der Streit von Korach und seiner ganzen Rotte.

§ 18b

Wer eine Gesamtheit zur Tugend führt, durch den kommt keine Sünde, wer aber eine Gesamtheit zur Sünde verleitet, dem gelingt es nicht, Busse zu tun30. Moses war selbst tugendvoll und führte auch eine Gesamtheit zur Tugend hin, deshalb wird die Tugend der Gesamtheit ihm zugeschrieben, wie (Deuter. 33, 21) gesagt ist: “Das Recht des Ewigen und seine Gerichte führt er aus mit Israel.” Jerobeam sündigte und verleitete die Gesamtheit auch zur Sünde, deshalb wird die Sünde der Gesamtheit auch ihm zugeschrieben, wie (I Kön. 14, 16) gesagt ist: “Infolge der Sünden Jerobeams, die er begangen, und wozu er Israel verleitet hat.”

§ 19

Wer folgende drei Eigenschaften besitzt, gehört zu den Schülern (Nachahmern) unseres Erzvaters Abraham, bei wem aber andere drei Eigenschaften anzutreffen sind, gehört zu den Schülern (Nachahmern) des frevelhaften Bileam. Wer ein gutes (wohlwollendes) Auge, einen gedrückten (gebeugten) Sinn und eine demutsvolle Seele hat, der gehört zu den Schülern unseres Vaters Abraham31; wer hingegen ein böswilliges Auge, einen stolzen Sinn und eine hochmütige Seele hat, gehört zu den Schülern des Frevlers Bileam32. Welcher Unterschied ist zwischen den Schülern Abrahams und denen Bileams? Die Schüler Abrahams geniessen in dieser Welt und erben auch im Jenseits, wie (Spr. Sal. 8, 21) gesagt ist: “Zu verleihen meinen Freunden Habe und ihre Schätze fülle ich”, aber die Schüler des Frevlers Bileam erhalten die Hölle (das Gehinam) zum Besitz und sinken in die Unterwelt hinab, wie (Ps. 55, 24) gesagt ist: “Du aber, o Gott, wirst sie stürzen in die Grube des Verderbens, die Männer des Blutes und des Betruges werden nicht zur Hälfte bringen ihre Tage. Ich aber vertraue auf dich.” 33

§ 20a

Jehuda b. Thema sagt: Sei mutig wie der Parder, leicht wie der Adler, schnell wie der Hirsch und stark wie der Löwe, um den Willen deines Vaters im Himmel zu vollziehen.

§ 20b

Derselbe sagte: Ein frecher Mensch kommt in die Hölle, ein verschämter Mensch aber ins Paradies. Es sei der Wille vor dir, Ewiger, unser Gott, dass du deine Stadt Jerusalem bald in unsern Tagen bauest und gib uns Anteil an deiner Lehre34.

§ 21a

Derselbe sagte: Zu 5 Jahren soll man Bibel lernen, zu 10 Mischna, zu 13 religiöse Gebote üben, zu 15 Gemara (Talmud) lernen, zu 18 sich verheiraten, zu 20 muss man vorwärtstreiben (weiter zu streben suchen), zu 30 kommt die Kraft (die eigentliche Manneskraft), zu 40 kommt die Vernunft (die Überlegung im Handeln), zu 50 der Rat (der weise, die Abgeklärtheit im Denken), zu 60 das Alter, zu 70 das Greisenalter, mit 80 kommt das sehr hohe Alter (w. das Kraftalter), mit 90 geht man gebückt, mit 100 Jahren gleicht der Mensch, als ob er gestorben und bereits von der Welt fort wäre.

§ 21b

Ben Bag Bag sagt: Wende sie hin und her (durchforsche die Gotteslehre nach allen Seiten), denn in ihr ist alles enthalten, schaue auf sie35 (oder erwähle sie, wie ואתה תחזה מכל העם Exod. 18, 21), werde alt und hinfällig im Gesetzstudium36 (d.h. verwende alle deine Kräfte darauf), und weiche nicht von ihr (der Gesetzlehre), denn es gibt nichts Besseres als sie ist.

§ 21c

Ben He He sagt: Nach der Mühe (w. nach dem Schmerz) richtet sich der Lohn37 (sc. wenn du viel Thora gelernt hast, hast du viel Lohn zu erwarten).


  1. Anfang Genesis von V. 3 bis V. 29 steht zehnmal das Wort ויאמר mit dem Worte בראשית (es steht aber ohne בראשית zehnmal ויאמר), wenn auch bei בראשית nicht ausdrücklich ויאמר steht, so ist es doch dazu zu denken, denn ohne Gottes Ausspruch wären Himmel und Erde nicht erschaffen worden.↩︎

  2. Es hätte nur einmal ויאמר zu stehen brauchen, z. B. ויאמר אלהים יהיו שמים וארץ ויהי רקיע ויקוו המים usw., aber deshalb steht ויאמר bei jeder Schöpf ungsart, um kund zu tun, wie wichtig das Wesen derselben und wie schön alles angeordnet ist.↩︎

  3. Wer eine so geschaffene Welt zu Grunde richtet, fügt großen Schaden zu, wer sie dagegen erhält, erhält etwas Grosses, d.h. wer sie schädigt, schädigt sich selbst, da es in seiner Macht stand, die Welt zu erhalten oder zu Grunde zu richten, als wenn er das Endziel gewesen wäre bei der Schöpfung, wobei zehnmal ויאמר steht.↩︎

  4. Unter Geschlechter sind die Worte der Thora gemeint: Der N. hat den X. erzeugt, einer nach dem andern. Diese und folgende Mischna wollen dem Menschen durch die Zahl 10 Moral geben und ihn aneifern, für sein Seelenheil zu sorgen durch moralische und geistige Tugenden, was dieser Traktat beabsichtigt.↩︎

  5. Die 10 Prüfungen waren: 1. dass Abraham von Mesopotamien auswandern sollte; 2. die Hungersnot, die in Kanaan herrschte; 3. die Ägypter nahmen ihm sein Weib; 4. vier Könige bekriegten ihn; 5. er musste Hagar zur Frau nehmen, da er von Sara keine Kinder hatte; 6. die Beschneidung, die zu vollziehen an sich und Isaak ihm befohlen wurde; 7. der König von Gerar nahm ihm Sara fort; 8. die Vertreibung Hagars; 9. die Entfernung seines Sohnes Ismael aus dem Hause, wobei Gott zu ihm sagte (Gen. 21, 12): “Nicht lasse es dir leid sein wegen des Knaben” usw. Der Vers bezeugt auch, wie schwer dies Abraham aufnahm, da es (ibid. V. 11) heißt: “Und leid war die Sache sehr in den Augen Abrahams”, aber er beobachtete das Gebot Gottes und schickte sie (Hagar und Ismael) fort; 10. die Opferung Isaaks.↩︎

  6. Die 10 Wunder in Ägypten waren: Es wurden unsere Vorfahren von den 10 Plagen verschont und war jede Plage besonders für die Ägypter bestimmt und nicht für die Israeliten, was ohne Zweifel Wunder waren; auch sagt die Thora es bei jeder Plage, dass Gott sie nur für die Ägypter kommen liess, mit Ausnahme der Plage des Ungeziefers, wo das nicht ausdrücklich steht, aber es ist gewiss, dass Israel damit nicht bestraft wurde, und wenn auch bei ihm Ungeziefer gefunden wurde, so verursachte es ihm keine Schmerzen, wie auch die Weisen erklären, aber bei den übrigen Plagen ist es deutlich ausgesprochen. Bei Blut steht: “Die Ägypter konnten das Wasser aus dem Flusse nicht trinken”, ein Beweis, dass der Schaden nur sie allein traf. Bei den Fröschen steht: “Sie werden in dein Haus und in dein Schlafzimmer kommen.” Beim Gewild steht: “Ich sondere an jenem Tage das Land Gosen ab” usw. Bei der Pest steht: “Von dem Vieh der Kinder Israel starb nicht eins.” Bei Grind: “Der Grind war an den Bilderschriftkundigen und an ganz Ägypten.” Beim Hagel: “Nur im Lande Gosen, wo die Kinder Israel waren, war kein Hagel.” Bei Heuschrecken: “Die Heuschrecken kamen herauf über das ganze Land Ägypten.” Bei der Finsternis steht: “Allen Kindern Israel war Licht in ihren Wohnungen.” Dagegen sind die 10 Wunder, die beim Übergang über das rote Meer geschehen sein sollen, nur traditionell. Das erste Wunder, dass das Meer gespalten wurde, ist nach dem einfachen Wortsinn der Schrift aufzufassen, wie es heißt: “Die Wasser spalteten sich.” Das zweite Wunder war, dass die Wasser, nachdem sie gespalten waren, sie wie ein Gewölbe (gewölbtes Zelt) wurden, so dass sie die Gestalt eines Daches bekamen, nicht gewölbt und nicht abschüssig und war es so, als ob ein Loch im Wasser gewesen wäre, rechts und links und oben waren Wasser, was Habackuk mit den Worten bezeichnet (Habackuk 3, 14): “Du durchbohrst mit seinen Pfeilen das Haupt seiner Führer.” Das dritte Wunder war, dass das Land sich verhärtete und gerann, wie es heißt: “Sie gingen trockenen Fusses durchs Meer”, es blieb demnach auf dem Boden kein Lehm und kein Schlamm, wie bei andern Flüssen. Das vierte Wunder bestand darin, dass die Wege Ägyptens kotig und schlammig waren, wie es (ibid. V. 15) heißt: “Der Boden großer Gewässer.” Das fünfte Wunder bestand darin, dass die Wasser in viele Wege sich teilten, nach Anzahl der Stämme (Israels), wie ein runder Bogen, wie es (Ps. 136, 13) heißt: “Er teilte das Schilfmeer in Stücke.” Das sechste Wunder war, dass die Wasser gerannen und hart wie Stein wurden, weshalb es (Ps. 74, 13) heißt: “Du hast zerschmettert die Köpfe der Drachen auf dem Wasser”, d.h. die Wasser wurden so hart, dass man Drachenköpfe daran zerschmettern konnte. Das siebente Wunder war, dass die Wasser nicht wie sonst gerannen, d.h. nicht zu einem Stück, sondern zu mehreren Stücken, als wenn es Steine wären, und ordnete man sie einen nach dem andern, wie es (ibid.) heißt: “Du hast mit deiner Macht das Meer zerstückt.” Das achte Wunder war, dass das Meer zu Glas oder zu Schoham zerrann, d.h. es war hell und klar auf dem Meere, so dass man einen nach dem andern beim Übergang sehen konnte, wie es (Ps. 18, 12) heißt: “Wasserdunkel aus dichtem Gewölk”, d.h. die Sammlung der Wasser war wie der Himmel selbst so rein, d.h. so klar und hell war es auf dem Wasser. Das neunte Wunder war, dass süsse Wasser aus dem Meere flossen, die man trinken konnte. Das zehnte Wunder war, dass die Wasser gerannen, als sie ausflossen, nachdem man davon genommen, was man zum Trinken nötig hatte und dadurch nichts auf den Boden kam, wie (Exod. 15, 8) gesagt ist: “Es stand wie ein Damm Fliessendes”, d.h. was floss, gerann mitten im Meere. Wir finden auch in der Tradition, dass über die Ägypter beim roten Meere noch mehr Plagen kamen, als in Ägypten, aber alle waren von den 10 Arten, wie sie in Ägypten herabkamen, und teilten sie sich in verschiedene Arten am roten Meere, was angedeutet ist (I Sam. 4, 8) mit den Worten: “Das sind die Götter, welche Mizrajim schlugen mit allen Schlägen in der Wüste”, nämlich am Schilfmeer in der Wüste.↩︎

  7. Die 10 Versuchungen, wodurch sie Gott erproben wollten, stehen alle in der heiligen Schrift: 1. steht: Sie sprachen: “Gibt es denn keine Gräber in Ägypten?” 2. In Mara murrte das Volk über Moses und sprach: “Was sollen wir trinken?” 3. In der Wüste Sin, als sie sagten: “Wären wir doch lieber in Ägypten gestorben” (Exod. 16, 3). 4. Sie waren widerspenstig und liessen ent gegen dem Gebote vom Manna bis zum andern Morgen liegen (ibid. V. 20). 5. Sie suchten am Sabbath, wiederum gegen das Gebot, Manna aufzulesen (ibid. V. 27). 6. In Refidim murrten sie und stritten mit Moses (ibid. 17, 1 f.). 7. Sie machten am Choreb das goldene Kalb. 8. In Taberah verzweifelten sie an Gottes Allmacht und beklagten sich (Num. 11, 1). 9. Bei Kibroth ha taawah, als sie Fleisch verlangten, heißt es (ibid. V. 4): “Das Gesindel in seiner Mitte hatte Gelüste.” 10. In der Wüste Paran bei den Kundschaftern (ibid. 13, 26) und dort ist gesagt (ibid. 14, 22): “Sie versuchten mich schon zehnmal und hörten nicht auf meine Stimme.”↩︎

  8. Der Altar stand mitten in der Tempelhalle, die war oben offen (unbedeckt) und doch löschte der Regen das Feuer nicht aus.↩︎

  9. Die von den Opfern aufstieg, denn bei der Opferung war Windstille.↩︎

  10. Denn wer hätte die erste gemacht? Wir erwähnten bereits im ersten Abschnitt (§ 3), dass sie (die Sadduzäer) nicht glaubten, dass der Wille Gottes zu jeder Zeit sich erneuere, sondern gleich bei der Schöpfung der Dinge legte Gott in die Natur die Kraft, die Dinge so zu gestalten, wie sie geschehen, sei es, dass es von jeher so geschah, was man natürliche Entwicklung nennt, oder sei es, dass es für ferne Zeiten eine Neuerung war, welches Wunder ganz gleich ist. Des halb sagten sie (die Weisen), dass am 6. Tage Gott der Erde die natürliche Kraft gegeben hat, Korach und seinen Anhang zu verschlingen, dem Brunnen, Wasser hervorzubringen, der Eselin (Bileams), zu reden usw. Unter כתב ist die Thora zu verstehen, die vor Gott geschrieben lag, wie es heißt: Es ist nicht bekannt, wo er (Moses) ist und dann steht (Exod. 24, 12): “Ich werde dir die steinernen Tafeln geben.” Unter מכתב ist die Schrift auf den Bundestafeln zu verstehen, wie es heißt: “Und die Schrift war eine göttliche Schrift, eingegraben in die Tafeln” (ibid. 32, 16). Du wirst aber vielleicht meinen, da alle Wunder in die Natur der Dinge seit den sechs Schöpfungstagen gelegt wurden, weshalb werden diese 10 Dinge besonders hervorgehoben? So wisse, dass es nicht ge schieht, um zu sagen, dass sonst kein Wunder ausser diesen in die Natur der Dinge gelegt wurde, sondern der Autor der Mischna sagt, dass bei diesen zehn in der Dämmerungsstunde die Wunderkräfte gelegt wurden, während bei andern Wundern es zur Zeit, wo sie wirksam waren, geschah. Z. B. am zweiten Tage, als die Wasser sich teilten, wurde ihnen die Wunderkraft verliehen, dass das Schilf meer zur Zeit Mosis, am Jordan zur Zeit Josuas und ebenso zur Zeit des Elia und des Elisa das Wasser sich teilen sollte. Und am vierten Tage, als die Sonne erschaffen wurde, wurde in sie die Kraft gelegt, dass sie einst still stehen soll zu jener Zeit, als Josua zu ihr sprach: “Steh still Sonne in Gibeon” (Josua 10, 12), ebenso andere Wunder, ausser den zehn, welchen in der Dämmerungsstunde (am Freitag) die Naturkraft gegeben wurde. Das Wort שמיר bedeutet ein kleines Reptil, welches Steine aushaut von besonderer Grösse, wenn man es an ihnen vorübergehen lässt und damit (dem Schamir) baute Salomo den Tempel. צבת bedeutet ein Gerät, womit der Schmied heisses Eisen anfasst, bis er das, was er verfertigen will, ausgeführt hat.↩︎

  11. Ich werde zuerst die Charaktereigenschaften erwähnen, die sich oft in den Worten der Weisen wiederholen, z. B. kommen die Ausdrücke: חסיד, חכם גולם, עם הארץ, בור im Talmud vor. בור ist ein Mann, der weder geistige noch moralisch-ethische Vorzüge besitzt, d.h. keine Weisheit und keine Moral kennt, auch besitzt er kein Erkenntnisvermögen, als wäre er bar des Guten und des Bösen und er heißt deshalb בור, weil er einem Boden gleicht, wo nichts gesät wird, der שדה בור unbebautes Feld genannt wird, wie im Traktat Seraim es ausgeführt wird. עם הארץ ist ein Mann, der wohl ethische Eigenschaften besitzt, aber keine geistigen Vorzüge, d.h. er hat Anstand, Sitte, Bildung, aber keine Thorakenntnis, das ist ein עם הארץ, d.h. er ist gut für das Bewohntsein eines Landes (für die menschliche Gesellschaft) und für das Ansammeln der Provinzen, da er moralisch-ethische Eigenschaften besitzt, wodurch sein Verkehr mit andern gefällt, wie wir zu Anfang unseres Werkes erwähnten. Ein גולם ist ein solcher, der geistige und moralische Vorzüge besitzt, sie sind jedoch nicht vollkommen und geordnet, es ist alles bei ihm verworren und untereinander gemischt und ist ein Defekt dabei untermischt, weshalb ein solcher גולם heißt, um ihn mit einem Gerät zu vergleichen, welches ein Handwerker anfertigt, das zwar die Form eines Werkes hat, aber ihm fehlt noch die Vollkommenheit und die letzte Feile, wie z. B. wenn der Schmied ein Messer oder ein Schwert anfertigt, die zwar schon die Form haben, aber noch nicht abgeschliffen sind, noch nicht scharf genug gemacht und abgezogen, die Teile, die offen sein müssen, sind noch nicht geöffnet, kurz, es fehlt ihnen noch das Vollendetsein, diese werden vorher genannt גולמי כלי מתכית halbfertige Metallgefässe, wie im Traktat Kelim näher erklärt wird. Das Wort גולם ist hebräischen Ursprungs, wie es Ps. 139, 16 heißt: גלמי ראו עיניך, d.h. meine ungeformte Masse haben deine Augen gesehen, bevor sie noch menschliche Gestalt hatte, wo sie גולם hieß, gleich Lehm, der dazu bereitet ist, eine andere Gestalt anzunehmen, die vollkommener ist. חכם ist ein solcher, der die beiden Arten von vollkommenen Eigenschaften (die geistigen und moralischen Eigenschaften) besitzt. חסיד ist ein solcher חכם, der die moralischen Eigenschaften in so hohem Masse besitzt, dass er fast zu der äussersten Grenze (der Tugend, der allerhöchsten Tugendhaftigkeit) hinneigt, wie wir im 4. Abschnitt auseinandersetzten. Seine Taten sind mehr als seine Weisheit und deshalb wird er חסיד genannt wegen seiner vermehrten und übergroßen Frömmigkeit, denn jede ausserordentliche Eigenschaft einer Sache wird mit חסיד bezeichnet, mag es sich um eine gute oder schlechte Eigenschaft handeln. Hier steht: Der Weise besitzt diese sieben Vorzüge, die wichtige Grundsätze sind und deshalb werden gerade diese genannt, weil bei ihnen die Gemara (das Erlernen), das Lehren und das Tun angängig ist. Vier von ihnen sind moralische Eigenschaften, nämlich: Er (der Weise) spricht nicht in Gegenwart eines solchen, der bedeutender ist als er an Weisheit und ihm überlegen ist an Zahl (der Lebensjahre), er fällt dem andern nicht ins Wort, sondern wartet, bis er seine Rede beendet hat. Er rühmt sich auch nicht einer Sache, die er nicht kennt, was mit den Worten ausgesprochen ist: Was er nicht vernommen hat (durch Tradition), davon sagt er, ich habe es nicht gehört und ist nicht eigensinnig, sondern wenn er die Wahrheit weiss, bekennt er sie und sonst wenn es ihm möglich ist, auszuweichen und irrezuleiten, tut er es nicht, was die Worte bedeuten: Er bekennt die Wahrheit. Die drei geistigen Eigenschaften, die der Weise besitzt, sind folgende: 1. Wenn man ihn irreführen will durch etwas, ist er nicht vorschnell und bleibt im Zweifel an der Wahrheit, sondern er spürt bald dem Irrtum nach und klärt ihn auf, was die Worte bedeuten: Er ist nicht voreilig im Antwortgeben. Das jedoch ist leicht zu verstehen und gut zu begreifen, was der Ausspruch (der Mischna), der irreführen kann, um den Unterschied der Dinge zu finden, bedeutet. 2. Der Weise fragt das, was in einer Sache zu fragen nötig ist, er sucht kein tradiertes Wunder in der Naturwissenschaft und nicht einen natürlichen Grund in den überlieferten Wissenschaften und dergl. Der Gefragte antwortet der Frage gemäss, z. B. fragt man aus dem Gebiete der Naturwunder, antwortet er demgemäss, fragt man etwas, was tiefer liegt als dies, so antwortet er, wie er es nach seinem Verstande und seiner Natur nach kann, oder z. B. wenn man ihn fragt nach der Materie (nach dem Stoff), gibt er nicht die Ursache der Form zur Antwort oder man fragt ihn nach der Ursache der Form, gibt er nicht die Ursache des Stoffes zur Antwort, sondern antwortet mit der Teleologie, das heißt: Er fragt richtig und antwortet korrekt, dies folgt aus einer besonderen Klugheit (die der Weise besitzt). 3. Die dritte Eigenschaft ist, dass er (der Weise) sein Talmudstudium richtig einteilt, was früher kommt, nimmt er früher und was später kommt, später durch, was beim Lernen sehr vorteilhaft ist. Das besagen die Worte: Er spricht über das erstere zuerst und das letztere zuletzt. Bei einem Golem findet immer das Umgekehrte statt, weil ihm die Vollkommenheit mangelt, wie wir erklärten und er zu der Höhe (wie der Weise) nicht gelangt.↩︎

  12. Hungersnot infolge Regenmangels ist, dass das Jahr nur wenig Regen hat, an manchen Orten regnet es und an manchen nicht und wo es regnet, gibt es auch nur wenig Regen.↩︎

      1. der Mensch beschäftigt sich mit Kriegsangelegenheiten, mit den Streitsachen und den Neuigkeiten (vom Kriegsschauplatz), die immer frisch eingehen, so dass der Boden brach liegen gelassen und zur Zeit der Aussaat nicht gesät wird zum Schrecken der Welt.
    ↩︎
      1. es regnet überhaupt gar nicht, die Flüsse trocknen aus, ebenso die Bäche, wie es (Deuter. 28, 23) heißt: “Und der Himmel, der über deinem Haupte, wird Erz sein.”
    ↩︎
  13. Das erste ענוי הדין ist die Verzögerung eines Prozesses, wenn man mehrere Tage über die Rechtssache nachdenkt, obwohl sie klar ist. עוות הדין heißt, man richtet nicht nach Gebühr.↩︎

  14. Wir erklärten öfter im Traktat Seraim, nach welcher Ordnung man die gesetzlichen Gaben vom Getreide entrichten muss und dort ist angegeben, dass man im 3. und 6. Jahre den ersten Zehnten absondern und ihn dem Levi geben musste, was in jedem Jahre geschah; dann sonderte man den Armenzehnt ab und gab ihn den Armen. Dieser Armenzehnt war an Stelle des zweiten Zehnt, den man in den übrigen Jahren der Schemitta absonderte.↩︎

      1. leket, schichecha, pea, peret olleloth, denn am Suckothfeste muss man alles dies entrichten, weil da die Feldgeschäfte beendigt sind. Wer sie da entrichtet, gut, wo nicht, so bestiehlt er die Armen.
    ↩︎
  15. Ein Chassid tut viel Gutes, d.h. er neigt dem einen Extrem etwas mehr zu, während ein Frevler derjenige ist, der viel Fehler an der Seele hat, d.h. er neigt in seinen Taten dem andern Extrem zu, wie wir im 4. Abschnitt erklärten, denn wer das Seinige behalten und das Gut anderer noch dazu haben will, ist sehr leidenschaftlich (begehrlich) und heißt ein Frevler.↩︎

  16. Beachte, dass der Dulder, dessen Geduld überaus groß ist, so dass er gar kein Gefühl für Zornesaufwallungen hat, fromm, und wer die schlechte Eigenschaft der schnellen Zorneserregung hat, Frevler genannt wird.↩︎

  17. Beachte, dass hier der Ausdruck חכם Weiser gebraucht ist und nicht חסיד, weil es sich um intellektuelle, keine sittlichen Eigenschaften handelt, auch wird der letzte nicht רשע Frevler genannt, weil er ja nicht dafür kann, dass er schwer lernt und leicht vergisst, denn das Gegenteil lässt sich nicht erwerben.↩︎

  18. Beachte, dass dieser, der sich nicht genügen lässt an seiner Gabe, sondern auch andere veranlasst, wohltätig zu sein, fromm genannt wird.↩︎

  19. Weil er so hartherzig ist, wird er Frevler genannt.↩︎

  20. Es steht בהולכי לב“ה, d.h. beim Gehen ins Lehrhaus sind vier Unterschiede zu machen. Beachte, dass derjenige, der viel gute Eigenschaften sich erwirbt, ein Frommer, und wer darin lässig ist, ein Frevler genannt wird. Wenn du die geistigen und die moralischen Eigenschaften kennst und auch die verschiedenen Arten bei der Aneignung von Wissen und praktischen Tugenden, wenn du ferner die mittlere Linie und den Weg zur Praxis kennst, die man Guttaten nennt und auch das, was über die Mittellinie etwas hinausgeht, welcher Taten sich die bekannten und berühmten frommen Leute befleissigen, wenn du ferner kennst das Zuviel und das Zuwenig, welches beides schlecht ist, wobei aber eins von den beiden Extremen eher den Namen “schlecht” verdient, wovon das eine Sünde und das andere unrechtmässige Tat heißt, wie z. B. die Enthaltsamkeit ohne Zweifel etwas vollendet Gutes und die große Leidenschaft etwas vollendet Schlechtes ist, spürt man aber gar keinen Trieb zum Genuss, obwohl das auch schlecht ist, das doch nicht allein großer Leidenschaft gleicht, was Sünde oder unrechtmässiges Handeln heißt; es ist alsdann nicht mehr Enthaltsamkeit, sondern neigt etwas zu dem Mangel an Gefühl für jeden Genuss hin, wie es dem Vollkommenen ziemt. Und wenn du dies verstehen wirst, wirst du wissen, dass derjenige, der noch etwas mehr als Enthaltsamkeit übt, fromm genannt wird, wie wir vorher sagten, und wer gar keine Leidenschaft spürt, Sünder heißt. Deshalb steht bei einem Nasiräer (Num. 6, 11): “Der Priester sühne ihn, weil er sich vergangen hat gegen seine Seele”, wie wir im 4. Abschnitt (oben S. 14 u. 15) des näheren auseinandersetzten. Aus alledem, was wir voranschickten und erklärten, wirst du erkennen, wer בור, wer עם הארץ, wer גולם, wer חכם und wer רשע, wer חסיד und wer חוטא genannt zu werden verdient. Diese sieben Namen werden sieben Arten von Menschen beigelegt, je nachdem sie Tugenden oder Laster an sich haben und je nachdem sie sich an die geistigen Eigenschaften gewöhnt, wie wir vorher erklärten. Man legte die Namen bei, je nach den Umständen eines Mannes, wenn z. B. jemand lasterhafte Eigenschaften an sich hat, nennt man ihn רשע, wie wir auseinandersetzten, und wenn jemand geistige Vorzüge besitzt, sie aber zum Schlechten anwendet, so wird der bei den Weisen (Talmudisten) רשע ערום, ein listiger Frevler genannt, und wenn es ein Frevler ist, der den Menschen schadet, d.h. er besitzt moralische Defekte, die den Menschen schädlich sind, wie z. B. Frechheit, Grausamkeit (Strenge) und dergl., so wird er רשע רע genannt. Ebenso wenn jemand geistige Vorzüge und schlechte moralische Eigenschaften hat, wodurch er andern schadet, wird er חכם להרע, ein Weiser im Bösehandeln, genannt, wie der Vers (Jeremias 4, 22) sagt: “Weise sind sie, Böses zu tun, aber Gutes zu tun, verstehen sie nicht”, d.h. ihre geistigen Vorzüge benutzen sie zu bösen Taten und nicht zu guten. Der Mann jedoch, in welchem alle geistigen Vorzüge und moralischen Eigenschaften vereinigt sind, so dass es weder einen geistigen Vorzug, noch eine moralische Eigenschaft gibt, die er nicht besitzt — was sich nur selten findet und die Philosophen sagen, dass das Wesen des Menschen davon sehr weit entfernt ist, jedoch unmöglich ist es nicht — wo immer ein solcher Mann sich findet, nennt man ihn einen göttlichen Mann, wie er auch in unserer Sprache genannt wird, muss er nach meiner Ansicht מלאך השם genannt werden, wie es (Richter 2,1) heißt: “Es ging hinauf ein Abgesandter des Ewigen von Gilgal.” Die Philosophen sagten: Es sei ausgeschlossen, dass ein Mensch gefunden werde, in dem sich alle Laster vereint finden sollten ad infinitum, ohne irgend welche geistige Vorzüge und bezüglich der moralischen Eigenschaften, ohne dass nicht auch eine Tugend darunter (unter den Lastern) sein sollte, und wenn es der Fall sein sollte, was allerdings fernliegend ist, so benennen sie das mit: Ein Tier unter den bösen wilden Tieren, die schädlich sind, wie es Salomo mit דוב שכול bezeichnet, d.h. die Vereinigung von Torheit und Schädlichkeit. Von diesen fünf zusammengesetzten Namen (aus zwei Wörtern bestehend) bedeuten vier etwas Schmachvolles, nämlich die Bezeichnungen: רשע ערום, רשע רע חכם להרע und דוב שכול, einer aber bedeutet etwas Grosses und zwar das allergrösste, das man sich denken kann, d. i. איש אלהים, der göttliche Mann, der מלאך השם. Der Vers spricht es deutlich aus, was unter מלאך השם zu verstehen ist, nämlich ein solcher Mann, der geistige und moralisch-ethische Vorzüge besitzt, wie es (Maleachi 2, 7) heißt: כי שפתי כהן ישמרו דעת ותורה יבקשו מפיהו כי מלאך ה׳ צבאות הוא. Unter דעת sind alle geistigen Vorzüge zusammengefasst, weil nur dadurch Vollkommenheit zu erlangen ist. Ferner steht: ותורה יבקשו מפיהו, was ein Beweis seiner Vollkommenheit ist infolge seiner ethischen Vorzüge, wie wir im 7. Abschnitte (oben S. 28 flg.) erklärten; denn das beabsichtigt vor allem die Thora. Deshalb steht auch: “Alle ihre Pfade sind Friede” (Spr. Sal. 3, 17). Wir erklärten dort auch, dass der Friede zu den ethischen Vorzügen gehört. Zum Schluss steht dann: כי מלאך ה׳ צבאות הוא↩︎

  21. Wer sich an alles erinnert, aber nicht zwischen Wahrem und Falschem zu unterscheiden versteht, der gleicht einem ספוג, d.h. Wolle (Wassermoos) des Meeres, die alles aufsaugt.↩︎

  22. Wer sofort etwas auffasst, aber nichts behält, weder Wahres noch Unwahres, gleicht einem Trichter.↩︎

  23. Wer die schlechten Lehren behält und die wahren Lehren, worauf die Tat wie Wein auf der Hefe ruht, vergisst, so dass nur Hefe zurückbleibt und das Klare und Wahre fortgeht, gleicht einem Seiher.↩︎

  24. Das Sieb lässt den Staub, das Schlechte durch und behält das bessere Mehl, das dünne Mehl, das man nicht verwenden kann, geht heraus und es bleibt das dicke, was das feine Mehl ist (ebenso lässt ein guter Schüler die schlechten Lehren unbeachtet und beherzigt die guten).↩︎

  25. Liegt der Grund der Liebe in etwas Irdischem, so hört sie auf, sobald das Irdische aufhörte und gewichen ist und muss das Geheimnis (der Liebe), das sich immer erneuert, in dem Geheimnis der Ursache liegen; ist aber der Grund der Liebe ein göttlicher, wie die wahre Erkenntnis (Gottes), so kann eine solche Liebe nie aufhören, weil der Grund das Wesen der Liebe ewig dauern lässt (wie Gott ewig ist).↩︎

  26. Das ist so nach dem Grundsatz von Belohnung und Bestrafung, denn wer nicht bloss streitet, um den andern zu widerlegen, sondern um das Wahre zu erkennen, dessen Worte werden bestehen und nie aufhören.↩︎

  27. Wer die Menschen zum Richtigen anleitet, den wird Gott belohnen, indem er ihn von der Sünde abhält, und wer die Menschen irreführt, den wird Gott bestrafen, indem er ihn von der Busse abhält, das ist klar, und nichts schwierig dabei, wenn du verstehst, was wir im 8. Abschnitt als Hauptgrundsatz dabei aufstellten.↩︎

  28. Unter “wohlwollendes Auge” ist die Genügsamkeit, unter נפש שפלה die Enthaltsamkeit zu verstehen, unter רוח נמוכה ist die ausserordentliche Demut gemeint, wie wir in dem vorigen Abschnitt auseinandersetzten. Die drei entgegengesetzten Dinge sind: die Geldgier, d. i. das böswillige Auge, die große Leidenschaft, d. i. נפש רחבה, und der Hochmut, d. i. רוח גבוהה. Die drei Vor züge wurden unserem Erzvater Abraham bekannt gegeben und bei wem sich die ersten drei Tugenden finden, der wird ein Schüler Abrahams genannt, weil er sich nach dessen Sitten richtet. Bei wem jedoch die drei entgegengesetzten fehlerhaften Dinge sich finden, gehört zu den Schülern Bileams, da er dessen Sitten nachahmt. Ich werde nun die Stellen anführen, wo die Tugenden Abra hams, und die Stellen, wo die Fehler Bileams erkennbar sind; sie finden sich alle in der Thora: Von der Anspruchslosigkeit (w. Genügsamkeit) Abrahams steht Gen. 14, 23: “(Abraham sagte zum König von Sodom:) Ich nehme weder Faden noch Schuhriemen, noch irgend etwas, was dir gehört” usw. Das ist der höchste Grad von Genügsamkeit, dass jemand großen Reichtum verschmäht und nicht das Geringste annimmt. Von der Enthaltsamkeit Abrahams er zählt die Schrift (ibid. 12, 11): “Als er nahe daran war, nach Ägypten zu kommen, sprach er zu Sara, seinem Weibe: Siehe doch, ich weiss, dass du ein Weib von schönem Ansehen bist”, wozu (Baba Bathra 77a) bemerkt wird: Er hat nur an diesem Tage ihr ganz ins Gesicht gesehen, was der höchste Grad von Enthaltsamkeit ist. Ferner bemerken sie (die Talmudisten) zu dem Verse Gen. 16, 6: “Abraham sprach zu Sara: Hier hast du deine Magd in deiner Hand, tue mit ihr, was dir gut dünkt in deinen Augen”, davon ist bewiesen, dass Abraham gar keinen Umgang mit der Hagar haben wollte. Ebenso, als Sara ihn bat, sie (die Hagar) mit Ismael fortzuschicken, so dass sie ihn hinderte, sich ihr (der Hagar) zum Zwecke des ehelichen Umgangs zuzuneigen, heißt es, es tat Abraham nur leid wegen des Ismael, nach Gen. 21, 11: “Leid war die Sache sehr in den Augen Abrahams um seines Sohnes willen.” Alles das sind Beweise von der Enthaltsamkeit Abrahams. Und in seiner großen Bescheiden heit sagte er: “Ich bin nur Staub und Asche” (Gen. 17, 27).↩︎

  29. Die Geldgier Bileams des Frevlers wurde dadurch bekannt, dass er von Aram Naharajim des Geldes wegen kam, das ihm als Lohn versprochen wurde, um Israel zu verfluchen, wie Gott sagte (Deuter. 23, 5): “Er (Balak) hat gegen dich gedungen den Bileam, den Sohn Beor” usw. Seine große Leidenschaft bezüglich des Beischlafes war aber der Grund, dass er Balak den Rat gab, er soll den Frauen frei geben, mit Israel zu buhlen. Er setzte bekannte Buhldirnen zu ihnen, was er nicht geboten haben würde, wenn nicht seine große Leiden schaft gewesen wäre, die die Unzucht ihm für erlaubt erscheinen liess, denn das Gebot der Menschen richtet sich nur nach ihrer Gesinnung, da die Guten nichts Böses gebieten, sondern sich davor in acht nehmen. Im Vers (Num. 31,16) steht: “Siehe, sie waren den Kindern Israels auf den Rat Bileams” usw. Und die Weisen (Sanhedrin 105a) sagten: “Bileam hat seiner Eselin beigewohnt und es ist kein Zweifel daran, dass derjenige, welcher solche Gedanken hat, auch diese betätigt.” Sie (die Weisen) bringen gegen Bileam einen Beweis von dem Verse (Ps. 55, 24): “Du aber, o Gott, wirst sie stürzen in die Grube des Verderbens, die Männer des Blutes” usw., nämlich: weil er (Bileam) ein Mann des Blutes war, was die Ursache gewesen ist, dass Israel während einer Seuche starb; auch war er ein Mann des Truges, denn er ersann Betrügereien, um Böses zu tun.↩︎

  30. Man bringt nun den Schülern Abrahams einen Beweis von dem Verse (Spr. Sal. 8, 21): “Zu verleihen meinen Freunden Habe und ihre Schätze fülle ich”, wie es auch heißt (Jesajas 41, 8): “Der Same Abrahams, meines Lieblings.”↩︎

  31. Obwohl es heißt: Ein frecher Mensch kommt ins Gehinam, gebietet man doch anderseits den Mut, den man zeigen muss, wenn z. B. Lehrer zurechtweisen und dergl., gleichsam, als wollte der Autor der Mischna sagen: Bediene dich zuweilen einer Untugend, wenn es sich um die Vollführung des göttlichen Willens und um die Anerkennung der Wahrheit der göttlichen Lehre handelt, wie der Prophet (Psalmist) sagt (Ps. 18, 28, 27): “Mit dem Krummen windest du dich”, aber unter der Bedingung (darfst du dich des Freimuts bedienen), wenn deine Absicht ist, der Wahrheit zu dienen. Deshalb steht auch: “Um den Willen deines himmlischen Vaters zu erfüllen.” Zu den Wohltaten, welche Gott dieser Nation (Israel) erwiesen, gehört auch, dass er ihr Schamhaftigkeit verliehen hat, wie es (Jebamoth 79a) heißt: Die Kennzeichen der Nachkommen Abrahams sind, dass sie verschämt, barmherzig und wohltätig sind. Ferner steht (Exod. 20,17): “Damit Ehrfurcht vor ihm auf eurem Antlitz sei, dass ihr nicht sündigt.” Nachdem nun der Vorzug der Schamhaftigkeit dargetan wurde, folgt das Gebet am Schluss: Wie du, o Gott, uns damit begnadigt hast, so begnadige uns, dass du bald in unsern Tagen deine Stadt (Jerusalem) erbauest!↩︎

  32. Sieh die Wahrheit, welche darin enthalten ist, mit deinem Verstande ein, wie das Targum das Wort וירא mit וחזא übersetzt.↩︎

  33. Beschäftige dich mit der Gotteslehre bis ins Greisenalter und auch dann weiche nicht von ihr, um dich etwas anderem zuzuwenden.↩︎

  34. Die (Talmudisten) sagen: Von der Weisheit hat nur das Bestand, was du mit Mühe erlerntest, arbeite und habe Ehrfurcht vor dem Lehrer; das Lesen von Büchern zum Vergnügen (Romane) oder zur Erholung (Novellen und andere populäre Schriften) hat keinen Bestand (keinen dauernden Wert) und keinen Nutzen. Im Talmud wird zu dem Verse (Koheleth 2, 9): “Auch אף meine Weisheit stand mir bei” bemerkt: Die Weisheit, welche ich im Zorn באף (bei Mühe und Qual) lernte, stand mir bei, weshalb man befahl, den Schülern Furcht einzuflössen und sagte man: Beobachte Strenge (eigentl. wirf Bitteres oder Galle) gegen die Schüler (s. Kethuboth 103 b).↩︎